„Herr, lass Hirn regnen!“
Aus Herz und Hirn (Vor-Fazit)
Es darf auch gern spontan sein. Überraschend, immersiv, die Sinne berührend. Aber als eigentlich Struktur liebender Mensch fallen mir zu Beginn je ein positives und ein negatives Beispiel ein. Wofür? Zum Thema Zombiefilm natürlich, denn Damian Martinez, über dessen Sci-Fi-Schmöker mein Namensvetter auf diesem Blog bereits berichtete, widmet sich in seinem ersten Beitrag zur „Beyond Mainstream“-Reihe intensiv und wohl recherchiert dem Thema um Wankelwesen, Bleichgesichter und Untote, allesamt unter dem Horror-Subgenre des Zombiefilms einzuordnen. Martinez ist gründlich: er nimmt sich neun Jahrzehnte zur Brust, von 1932 bis zur Gegenwart. Das Buch ist trotz der steilen Selbstanforderung um diese enorme Spanne nicht ausufernd oder geschwätzig, geschweige denn gebunden oder besonders schwer (wie ein Grabstein, den das faulige Fleisch erst zur Seite schieben muss). Kompakt und auf den Punkt ist die Devise dieses Buches. 200 Seiten reichen dem Autor, um ganz vieles richtig zu machen, überschaubar und dennoch tiefgehend, punktuell teilweise sogar analytisch an bestimmte Werke heranzugehen. Das war jetzt das positive Beispiel, weil ich dieses Buch ja gerade zur Hand habe und für Euch darüber schreibe und entgegen seiner scheinbaren Beiläufigkeit sehr positiv angetan bin. Das Fazit also gleich zu Beginn. Na gut. Für meinen essayistischen Stil an dieser Stelle entschuldige ich mich erst gar nicht, es kommt alles von Herzen. Oder doch aus dem Hirn?
Das negative Beispiel ist übrigens ein Filmtitel, den anfangs selbst unterhaltsam fand, mir aber immer mehr klar wurde, wie sehr dieser auf seinem selbsternannten „Stil“ herumreitet, sein Konzept allzu schematisch (Thema Struktur, zu viel davon) ausbreitet, um schließlich nur seine eigene Ideenlosigkeit zu offenbaren. Manche mögen mich jetzt nicht mehr so cool finden oder vielleicht sogar fressen wollen, aber ich fand die Zom-Com ZOMBIELAND (2009) zuletzt höchstens dank der dünnen Metaebene sehenswert. Die Figuren – und ja: auch Zombies transportieren viel Seele, enorme kulturelle Bedeutung, wichtige Geschichte(n) – blieben in diesem Film einfach zu blass, wenn man das noch so formulieren darf. Oder besser: der Film katapultierte. Die gelungenen Vertreter dieser Gattung hingegen, zuletzt die Serie THE WALKING DEAD (2010– ), haben sehr, sehr viel zu erzählen. Das hat auch unser Autor Damian Martinez erkannt. Und auch wenn er Serien-Vertreter konsequent aus dem Thema ausschließt und sich ausschließlich den Spielfilmen widmet: das Buch gehört ins Regal eines jeden Fans und Interessierten!
Keule, Schulter, Brust (inhaltliche Struktur)
Hier sogleich einmal das Inhaltsverzeichnis, aus dem ersichtlich wird, dass Martinez die neun Jahrzehnte der Zombiefilm-Geschichte in sieben Kapiteln aufarbeitet. Diese sieben Phasen machen alleine schon deshalb Sinn, weil bekanntlich nicht in jeder Phase gleichermaßen einschlägige Werke und Tendenzen erkennbar waren. Seine allgemeine Filmauswahl bewerte ich als höchst passend, auch wenn ich persönlich dem letzten Kapitel (2010-2018) keine dreißig Seiten bzw. 40 Filme gewidmet hätte, während die Anfangsjahre 1932 bis 1946 einschließlich der Einführung in den Zombie-Mythos auf nur zehn Seiten bzw. mit nur ebenso vielen Filmen abgehakt werden (natürlich gab es zu Beginn noch nicht so viele Vertreter, aber da hätte man schon ein bisschen mehr Grundlegendes schreiben können).
- Prolog (S. 1)
- Kapitel 1 – Der Zombie und die weißen Herrschaften (S. 2-12) / 1932-1946
- Kapitel 2 – Der Zombie im Atomzeitalter (S. 13-32) / 1952-1966
- Kapitel 3 – Kannibalen in Pittsburgh (S. 33-56) / 1968-1977
- Kapitel 4 – Zensur versus Zombies (S. 57-102) / 1978-1989
- Kapitel 5 – Humorvolle Hirntote (S. 103-124) / 1990-2001
- Kapitel 6 – Der Zombie wird salonfähig (S. 125-162) / 2002-2009
- Kapitel 7 – Der Boom geht weiter (S. 163-198) / 2010-2018
- Epilog (S. 199)
(Der Index ist knappe vier Seiten lang und listet alphabetisch alle besprochenen Filme auf; wichtige Stichworte oder Namen von Beteiligten werden im Index nicht aufgeführt.)
Anhand der von mir zusätzlich eingefügten zeitlichen Spannen der einzelnen Kapitel wird ersichtlich, dass diese jeweiligen Phasen stets von einschlägigen Exemplaren eingeläutet werden. Mit Ausnahme des zweiten und letzten Kapitels sind dies etwa Victor Halperins WHITE ZOMBIE (1932), George A. Romeros NACHT DER LEBENDEN TOTEN (NIGHT OF THE LIVING DEAD, 1968) sowie dessen Fortsetzung zehn Jahre später, dann Tom Savinis Neuausrichtung NIGHT OF THE LIVING DEAD – DIE RÜCKKEHR DER UNTOTEN (1990) plus natürlich Peter Jacksons BRAINDEAD (1992) und zuletzt Danny Boyles 28 DAYS LATER (2002), der wiederum eine ganz neue Richtung einschlug und die Zombies quasi über Nacht für das neue Jahrtausend salonfähig machte. Wie zuvor erwähnt, halte ich diese Struktur, die Auswahl, die Gewichtung insgesamt für sehr stimmig. Es ist auch absolut sinngemäß, der filmhistorisch immanenten „Zensurphase“ des Zombiefilms, von Romeros ZOMBIE (DAWN OF THE DEAD, 1978) über Lucio Fulci, Sam Raimi u.a. bis hin zu Wes Cravens DIE SCHLANGE IM REGENBOGEN (THE SERPENT AND THE RAINBOW, 1988) und dem Ende der 1980er-Jahre, größere Aufmerksamkeit zu schenken, nicht zuletzt, da just diese lange währende Schockstarre aktuell rehabilitiert wird. Zahlreiche Titel werden hierzulande vom Index gestrichen, sorgfältig restauriert, einem immer größeren Publikum neu zugänglich gemacht. Zudem besitzt diese Phase des Zombiefilms die wohl bis heute größte Anhängerschaft unter Fans. Neben den grundlegenden ersten drei Kapiteln, die eben gerne noch etwas mehr Zeitgeschichte in sich hätten tragen können, bewerte ich besonders die Kapitel 5 und 6 für sehr stimmig, auch in ihrer thematischen Ausrichtung, da diese gelungen die kreative Entwicklung des Zombiefilms samt genreübergreifender und -verbindender Entscheidungen reflektieren.
Triefende Herzen (filmische Höhepunkte)
Man merkt dem Autor an, dass er nicht nur Kenntnis, sondern auch große persönliche Freude in sein Thema mit einbringt. Wichtiger Pluspunkt. Diese Glückseligkeit vermag sich bisweilen, auch bei ausgefalleneren Beispielen, direkt auf den Leser zu übertragen und somit die Tür zu einem bislang nicht entdeckten Nebenzimmer des eigenen filmischen Domizils zu öffnen. So stehen neben unangefochtenen Klassikern, die ich hier aus Platzgründen nicht noch weiter auswalzen möchte, sogleich kleinere, teils vergessene, auch grotesk-komische Vertreter des „Zombiefilms“ (teils auch im weiteren Rahmen, wo das Thema „Zombie“ knappe drei Minuten zur Sprache kommt). ASTRO-ZOMBIES – ROBOTER DES GRAUENS (1968, R: Ted V. Mikels) etwa darf als besonderes Exemplar absurder Trashkunst gelten, wenig später flankiert vom ungleich zeitloseren HORROR-EXPRESS mit Peter Cushing, Christopher Lee und Telly Savalas. Genüsslich, wenn auch dem Zombiefilm in nur einem Segment gerecht, unterhält uns Vincent Price als aus dem Jenseits sprechender „Patient“ Valdemar in Roger Cormans DER GRAUENVOLLE MR. X (TALES OF TERROR, 1962), der wie vieles aus der Zeit eher lose auf Edgar Allan Poes Kurzgeschichten basiert. Die Anfangsjahre in den 1930er– und 1940er-Jahren bezeichnet Autor Martinez übrigens als durchwachsen, problematisch und häufig mit Rassismus behaftet. Bela Lugosis markante Auftritte oder etwa Jacques Tourneurs wichtiger I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) stehen neben Skurrilem wie VALLEY OF THE ZOMBIES, der als einer von zahlreichen Vertretern demonstrierte, wie wild man mit den Subgenres hantierte (Vampir-, Voodoo- und Mysteryfilm).
Interessant wird es – nicht nur für mich – etwas später in den 1970er-Jahren, wenn neben den Überlebensgroßen eben auch kanadische und (süd-)europäische Filmemacher ganz groß herausbrachten. Natürlich funktionieren bereits David Cronenbergs frühe Spielfilme auf den Motiven des Virus, der Infektion und Übertragung und weiten dieses Thema in SHIVERS (1975) und RABID (1977) abendfüllend und mehr als gelungen aus. Neben Italien kamen vor allem Spanien und Portugal voll auf ihre Genrekosten, wenn sie die NACHT DER REITENDEN LEICHEN (1972) einläuteten – dessen zahlreiche Fortsetzungen durchaus kritisch zu betrachten sind – oder zur BLUTMESSE FÜR DEN TEUFEL (1973) riefen. Während in den 1980ern an Effekten und immer krasseren Ideen wahrlich nicht gegeizt wurde, legte Altmeister Romero mit DAY OF THE DEAD (1985) fast schon melancholisch, auf jeden Fall visionär und gereift nach. Romeros originale DEAD-Trilogie ist bis heute nicht nur ein Zeichen von gelungenem Fortsetzungs-Kino, sondern betont vielmehr die Eigenständigkeit der einzelnen Filme und deren jeweilige Zeit, in der die Werke mit jeweils deutlichem Abstand entstanden.
Mein persönliches Highlight ist übrigens Ryûhei Kitamuras VERSUS aus dem Jahr 2000, der absonderlich rasant Bildfolgen des Yakuza-, Samurai- und Zombiefilms miteinander verhackstückt. Dass mit so vielen Zutaten – und der Film haut einen sprichwörtlich völlig um, wirbelt dich durch die Luft, zerstückelt dich und setzt dich wiederholt zusammen, nur um dich dann in einem Feuerwerk zum Himmel zu schießen – immer noch ein relativ cooler Film mit eigener Handschrift entstehen kann, signalisierte für mich persönlich einen klaren Höhepunkt von Zitatenkino, von Genre-Bending und (noch) attraktiver Hochgeschwindigkeits-Ästhetik, wobei Kitamura obendrein die filmischen Kulturen Japans und Hongkongs zur ansehnlichen Paarung brachte. (Kitamuras ARAGAMI schätze ich auch sehr, nur hat er nichts mit Epidemie zu tun.)
Alles was nach SHAUN OF THE DEAD (2004) kommt, fühlt sich in meinen Augen sehr beliebig und oft seelenlos (haha!) an. Ich stehe auch dem zunehmend comichaftem Humor und vor allem der exaltierten CGI-Ästhetik besonders im Rahmen des Subgenres äußerst skeptisch gegenüber. Martinez’ noch zahlreiche Beispiele der jüngeren Vergangenheit lassen mich gegen Ende des Buches immer öfter die Stirn runzeln, einzelne Zeilen überfliegen und sehnsüchtig zur immer noch aktuellen Serie THE WALKING DEAD in meinem Filmregal herüberblinzeln, wo noch gehörig Mythos und Bedeutung transportiert sowie ungebrochen mit grandiosen Make-up-Effekten gepunktet wird. MUTANTS (2009) ist mit seiner handwerklichen Qualität – auch des filmischen Erzählens per se – übrigens ein Film, der im reichhaltigen aktuellen Kanon des Buches eindeutig fehlt, stattdessen bekommt der durchwachsene CGI-Actioner THE HORDE (LA HORDE) aus gleichem Land und Jahr seinen obligatorischen Platz. Schade. Zu dem Highlights der jüngsten Jahre zählt Martinez dankenswerterweise auch den koreanischen TRAIN TO BUSAN (2016) sowie THE GIRL WITH ALL THE GIFTS (2016) auf. Aber dazwischen muss man sich wirklich durch ganz viel lebloses Gedärm wühlen.
Blanke Knochen (Haptik des Buches)
Kurz und schmerzlos: das Buch misst 14 mal 21,5 Zentimeter, ist 210 Seiten stark und wiegt dezente 320 Gramm. Die Abbildungen sind leider nur in Schwarzweiß, 37 an der Zahl. Die Schrift ist nicht zu klein, was Vor- und Nachteil bedeuten kann (gute Lesbarkeit vs. weniger Füllstoff fürs Hirn). Letztlich beweist dieses Buch seinen Biss in erster Linie aufgrund des Inhalts, der treffenden Worte des Autors. Haptisch wirkt es eher unscheinbar, jedoch mit einem knalligen, originellen Cover. Als Herausgeber der Reihe „Beyond Mainstream“ fungiert Martin Lesniewski aus Stuttgart, der Druck erfolgt direkt über Amazon (in Polen).
Viel für wenig (nochmal Fazit)
Als abschließendes Fazit möchte ich dieses Buch empfehlen. Zwar hätte ich es lieber gesehen, ein anderer Verlag hätte sich hierzulande dem Skript Martinez’ angenommen, aber so könnt Ihr etwa auf direktestem Wege über unseren Affiliate-Link bestellen. Gerade einmal 13,90 € kostet dieses lesenswerte und kompakte Handbuch über den Zombiefilm und wenn man den Nutzen der (Wieder-)Entdeckung zahlreicher neuer Titel im Gesamten einschätzt, ist das quasi geschenkt.
Restschmalz (P.S.)
Gerade habe ich gesehen, dass diesen Herbst ein Sequel zu ZOMBIELAND in die Kinos kommen wird, mit dem ergänzenden Titel: DOUBLE TAP. Bin da ehrlich skeptisch. Lieber Double Beef auf meinen Burger und einen Zombie als kühlendes Getränk dazu. Wir sehen uns beim Festmahl. Und kauft dieses Buch hier, unterstützt den Autor, er ist einer von den Guten!
Euer Walking Dad
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen