PARADOX setzt die berüchtigte Unart verwirrender Betitelungen asiatischer Filmreihen fort, die uns mindestens seit den Siebzigern plagen und mit der nicht mehr konfrontiert zu werden, ich eigentlich gehofft hatte. Zu den bekanntesten Vertretern gehören sicher die POWERMAN-Filme mit Jackie Chan, die COVER HARD-Reihe oder HARD BOILED I & II. Sei es nun aufgrund von Übersetzungsschwierigkeiten oder vermeintlich gesteigerter Marktattraktivität in einem Land, das nur zu gerne eine gewisse „Tödlichkeit“ in möglichst viele Filmtitel zwängt, das Namenswirrwarr nervt. Oft ist derlei literarische Freigeistigkeit bis zur kompletten Sinnentleerung nicht mal den deutschen Verleihern geschuldet und geht mitunter sogar vom Entstehungsland aus. Man könnte vermutlich glatt eine ganze Artikelreihe darüber veröffentlichen.
Vielen ist die SHA-PO-LANG-Filmserie darum vielleicht auch gar kein Begriff. Das stört einerseits den Sehgenuss praktisch gar nicht, ist jeder Film doch inhaltlich vollkommen autark. Anderseits einen sie aber doch einige Gemeinsamkeiten, die eine Betrachtung als Gesamtwerk interessant macht.
Nach dem auf maximale Austauschbarkeit in LETHAL WARRIOR umbenannten, unerwarteten Nachfolger von 2015, ist PARADOX nun also die zweite Fortsetzung des Achtungserfolgs KILL ZONE S.P.L., der in China als SHA PO LANG, in den USA als KILL ZONE herausgebracht wurde. Teil 3 versucht immerhin mit dem Titel-Nachklapp Kill Zone Bangkok eine Wiedererkennungsbrücke zum Erstling zu schaffen, sorgt damit aber nicht weniger für Kopfschütteln, spielt der Film doch, neben Hong Kong, fast komplett im etwa 130 Kilometer von Bangkok entfernten Pattaya. (Ja, Wikipedia hat geholfen.)
Der originale Name Sha Po Lang ist aus der Chinesischen Astrologie entnommen, wo er in einer bestimmten Methode der Weissagung als Sammelbegriff für drei besondere Sterne verwendet wird. Diese stehen für Macht, Zerstörung und Verlangen und können je nach Konstellation zum Guten oder Schlechten wirken. Diese Symbolik zieht sich durch die ganze Trilogie als grundlegendes Thema. Sie findet sich in besonders deutlicher Form zum Beispiel im überraschenden Ende von Teil 1, im gesamten Handlungsstrang um die Knochenmarksspende für ein kleines Mädchen im Sequel oder in PARADOX in Lees überbeschützenden Behandlung seiner Tochter, in deren Folge es erst zu ihrer Entführung kommt. So erzeugen die Filme eine besondere emotionale Gewalt, da besonders den furchtbaren Ereignissen auf den ersten Blick ein deprimierender Fatalismus innewohnt. Doch dienen sie vielmehr als Mahnmal die Auswirkungen des eigenen Handelns abzuwägen und erzählen durchaus auch von den positiven Verwicklungen des Schicksals.
SPL: Sha po lang (2005)
KILL ZONE S.P.L. verlegt – wie auch die nachfolgende Yen/Yip-Kollaboration FLASHPOINT – seine Handlung ins Jahr 1997, kurz vor der Rückgabe Hong Kongs durch Großbritannien an China. Darin versucht eine Polizeieinheit unter Führung von Simon Yam (FULLTIME KILLER, ELECTION) und Donnie Yen mit nicht immer legalen Mitteln einen brutalen Gangsterboss, gespielt von Sammo Hung, zu überführen. Das düstere Thriller-Drama revitalisierte den harten Stil und die handgemachte Action des Hong Kong-Genre-Kinos der 80er, ohne den visuellen Schnickschnack und Billig-CG wie sie in den 2000ern so oft zu finden waren. Besonders die beiden Endfights sind auch heute noch eine Wonne für Action-Fans.
Der Film erhielt seinerzeit viel Kritikerlob und stellt den Beginn einer langen, fruchtbaren und durchweg hochwertigen Zusammenarbeit zwischen Regiseur Wilson Yip/Yip Chu-wai und Asia-Superstar Donnie Yen dar, aus der bereits 2008 mit IP MAN einer der besten Martial Arts-Filme aller Zeiten hervorging.
Sha po lang 2 (2015)
LETHAL WARRIOR alias SPL II: A TIME FOR CONSEQUENCES erschien erst zehn Jahre nach dem ersten Teil, was sicher auch auf anfängliches Drehbuch-Hickhack zurückzuführen ist. Denn ursprünglich sollte bereits recht schnell eine als Prequel angesetzte Fortsetzung in den Dreh gehen, in welcher Sammo Hung, Simon Yam und Wu Jing (WOLF WARRIOR 1 & 2, CALL OF HEROES) ihre Rollen wieder aufnehmen. Diesen Entwurf verarbeitete Dennis Law schließlich in seinen Gangster-Actionfilm FATAL MOVE, welcher 2008 erschien.
In Sha Po Lang II – schließlich von Wilson Yip produziert und von Cheang Pou-Soi (MOTORWAY, DOG BITE DOG) inszeniert – wollen Yam und Jing einen Organhändler-Ring ausheben und erhalten dabei unverhoffte Hilfe von Gefängniswärter Tony Jaa. Als Gegenspieler treten Zhang Jin (THE GRANDMASTER, IP MAN 3) und Louis Koo auf. Wie es ungeschriebenes Gesetz ist, kommt der Film in jeder Hinsicht größer als sein Vorläufer daher, von den Themen wie Drogenabhängigkeit, Kinderleukämie oder Brudermord und den damit verbundenen, ausladend dargestellten Emotionen, der erbarmungslosen Gewalt, den groß angelegten Action-Setpieces, bis hin zur Spiellänge. Subtil geht anders. So verliert SPL II zwar die bodenständige Unmittelbarkeit, welche die beiden anderen Teile so überzeugend macht, erreicht für sich jedoch eine eigene opernhafte Melodramatik, die, wenn auch manchmal verkitscht, oft nicht weniger wirkungsvoll ist und einige veritable Gänsehautmomente hervorbringt.
Im Gesamtvergleich bleibt es der heterogenste und schwächste Teil der Reihe, nicht zuletzt dank einer ziemlich verwirrenden ersten halben Stunde, in der zahllose Protagonisten, in wechselnden Zeitebenen eingeführt werden. Am Ende fügt sich jedoch alles zusammen und auch LETHAL WARRIOR erkämpft sich seinen rechtmäßigen Platz in dieser beachtenswerten Trilogie. Die genießt vielleicht nicht den gleichen Ruf wie andere serielle Klassiker des Hong Kong-Actionkinos, namentlich zum Beispiel POLICE STORY oder A BETTER TOMORROW, darf sich aber allemal als Komplettwerk in der Sammlung eines jeden Genre-Enthusiasten wiederfinden.
Sha po lang 3 (2017)
International als PARADOX – KILL TONE BANGKOK betitelt, ist der dritte vielleicht der beste der SPL-Reihe ist ein emotional herausfordernder Entführungsthriller, mit einer absolut durchdringenden Performance von Louis Koo. Die tendenziell showhaften Action-Szenen wollen nicht recht ins Gesamtbild passen, schmählern aber kaum eine weitere starke Arbeit von Wilson Yip, der seine Fähigkeiten als Regisseur hier konsequent verfeinert. Die vollständige Review.
Sha po lang 4
Abgesehen von ihrer Metaerzählung, werden die drei Filme auch durch ihren Cast verbunden. Wu Jing und Simon Yam tauchen, wie erwähnt, in Teil 1 und 2 auf. Letzterer führt Tony Jaa, Ken Lo und Louis Koo ein, die wiederum in PARADOX mitmischen. Nach diesem Muster könnte es gut sein, dass in einem eventuellen vierten Teil Donnie Yen und Wu Yue als Antagonisten und Sammo Hung als alternder Held antreten.
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