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Fleabag – Serienreview

„Normal People?“

Ein Phänomen: Die von Phoebe Waller-Bridge erdachte Serie FLEABAG, basierend auf ihrem eigenen One-Woman-Theaterstück (bereits ein Publikums- und Kritiker:innen-Liebling) und ist aus der tagesaktuellen Popkultur nicht mehr wegzudenken. Nachdem die namensgebende, strauchelnde Antiheldin bereits die USA und Großbritannien in Verzückung emphatisieren ließ, stehen die Chancen auf den Großangriff auf Deutschland nun nicht schlecht. Wer über keinen Prime Video Zugang verfügt, der kommt jetzt, dank justbridge entertainment, in den Genuss der meisterlichen ersten Staffel.

©Two Brothers Pictures & all3media International

Obwohl zu Beginn natürlich Skepsis angebracht ist: Braucht man noch keine quirlige Indie-Serie über eine verplante junge Frau, die sich in einer hippen Metropole mehr schlecht als recht durch die Plotprogression schlägt? Was bietet das Werk von Frau Waller-Bridge (die auch die Hauptrolle spielt und die Drehbücher verfasste), was SEX AND THE CITY, GIRLS, FRANCES HA und On A BEACH ALONE AT NIGHT (kleiner Scherz) nicht schon porträtiert haben? Am offensichtlichsten: Die eigene Dekonstruktion. Bereits ab Sekunde eins zertrümmert Protagonistin Fleabag die vierte Wand geradezu und lässt uns bildungsromanisch-didaktisch an ihrem Leben teilhaben. Wie man sich etwa bei einem „Booty Call“ zu verhalten habe, wann und ob während eines One-Night-Stands an Analsex zu denken ist und wie man Typen aufliegen lässt, die einen auf der Straße allzu offensichtlich angeiern.

©Two Brothers Pictures & all3media International

Was zunächst eine etwas aseptische, aber dennoch belustigende Wirkung auf den/die Zuschauer:in hat, wandelt sich im Laufe der sechs Folgen der ersten Staffel zu einer wahrlich entlarvenden und clever beobachteten Gesellschaftsanalyse der Millennial-Generation, in der die Figur nicht nur ihr Seelenleben offenlegt, sondern immer wieder schmerzhaft allzu echte Empfindungen und Erlebnisse der Rezipienten und Rezipientinnen offenlegt. Das Bemerkenswerte: Je absurder die Situationen der Serie werden, desto mehr stellt sich dieser Identifikationsprozess ein. Fleabag mag weiblichen biologischen Geschlechts sein, ihre Erlebnisse transzendieren jedoch Geschlechter und Altersgruppen. Gerade als männlich definierender Rezipient bekommt man hier subtil, aber dennoch schmerzhaft einen Spiegel vorgehalten.

©Two Brothers Pictures & all3media International

Dabei ist FLEABAG bei Weitem nicht nur oben beschriebene, postmoderne Thesenserie. Über die etwa zwei Stunden Laufzeit entfaltet sich eine mitreißende und beizeiten tieftraurige Geschichte, die vom etwas wirr-anekdotischen Anfang auf einen unvermeidbaren Höhepunkt zusteuert. Brilliant parodiert und subversiert Waller-Bridge das Handlungsgerüst des Bildungsromans, indem sie ihre Hauptfigur zwar augenscheinlich superiore Protagonistin sein lässt, mit der tatsächlichen Historie aber hartnäckig gegen selbiges Bestreben arbeitet…

 

[Anmerkung des Lektorats]… Wow Fynn, brillant. Jetzt klingt das Alles ja wie eine wahrgewordene Worthülsenmasturbation für angehende Akademiker:innen, episches Theater, Bildungsroman, haben wir es nicht noch ne Nummer kleiner? Vielleicht zitierst du ja nochmal an einer unpassenden Stelle Kracauer oder so, das fehlt eigentlich noch, Du Diedrich Diederichsen für Altbauwohnungsbewohner:innen.

Das ist doch gar nicht das Hauptfaszinosum der Serie, aber für dich als Wanna-be-Kritischen-Filmschreibenden ist es ja offensichtlich verboten, über rein oberflächliche Reize zu schreiben. Was die Menschen wirklich zu FLEABAG hinzieht, das ist doch der wunderbare Humor. Schreib es doch einfach aus: Die Serie ist hammerwitzig. Brilliant geschriebene Gags, sowohl auf verbaler wie optischer Seite. Das hat dich beim Schauen doch hier und da an ARRESTED DEVELOPMENT erinnert, wie hier teilweise folgenlang Punchlines vorbereitet werden, wie die Serie durch clevere Running Gags fast sowas wie eine eigene Sprache entwickelt („Fucked me up the ass“, „Hot Priest“, „You’re so handsome“). Aber das würdest Du wahrscheinlich auch nicht hinbekommen, über diese Ebene den Reiz der Serie zu vermitteln, Du würdest dann sicher das tun, wovor Mark Twain uns alle immer gewarnt hat, also den Frosch zu sezieren. Denken wir mal scharf nach, wozu Du überhaupt textlich im Stande wärst. Hast Du überhaupt schon erwähnt, wie brillant alle Darsteller:innen sind? Wie sie sich alle mit Haut und Haaren ihrer Rolle verschrieben haben, nicht nur Phoebe Waller-Bridge, die sich mit ihrem ganzen Körper da reinwirft und sich für keine Entgleisung zu schade ist? Und wie sie fast noch überstrahlt wird von Olivia Colman als ihre herrlich exzentrische Schwiegermutter? Nein, natürlich nicht. Man, man, man.

©Two Brothers Pictures & all3media International

Fast eine ganze Dokumentseite auf eine halbgare und pseudoprofunde „Analyse“ verschwendet, aus der man aus jeder Zeile ein verzweifeltes:“Notice me, Filmdienst, ich bin genauso lustfeindlich wie ihr“ herausliest und mal wieder keine Sekunde daran gedacht, wie man Stoffe tatsächlich vermittelt. Bashe doch nochmal schnell Marvel-Filme oder hacke auf Kinderfilmen rum, das kannst Du doch so gut. Aber lass die Finger von solch brillanten Stoffen, die Du eh nicht richtig vermitteln kannst. Zugute kann man Dir ja wirklich nur halten, dass Du keinen peinlichen Vierte-Wand-Bruch-Witz eingebaut hast, das wäre wirklich der allerletzte Tropfen gewesen. Man, man, man. Und jetzt hurtig: alles nochmal überarbeiten. Und dringend darauf hinweisen, das FLEABAG seit dem 14. Mai auf den gängigen Heimkinomedien erschienen ist und man gerne den Treibstofflink nutzen kann, um dem Fluxkompensator was Gutes zu tun.

© Fynn

Titel, Cast und CrewFleabag (2016-2019)
Poster
RegisseurHarry Bradbeer
ReleaseStaffel 1 seit dem 14.05.2021 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungPhoebe Waller-Bridge (Fleabag)
Sian Clifford (Claire)
Olivia Colman (Godmother)
Jenny Rainsford (Boo)
Bill Paterson (Dad)
Brett Gelman (Martin)
Andrew Scott (The Priest)
Hugh Skinner (Harry)
Ben Aldridge (Arsehole)
Hugh Dennis (Bank Manager)
DrehbuchPhoebe Waller-Bridge
KameraTony Miller
MusikIsobel Waller-Bridge
SchnittGary Dollner
FilmlängeStaffel 1 mit 6 Folgen à 23 min
Staffel 2 mit 6 Folgen á 23 min
FSKab 16 Jahren

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