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Gesprengte Ketten (1963) – Filmkritik

„Militärischer Ungehorsam“

Hier sitzen wir 60 Jahre später und das Wort Krieg ist in der medialen Öffentlichkeit und den zwischenmenschlichen Gesprächen präsenter denn je. Was werden zukünftige Filme von den heutigen Kriegen erzählen? GESPRENGTE KETTEN erzählte von der Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg. Basierend auf dem gleichnamigen Sachbuch von Paul Brickhill ist THE GREAT ESCAPE weder ein Drama noch ein Menschenrechts-Diskurs, es ist vielmehr ein Abenteuer- und Gefängnisausbruchsfilm – ganz dem Willen unterworfen, sein Publikum zu unterhalten. Die heutigen Erwartungen, dass der Krieg somit etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen wird, verfliegt noch während der ersten Filmminuten erstaunlich schnell. Die Spannung wie auch die hervorragende Besetzung – ein Ensemblefilm ist GESPRENGTE KETTEN ebenfalls – lässt die Gedanken an reale Bedrohungen verfliegen und beim Ausbruch mitfiebern.

© Capelight Pictures

Handlung

1944 mitten im niederschlesischen Wald: Das „Stalag Luft III“ gilt als eines der ausbruchsichersten Kriegsgefangenenlager des Deutschen Reichs. Unter der Führung der Luftwaffe werden im neu errichteten Lager besonders schwere Fälle eingesperrt. Somit kommt eine internationale Truppe von Ausbruchskünstler zusammen. Selbst bei der Ankunft versuchen schon sieben Gefangene auf unterschiedlichste Arten zu fliehen, die jedoch gestellt und mit einer Verwarnung und Isolationshaft in der Baracke davonkommen. Die deutsche Leitung hat sich mit dieser Konzentration von Ausbruchsfähigkeiten keinen Gefallen getan. Unter der Führung des Squadron Leader Roger Bartlett (Richard Attenborough) wird Projekt X gestartet. Die oberste Aufgabe der gefangenen Soldaten ist es, zu fliehen und somit Ressourcen des Feindes im Inland zu binden, so dass diese an der Front fehlen. Bartlett hat Großes vor und will mit 250 Mann innerhalb einer Nacht über Tunnelsysteme verschwinden. Ein Unterfangen, das einiges an Vorbereitung benötigt. Zum Glück sind diverse talentierte Mitinsassen dabei, wie der „Schnorrer“ Bob Hendley (James Garner), der „Fälscher“ Colin Blythe (Donald Pleasence), die „Tunnelkönige“ Danny Valinski (Charles Bronson) und William Dickes (John Leyton), der „Handwerker“ Louis Sedgwick (James Coburn) und viele weitere. Doch ein Amerikaner mit der dicksten Ausbruchsakte will gar nicht richtig in das Großunternehmen einsteigen und seinen eigenen Ausbruch bewerkstelligen: der „Bunkerkönig“ Captain Virgil Hilts (Steve McQueen).

© Capelight Pictures

Platz für Charaktere

Mit fast drei Stunden Laufzeit ist GESPRENGTE KETTEN keine kurze Angelegenheit, aber jede Minute kommt den Figuren zugute. In den 1960er-Jahren leckte man sich alle Finger nach dieser Besetzung, aber Regisseur John Sturges gelingt es spielend keinen Star zu hell erstrahlen zu lassen. Vor allem Steve McQueen, der bis heute seinen Status als Superstar in der allgemeinen Wahrnehmung behauptet, reist die Aufmerksamkeit nie gänzlich an sich. Aber seine Motorradflucht im Finale gehört natürlich zu den ikonischsten Szenen der Filmgeschichte. GESPRENGTE KETTEN verfügt über eine rein männliche Besetzung. Von Anfang an, herrscht ein gewisses Gentlemen‘s Agreement, hauptsächlich den Piloten zu verdanken, die sich vor wie auch hinter dem Stacheldraht befinden. Wer als Soldat im Krieg gefangen wird, hat ein Recht auf eine bessere Behandlung als es ein Verbrecher hat. So zumindest die Vorsätze. Folter und Drangsalierung sind hier kaum zu sehen.

© Capelight Pictures

Der Feind im Film ist nicht die Gefängnisführung, sondern die SS und Gestapo, die für die Willkür der Nazis stehen und selbst die Wächter verängstigen. Die Einrichtung der Baracken, abgesehen von der Isolationshaft, ist fast schon zivilisiert, mit Gärten und einer Bibliothek. Jedoch lässt sich gerade in diesen Bereichen das Fluchtunternehmen am besten verstecken. Was ebenfalls in der Besetzung gefällt, ist die nationale Vielfalt. Das verstärkt auch den Eindruck in Hinblick auf das Deutsche Reich gegen den Rest der Welt, verbreitet aber auch echte internationale Kooperations-Facetten. Aber auch die Späße zwischen Amerikanern und Engländern dürfen nicht fehlen und finden in der Feier des Unabhängigkeitstags mit Selbstgebranntem ihren Höhepunkt. Die Rollen werden nie durch ihr nationalen Klischees definiert, sie erhalten stets ein paar unverbrauchte Biografien. Der motorradfahrende Chemiestudent, der klaustrophobische Tunnelgräber oder der erblindete Vogelkundler.

© Capelight Pictures

Die Produktion macht die Musik

Abgesehen von ein paar geschichtlichen Fehlern (Eisenbahnwagen mit DB-Zeichen), war es eine authentische Entscheidung den Film in Deutschland zu drehen. Die Innendrehs fanden im Münchner Filmstudio statt, die Außendrehs im bayrischen Umland. Elmer Bernstein spielt eine militärisch fröhliche Filmmusik für die eingesperrten Schlitzohren. Wenn McQueen mit seinem Baseball-Handschuh wieder auf die Ersatzspielerbank – die Isolationshaft – muss, denkt man mit keiner Sekunde daran, wie es sein muss, tagelang in einer kleinen leeren Kammer zu leben. Kameramann Daniel L. Fapp (WEST SIDE STORY, 1960; EINS, ZWEI, DREI, 1961) zeigt meist sonnige Bilder mit sattem Grün im Hintergrund. Wenn sich die Insassen am ersten Tag um den Platz in den Etagenbetten streiten, könnte GESPRENGTE KETTEN auch gut ein Sommercamp-Film sein, in dem die Ferienlagerkinder gegen die erwachsenen Betreuer mit Ungehorsam ankämpfen. Das Wichtigste bei einem Gefängnisausbruchsfilm ist natürlich die Beantwortung der Frage: Wie gelingt der Ausbruch? Projekt X ist umfangreich und spielt jedes Talent geschickt aus. Zivile Kleidung wird aus Bettdecken genäht, eine Belüftungsanlage für das Tunnelsystem installiert und Sprachkurse in Deutsch gibt es ebenfalls. Die Geflohenen sollen schließlich untertauchen und die Deutschen an der Nase herumführen.

© Capelight Pictures

Neben den Unterhaltungswerten stimmt GESPRENGTE KETTEN auch ernste Töne an: ein deutscher Soldat hat Angst vor der Reichsobrigkeit, die Nerven drehen nach so vielen Jahren der Gefangenschaft durch und am Ende setzt die SS ihr grausames Exempel. Auch wenn man hin und wieder Lachend oder gespannt auf der Couchkante sitzt, bekommt man eben nicht das Happy End, was man gern sehen möchte. Der Kreislauf beginnt von Neuem. Gut, dass dieser Weltkrieg sein Ende gefunden hat. Ein Kriegsfilm ohne große Schlachten und ein erfolgreicher Ausbruch, der am Ende in eine Sackgasse führt, ist ungewöhnlich für die damalige Zeit. Das ist auch der filmgeschichtlichen Verortung von GESPRENGTE KETTEN zu verdanken. Das Ende der großen, aufwändigen und teuren Studiofilmproduktion ist nahe und das New Hollywood einen Wimpernschlag entfernt. Die Hippiebewegung sucht ihre Ideale und gräbt sich durch das dichte Gestein in die Freiheit. Hier werden Soldaten zum Ungehorsam regelrecht verpflichtet. Das macht einen Klassiker eben auch aus, wenn er die gesellschaftlichen Bewegungen seiner Zeit indirekt widerspiegelt.

© Capelight Pictures

Heimkino

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Den Klassiker, der auf jeder Bestenliste zu finden ist, kann man sich in exzellenter Qualität nach Hause holen. Capelight Pictures veröffentlicht GESPRENGTE KETTEN auf Ultra HD Blu-ray und Blu-ray in einer limitierten Mediabook-Ausgabe. Bild und Ton sind sauber restauriert und aufgearbeitet. Mit fast drei Stunden Bonusmaterial wird geklotzt und nicht gekleckert. Eine große Empfehlung geht an das 24-seitige Booklet von Lucas Barwenczik. Mit wenigen Worten gelingt es ihm, den Film greifbar zu machen und allerlei spannende Informationen zu liefern. Direkte Empfehlung für die hochwertige Edition.

© Capelight Pictures

Fazit

Vielleicht ist GESPRENGTE KETTEN der gefälligste und unterhaltsamste Kriegsfilm. Bei John Sturges‘ Meisterstück der cineastischen Handwerkskunst lässt man sich zu gern mit einem Abenteuer von der geopolitischen Kraft eines Krieges ablenken. Gar kein so schlechter Deal in aktuellen Zeiten.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewGesprengte Ketten (1963)
OT: The Great Escape
Poster
Releaseseit dem 22.09.2023 im Mediabook (UHD + Blu-ray) und einzeln auf DVD erhältlich.

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RegieJohn Sturges
Trailer
BesetzungSteve McQueen (Captain Virgil Hilts)
James Garner (Captain Bob Hendley)
Richard Attenborough (Roger Bartlett)
Charles Bronson (Danny Valinski)
Donald Pleasence (Lieutenant Colin Blythe)
James Coburn (Officer Louis Sedgwick)
Gordon Jackson (Lieutenant Sandy MacDonald)
Hannes Messemer (Oberst von Luger)
Angus Lennie (Officer Archibald Ives)
James Donald (Group Captain Rupert Ramsey)
Robert Graf (Werner)
Harry Riebauer (Hauptfeldwebel Strachwitz)
David McCallum (Eric Ashley-Pitt)
John Leyton (Flight Lieutenant William Dickes)
Nigel Stock (Flight Lieutenant Cavendish)
Robert Freitag (Hauptmann Posen)
Hans Reiser (Herr Kuhn)
Heinz Weiss (Kramer)
William Russell (Sorren)
DrehbuchJames Clavell
W. R. Burnett
Vorlagebasiert auf dem gleichnamigen Buch von Paul Brickhill
KameraDaniel L. Fapp
Walter Riml
MusikElmer Bernstein
SchnittDaniel Mandell
Filmlänge172 Minuten
FSKab 12 Jahren

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