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Daft Punk’s Electroma (2006) – Filmanalyse

© Alterian & Daft Arts & Wild Bunch

Handlung

Die ersten Bilder zeigen ein von der Natur geformtes Steinbild auf einer Felswand. In verschiedenen Einstellungen wird hier etwas Ursprüngliches ins Bild gesetzt. Nach einem erneuten Schnitt in der zweiten Minute von ELECTROMA sehen wir einen schwarzen Sportwagen (einen Ferrari 412), der am Fuße des geologischen Konstrukts parkt. Zwei Gestalten, bekleidet mit Lederanzügen und Roboterhelmen, treten an das Fahrzeug und steigen in vollständig synchronisierten Bewegungen ein.

Die beiden Roboter, einer mit einem goldenen, der andere mit einem silbernen Helm, beginnen eine lange Autofahrt durch eine südliche U.S.-Landschaft. In beständig variierten Einstellungen sehen wir das schwarze Auto, das einen schier endlosen Highway durchfährt. Das Ziel der Reise scheint mysteriös, nur das Nummernschild des Wagens, auf welchem „Human“ steht, ist eine kleine Vorgabe dafür, was die beiden robotischen Protagonisten im Sinn haben könnten.

Nach etwa zehn Minuten erkennen die Roboter erste Anzeichen einer Zivilisation, kleine Häuser tauchen am Wegrand auf. Bei der Einfahrt in eine Kleinstadt überholen sie einen Traktor, der ebenfalls von einem Roboter gefahren. In der Stadt passieren sie verschiedene Häuser, auf den Straßen tummelt sich Leben, wobei diese Welt durchgängig nur von Robotern bewohnt zu sein scheint. Die mechanischen Individuen unterscheiden sich dabei zwar in Größe, Bekleidung und Geschlecht, und auch das Alter scheint durch die Kleidung bzw. Körperhaltung wechselhaft, doch gibt es immer nur die beiden gleichen Helmmodelle, die auch unsere „Hero Robots“ (so ihre offizielle Bezeichnung) tragen.

Daft Punk's Electroma (2006)
© Alterian & Daft Arts & Wild Bunch

Das Duo fährt zu einem abgeflachten Kreisgebäude, das von Zäunen umgeben ist. Sie steigen aus dem Auto und betreten einen langen, schwarzen Korridor, an dessen Ende nur weißes Licht zu erkennen ist. Dieser „White Room“ ist eine hochtechnisierte Einrichtung, an dessen Türschwelle zwei Wächter stehen, die ebenfalls als weiße und dabei lediglich zweidimensional ausgeleuchtete Gestalten erkennbar sind. Die Roboter werden in die Mitte des Raums geführt, wo sich zwei OP-Stühle und technisches Equipment befinden. Zwei weitere, ebenfalls weiße Gestalten bedienen Messwerkzeuge an umstehenden Computern. Den beiden Protagonisten wird eine hautfarbene Latex-Flüssigkeit auf die Helme aufgetragen, die anschließend mit prothetischen Utensilien in die Form von menschlichen Gesichtern gebracht werden. Jeder bekommt zudem eine Perücke aufgesetzt.

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Zurück in der Stadt schreiten unsere beiden selbstgewählten „Mensch-Roboter“ durch die Straßen, ihre Masken haben einen gefälligen Ausdruck, im Hintergrund läuft der groovige Song Billy Jack von Curtis Mayfield. Doch die künstliche gewonnene Lebensfreude der beiden hält nicht lang. Zum einen sind die anderen Roboter auf den Straßen entsetzt über ihren Anblick – die Kamera fängt hierbei abwechselnd die regungslosen Körper der Artgenossen samt ihrer gleichgerichteten Blicke auf die beiden „Helden“ ein – zum anderen beginnen die Masken der beiden durch die Sonnenwärme alsbald zu schmelzen und zu verfließen. Die robotischen Stadtbewohner sehen die (bereits fehlgeschlagene) Maskierung der beiden als Akt der Bedrohung/Beleidigung gegenüber der eigenen Rasse und verfolgen sie in großer Meute. Wie schon zu Beginn von ELECTROMA, erfolgt hier (zweimal) eine kurze Einblendung von brennendem Feuer, die etwas Entzündetes/Vergängliches symbolisiert; was das im Speziellen sein soll, bleibt zunächst unerkennbar und unscharf im Hintergrund befindlich und von den Flammen verdeckt.

Die zwei Flüchtenden suchen Unterschlupf in einer öffentlichen Toilette. Trauer stellt sich ein, die lediglich durch die Musik und die geschmolzen-verzerrte Struktur der Gesichtsmasken vermittelt wird. Die Roboter blicken sich lange an, bis einer von ihnen den Kopf senkt. Der goldenhelmige zieht nunmehr entschlossen seine künstliche Menschenmaske ab und wirft sie in ein Klosett; das humane Antlitz wird als Abfallprodukt stilisiert. Der silbernhelmige blickt noch eine ganze Zeit in den Spiegel, wobei sich seine Maske immer mehr auflöst und unter ihr das robotische Wesen erkennbar wird. Der bereits „bereinigte“ Roboter reicht ihm eine Handvoll Tücher, wodurch er ihn auffordert, sich ebenfalls seiner vergänglichen Hülle zu entledigen.

Daft Punk's Electroma (2006)
© Alterian & Daft Arts & Wild Bunch

Die beiden erscheinen wieder in ihren schwarzen Lederanzügen (als „Menschen“ trugen sie weiße Plastikkleidung) und beginnen mit einer Odyssee in Richtung außerhalb der Stadt. Sie laufen endlose Meilen und gelangen schließlich in eine Steppen- und dann Wüstenlandschaft, bis der Boden nur noch aus Salzkrusten zu bestehen scheint. Dazwischen erfolgt eine Einblendung eines weiblichen (menschlichen) Unterleibs, der zunächst wie die Landschaft aussieht, bis die Kamera quasi hinein in eine von Schatten überdeckte Vagina fährt. Wieder zurück in der Wüstenlandschaft, wird der silberne Roboter immer langsamer, seine Kräfte scheinen aufgebraucht. Als der goldene Roboter dies bemerkt, geht er die Distanz zu seinem Partner zurück und blickt ihn an. Der silberne Roboter entledigt sich seiner Lederjacke und dreht sich mit dem Rücken zu seinem Gegenüber. Nun wird der Blick auf zwei Schalter auf dem Rücken des resignierenden Roboters frei. Nach einigem Zögern betätigt der goldene Roboter die Schalter auf dem Rücken des anderen, wodurch ein Countdown von einer Minute ausgelöst wird. Der silberne Roboter bewegt sich von seinem Gefährten weg. Als er etwa dreißig Meter entfernt ist, geht der Countdown zu Ende und sein mechanischer Körper explodiert in alle Einzelteile. Der goldene Roboter schreitet ungläubig zwischen den Überresten des „Verstorbenen“ umher und bückt sich mehrmals zu einzelnen Teilen herunter, die er vorsichtig in den Händen hält. Nachdem er die Überreste seines Freundes auf einem kleinen Haufen zusammengetragen hat, setzt er die Odyssee in der Wüste alleine fort.

Daft Punk's Electroma (2006)
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Nach einiger Zeit bleibt auch er stehen und fällt auf die Knie. Er versucht, sich ebenfalls zu zerstören, kann aber mit seinen Händen die Schaltungen an seinem Rücken nicht erreichen. Nach einiger Zeit nimmt er seinen Helm ab, wodurch eine flach abgeschnittene Visage voller Schaltkreise offenbart wird. In mehrmaligen, kraftvollen Bewegungen zerschmettert er seinen Helm auf dem steinigen Untergrund der Wüste. Er nimmt ein Bruchstück der Visierscheibe und nutzt sie als Brennglas, um seine Hand und seinen ganzen Arm in Brand zu setzen. Er blickt lange seine brennende Hand an, die äußere Hülle seiner Hände scheint aus widerstandsfähigem Material zu sein, nach einiger Zeit jedoch kommen einzelne metallische Fingergelenke zu Vorschein, die eine mögliche Auflösung des mechanischen Körpers durch Feuer visualisieren.
ELECTROMA endet damit, dass der Roboter vollständig entflammt und in extremer Zeitlupe durch die Dunkelheit der nächtlichen Wüste schreitet. Untermalt werden diese letzten Eindrücke vom stimmungsvoll-traurigen Akustik-Stück Universe von Sébastian Tellier und Mathieu Tonetti. Der Abspann läuft gänzlich ohne Ton.

© Alterian & Daft Arts & Wild Bunch

Besprechung

Mit ELECTROMA vollzog die französische Houseformation Daft Punk einen bemerkenswerten künstlerischen Einschnitt in ihrer Karriere. Das Duo – bestehend aus den Musikern Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo –, das durch ihre musikalischen Kreationen bereits seit der Jahrtausendwende enormen Kultstatus besitzt, zeigt in diesem visuell eigenwilligen Werk Neigungen (und auch Kenntnisse) reiner Kinematographie. ELECTROMA mit seiner Spieldauer von etwas über 70 Minuten darf als Stummfilm gelten, da hier kein einziges Wort gesprochen wird. Musikalische Untermalung gibt es zwar, dennoch stammt diese in keiner Weise von dem Duo selbst, sondern stellt einen Mix aus eingespielten sound tracks von anderen Künstlern (u.a. Brian Eno), darunter auch klassische Musik (Chopin, Haydn), dar. Im Gegensatz zu früheren Ausflügen der Band in optische Welten – reichend von Videoclip-Kooperationen mit Spike Jonze und Michel Gondry in der ersten Erfolgsphase 1996-1999 bis zur vollständigen Animation des Albums Discovery im Jahr 2003 – ist dieser Spielfilm nicht als visuelle Ergänzung zu Daft Punks Musik gedacht, sondern als eigenständiges Werk. Beachtet man die künstlerische Vielseitigkeit des Duos, dessen Musik von metallisch-harten Klängen über Pop-Hymnen bis hin zu analog-entschlackter Funkmusik reicht, stellt ELECTROMA das vielleicht definitivste und unverwechselbarste Produkt innerhalb ihrer Karriere dar, wirkt es doch wie eine ungetrübte Abbildung von Daft Punks eigener, selbst geschaffener Ideologie.

„Wir glauben nicht an das Starsystem“,

statuierten die beiden, wohlwissend, dass sie selbst bereits Pop-Ikonen waren. Um ihre (menschlichen) Gesichter zu wahren und somit mithilfe einer selbstgewählten Anonymität zu rein figürlichen Idolen aufzusteigen, treten sie seit 2000 nur mehr in Roboterkostümen in der Öffentlichkeit auf. Ihre Köpfe werden von metallischen Helmen und ihre Hände von glänzenden Handschuhen umgeben. Der Rest des Körpers wird von eigens designten Lederanzügen in unterschiedlicher Ausführung ummantelt. „Wir haben uns nicht ausgesucht, Roboter zu werden, das ist einfach so passiert“, erzählt Thomas Bangalter gern die Geschichte, nach der er und sein Kollege und Freund de Homem-Christo Opfer eines Unfalls im eigenen Tonstudio wurden. Genau am 9. September im Jahr ’99 – um 9:09 Uhr, um genau zu sein – explodierte der Großteil ihres Aufnahmeequipments und die Männer verschmolzen körperlich mit ihrer technischen Ausrüstung. Ihre Musik, die Essenz ihres Schaffens dreht sich seither beständig um die Verbindung von Technisch-Artifiziellem und Organisch-Menschlichem. In der Spielfilmerweiterung von Discovery, genannt INTERSTELLA 5555, drehte sich die Handlung um die Entführung und ‚Vermenschlichung‘ von (friedlichen) Außerirdischen, die mithilfe von Maschinen in eine ungewünschte, terrane Form gegossen werden. „Work it Harder, make it Better, do it Faster, makes us Stronger. More than ever hour after our work is never over.“ hieß damals das Kredo und der Titeltext eines ihrer größten Hits, der von der inhumanen, geradezu systematischen Misshandlung durch die – paradoxerweise – menschliche Rasse erzählte. Spätestens hier wurde klar, worum es Daft Punk ging: es war jene Zwischenwelt, jener fließende Übergang zwischen der seelischen Menschlichkeit und ihrer mechanisch-körperlichen Übertragung. Die Frage nach dem „was menschlich ist“ gilt denn auch als das vielleicht älteste Thema der Science-Fiction überhaupt. In Daft Punks ELECTROMA gerät sie zum Alleinstellungsmerkmal.

Kunst vs. Natur

Auch wenn hier kein direkter Zusammenhang zwischen der eigenen optischen Wirkungsweise des Films und Daft Punks Musik besteht, eine Verbindung gibt es dennoch in dem Wort „Human“ (ihr damals zuletzt erschienenes Album ein Jahr zuvor trug den Titel Human After All). Dies steht auf dem Nummernschild des schwarzen Ferrari 412, in dem die zwei Roboter – Daft Punk werden hier von zwei anderen Schauspielern gemimt – über einen langgezogenen Highway im Südwesten der USA fahren. Bereits hier wird die Verbindung von Künstlichem und Natürlichem deutlich sichtbar: Während sich quer über den Horizont die weite, amerikanische Steppen- und Berglandschaft unter sonnendurchflutetem Himmel erstreckt, bleibt die mobile Kamera häufig schier statisch auf dem fahrenden Medium fixiert – das in sich, so scheint es, nur zwei weitere Medien transportiert. Doch erscheinen diese zwei Roboter, auch wenn die den ganzen Film über kein Wort sprechen und sich durchaus kontrolliert bewegen, zunehmend menschlich in ihrer Charakterisierung. Deutlich wird dies wenn das Duo (simpel bezeichnet als „Hero Robot #1“ und „Hero Robot #2“) in die Kleinstadt einfahren, in welcher weitere Individuen ihrer Art leben. Die ganze Welt in ELECTROMA scheint aus Robotern zu bestehen – ein frisch getrautes Pärchen, das vor einer Kirche gerade von der Hochzeitsgesellschaft samt Priester gefeiert wird, Mütter mit ihren Kindern im Babywagen oder auf dem Spielplatz, oder einfach nur ein Passant auf der anderen Seite der Straße, welcher Zeitung liest.

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Optik

Einfühlsam streicht die von Thomas Bangalter persönlich[1] geführte Kamera über dieses zivilisatorische Konstrukt, fängt Blickrichtungen – und somit erste klar erkennbare Stimmungen – der robotischen Protagonisten ein. An dessen Ziel steht eine wissenschaftliche bzw. technische Einrichtung, die von außen als Kreisgebilde erkennbar ist, eingezäunt und unter Sicherheitsmaßnamen. Die räumlichen Grenzen werden klar etabliert. Scheinbar haben unsere zwei Roboter-Helden eine Befugnis, diesen, nun hochtechnisch inszenierten Raum zu betreten. Der sogenannte „White Room“, der in seiner Optik stark an andere berühmte ‚raumlose Räume‘ des Genres (MATRIX oder THX 1138) erinnert, steht am Ende eines langen schwarzen Flurs. In diesem nun rein technischen Gebilde wird den künstlichen Wesen organische Hautmasse auf die Helme/Gesichter aufgetragen, wodurch sie anschließend,  als Menschen „maskiert“ wieder die Außenwelt betreten – diese beiden Roboter wollen also zu Menschen werden, sich von ihren Artgenossen abgrenzen. Ihr soziales Umfeld, die anderen Roboter, reagieren entsetzt über die „Schönheitsoperation“ der zwei Grenzgänger. Hier reflektiert ELECTROMA starke soziopolitische Themen, von multiethnologischen Fragen bis zur generellen Etablierung/Absetzung des Individuums innerhalb einer Gemeinschaft. Diese universalgültigen Diskurse fanden sich bereits in den frühen Videoclips der Band, wenngleich noch merklich verspielter als hier.

Daft Punk's Electroma (2006)
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Nach dem Ausflug in die Zivilisation vollzieht sich schließlich die endgültige Abgrenzung, sozusagen eine selbstgewählte Odyssee der beiden Roboter hinein in die Wüste. Nachdem bereits in der Stadt ihre künstliche Hautmasse auch sichtbar künstlich durch Sonnenhitze geschmolzen ist – hier lassen sich durch die verschobenen/verzerrten Gesichtsmasken nun auch visuell emotionale, also menschliche Regungen wie Trauer darstellen – und wieder ihre wahren Gesichter zum Vorschein gebracht hat, nimmt einer von ihnen zuletzt seinen Helm ab, offenbart seine flach abgeschnittene Visage voller Schaltkreise. Es ist erneut die Verbindung von High-Tech und originärer terraner Struktur (der Steinboden) die hier visuell interessiert, aber eben auch inhaltlich Relevanz findet.

ELECTROMA
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Die gesamte Restlaufzeit von über 40 Minuten spielt an diesem „Nicht-Ort“, der Wüste, an dem sich die beiden Roboter schließlich voneinander trennen und wo ihr Gemeinschaftsgefühl keine Macht mehr über den Willen des Einzelnen besitzt. Das Ende durch Feuergewalt wurde in gekonnten Zwischenblenden (u.a. bereits beim Titelschriftzug) bereits vorweggenommen. Dazwischen steht die reine bildliche Melancholie. Die Kamera bezeugt fast jeden Schritt der Protagonisten, wodurch der Film stellenweise vielleicht etwas langatmig wird (bei Festivals verließen einige Leute den Saal). Aber gerade diese bewusste Verlangsamung, also Reduzierung auf das Wesentliche, ist alles andere als experimentell, sondern nur gewollt.

Diesbezüglich zogen manche Filmkritiker Parallelen zu anderen ‚Odyssee‘-Filmen dieser Zeit, z.B. Gus van Sants GERRY oder Vincent Gallos THE BROWN BUNNY, nicht zuletzt aufgrund der ausgedehnten Wander-Sequenz in der Wüste. In einem Film von Robotern über Roboter – gemäß Daft Punks Band-Ideologie also über sich selbst – könnte man eine reine Fokussierung auf Technologie erwarten, so wie dies in manchen Werbeclips der Band (z.B. zum Album Random Access Memories, 2013) auch durchaus der Fall ist. Was Daft Punk jedoch hier erschaffen haben, bezieht sich völlig auf die Kraft des breiten, großformatigen Kinobilds, bei dem die Verschmelzung verschiedener Naturelemente (Flüssigkeit, Luft, Stein/Erde, Sonnenlicht und Feuer) im Vordergrund steht. Um mehr – bzw. weniger – geht es hier nicht. ELECTROMA ist in seiner Erscheinung minimalistisch, ja essenziell, sodass er einige Zuschauer verstört, manche aber auch zu erpichter Kritik veranlasst. Bezogen auf das Genre der Sci-Fi, letztlich auch als Musikfilm, lässt man Daft Punks Musik eben außen vor, ist er derart eigenwillig und originell, das man ihn durchaus als kleines Meisterwerk bezeichnen darf – vielleicht nicht für die Zuschauer der Gegenwart, die noch zu sehr ihrem menschlichen Wesen anhänglich sind, aber vielleicht für die Zivilisation danach: „Destined to become cult viewing for generations not yet born“, urteilte der Observer Music Monthly – die Roboter-Helden hätte dies sicherlich glücklich gestimmt.

Daft Punk's Electroma (2006)
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ELECTROMA bietet, reduziert auf Wesentliches, erneut viel, was es für den Zuschauer zu entdecken gibt. In den langen Einstellungen taucht man förmlich in den Film ein, saugt die Bilder in sich auf. In einer bildlichen Abstraktion, die ganz klar an Saul Bass’ PHASE IV erinnert, schabt sich die Kamera plötzlich an den Innenseiten zweier Frauenschenkel entlang, die man aufgrund der Montage eine kurze Zeit noch für gebogene Sanddünen, auf jeden Fall für etwas landschaftlich Geprägtes hält. Diese Einstellung mit ihrem langsamen Zoom auf das weibliche Geschlechtsteil symbolisiert eine Neu- bzw. Wiedergeburt in der Wüste, die die beiden Roboter erfahren. Erneut steht Körperliches/Organisches im Zentrum der Inszenierung; Daft Punk arbeiten vordergründig mit starken Metaphern, visuelle Extravaganzen bleiben lediglich Beigeschmack. Die Wiedergeburt wird durch Tod symbolisiert. Nachdem einer der Roboter sich durch einen Auslösemechanismus vernichten lässt, läuft parallel zur tragischen Erkenntnis des Überbleibenden Chopins essenzielles Werk Prelude, Op. 28, No. 4, das in seiner Namenlosigkeit in einer einzigen Notierung des Komponisten als „smorzando“ gekennzeichnet wurde, was soviel wie „dying away“, also „den letzten Lebenshauch vergeben“ bedeutet. [Das Stück wird häufig bei Filmen verwendet, die essenziell vom Sterben bzw. vom sich-selbst-Verlieren handeln, u.a. DEATH WISH II, EIN MANN SUCHT SICH SELBST (FIVE EASY PIECES, hier spielt Jack Nicholson das Stück in der Gänze selbst) oder Roman Polanskis DER PIANIST. Das Stück ist so essenziell, dass Chopin selbst dessen Aufführung zu seiner Beerdigung wünschte.]

Gemäß der (vorgabenlose) Idee, einen Film wie ihre Musik zu erschaffen, nämlich „ohne Regeln oder Standards“, prägt ELECTROMA gerade seine Entgrenzung der Regelhaftigkeit. Doch die Bildsprache ist dabei stets durchstrukturiert, erzählt der Film doch eine ausschließliche visuelle Lebenserfahrung, die Musik, die man hört, könnte als akustisches Pendant zur inneren Bewegung der Figuren gelten (am Ende: „I want to be alone“). Bangalter und de Homem-Christo erinnern den Zuschauer beständig an das Gesehene und noch zu Sehende. Psychedelisch ist das ein bisschen, auch verzerrt (man beachte die Brennweitenveränderungen, die das sichtbare Umfeld ab und an „verformen“), als filmisches Medium jedoch ganz und gar in sich selbst verankert. Ein respektabler Erfolg an den nationalen Kinokassen (Frankreich und Japan) wurde ELECTROMA nicht nur dank des Band-Images, sondern tatsächlich auch wegen seiner ganz eigenen visuellen Berauschung, wodurch er als mehrmonatiger Midnight-Screener in einigen Kinos lief, ganz abseits von Kommerz und Konsum, was immer auch mit Daft Punk in Verbindung gebracht wird.

© Stefan Jung

Quellen

[1] Bangalter las zur Vorbereitung auf ELECTROMA etliche Ausgaben des American Cinematographer. Die Dreharbeiten dauerten 11 Tage und fanden größtenteils in Inyo County, Kalifornien statt.

 

Titel, Cast und CrewDaft Punk’s Electroma (2006)
Poster
ReleaseKinostart: 24.03.2007 (Frankreich)
ab dem 19.11.2007 DVD (UK Import)

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RegisseurThomas Bangalter
Guy-Manuel De Homem-Christo
Trailer
BesetzungPeter Hurteau (Hero Robot #1)
Michael Reich (Hero Robot #2)
Helena Stoddard (Frau)
Vance Hartwell (Techniker im ‘White Room’)
Lilo Tauvao (Techniker im ‘White Room’)
Ken Banks (Techniker im ‘White Room’)
Howie Adams (Techniker im ‘White Room’)
Ritche Lago Bautista (Roboter-Bräutigam)
Bradley Schneider (Roboter-Anwalt)
Daniel Doble (Roboter-Priester)
DrehbuchThomas Bangalter
Guy-Manuel De Homem-Christo
Cédric Hervet
Paul Hahn
KameraThomas Bangalter
FilmmusikSteven Baker
SchnittCédric Hervet
Filmlänge100 Minuten
FSKab 16 Jahren

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