Zum Inhalt springen

Blade Runner (1982) – Filmanalyse

© Warner Bros.

„Zeitebenen in Ridley Scotts Blade Runner“

Inhalt

  1. Im Fluss der Zeit – Die Entstehung von Blade Runner
    1.1      Einflüsse von Literatur und Film
    1.2      Einflüsse von Architektur und Design
  2. Differenzierung zeitlicher Wahrnehmung in Blade Runner
    2.1   
    »Future Noir« – Spielzeit der Handlung
    2.2    Erschaffungsdatum
    2.3    Die Visualisierung von Lebenszeit
    2.4    Zeitreisen
    2.5    Vergleich: Verschiedene Fassungen des Films
    2.6    Blade Runner als Paradebeispiel des postmodernen Kinos
  3. Vergleich zeitlicher Komponenten von Blade Runner mit Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey
  4. Langlebigkeit – Blade Runner als »cult canonical movie« und Begründer des Cyberpunk

Nachweise

Literaturverzeichnis

1. Im Fluss der Zeit – Die Entstehung von Blade Runner

1.1 Einflüsse von Literatur und Film

1975 erhielt Drehbuchautor Hampton Fancher die Möglichkeit, einen Roman von Philip K. Dick für das Kino zu adaptieren. Mit seiner Fassung von Dicks Do Androids dream of electric Sheep? (1968) erreichte Fancher nach einer Verzögerung von über fünf Jahren ein Studio (Warner Bros., mit Produzent Michael Deeley) und mit Ridley Scott einen versierten Regisseur, der sich zu dieser Zeit gerade mit Alien (1979) erfolgreich im Science-Fiction-Genre (SF) etabliert hatte. Scott wollte sich nicht ausschließlich auf Dicks Romanvorlage – auf die im Laufe dieser Analyse immer wieder verwiesen wird – stützen und ließ sich v. a. von den französischen SF-Comics Metal Hurlant (in englischer Sprache als Heavy Metal veröffentlicht) inspirieren. Der in diesen Comics dargestellte düstere Look einer futuristischen, zum großen Teil urbanen Welt legte den Grundstein für die ästhetische Ebene von Blade Runner (Abb. 1).[1]

Abb. 1: »The headlong imaginings of Moebius in Heavy Metal.«

Eine weitere einflussreiche Vorlage stellt die von Autor John Wagner und Zeichner Carlos Ezquerra kreierte Welt der Comic-Figur Judge Dredd dar. Als Bestandteil der Anthologie 2000 A.D. wurde Judge Dredd ab 1977 zu einer der stilprägendsten SF-Comic-Serien weltweit. Die Geschichten spielen Anfang des 22. Jahrhunderts. Schauplatz sind die fiktiven amerikanischen Städte ›Mega-City One‹, ›Mega-City Two‹ und ›Texas City‹, welche von mehreren hundert Millionen Menschen bevölkert werden, die nach etlichen Naturkatastrophen aus dem verseuchten Zwischen-Land (›Verdammte Erde‹) geflohen sind, um sich nunmehr in die ›Obhut‹ der künstlichen Welt zu begeben. Ab den 1980er-Jahren bekam die Figur ihre eigenen Veröffentlichungen, vorrangig das Judge Dredd Megazine und diverse Graphic Novels.[2]

© Warner Bros.

Zusätzlich zu Hampton Fancher wurde David Peoples als weiterer Drehbuchautor engagiert, dessen ideenreiche Mitarbeit sehr zum finalen Gesamtkonzept des Films beitrug, wodurch sich das Skript spätestens ab diesem Zeitpunkt stark von seiner ursprünglichen Version absetzte. Peoples, der auch das Drehbuch der nächsten Philip K. Dick-Verfilmung[3] schrieb, konzipierte zusammen mit Scott eine urbane Außenwelt, welche die ursprünglich fast ausschließlich in Innenräumen stattfindende Handlung (als Metapher für die Einengung und Isoliertheit der Gesellschaft) nach außen verlagerte und das Umfeld der erzählten Geschichte mehr in den Vordergrund rückte. Im Gegensatz zu Dicks postapokalyptischer Welt, deren Ursache nie detailliert beschrieben wird und deren Ausmaß im Roman oft metaphorisch bleibt[4], avanciert die Stadt der Zukunft in Scotts Thriller zum Handlungsträger, der die Bewegungen und Motivationen der Figuren um Dimensionen erweitert. Auch stellt Blade Runner als erste Philip K. Dick-Verfilmung überhaupt eine Symbiose verschiedener Erzählelemente seiner (Kurz-)Geschichten dar, wobei der Vollständigkeit halber zu sagen ist, dass es auch Dick selbst war, der immer wieder Ideen und Einzelheiten seiner bisherigen Storys weiterentwickelte und in einen neuen Kontext übertrug, sodass auch bei ihm bereits Überschneidungen festzustellen sind. Beispiele hierfür wären technologische Entwicklungen als Erweiterung des menschlichen Bewusstseins[5], Erinnerung als narratives Hauptmotiv[6] oder auch die generelle Frage nach Menschlichkeit[7].

Jenseits von Dicks grundlegendem Einfluss gelten frühe antike Mythen sowie philosophische Schriften von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert als motivische Inspiration für den Film, wobei v. a. das mit einer gewissen Ambivalenz behaftete Bild des Automaten(menschen) in den Vordergrund rückt. Schon die bekannten Mythen von ›Pygmalion‹ in Ovids Metamorphosen oder Prometheus, der als Töpfergott einen künstlichen Menschen aus Lehm erschuf, zeigen einen bedeutsamen Diskurs des anthropologischen Selbstverständnisses auf.[8] Auch die jüdische Legende des ›Golem‹ transportierte erfolgreich Elemente der artifiziellen Schöpfung in die Neuzeit: als Knecht ohne eigene Seele beschrieben, verkörpert er bereits im deutschen Stummfilm eine frühe mystische Gestalt.[9] Ferner stellen die philosophischen Denkansätze ab dem 17. Jahrhundert wichtige weiterführende Ansichten über künstliche bzw. maschinenhafte Menschenwesen dar. Sei es die Aufteilung der Welt in zwei Substanzen innerhalb der cartesianischen Philosophie oder Leibniz’ Monadentheorie, alles führte zum erklärten Verlangen, dem menschlichen Abbild gegenüberzutreten.[10]

© Warner Bros.

Die europäischen und angloamerikanischen Detektivgeschichten der 1940er- und 1950er-Jahre weisen den Film weit stärker als die Vorlage, die für Dicks Verhältnisse eher untypisch stringent und linear gestaltet ist, dem klassischen Gangster- und Detektivfilm zu.[11] So sind unverkennbar Elemente von Hollywood-Produktionen wie z. B. The Maltese Falcon (1941) oder The Big Sleep (1946), sowie des Film noir allgegenwärtig. Selbstverständlich lässt sich Blade Runner mit seiner erklärten visuellen Richtung als effektvoller SF-Thriller charakterisieren, der in der Tradition von Filmen wie Soylent Green (1973), Silent Running (1972), 2001: A Space Odyssey (1968) und letztlich auch Star Wars (1977) steht, ab dessen überaus erfolgreicher Kinoauswertung die Budgets für SF-Filme in Hollywood erheblich gesteigert wurden.[12] Als Übergangsargument zum folgenden Kapitelpunkt stellt Metropolis (1927) wohl das wichtigste Standardwerk des urbanen (SF-)Films überhaupt dar, dessen visuelle und thematische Hauptmotive, besonders die Erschaffung des künstlichen Menschen und das von Maschinen dominierte Bild der Mega-Stadt vorrangig in Blade Runner re-thematisiert werden.

1.2 Einflüsse von Architektur und Design

Metropolis nimmt lange vor Blade Runner und anderen einflussreichen SF-Filmen die Konzeption einer urbanen Über-Welt vorweg, welche die Handlungen der einzelnen Charaktere sowie deren seelische und emotionale Motivationen topografisch verortet. In beiden Filmen funktioniert die überdimensionierte Stadt als Ausdrucksmittel der Dichotomie, und hier besonders durch die Gestaltung der einzelnen Gebäude im Inneren und Äußeren sowie deren örtliche Korrelation zueinander. Das Herz der postmodernen Stadt bildet jeweils ein zentraler Komplex, der alles Übrige deutlich überragt. Fredersens Regierungssitz in Metropolis weist motivisch genau wie das Hauptgebäude der Tyrell Corporation auf den Turmbau zu Babel hin, in Blade Runner kommt noch die Komponente einer pyramidalen Konstruktion hinzu, was sich deutlich in der Handlungsmotivik spiegelt.[13]

Primärer architektonischer Stil bei Metropolis ist der Bauhaus (siehe Anhang 1), der in Blade Runner vielfach aufgegriffen und erweitert wird, was durch Scotts Prinzip des ›layering‹ und des ›retrofitting‹ zu Stande kommt.[14] Anstatt ein komplett neuartiges, künstliches Stadtbild zu entwickeln, wie es beispielsweise in der H. G. Wells-Verfilmung Things to come (1936) praktiziert wurde, ergänzt Scott mit seinen Set-Designern (Syd Mead u. a.) vorhandene, zum Teil sehr alte Architektur um diverse neue Schichten. Dadurch entstehen Bauwerk-Hybride unterschiedlichster zeitlicher Einflüsse (Abb. 2).[15]

Abb. 2: Architektonische Schichtungen. © Warner Bros.

Scott betont, dass diese Gestaltungsform der gegenwärtigen Wohnungs- und Gebäudegestaltung am nächsten kommt, da mit voranschreitender Zeit immer weniger finanzielle und räumliche Möglichkeiten vorhanden seien, um gänzlich neue Objekte zu errichten.[16] Dieses Schichtungsprinzip (»Bricolage«[17]) geht über die reine Gestaltung der Architektur hinaus. Das gesamte Sichtbare, das Bild in der Cadrage wird aus verschiedensten visuellen Merkmalen zusammengesetzt. So erlebt der Zuschauer in Blade Runner eine Zeitreise: frühe Modeerscheinungen werden mit futuristischen kombiniert, traditionelle Gestaltungsformen um neue erweitert. Das Ergebnis zieht den Betrachter in eine faszinierende, künstliche Welt, in der sein Bewusstsein um räumliche und zeitliche Dimensionen erweitert wird.

 

2. Differenzierung zeitlicher Wahrnehmung in Blade Runner

2.1 »Future Noir« – Spielzeit der Handlung

»Los Angeles, November 2019«[18]. Diese Ort- und Zeitangabe platzieren Scott und Cutter Terry Rawlings vor das erste Filmbild von Blade Runner und transportieren den Zuschauer in den darauf folgenden Establishing Shots der Stadtbilder in eine zukünftige Zeit.[19] Fast in völlige natürliche Dunkelheit gehüllt, offenbart sich dem Betrachter ein elektrisches Lichteruniversum, das die Grenze von urbaner Architektur und sichtbarem Bildhorizont verschwimmen lässt. Durch die Verbindung von zeitlichen Angaben dieser Art, die im Laufe des Films immer wieder erwähnt werden, und den damit assoziierten Bildern versetzen die Filmemacher den Betrachter in einen spezifischen zeitlichen Rezeptionszustand, wodurch vor allem zwei an sich gegensätzliche, sich aber gegenseitig nicht ausschließende Tatsachen realisiert werden. Zum einen kann der Betrachter das ihm präsentierte filmische Szenario zeitlich einordnen, er kann sich gewissermaßen zeitlich orientieren[20], zum anderen besteht die Faszination eines SF-Films wie Blade Runner gerade darin, den Zuschauer ja in eine zukünftige, also zunächst überhaupt nicht greifbare Welt zu katapultieren und ihn mit futuristischen, noch nicht realisierbaren Elementen zu konfrontieren. Auf diese Weise stellt die im Film dargestellte Welt ein abenteuerliches Umfeld dar, dessen ethologische und zeitliche Muster unbekannt sind und erst im weiteren Verlauf ergründbar gemacht werden. Desorientierung wird zu einem narrativen Hauptprinzip des Films.[21]

© Warner Bros.

Durch die auffällige Inszenierung von der ersten Szene an wird die futuristische Stadt Los Angeles in Blade Runner nachhaltig als allgegenwärtiger Protagonist etabliert. Sie wird unentwegt als düsterer, vibrierender Kosmos präsentiert, gleich einem Hybrid aus neonfarbener Technik und bebenden Menschenmassen. Die Szene, in der uns die von Harrison Ford gespielte Hauptfigur Rick Deckard[22] vorgestellt wird, beginnt mit zwei Totalen, die zunächst die düstere Metropole aus sich verringernden Ansichtshöhen zeigen. Darauf folgt eine nach unten ausgerichtete Kranfahrt, die das Nachtleben eines Stadtteils in leichter Vogelperspektive einfängt und sich weiter durch ein Dickicht aus verregneter, lärmerfüllter und von greller Neonreklame durchleuchteter Luft schlägt, bis die Kamera nach etlichen Passanten auf Augenhöhe mit Deckard zum Stillstand kommt.[23] Im weiteren Verlauf dieser auf die Hauptfigur konzentrierten Sequenz bleibt immer auch die Bewegung der Menschen im Hintergrund und die gesamte zuvor beschriebene urbane Atmosphäre spürbar.

Schon bald erfährt der Zuschauer die Aufgabe, die Deckard zuteilwird: Auffinden und Töten der Replikanten (»retirement«[24]). Dabei ist wichtig, wie gezielt in Blade Runner Information übermittelt wird. Zeitgenössische Kritiker warfen dem Film oft vor, inhaltsarm und auf bloße visuelle Oberflächlichkeit bedacht zu sein.[25] Schon die ersten zehn Minuten geben eine Fülle an Handlungsverläufen und Charaktereigenschaften preis. Beim Einweisungsgespräch mit seinem Vorgesetzten Bryant (M. Emmet Walsh) wird der ›Blade Runner‹ gemeinsam mit dem Zuschauer innerhalb von Sekunden mit grundlegenden, für die weitere Erzählung signifikanten Daten vertraut gemacht. Deckard steht ab dem Zeitpunkt der Auftragsannahme unter permanentem terminlichem Stress. Fünf Tage bleiben ihm für die Erledigung des Jobs, also ein Tag pro ›Objekt‹. Danach, so meint Bryant, wird es der Gruppe aufständischer Replikanten gelingen, sich in die Führungsebene der Tyrell Corporation einzuschleusen. Deckards Vorgehen wird von seinen Vorgesetzten allzeit überwacht, sein Zeitfenster streng kontrolliert, v. a. von dem scheinbar omnipräsenten Gaff (Edward James Olmos), der ihm oft aus dem Hintergrund begegnet – einmal auch begleitet – und sukzessive immer mehr Einzelheiten über das Vorhaben preisgibt.[26]

© Warner Bros.

Wenn Deckard Jagd auf die fliehende Replikantin Zhora (Joanna Cassidy) macht, wird die nächtliche Fußgängerzone zu einem Irrgarten aus vorbeiziehenden Personen, leuchtenden Verkehrssymbolen und akustischen Signalen. Der Zuschauer verliert sich mit ihm in einem Strom aus Bewegung und Gestalten. Oft nimmt die Kamera dabei seinen ›point of view‹ ein, um die von Hektik umschlossene Suche zu verstärken. Das Gesehene verschmilzt mit dem Betrachter auf audiovisueller Ebene zu einem Konglomerat aus bewegten Bildern und reißt ihn in einen Strudel anderer Zeit: dieser erlaubt ihm nicht, alles zu erfassen[27], sondern spült ihn wie die orientierungslose Hauptfigur durch die wabernde Menge. Der Ausgang der Situation bleibt lange ungewiss.

Die bereits erwähnten Establishing Shots der Stadtbilder zu Beginn des Films prophezeien ein düsteres apokalyptisches Szenario. Als Refugium elektrischen Lichts und sprühender Feuerbälle widersetzt sich das urbane Universum der totalen Dunkelheit. Das Wechselspiel von Licht und Schatten (Low-Key-Stil) zieht sich durch den gesamten Film und ist sichtbarstes Einflussmerkmal des Expressionismus und des Film noir.[28] Scott und Cutter Terry Rawlings schneiden zwischen die voranschreitenden, immer enger kadrierten Verortungseinstellungen (continuity editing[29]) wiederholt Nahaufnahmen eines selbstrepräsentativen Auges in bildfüllendem Format (Abb. 3).[30] Die Einführung des Auges als visuelles Hauptmotiv ermöglicht verschiedene Interpretationen der gesamten Anfangssequenz. Zum einen erfüllt das Auge eine bezeugende Funktion. Es repräsentiert als Beobachter des gezeigten Stadtbilds gewissermaßen einen Zeugen des futuristischen Zeitbilds. Der Wechselschnitt zwischen seiner direkten Ansicht und dem Stadtbild, welches wiederum auf der Oberfläche des Auges reflektiert wird, lassen darüber hinaus die Identifikation des Zuschauers mit dem Gesehenen zu.[31] Brigitte Desalm nennt diesen Auftakt ein »Schöpfungspräludium«, von dem der menschliche Blick ausgeschlossen sei; das Auge sei ein »göttliches«.[32]

Abb. 3: Das beobachtende Auge, Zeuge des futuristischen Zeitbilds. © Warner Bros.

Des Weiteren spricht Scott in seinem Audiokommentar die Eigenschaft des bildfüllenden Auges als überwachendes Element an. Zu der Zeit, in der Blade Runner spielt, wird die Welt von gerade einer totalitären Instanz kontrolliert. Das Auge repräsentiert »the eye of Orwell« und reflektiert den industriellen Imperialismus.[33] In diesem Kontext stellt Dr. Eldon Tyrell (Joe Turkel) sowohl im Roman als auch im Film die Schlüsselfigur dar. Als Gründer und alleiniger Inhaber der Tyrell Corporation wird er als genialer »Einstein der Genetiker«[34] beschrieben und herrscht über die von ihm erschaffenen Lebensformen. Wenn Deckard an der Replikantin Rachel (Sean Young) den identitätsklärenden Voight-Kampff-Test durchführt, bei dem die Augen als »Spiegel zur Seele«[35] beschrieben werden, wacht Tyrell im halbdunklen Hintergrund als omnipräsenter Beobachter über sein ›Objekt‹. Tyrell ist das Oberhaupt einer privatisierten Netzwerkgesellschaft, die in seinem Sinne die Fäden über wirtschaftliche und politische Institutionen (einschließlich der Polizei, für die Deckard arbeitet) in der Hand hält. Neue Informationsaustausch-Systeme und elektronische Technologien, wie das planmäßige Einsetzen der von Tyrell designten Replikanten als Kolonialarbeiter außerhalb der Erde prägen im Film dieses Bild einer gefestigten Netzwerkgesellschaft nachhaltig. Das bestimmende soziale Zeitgefühl innerhalb dieser Netzwerkgesellschaft ist laut Manuell Castell die »zeitlose Zeit«[36], in der jeder Mensch sein eigenes Zeitbewusstsein entwickelt, was v. a. in der Begegnung zwischen Tyrell und dem Replikanten Roy Batty (Rutger Hauer) im folgenden Kapitel noch untermauert wird.

© Warner Bros.

›Planetarer Raum der Ströme‹ beschreibt dann auch am treffendsten die Allgegenwärtigkeit medialer Reize in Blade Runner. Zahllose Fernsehbildschirme projizieren ununterbrochen Nachrichten und Shows, riesige Videoleinwände – an Gebäuden oder mobilen Luftfahrzeugen – werben für globale Produkte und eine bessere Welt außerhalb der Erde. Das Zeithandeln der Menschen, ihre Aktivitäten und Entscheidungen werden somit in zunehmender Weise von der dauerhaften Präsenz der Medien dominiert.[37] Darüber hinaus sind in den Kommunikationsformen durch Video-Telefonie und Sprechanlagen überdeutlich Ansätze der virtuellen Realität zu erkennen, in der Individuen oftmals nur noch durch ihr digitales Abbild identifizierbar sind. Abbilder von Personen und Identitäten sind das Hauptthema in Kapitel 2.4: »Zeitreisen«.

2.2 Erschaffungsdatum

Im Einweisungsgespräch von Deckard durch Bryant wird erklärt, dass den Replikanten als Schutzmechanismus eine Lebenserwartung von vier Jahren eingebaut wurde; das Erschaffungsdatum von Rachel, Pris (Daryl Hannah), Zhora, Roy und Leon (Brion James) erstreckt sich von Anfang 2016 bis Anfang 2017, daher befinden sich fast alle im Endstadium ihrer Existenz, kurz vor dem Tod.[38] Dies erklärt auch ihre Motivation, zurück auf der Erde ihrem Schöpfer gegenüberzutreten und nach einer Möglichkeit zu suchen, ihre Lebenszeit zu verlängern.

Durch den gesamten Film hindurch wird die tragische Existenz der Replikanten durch zeitliche Metaphern und Vergleiche thematisiert. Leon wird in der Befragung mit Holden (Morgan Paull) mit dem Bild einer auf dem Rücken liegenden ›Kylonie‹ (Schildkröte) konfrontiert, die in der Antike ein Symbol für Unsterblichkeit darstellte.[39] Gleichzeitig ist der bildhafte Ausdruck eine Parabel des Unmöglichen. Leon ist laut Konstruktion zweieinhalb Jahre alt, echte Tiere sind auf der Erde schon lange ausgestorben: »I’ve never seen a turtle.«[40] Im Kampf mit Deckard benennt er seine Angst: »How old am I? […] My birthday’s April 10, 2017. How long do I live?«[41], was Deckard nicht genau beantworten kann. »Wake up. Time to die.«[42] Die drohende Ankündigung Leons bringt in dieser Szene auch Deckards Lebenszeit ans Limit.

© Warner Bros.

Batty wird mit den Worten »Time – enough« eingeführt, wobei vorerst nur seine zusammengekrampfte Hand zu sehen ist, was eine neuronale Reaktion auf bereits eingetretene Alterserscheinungen darstellt.[43] Auch J. F. Sebastian (William Sanderson) spielt als wichtige Nebenfigur eine Schlüsselrolle in Bezug auf zeitliches Vergehen. Selbst ein ›natürlicher‹ Mensch, ist er von einer Krankheit befallen[44], die seine Haut schneller altern lässt, was seine Motivation erklärt, für Tyrell genetisch reproduzierbare Haut zu entwickeln. Er erweckt bei Batty mit seinem vorausschauenden Schachspiel[45] Interesse und wird auf diese Weise auch zum Lockvogel für das arrangierte Treffen mit Tyrell. Bei der Konfrontation mit seinem Schöpfer spricht der verzweifelte Replikant sein Begehren offen aus: »I want more life, father.«[46] Tyrell, der sich nunmehr auch in die Enge gedrängt fühlt, versucht ihn zu beschwichtigen, macht ihm dadurch aber nur noch stärker seine Ausweglosigkeit bewusst:

Tyrell:  »You were made as well as we could make you.«

Batty:  »But not to last.«

Tyrell:  »The light that burns twice as bright burns half as long. And you have burned so very, very brightly, Roy.«[47]

Diese Erkenntnis, also die Unmöglichkeit, den Tod aus dem Leben zu verbannen, erwidert der ›verlorene Sohn‹ zunächst mit Gewalt, rekapituliert aber im Finale die intensiven Eindrücke seines kurzen Lebens, welche die Menschen auf der Erde »niemals glauben würden« als zufriedenstellende und erlösende Erfahrung. »Time to die.«[48]

2.3 Die Visualisierung von Lebenszeit

In diesem Abschnitt soll genauer auf die technischen Mittel des Films eingegangen werden, die das inhaltliche Thema von Blade Runner im Bezug auf die humane Lebenszeit gestalten.

Die Replikanten stellen außergewöhnliche, von Menschenhand konstruierte Klone dar, deren Bewusstsein sich im Laufe ihrer begrenzten Lebenszeit immer mehr zu einem eigenen entwickelt, was ihnen eine vollständige (menschliche) Emotionsebene zuspricht. Dieser Aspekt bleibt vorerst hintergründig, kristallisiert sich erst im Laufe des Films stärker heraus und lässt den Zuschauer immer mehr an den berührenden Momenten teilhaben, sodass sich der Film trotz seiner gleichbleibenden starken Visualisierungskraft immer mehr auf innere, charakterbezogene Vorgänge konzentriert, welche – wenn überhaupt – nur durch intensives, direktes Spiel der Akteure vermittelt werden kann.

In seinen stärksten Momenten verbindet Blade Runner dieses emotionsgefüllte Spiel mit seiner technischen Souveränität und dabei entstehen Szenen filmischer Perfektion. Bei der bereits erwähnten Verfolgungsjagd Zhoras durch Deckard kulminiert die zuvor von größter Unübersichtlichkeit und Orientierungslosigkeit dominierte Szenerie in einer für den künstlichen Menschen ausweglosen Situation. Die erfassbare Bewegungsrichtung der Replikantin wird geradlinig mit Deckards Waffe in Verbindung gebracht und bedeutet die vorzeitige Auslöschung des ohnehin schon begrenzten Lebens. Nun wird der explosive Schlusspunkt dieser Actionszene in Bezug auf die dargestellte Zeit unkonventionell und artifiziell, fast beschönigend dargestellt. In Zeitlupe stürzt die getroffene Zhora durch mehrere Glasscheiben. Sie strauchelt, rappelt sich auf und kämpft um ihr Leben, bis sie erneut von Deckards Kugel getroffen wird und ohne verbleibende Kraft zu Boden stürzt. Durch die Zeitlupe der gesamten Szene kann der Zuschauer jede verzweifelte Bewegung Zhoras erkennen und leidet mit den immer langsamer werdenden, auf der Tonspur sukzessiv verstärkten Herzschlägen[49] mit, was durch den heldenuntypischen, bestürzten Blick Deckards noch unterstrichen wird. Die Szene betont die Hässlichkeit des echten Sterbens innerhalb einer transparenten, künstlichen Welt, die durch verglaste Schaufenster symbolisiert wird. Auch Zhoras Mantel ist aus komplett durchsichtigem Kunststoff, was ihre fleischlichen Wunden vollständig sichtbar macht. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht und das rote Blut hebt sie als leidendes Wesen völlig heraus aus den regungslosen, künstlichen Schaufensterpuppen und etabliert sie im Moment ihres Todes als zutiefst menschliches Wesen.[50]

© Warner Bros.

Der im Film als gefährlichste Gegner figurierte Roy Batty zeigt am Ende lebensrettende, humane Qualitäten. Auf dem Dach des Bradbury Building[51], wo die finale Konfrontation stattfindet, drehen sich kontinuierlich Windräder aus beständigem Material und verdeutlichen den fortwährenden Lauf der (Lebens-)Zeit.[52] Roys erzählte Erinnerungen seines kurzen Lebens und die Preisgabe seiner Emotionen vermischen sich mit den Gefühlen des Zuschauers wie seine »Tränen im Regen«.[53] Die zusätzliche Verstärkung seiner Menschlichkeit, wird wiederum durch Deckards ergriffenen Blick begleitet (Identifikationsfunktion) und durch Roys letzte, wiederum in Zeitlupe visualisierten Regungen zum Höhepunkt des gesamten Films gebracht: Mit friedlicher, erlöster Mimik senkt sich Roys Haupt, seine symbolische Seele steigt in Form einer weißen Friedenstaube gen Himmel.[54] Entgegen der Richtung des fallenden, apokalyptischen Regens offenbart sich der Geist des künstlichen Menschen als aufstrebende Kraft, die den wahren Wert des Lebens zu schätzen gelernt hat und entgegen seinem menschlichen Vorbild für dessen Erhaltung kämpft.[55]

2.4 Zeitreisen

»Aus der Zeit wollt ihr einen Strom machen, an dessen Ufern ihr sitzt und zuschaut, wie er fließt. Doch das Zeitlose in euch ist sich der Zeitlosigkeit des Lebens bewusst. Und weiß, dass Gestern nichts anderes ist als die Erinnerung von Heute und Morgen der Traum von Heute . . . Und lasst das Heute die Vergangenheit mit Erinnerung umschlingen und die Zukunft mit Sehnsucht.«[56]

Blade Runner bedient sich innerhalb seiner als ›kontinuierlich‹ definierten Eigenschaften des Films – die fortdauernde Laufzeit sowie die ständig voranschreitende narrative Struktur[57] – kurzer Momente statischer Darstellung, die Protagonisten und Zuschauer gemeinsam innehalten und über das zu Sehende und bereits Gesehene reflektieren lassen[58]: Fotografien stellen in Blade Runner Abbilder einer nicht-realen Vergangenheit dar. Um den Replikanten mit begrenzter Lebenszeit ein Gefühl – vielmehr ein Bewusstsein – eigener Identität und Herkunft zu geben, wurde ihnen eine eigene, ›private‹ Fotokollektion angeeignet, die sie als unmögliche Kinder mit ihren fiktiven Ahnen zeigt. Alles was die Replikanten vor ihrer tatsächlichen ›Geburt‹ in Erinnerung haben, wurde ihnen aus dem Gedächtnis fremder Menschen künstlich implantiert. Erinnerungen lassen den Menschen zum dem werden, was er ist (»Wir sind Erinnerung«[59]), sie sind der Grund für das wahrgenommene Zeitgefühl. »Ohnehin wird Zeit als objektive Kategorie nur durch Erinnern sinnvoll: Könnten wir nicht erinnern, gäbe es keinen Sinn für Vergangenheit, wäre alles Gegenwart, hätte der Mensch kein Gefühl für die Zukunft.«[60]

Abb. 4: Fotos als Erinnerungsbilder und Untersuchungsobjekte. © Warner Bros.

Deckard hält sich bei seinen Untersuchungen an ein streng codiertes, audiovisuelles Zeichensystem und untersucht in erster Linie plastische Objekte und Fotos (Abb. 4). Auffällig ist, dass bei genauer Betrachtung des Films sich die thematisierten haptischen und optischen Eigenschaften einzelner Objekte von ihrem grafischen Abbild unterscheiden. Mit »the magic of filming«[61] beschreibt Scott die kurze Einstellung, in der das unwirkliche Kindheitsfoto von Rachel vor Deckards Augen (und denen des Zuschauers) mit Hilfe von speziellem Lichteinfall ›lebendig‹ wird. Für einen Augenblick verwandelt sich das kalte, statische Bild der Vergangenheit in ein bewegtes, gegenwärtiges.[62] Subjektive (menschliche) Wahrnehmung verdrängt die logische Sichtweise. Wenn Deckard das Mädchenfoto ansieht, erinnert es ihn nicht an Tyrells Nichte (die in Wirklichkeit abgebildet ist), sondern an Rachel selbst. Die Abbilder sind also in der Erinnerung zu unwirklichen Spiegelbildern geworden, oder anders: die Wahrheit, so stellt es Blade Runner dar, ist die Wirklichkeit, die Erinnerung, die Maschine und Mensch gleichermaßen im Gedächtnis projizieren.

© Warner Bros.

Eine Sequenz zeigt Deckard in seinem Apartment bei der Foto-Analyse eines möglichen Beweisstücks. Das Besondere dabei ist, dass der Betrachter, synchron zum Sichtfeld Deckards, eine zweidimensionale Oberfläche räumlich durchquert. Die sogenannte »Esper-Maschine« ermöglicht mit Hilfe von konkaven Spiegeln eine dreidimensionale Suche innerhalb einer an und für sich begrenzten Ebene und macht dadurch das Unsichtbare sichtbar.[63] Paul Sammon sieht in dieser Szene des Films einen Vorgriff auf die Bewegung innerhalb des Cyberspace, der virtuellen Realität.[64] Was anfänglich auf dem Beweisfoto zu sehen ist, besitzt nicht weniger Bedeutung: Die zwei holländischen Gemälde Arnolfi-Hochzeit (Peter van Eyck, 1434) und Zimmer mit einer Frau am Spinett (Emanuel de Wittes, 1660) verschmelzen zu raum-zeitlicher Diskontinuität.

»Wenn Deckard diesen ›virtuellen Raum‹ durchwandert, macht er zugleich eine Reise durch die Jahrhunderte: ›Zwei Gemälde aus dem 15. und 17. Jahrhundert werden miteinander kombiniert. Auf diese Weise wird in einer im 20. Jahrhundert entwickelten Verbesserung (dem Schnappschuss) einer Erfindung aus dem 19. Jahrhundert (der Fotografie) angespielt. Und diese wiederum wird von einem optischen Gerät aus dem 21. Jahrhundert (der Esper-Maschine) untersucht.«[65]

Deckard besitzt selbst eine Sammlung von Ahnenbildern längst vergangener Epochen über seinem Klavier, im Büro seines Vorgesetzten Bryant besteht der Lampenschirm am Tisch aus Schwarzweiß-Fotografien. In Blade Runner wird so der Unterschied von natürlichem und künstlichem Menschen auf subtile und nachhaltige Weise aufgehoben. Im Director’s Cut führte Scott an der Stelle von Deckards Ahnenfotos eine Traumsequenz ein, in der in Zeitlupe ein weißes Einhorn durch eine sonnendurchflutete Waldlandschaft galoppiert. In Berücksichtigung auf die Zeit, in der Blade Runner spielt, sieht der Zuschauer hier ein längst ausgestorbenes (Fabel-)Tier, welches sich in einer den Menschen gänzlich unbekannten Umgebung von grünen, gedeihenden Pflanzen bewegt. Zusammen mit dem am Schluss erscheinenden Einhorn-Origami von Gaff ergibt sich die Verbindung einer utopischen Erinnerungskette, die auch außerhalb Deckards Bewusstsein existiert hat, nämlich im Gedächtnis von Gaff.

ab Director’s Cut mit Traumsequenz // © Warner Bros.

 

© Warner Bros.

Diesbezüglich hebt sich der Film in seiner Tonalität deutlich von Dicks Vorlage ab. Deckards letzte gezeigte Reaktion im Film ist die des Begreifens und Erkennens, im Roman steht finale Unsicherheit und Verdrängung im Vordergrund:

»›Mercer isn’t a fake‹, he said. ›Unless reality is a fake.‹ This hill, he thought. The dust and these many stones, each one different from all the others. ›I’m afraid‹, he said, ›that I can’t stop being Mercer. Once you start it’s too late to back off.‹ Will I have to climb the hill again? he wondered. Forever, as Mercer does … trapped by eternity.«[66]

»Anyhow, now it’s time to go home. Maybe, after I’ve been there awhile with Iran, I’ll forget.«[67]

Auch auf akustischer Ebene wird bewusst mit diesem Prinzip der ändernden Wiedergabe/Wahrnehmung gespielt. Die anfängliche Befragung Leons durch Holden ist in deutlichem Schuss-Gegenschuss-Verfahren konstruiert, der Betrachter nimmt den gesprochenen Dialog, den ersten des Films, klar und direkt auf. Das Gespräch der Beiden dient Deckard im Verlauf des Films als Informationsquelle für seine Ermittlungen. Auffällig ist, dass beim wiederholten Einspielen auf der Tonspur geringfügige, aber bedeutsame Variationen zu hören sind; die Wahrnehmung bzw. das Erinnerungsvermögen von Deckard (und des Zuschauers) wird auf die Probe gestellt. (Anhang 2)

Blade Runner irritiert auf bewusste Weise – hat er ja, wie bereits angemerkt die Desorientierung als ein narratives Hauptprinzip – und hinterfragt dabei die Wirklichkeit der gesehenen Bilder, indem er die fortschreitende Kausalkette rückwirkend aus der Gegenwart aufbricht. Der Zuschauer kann sich also bis zum Schluss nicht sicher sein, wie er das bereits Gesehene einordnen soll, weil immer wieder neue Faktoren sein Gesamtbild beeinflussen.

2.5 Vergleich: Verschiedene Fassungen des Films

In diesem Punkt soll erkenntnisübergreifend auf die verschiedenen Lauflängen von Blade Runner eingegangen werden, die ein Resultat der derzeit fünf verschiedenen Schnittfassungen darstellen. (Bisweilen ist von sieben Schnittfassungen die Rede, wobei die Sneak Previews 1982, zwischen Workprint und Kinofassung, sowie die 1986er-Broadcast Version fürs amerikanische Fernsehen hier nicht als gänzlich eigenständige bzw. offizielle Fassungen behandelt werden.) Sie allesamt machen signifikante Aussagen über das narrative Muster des Films, auch wenn es sich oftmals nur um Einstellungen von wenigen Sekunden handelt. Dabei werden die Fassungen chronologisch erörtert.

1981 schnitt Ridley Scott zusammen mit seinem Cutter Terry Rawlings eine Arbeitsfassung des Films, den sogenannten Workprint, der auf den Filmfestivals in Denver und Dallas 1981 uraufgeführt wurde. Diese Fassung, mit einer Lauflänge von 105 Minuten, unterscheidet sich von seinen Nachfolgern noch in vielerlei Hinsicht, da sie mehr als 70 audiovisuelle Variationen enthält, u. a. einen völlig anders gestalteten Titelvorspann, der den Begriff ›Blade Runner‹ in seiner Intention als Grenzerfahrung durch die zwei, in vertikaler Bewegungsrichtung schnell voneinander wegschneidenden Worte visualisiert.[68]

© Warner Bros.

Die Reaktion des (Test-)Publikums auf diese frühe Version von Blade Runner war größtenteils enttäuschend. Zu komplex und düster erschien ihnen Scotts Vision einer künstlichen Welt. Daraufhin wurden vom Studio Warner Bros. gravierende Änderungen gefordert. Aus den daraus resultierenden Maßnahmen entstanden nun die beiden für den US-amerikanischen bzw. internationalen Kinomarkt vorgesehenen Versionen des Films. Beide Fassungen, US Theatrical Cut und International Cut (113 min) enthielten nun alternative und längere Szenen (teilweise mit komplett veränderter Tonspur), beispielsweise bei Deckards nächtlichen Nachforschungen im Yukon Hotel, seine erklärenden Voice-Over-Kommentare, sowie ein an den ursprünglichen Schluss angefügtes, völlig unpassendes ›happy ending‹, das so wirkte, als hätte es sich »aus einem anderen Film hierher verirrt«[69]. Die Unterschiede von US und International Cut bestanden lediglich in der Kürzung des Films um wenige Sekunden gewaltdarstellender Szenen, um ihn auf das für den amerikanischen Markt notwendige ›R-rating‹ zu bringen.

Kritik und Akzeptanz des Publikums waren entlang der Kinoauswertung verheerend. Der Film spielte insgesamt nur die Hälfte seiner Produktionskosten von 27 Mio. US-Dollar ein. Zeitgenössische Kritiker warfen ihm vor, nur auf Oberflächlichkeit und visuelle Attraktion bedacht zu sein.[70] Erst mit Veröffentlichung auf Video (ab 1983) wurde Blade Runner ein Geheimtipp unter SF-Fans und avancierte letztlich zu einem der einflussreichsten und wichtigsten Filme der 1980er-Jahre, worauf im Schlusspunkt dieser Arbeit noch genau eingegangen wird.

Zum zehnjährigen Jubiläum von Blade Runner erhielt Scott von Warner Bros. die eingeschränkte Freigabe, eine neue Schnittfassung des Films herzustellen. Der Director’s Cut wurde 1992 weltweit in den Kinos gezeigt und anschließend auf Video vermarktet, wodurch er unter Fans und Kritikern seinen Status als Kultfilm manifestierte. Das ›happy ending‹ des US und International Cut wurde entfernt und das ursprüngliche Ende der Arbeitsfassung wiederhergestellt. Auch die von Harrison Ford gesprochenen Voice-Over-Kommentare wurden entfernt, was dem Film den verbalen Erzählcharakter des klassischen Noir-Kinos genommen, dadurch aber seine bildliche Form noch mehr in den Vordergrund gestellt bzw. auch zuvor überlagerte Tonspuren (wie z. B. den ausklingenden Herzschlag Zhoras, siehe 2.3) erst vollständig wahrnehmbar gemacht hat. Der von Fans und Kritikern am häufigsten erwähnte Unterschied besteht in einer hinzugefügten Erinnerungssequenz Deckards, die verstärkt die Frage nach dessen eigener Identität thematisiert und zusammen mit dem ursprünglichen Ende die Erinnerungen und Interpretationen des gesamten Films durch den Zuschauer noch tiefer reflektiert.[71]

© Warner Bros.

2007 wurde anlässlich des 25jährigen Jubiläums eine ultimative Version von Blade Runner hergestellt, wodurch der Film nach der limitierten DVD-Erstauflage des Director’s Cut im Jahr 2001 erstmals wieder für die Öffentlichkeit erhältlich gemacht wurde. Der sogenannte Final Cut war Teil einer sorgfältig geplanten Marketingstrategie des Studios und verdeutlichte die beständige Präsenz des zielgerichteten Fan-Publikums. Im Sommer 2007 in einigen US-amerikanischen Städten noch einmal im Kino gezeigt, manifestierte diese ›finale‹ Fassung ihren Ruf als definitive Version des Regisseurs, als »wahrer Director’s Cut«.[72] Neben aufwändiger Bild-für-Bild-Restaurierung sind nur wenige Sekunden neuen bzw. alternativen Bildmaterials zu sehen, die weit weniger einflussreich auf die narrative Struktur des Films sind als etwa die damaligen Änderungen des Director’s Cut. Die verbesserte Bild- und Tonqualität lässt den Film allerdings seine ursprüngliche »audiovisuelle Aussagekraft wiederherstellen, die er seit den 70mm-Aufführungen 1982 weitestgehend verloren hatte«.[73] Zugleich muss man betonen, dass das Color Grading nun eine gänzlich eigene Ästhetik aufweist; statt den bislang dominierenden Blau- und Brauntönen der originalen Kino-Farbpalette (Interpositiv-Referenz), ist Blade Runner seit dem Final Cut von einem stählern-grünen Schimmer durchzogen, der einmal mehr die Künstlichkeit an sich betont, aber in der direkten Gegenüberstellung teilweise schon einen krassen Bruch zur ursprünglichen Optik darstellt. Die inhaltlich wichtigste Änderung des Final Cut besteht darin, dass die Illumination des düsteren Stadtbilds durch die natürliche Lichtquelle der Sonne praktisch völlig ausradiert wurde.[74] Jegliche Anzeichen eines natürlichen Zeitrhythmus werden dadurch völlig verneint.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die verschiedenen Fassungen von Blade Runner allesamt Produkte einer vom Publikum geprägten Wahrnehmung im Lauf der Zeit darstellen. Ohne die negativen Rezensionen der Arbeitsfassung hätte es den produktionsorientierten Neuschnitt des International Cut nicht gegeben. Der Director’s Cut stellt eine von Produzenten und Regisseur gleichermaßen beabsichtigte Neuauflage dar, die sich durch die unerwartet positive Aufnahme diverser 70mm-Wiederaufführungen des Workprint im Cineplex-Odeon Fairfax Theater (Los Angeles, 6.5.1990) sowie im NuArt Theater (Los Angeles, 27.9.1991) entwickelte.[75] Vor allem die voranschreitende Verbreitung durch den Videomarkt führte dazu, dass der Film von einem immer größer werdenden Fan-Publikum gesehen und diskutiert wurde. Ich betrachte die Veröffentlichung des Final Cut im Jahr 2007 auch nur als einen weiteren Teil dieser filmkulturellen Entwicklungskette, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts immer mehr von der kommunikativen Kraft virtueller Austauschforen geprägt wurde.[76]

2.6 Blade Runner als Paradebeispiel des postmodernen Kinos

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der zeitlichen Analyse von Blade Runner ist die Berücksichtigung verschiedener Lesarten des Films, die erst im Laufe der filmwissenschaftlichen Forschungszeit entwickelt wurden. Ich möchte mich hierbei auf zwei essentielle Analyseformen, nämlich die klassische und die postklassische (bzw. »postmoderne«[77]) Analyse stützen, welche Thomas Elsaesser unter Einbeziehung vieler (film-)kultureller, politischer und wirtschaftsgeschichtlicher Fakten aufschlüsselt. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass einmal etablierte narrative Muster im Laufe der Zeit nicht zwangsläufig von neuen abgelöst werden, sondern sich kontinuierlich in neuen Entwicklungen und Tendenzen wiederfinden. Die klassische Lesart bei Blade Runner ist demnach fast ausschließlich von der Präsentation seiner Hauptfigur Rick Deckard als »erkennbares Individuum mit einer Reihe von klaren und konsistenten Charakterzügen, Qualitäten und Verhaltensweisen«[78] vertretbar. Der Off-Kommentar in der originalen Kinoversion führt ihn als »ex-cop, ex-Blade Runner, ex-killer«[79] ein, verweist auf seine spezielle Begabung als Experte seines Fachs[80] und stellt ihn als Mischung aus ›hard-boiled detective‹ im Stil von Philip Marlowe oder Sam Spade und abgeklärtem Auftragskiller dar.[81] Die gleichzeitige Beschreibung des Ehemaligen und die verzweifelte Feststellung über Aussichtsloses (»They don’t advertise for killers in the newspaper. That was my profession.«[82]) weist auf seinen existenziellen Daseinszustand hin, der ihn als »Mann ohne Gegenwart«[83] degradiert, der sich in seinen Erinnerungen an die Vergangenheit klammert. Dieser Mann muss sich mit Hilfe seiner Fähigkeiten und Begabungen im Laufe der Handlung erst wieder behaupten.[84] Sogar in diesem einen Punkt unterstützt die Figurenzeichnung die klassische Lesart nicht ausschließlich. Zweifellos vollbringt Deckard die ihm aufgetragene Aufgabe (»You did a man’s job, sir.«[85]), allerdings muss man genauer berücksichtigen, in welchen Momenten er zum Teil scheitert bzw. Hilfe benötigt. Diese Augenblicke treten im Laufe des Films immer mehr in den Vordergrund und beschreiben Deckard wie die meisten Figuren als gebrochenes Individuum: kein klassischer Held, vielmehr ein Anti-Held, der in der letztlich linearen Erzählweise des Films doch zum Ziel der Erkenntnis kommt. Genau wie in den traditionellen narrativen Strukturen der Noir-Krimis gelangt der Zuschauer zusammen mit dem Protagonisten mit Hilfe von Indizien Schritt für Schritt zur Auflösung des Gesamten.

© Warner Bros.

Nun steht bei Blade Runner eben auch die Geschichte der übrigen Protagonisten im Zentrum der Aufmerksamkeit; je nach Sichtweise kann man z. B. die Identitätssuche von Rachel und Roy als die interessanteren Aspekte des Films ansehen. Um es nach Elsaessers Theorie zu formulieren, baut das Argument der postklassischen Lesart auf der Schichtung des traditionellen Drehbuchs auf, das diese Struktur auf mehrere Mitspieler hin öffnet.[86] Man kann also im Fall von Rachel auch Deckard als den unheilvollen Fremden (bis zu einem bestimmten Zeitpunkt) ansehen, der ihre wahre Vergangenheit erst kaltherzig offenbart und daraufhin wieder feige verleugnet. Man kann auch Roy als den eigentlichen ›Helden‹ des Films betrachten, der am Ende seiner Suche zu vollständiger Katharsis gelangt.[87]

Wenn man einen zeitlichen Rahmen sucht, die sich verschiebenden Oberflächen der Identitätspolitik von Blade Runner zu verorten, dann lässt sich dieser mit dem Hinweis auf die Informationsgesellschaft der Dienstleistungen und das Outsourcen der Arbeit in Länder mit niedrigeren Kosten und gesonderten Umständen wohl am treffendsten beschreiben. Die Replikanten werden anfangs als gefährliche Rebellen beschrieben, die den Arbeitslagern der ›Off-World-Kolonien‹ entflohen sind. Tyrell ist als Inhaber des größten transnationalen Dienstleistungsunternehmens ein diktatorischer Herrscher, der unantastbar und abgeschottet von den bodenständigen Menschen in seinem Turm aus Wohlstand haust. Deckards Hinzuziehung zum Vollstreckungskommando basiert zum Großteil auf Bryants Argument »When you’re not cop, you’re little people.«[88]. Sozialpolitische Reflexionen sind fester Bestandteil in Scotts urbanem SF-Epos. Globalisierungsprozesse und der uramerikanische Drang, die eigenen Grenzen zu erweitern, werden um immense, filmische Dimensionen erhöht[89] und allgegenwärtig von den Medien beworben: »A new life awaits you in the Off-World-colonies. The chance to begin again in a golden land of opportunity and adventure.«[90] Auch in Bezug auf »Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur«[91] spielt Blade Runner mit den Wahrnehmungsmöglichkeiten des Betrachters, indem er gerade das visuelle Hauptmotiv des Auges in durchweg unterschiedlichen Auffassungszuständen thematisiert (siehe 2.1).

Ein äußerst wichtiger Aspekt bei der Bezeichnung des ›Postmodernen‹ ist nicht zuletzt die (film-)kulturelle Strömung, der Blade Runner entstammt. Zusammen mit Liquid Sky (1982) und The Hunger (1983) war er der wichtigste New Wave-Film der 1980er-Jahre. Im fiktionalästhetischen Modus des Films vereinigen sich demnach stilistisch-formale Aspekte mit denen der fiktionalen Ontologie; »die Erzählweise schlägt sich in der Beschaffenheit der fiktionalen Welt wieder.«[92] Laut Scott ist bereits die Konstruktion und Ausführung des Settings fester Bestandteil des erzählenden Skripts und Blade Runner treibt dieses gestalterische Prinzip auf die Spitze. Demnach definiert er auch, v. a. durch die bereits angesprochenen Methoden des ›layering‹ und ›retrofitting‹ die ästhetisch-formale Narration des SF auf dem Höhepunkt der Tech-Noir-Ära und demonstriert bereits das Genre des Cyberpunk (dazu mehr im letzten Kapitel dieser Arbeit). Die einzelnen stilistischen Elemente sind z. B. die permanente Abwesenheit von Natürlichem, der damit verbundene Kontrast durch Künstlichkeit, Trübung des Sichtfelds bzw. der Wahrnehmung (vordergründig durch optische Filter, hintergründig durch die Frage nach der wahren Identität), keine klar definierte Motivation der Figuren, sowie kein ausschließlich linear gestaltetes Handlungsmuster. Durch alle in dieser Arbeit bisher erarbeiteten Charakteristika des Films, komme ich zu dem Ergebnis, dass die bewusste Anwendung bzw. die Etablierung der postmodernen Elemente Blade Runner zu einem vorrangig zeitbewussten Werk machen, das die Zeit in allen ihren Dimensionen aufbricht, mit dem Ziel, das Bewusstsein des Betrachters zu erweitern.

Kinofassung & Director’s Cut © Warner Bros.

 

Final Cut © Warner Bros.

3. Vergleich zeitlicher Komponenten von Blade Runner mit Kubricks 2001

An dieser Stelle möchte ich eine Gegenüberstellung von Blade Runner mit Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) vornehmen, der bereits Jahre vor Scotts Werk das SF-Genre maßgeblich beeinflusste bzw. neu definierte.[93] Beide Filme werden darüber hinaus als nicht mehr wegzudenkende Beiträge zur (post)modernen Populärkultur angesehen, die ihre Betrachter »zu ihren eigenen Handlungsebenen von Aufnahme und Bewusstsein zurückführen«[94]. Sowohl in der narrativen Struktur als auch in der thematischen Darstellung lassen sich bei beiden Werken grundlegende Überschneidungen wie auch Abweichungen in Bezug auf Zeitlichkeit feststellen.

Kubricks 2001 besitzt genau wie Blade Runner eine klar strukturierte zeitliche Einteilung der erzählten Geschichte, in der ein linearer Handlungsverlauf zunächst Vorrang hat. Über einen weitaus längeren Zeitraum handelnd, gliedert sich Kubricks Weltraumepos in drei Abschnitte, die visuell durch kapitelartige Zwischentitel eingeleitet werden. In The Dawn of Man[95] erzählt Kubrick vom ›Anbeginn der Menschheit‹, indem er zunächst in mehreren unbewegten Einstellungen die Morgendämmerung (›dawn‹), den Sonnenaufgang und somit den Beginn des Taglebens auf der Erde chronologisiert, wobei bemerkenswert ist, dass mit dem Anfang des aktiven Lebens zugleich auch die Überreste des beendeten sichtbar werden und somit ein Zyklus etabliert wird.[96] Im weiteren Verlauf dieses ersten Kapitels gibt es drei fade-outs, die wiederholt auf die chronologische Abfolge terrestrischen Lebens Bezug nehmen, immer mit Morgen- und Abenddämmerung als visuelle Kernsymbolik.

Die finale Fassung von Blade Runner signalisiert wie zuvor erwähnt eine permanente Abwesenheit von natürlichem Licht, natürlichem Zeitrhythmus und der Natürlichkeit selbst.[97] Scott zeichnet das Los Angeles der Zukunft als künstlich erleuchtete Metropole, in der ständige Bewegung herrscht und die Menschen ihren Lebensrhythmus an ihre Aufgaben und Verpflichtungen wie Arbeit und Beruf angepasst haben. Diese Darstellung des urbanen Alltags ist keineswegs nur futuristische Idee, sondern Realität, pulsiert doch das Leben in Weltstädten wie Hong Kong oder New York an 24 Stunden des Tages.[98]

Aber Kollision urbanen Lebens ist auch nicht das Thema von 2001, vielmehr geht es Kubrick darum, den Menschen als isoliertes Individuum zu zeigen, der im Laufe des Films in einer Odyssee[99] die Grenzen der Zeit überschreitet:

»Ihm [dem Protagonisten, dem Menschen] begegnet am Ende des Films eine Art Zeitverschlingung, die alle lineare Abfolge hinter sich und nur noch Auge und fantastischen Raum übrig lässt. Zeit wird zur Zeit der Fantasie, die viele Betrachter des Films verwirrt hat.«[100]

Hauptprotagonist Bowman (Keir Duella) wird in einer ›Zeitspirale‹ Zeuge der Unendlichkeit[101] und begegnet im ›weißen Zimmer‹ seiner »Ur-Zeit, also dem Jahrhundert der Aufklärung, Symbolzeit der modernen Intelligenz […]«[102].

Abb. 5: Das Auge als visuelles Hauptmotiv in 2001.

Lehmann bemerkt weiter: »Der Weltraum wird in dieser Verschlingung der Realitätsebenen zum optischen Signal einer Zeit, die der Chronologie des Computers unzulänglich ist: Zeit der Reflexion, der Erinnerung, der Fantasie«[103]. Während sich Kubrick in seinem Film der unergründlichen Weite des Weltraums zuwendet, bringt Scott die soeben zitierten zeitlichen Ebenen auf eine stärker greifbare, weltliche Nähe und spricht in Blade Runner die Reflexion und Fantasie der Zuschauer direkter an. Dies wird auch durch die unterschiedliche Darstellung der Menschlichkeit deutlich. Bei Kubrick sind mit der Entwicklung von 2001 auch in seinen späteren Filmen alle Menschen nur noch »Charakter-Masken«[104], während Scott in Blade Runner gerade den scheinbar emotionslosen Replikanten menschliche Gefühle zuspricht.

Beiden Werken liegt letztlich die intendierte Visualisierung des »Zeit-Bildes«[105] zu Grunde. Zeit ist bei Kubrick und Scott nicht einfach eine Folie zur Handlungsentfaltung, sie wird um ihrer selbst willen erfahr- und wahrnehmbar. Sie bleibt unbestimmt, weil unterschiedliche Zeitkonzepte »miteinander interferieren und einander relativieren«[106]. Deshalb kann man feststellen: »Aus dem Bild der Zeit wird […] ein Zeitbild, das […] die Zeit nicht mehr als Eigenschaft der Bewegung, sondern die Bewegung als eine Realisierungsmöglichkeit der Zeit erkennbar werden lässt.«[107]

4. Langlebigkeit – Blade Runner als »cult canonical movie« und Begründer des Cyberpunk

Die in den letzten Absätzen erläuterten visuellen Kennzeichen beschreiben Blade Runner als stilprägendes Gesamtkunstwerk, das zusammen mit David Cronenbergs Videodrome und Disneys Tron (1982) auf thematisch-visueller Ebene das Genre des Cyberpunk definierte. Scott Bukatman fasst in einem Absatz die wichtigsten Merkmale zusammen, die ich im Laufe dieser Arbeit genauer besprochen habe, und die so charakteristisch für das Genre wurden:

»Cyberpunk […] was defined as much by ist tone and attitude as by its icons and narrative structures. Its high-tech urban settings were congested and confusing, yet also exhilarating. Communications and information media defined its future, and information density defined its style. Blade Runner’s cyberpunk urbanism exaggerates the presence of the mass media, evoking sensations of unreality and pervasive spectacle […]«[108]

Cyberpunk, nicht zu verwechseln mit Steampunk, wurde anfänglich nur als beiläufiges Subgenre des SF angesehen, entwickelte aber innerhalb der darauffolgenden Jahre eine unverkennbare Eigenständigkeit. Es reflektierte und beeinflusste das Zeitverständnis der heranwachsenden postmodernen Populärkultur nachhaltig, was v. a. in den Bereichen Fernsehen und Film zu souveränen und neuartigen Gestaltungsprozessen führte. Vor allem in Kombination mit der in Blade Runner thematisierten Nicht-Differenzierbarkeit von Mensch und künstlichem Lebewesen entstanden die sehr erfolgreichen, actionversierten Cyborg-Filme der Terminator– und RoboCop[109]-Reihe, die in dystopischen Stadtgebilden Mensch und Maschine aufeinanderprallen lassen.

David Cronenberg hat sich in seinem filmischen Werk in konstanter und bezeichnender Weise mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine auseinandergesetzt. Schon seine frühen Kurzfilme handeln von der bedrängenden und zugleich faszinierenden Koexistenz beider Elemente.[110] Sein 1983 erschienener Spielfilm Videodrome visualisiert virtuos die Verschmelzung des menschlichen Körpers mit dem allzeit begehrten, medialen Objekt (Abb. 6). Er betont ähnlich wie Blade Runner das Verschwimmen von Äußerem und Innerem, von ›urban‹ und ›cyber‹. Jeder der beiden Filme stellt eine »Apologie der Oberfläche«[111] dar; die (Film-)Bilder wollen nicht bloße Abbilder, sondern eigenen Gesetzen gehorchende Wirklichkeit sein.

Abb. 6 VIDEODROME (1983) // © Koch Films

Seine darauffolgenden Werke behandelten immer wieder die Schattenseiten des menschlichen Bewusstseins (The Fly, Naked Lunch) und drangen immer tiefer in ersehnte Gefühlswelten von zerstörerischem Ausmaß ein (Crash, eXistenZ).

MTV wurde ab Anfang der 1980er-Jahre über seine Grenzen als Fernsehsender hinaus zur wichtigsten Projektionsfläche der Populärkultur. Es transportierte in seinen Videoclips unentwegt stilistische Strömungen aus den Bereichen Musik und Tanz, Kleidung und Mode und trug v. a. bei Jugendlichen zu einem neuen Selbstverständnis psychologischer und soziopolitischer Natur bei, das sich global entwickelte. Viele Künstler strebten eine kommerziell erfolgreiche Verbreitung ihres musikalischen Werkes nun auch in ihren Videoclips an, wozu sie Regisseure – vorrangig aus dem Bereich der Werbung – engagierten, wodurch immer wieder Musikvideos entstanden, die an die charakteristischen Eigenschaften von Spielfilmen angelehnt waren. Scott kommentiert den künstlerischen Effekt von Blade Runner auf die wachsende MTV-Generation:

»Eines Abends schalteten wir den Fernseher ein und sahen Bilder aus dem Film […] Es gab Einstellungen, die hätten direkt aus Blade Runner selbst sein können […] Für mich stellten die [Musik]Videos eher kleine Filmchen dar, in denen die Bands involviert waren.«[112]

In den Videos solch einflussreicher Bands wie Genesis, Talking Heads[113] und Depeche Mode wurden deutlich visuelle Elemente des Cyberpunk und des Neo-Noir verarbeitet: das Spiel mit Licht und Schatten, Regen und Rauch, die nächtliche Großstadt als Handlungsschauplatz und im Idealfall selbstreflexiv das Dasein der Medien selbst, wie das Musikvideo Money for Nothing (1985) der Dire Straits am treffendsten zeigt.[114]

William Gibson, literarischer Begründer des Cyberpunk, schrieb zwischen 1977 und 1982 sieben Kurzgeschichten, von denen die meisten in der virtuellen Welt des sogenannten Sprawl spielen.[115] Die Stories erschienen fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit in kurzlebigen SF-Magazinen und wurden erst zwei Jahre nach dem Erfolg seines Romans Neuromancer (1984) in einem Sammelband veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt zog Blade Runner dank der Videovermarktung schon weite Kreise. Gibson selbst bestätigte den Einfluss, den der Film auf ihn hatte.[116] Die virtuose, bildhafte Sprache, die Gibson benutzt, bleibt immer noch von großem Format für die SF-Kultur, es ist aber bemerkenswert, dass mit Blade Runner bei der Bildung eines neuen Genres eine filmische Quelle der literarischen vorausging.

Die gestalterischen Möglichkeiten, die in Blade Runner dargestellte Welt zum Leben zu erwecken, entstammten wie bereits angemerkt den Comics und Graphic Novels des SF. Diese waren es auch, die in ihren animierten Versionen – v. a. in den japanischen Animes – erfolgreich und eindrucksvoll die futuristischen Qualitäten der erzählten Geschichten transportierten. Nausicaä (1984) von Hayao Miyazaki basiert genau wie Blade Runner auf den Zeichnungen von Moebius. Akira (1988) und Ghost in the Shell (1995) sind zwei der einflussreichsten Filme im Bereich des SF bzw. des animierten Films überhaupt und stehen in enger Beziehung mit den in Blade Runner thematisierten Motiven der Mega-Stadt, der (Nicht-)Differenzierbarkeit von ›Künstlichem‹ und ›Echtem‹ sowie der Erschaffung neuer Lebensformen.[117] Der visuelle Stil von Renaissance (2006) setzt sich fast ausschließlich aus hochkontrastigen, schwarzweißen CGI zusammen, in seiner symbolischen Erinnerungsszene wechselt der Film unerwartet zu gezeichneter Farbe.

1998 kam ein Film in die Kinos, der beinahe alle thematischen und visuellen Elemente von Blade Runner aufgriff und auf höchst fundierte Weise in etwas unverwechselbar Eigenständiges einband. Dark City schickt seine Gedächtnisamputierte Hauptfigur durch ein düsteres Labyrinth aus Gewalt und Isolation. Dabei setzt Regisseur Alex Proyas noch stärker als Scott auf die Verbildlichung von Raum und Zeit. Simon Spiegel sieht in einer Schlüsselszene des Films die Essenz des ›Conceptual Breakthrough‹, der vollzogenen Grenzüberschreitung vom Bekannten zum Unbekannten, die so typisch für das Genre ist, perfekt zum Ausdruck gebracht.[118]

Der starke kulturelle Einfluss von Blade Runner brachte über den langen Zeitraum seit seiner ursprünglichen Erscheinung einen unablässigen medientheoretischen Diskurs mit sich, in welchem grundlegende filmische Argumentations- und Betrachtungsweisen immer wieder hinterfragt wurden. Matt Hills beschreibt den Film als »cult canonical movie«[119] und erklärt dabei seine Terminologie sehr genau. Für ihn ist Blade Runner der filmische Beweis dafür, dass die strikte Unterscheidung zwischen theoretisch-akademischen Erörterungen und populärkultureller, ›textuellen‹ Ansichten von Fans nicht möglich ist. Um einen Film als kulturell relevant bzw. einflussreich erklären zu können, muss die eine Sichtweise die andere keineswegs ausschließen. Er stellt sehr präzise die verschiedenen filmtheoretischen Konzepte, die sich zusammen mit der kulturellen Relevanz von Blade Runner entwickelt haben, gegenüber und zeigt deren gegenseitige Beeinflussung auf. So haben eine Vielzahl einflussreicher Schriftsteller die Wichtigkeit von »hybridised ›scholar-fan‹ und ›fan-scholar‹ identities«[120] hervorgehoben, während andere eher bemerkten, dass der Unterschied der Sichtweisen von ›Fans‹ und ›Akademikern‹ eher durch kulturelle Hierarchien als von einem ontologischen Aspekt gekennzeichnet ist[121]. Hills erwähnt in diesem Zusammen-hang auch die von mir bereits beschriebenen inhaltlichen Themen von Rachels Erinnerungen und Battys Identitätskampf, die exemplarisch für sich allein stehen und aus dem Kontext des Films heraus funktionieren können, was für ihn die Qualität des Films erhöht.[122] Diese These scheint nachvollziehbar, wenn man die Entwicklung der Texte und Diskurse über den Film im Hinterkopf behält, die Hills anspricht. So stellt auch diese Arbeit nur einen weiteren Teil einer langen und möglicherweise unendlichen Diskurskette dar. Der Film legt dies nahe.

© Stefan Jung

Nachweise:

  • [1] Scott bezog sich v. a. auf die Zeichnungen von Philippe Druillet, Angus McKie und Moebius (Jean Giraud). Vgl. Bukatman, 17; Dangerous Days: Making Blade Runner, Timecode 17:46-17:54.
  • [2] Siehe: http://www.2000adonline.com/. Das italienische Äquivalent Ranxerox war ähnlich einflussreich. Vgl. Bukatman, 44.
  • [3] Total Recall (1990, R: Paul Verhoeven).
  • [4] Vgl. Schnelle, 9. Siehe: Do Androids dream of electric Sheep?, 5, 14-19, 34 f.
  • [5] Siehe: Die elektrische Ameise, 684 f.; Do Androids dream of electric Sheep?, 3 ff.
  • [6] Siehe: Erinnerungen en gros; Do Androids dream of electric Sheep?; Der Minderheiten-Bericht.
  • [7] Vgl. Sievert, 103. Siehe: Menschlich ist…; Do Androids dream of electric Sheep?.
  • [8] Vgl. Lindauer, 15 ff.
  • [9] Der Golem, wie er in die Welt kam (D 1920).
  • [10] Vgl. Lindauer, 21 ff.
  • [11] Vgl. Alessio, 60.
  • [12] Für Blade Runner war gerade diese Entwicklung existenzielle Bedingung, da sogar während der laufenden Produktion die finanziellen Mittel durch mehrere Geldgeber aufgestockt werden mussten, wodurch sich immer wieder neue, die Vermarktung regelnde Rechtsverhältnisse bildeten. Vgl. Dangerous Days, 13:20-15:58.
  • [13] Die Pyramide als Grabmal des Herrschers.
  • [14] Vgl. Bukatman, 10, 56; Barlow, 47; Sievert, 46.
  • [15] Weitere wichtige Stilrichtungen, die in den Film Eingang finden und vermischt werden, sind z. B. der Konstruktivismus (1917-35), der Futurismus (1909-44), Elemente des International Style (1920-80), sowie des High-Tech/Matt Black Designs (1972-85). Vgl. Sievert, 65; Fiell & Fiell, 266 f., 330 f., 344 ff.
  • [16] Scott, 15:13-15:54.
  • [17] Will, 377.
  • [18] Blade Runner, Timecode 3:04-3:09. Ich verwende bei dem Hinweis auf zeitbezogene Filmsequenzen die Bezeichnung ›Blade Runner‹, da ich Ridley Scotts Audiokommentar des Hauptfilms ebenfalls an Hand von Timecodes hinzuziehe (›Scott‹) und beziehe mich dabei auf den Final Cut des Films. Sequenzen aus den anderen Versionen des Films werden darüber hinaus explizit benannt.
  • [19] Blade Runner, 3:11-3:33.
  • [20] Vgl. Schnelle, 79.
  • [21] »Isn’t disorientation one of the best things about making art?« Edward Ruscha zit. nach Bernhard Blistène, in: Auer, 18. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Anfangssequenzen von Franklin J. Schaffners Planet of the Apes (5:12-15:13) und Nicolas Roegs The Man who fell to Earth (0:17-3:48), welche ein ähnlich effektives Gefühl zeitlicher und räumlicher (Des-)Orientierung vermitteln.
  • [22] Der Name ›Deckard‹ stellt einen Anglizismus von René Descartes dar, verweist auf die Inspiration des Films durch die cartesianische Philosophie und steht in der klassischen Tradition der »telling names«. Vgl. Lindauer, 21 ff.; Sievert, 65.
  • [23] Blade Runner, 7:20-8:37. In dieser Sequenz übersetzt die Kamera die geografische Dichotomie von oben und unten in eine soziale. Regen und Nacht spiegeln hier, genau wie im Film noir die Stimmung des Protagonisten, die dunkle, nächtliche Seite der Seele wieder. Die Nacht ist »the absolute metaphor for the confused hero«. Sievert, 41.
  • [24] Aus dem Textvorspann des Films, 1:31-1:39.
  • [25] Vgl. film-dienst 10/1982; http://de.wikipedia.org/wiki/Blade_Runner#cite_ref-Hardy_35-0.
  • [26] Gaff, abgeleitet von to gaff (engl. ›ausplaudern‹). Gaff spricht zumeist ›Cityspeak‹, eine umgangssprachliche Mischung aus Englisch, Japanisch, Deutsch und weiteren Sprachen bzw. Dialekten; auch auf dieser Ebene erscheint das Umfeld permanent als kultureller melting pot.
  • [27] Vgl. Schnelle, 78.
  • [28] Vgl. Sievert, 41.
  • [29] Vgl. Bordwell, 32; Elsaesser, 61.
  • [30] Blade Runner, 3:53-3:54 und 4:08-4:10.
  • [31] Dies stellt eine Reminiszenz zum Schlusskapitel von Kubricks 2001 dar.
  • [32] Desalm zit. nach Schnelle, 78.
  • [33] Vgl. Scott, 3:51-4:29; Sammon, 382.
  • [34] Fancher & Peoples, 68.
  • [35] Vgl. Sammon, 382.
  • [36] Vgl. Castells, 490.
  • [37] Vgl. Neverla, 62.
  • [38] »Incept Date [. . .] Four-year life span.« Blade Runner, 13:21-14:46.
  • [39] Vgl. Lindauer, 97 f.
  • [40] Blade Runner, 4:08-5:15 (Dialogkonfrontation mit der Metapher ›Kylonie‹).
  • [41] Blade Runner, 59:27-59:43.
  • [42] Blade Runner, 1:00:18-1:00:21.
  • [43] Blade Runner, 24:13-24:16.
  • [44] Hier zeigt sich eine starke Gemeinsamkeit mit Dicks Vorlage: Nach der Umweltverseuchung leidet der Großteil der Menschheit an ungewöhnlichen Krankheitserscheinungen. Im Film kommt die starke Visualisierung des sauren Regens hinzu.
  • [45] »Schach stellt einen Kampf zwischen weißen und schwarzen Figuren, zwischen Licht und Schatten dar«, stellt Sievert fest und verweist dabei auf das cartesianische Koordinatensystem. Vgl. Sievert, 92.
  • [46] Blade Runner, 1:20:17-1:20:22.
  • [47] Fancher & Peoples, 79. Blade Runner, 1:21:30-1:21:41.
  • [48] Blade Runner, 1:42:47-1:42:49.
  • [49] Hier wird der Lebensrhythmus, der anfangs noch Leons steigende nervöse Aufregung (6:04-6:45) hörbar gemacht hat, in immer langsameren Schlägen umgekehrt, bis zum totalen Stillstand; 55:24-56:59.
  • [50] Blade Runner, 56:35-56:59.
  • [51] Erbaut 1893 (inspiriert von Bellamys Looking Backward), diente es schon als Office in Marlowe (1969). Vgl. Clarke, 14 f.
  • [52] Blade Runner, 1:39:21-1:39:48, 1:44:06-1:44:10.
  • [53] »All those moments will be lost in time . . . like tears in rain.« Blade Runner, 1:42:26-1:42:43.
  • [54] Blade Runner, 1:42:17-1:43:49.
  • [55] Deckards voice-over: »Maybe in those last moments, he loved life more than he ever had before. Not just his life. Anybody’s life.« International Cut, 1:41:22-1:42:00.
  • [56] Khalil Gibran, The Prophet, zit. nach Karow, 10.
  • [57] Vgl. Arnheim, 35 ff.
  • [58] Vgl. Mulvey, 132.
  • [59] Schacter zit. nach Schüle, 20.
  • [60] Schüle, 23. Vgl. auch Lash & Urry, 230.
  • [61] Scott, 34:17-34:19.
  • [62] Blade Runner, 34:03-34:04. Frank Schnelle bezeichnet diese Stelle als die »vielleicht wichtigste des ganzen Films«. Schnelle, 85. Blade Runner greift an dieser Stelle das Gesamtkonzept des SF-Kurzfilms La Jetée (1962) auf, der seine Geschichte aus reinen Standbildern erzählt (›Fotoroman‹), bis auf einen kurzen Moment, in dem die vom Zeitreisenden geliebte Frau die Augen öffnet.
  • [63] Vgl. Scott, 34:57-35:29.
  • [64] Sammon (Workprint, AK) 38:58-41-17. »The concept [of cyberspace] was defined by the invisible circulation of information permitted by telecommunications technologies [. . .] The sequence anticipates the narratives of Tron and Neuromancer, in which humans are more physically inserted into cyberspace.« Bukatman, 45 ff.
  • [65] Deutelbaum zit. nach Schnelle, 87. Deutelbaums »Prinzip der akkumulierenden Schichtung« entspricht Scotts Prinzip des »layering«. Vgl. Schnelle, 87; Sievert, 46.
  • [66] Do Androids dream of electric Sheep?, 201.
  • [67] Ebd., 194.
  • [68] Workprint, 0:33-0:37. Blade Runner bezieht sich bereits in seinem Titel auf Zeit(knappheit), da er eine Person beschreibt, die sich in hohem Tempo ›auf Messers Schneide‹ fortbewegen muss. In allen Versionen erscheint der Titel in roter Farbe, was Geburt und Tod, also Anfang und Ende der Lebenszeit symbolisiert.
  • [69] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Blade_Runner#cite_ref-38. Der Großteil des ›künstlichen Endes‹ bestand aus nicht verwendetem Archivmaterial aus Stanley Kubricks The Shining (1980).
  • [70] Vgl. Müller & Haubner, 7.
  • [71] Vgl. Heldreth, 308.
  • [72] Scott in der Einleitung zum Film.
  • [73] Scott in der Einleitung. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Meinung Paul M. Sammons, welcher die körnige Textur des Workprint bevorzugt, »because you felt more of [. . .] the atmosphere actually coming out more in the technical presentation which was slightly degraded.« Sammon im Audiokommentar. Workprint, 4:25-5:07.
  • [74] Dies ist in den beiden Szenen der anfänglichen Befragung Rachels durch Deckard (International Cut, 17:00-17:09 und Final Cut, 18:11-18:19) sowie beim Aufsteigen der Taube aus Roys Händen in einen nicht mehr sonnenerleuchteten, sondern durch schmutzige Architektur verdeckten Himmelsfleck sichtbar.
  • [75] Vgl. Sievert, 139 f.
  • [76] Bladezone.com stellt beispielsweise die größte Plattform des Films im Internet dar. Auf ihr werden immer wieder neue inhaltliche und thematische Subtexte von Blade Runner erschlossen und kommentiert. Vgl. dazu auch Bukatman, 82.
  • [77] Elsaesser, 81, 88.
  • [78] Dana Polan zit. nach Elsaesser, 60.
  • [79] International Cut, 7:24-7:33.
  • [80] Dies wird wenig später im Film durch seinen Vorgesetzten Bryant bestätigt: »I need the old Blade Runner. I need your magic.« 12:31-12:35.
  • [81] Deckards Mantel ist auch bewusst an Humphrey Bogarts Kostüm aus The Maltese Falcon angelehnt. Ursprünglich sollte Deckard auch einen für Detektive typischen Hut tragen, was frühe Drehbuchzeichnungen illustrieren.
  • [82] International Cut, 7:17-7:23.
  • [83] Vgl. Schnelle, 22.
  • [84] Vgl. Elsaesser, 77.
  • [85] Blade Runner, 1:44:15-1:44:17.
  • [86] Vgl. Elsaesser, 84.
  • [87] Elsaesser bezieht sich in diesem Punkt auf die »Motivverschiebung des Schurken«, 84.
  • [88] Blade Runner, 10:41-10:44.
  • [89] Vgl. Elsaesser, 88. Hier spiegelt sich einmal mehr die Dualität des Films wieder, der einerseits dystopisch wirkt und gleichzeitig eine unglaubliche ästhetische Begeisterung für die in ihm offenbarte Welt entwickelt. Anders als Dick beschreibt Scott den verfallsähnlichen Zustand der Welt nicht vorrangig nüchtern und kritisch, sondern bemüht sich, das dunkle Leuchten der Stadt in opulenten Bildern einzufangen und damit zu unterhalten. Der Film Blade Runner gilt gerade wegen seiner bewussten Abwandlung der Vorlage als eigenständiges Kunstwerk. Vgl. Lacey, 191 f.; Vest, 5.
  • [90] Blade Runner, 7:04-7:15.
  • [91] Vgl. Elsaesser, 88.
  • [92] Spiegel, 158.
  • [93] »Blade Runner war der Science-Fiction-Film der achtziger Jahre, das schmutzig-graue Gegenbild zu Kubricks 2001.« epd Film, zit. nach Kirste, 149.
  • [94] Bukatman, 10.
  • [95] Kubrick, 4:35-6:47.
  • [96] Kubrick, 7:27-7:35, 9:30-9:45 und 11:10-11:25.
  • [97] »There is no nature in Blade Runner.« Bukatman, 11.
  • [98] Scott verweist auch auf die direkte Anlehnung des Produktionsdesigns an die Weltmetropolen und bezeichnet sein dystopisches Stadtbild eher als »realistisch statt futuristisch«. Scott, 53:25-55:10.
  • [99] Bereits im Titel wird die Anlehnung an Homers Odyssee deutlich.
  • [100] Lehmann, 591.
  • [101] Jupiter and beyond the Infinite. Kubrick, 1:56:56-2:06:08 (›Stargate-Sequenz‹). In diesem Teil des Films etabliert Kubrick das Auge endgültig als visuelles Hauptmotiv (Abb. 5).
  • [102] Lehmann, 592.
  • [103] Lehmann, 593.
  • [104] Kiefer, 205.
  • [105] Vgl. Deleuze (1985/1997). Vgl. hierzu auch die Kritik von Bordwell (1997a), 116-117.
  • [106] Fischer, 241.
  • [107] Engell/Fahle, 234.
  • [108] Bukatman, 49.
  • [109] Gerade der erste Kinofilm, der unter der Regie von Paul Verhoeven (Total Recall) entstand, bestach als bitterböse Action-Satire, die radikal die Normen des Hollywood-Kinos unterlief und sich bewusst mit den Sujets ›Erinnerungen‹ und ›wahre Identität‹ auseinandersetzte.
  • [110] Stereo (1969) und Crimes of the Future (1970).
  • [111] Vgl. Müller & Haubner, 5.
  • [112] Scott, 36:34-37:28. Angegeben ist eine sinngemäße Übersetzung ins Deutsche. Vgl. hierzu auch das Fans and Filmmakers-Feature, 18:15-19:54.
  • [113] Den künstlerischen und kommerziellen Höhepunkt erreichte die Band mit der Veröffentlichung des Konzertfilms Stop Making Sense, wovon Teile als Songvideos ausgekoppelt wurden. Die Choreografie der meisten Songs (z. B. Swamp, 35:18-39:39) stellt ein virtuoses Spiel mit Licht und Schatten, leuchtender Farbgebung und wechselnden Kamerafahrten dar. Jordan Cronenweth, erster Kameramann bei Blade Runner war auch hier für die Bilder verantwortlich.
  • [114] Der Songtext handelt von der Absurdität und Oberflächlichkeit zur visuellen Hinwendung der Musikindustrie. Ironischerweise wurde Money for Nothing zum meistgespielten und erfolgreichsten Musikvideo der 1980er-Jahre.
  • [115] Siehe: Johnny Mnemonic (1981) und Burning Chrome (1981).
  • [116] Vgl. Bukatman, 48.
  • [117] Vgl. Barlow, 47.
  • [118] Dark City, 1.22:45-1.24:20. Vgl. Spiegel, 105, 246 f., 253.
  • [119] Hills, 124.
  • [120] Hills verweist auf Jenkins (1992), Doty (2000), Bird (2003) und Brooker (2003 und 2004).
  • [121] Mit Verweis auf Jensen (1992).
  • [122] Vgl. Hills, 128.

Literaturverzeichnis:

  • Alessio, Dominic (2005). Redemption, Race, Religion, Reality and the Far-Right. Science Fiction Film Adaptations of Philip K. Dick. In: Brooker, Will (Hg.) The Blade Runner Experience. London: Wallflower Press, S. 59-78.
  • Audick, Helmut (1978). Zeit im Film. Film als eine Repräsentationsmöglichkeit des Wahrnehmungsbewusstseins. Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilian-Universität zu Würzburg.
  • Auer, Christina (2000). Film als Zeichensystem. Visualisierung und Rezeptionsprozesse. Dissertation an der Hochschule für Film und Fernsehen, München.
  • Barlow, Aaron (2005). Reel Toads und Imaginary Cities. Philip K. Dick, Blade Runner and the Contemporary Science Fiction Movie. In: Brooker, Will (Hg.) The Blade Runner Experience. London: Wallflower Press, S. 43-58.
  • Bellamy, Edward (1887). Looking Backward or Life in the Year 2000. Original edition (US) publ. by William Ticknor, 1888. Übersetzungen: Alexander Fleischmann (1890), Georg von Gizyki (1890), Clara Zetkin (1914).
  • Bordwell, David (1997a). On the History of Film Style. London: Harvard University Press.
  • Bordwell, David (1997b). Modelle der Rauminszenierung im zeitgenössischen europäischen Kino. In: Rost, Andreas (Hg.) Zeit, Schnitt, Raum. Frankfurt/Main: Verlag der Autoren, S. 17-42.
  • Brooker, Peter (2005). Imagining the Real. Blade Runner and Discourses on the Postmetropolis. In: Brooker, Will (Hg.) The Blade Runner Experience. London: Wallflower Press, S. 213-235.
  • Bukatman, Scott (1997). Blade Runner. London: British Film Institute Publishing.
  • Castells, Manuel (2001). Zeitlose Zeit. In: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Band. I: Das Informationszeitalter. Opladen: Leske & Budrich, S. 485-525.
  • Castle, Alison (Hg.) The Stanley Kubrick Archives. Köln: Taschen. 25th Anniversary Special Edition, 2008.
  • Chandler, Raymond (1940). The Big Sleep. Main character: Philip Marlowe.
  • Clarke, Roger (2009). The Story of the Scene. London: Methuen Drama, S. 14-15.
  • Deleuze, Gilles (1985/1997). Kino 2: Das Zeit-Bild. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1997.
  • Dick, Philip K. (1955). Menschlich ist… In: Dick, Philip K. (2002) Der unmögliche Planet. München: Wilhelm Heyne, S. 221-238.
  • Dick, Philip K. (1956). Der Minderheiten-Bericht. In: Dick, Philip K. (2002) Der unmögliche Planet. München: Wilhelm Heyne, S. 402-454.
  • Dick, Philip K. (1966). Erinnerungen en gros. In: Dick, Phlip K. (2002) Der unmögliche Planet. München: Wilhelm Heyne, S. 582-612.
  • Dick, Philip K. (1968). Do Androids Dream of Electric Sheep? London: Orion, 2005.
  • Dick, Philip K. (1969). Die elektrische Ameise. In: Dick, Philip K. (2002) Der unmögliche Planet. München: Wilhelm Heyne, S. 679-703.
  • Duncan, Paul (2003). Stanley Kubrick. Sämtliche Filme. Köln: Taschen.
  • Engell, Lorenz & Fahle, Oliver (2002). Film-Philosophie. In: Felix, Jürgen (Hg.) Moderne Film Theorie. Mainz: Bender, S. 222-240.
  • Elsaesser, Thomas (2009). Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino. Berlin: Bertz & Fischer.
  • Fancher, Hampton & Peoples, David (1981). Blade Runner. Screenplay. The Blade Runner Partnership. Warner Home Video 2000.
  • Fiell, Charlotte & Fiell, Peter (2005). Design des 20. Jahrhunderts. Köln: Taschen.
  • Gallagher, Aileen (2011). Gibson und wie er die Welt sieht. In: musikexpress. #2/2011, S. 36-37.
  • Gibran, Khalil (1923). The Prophet. First publ. by Alfred A. Knopf, New York 1923.
  • Gibson, William (1981). Johnny Mnemonic. In: Gibson, William (1987) Burning Chrome. New York, Ace Books, S. 1-22. Erstveröffentlicht in: Omni Magazine, Mai 1981.
  • Gibson, William (1981). Burning Chrome. In: Gibson, William (1987) Burning Chrome. New York, Ace Books, S. 168-191. Erstveröffentlicht in: Omni Magazine, Februar 1982.
  • Gibson, William (1977). Fragments of a Hologram Rose. First publ. in Unearth #3, 1977.
  • Gibson, William (1980). The Gernsback Continuum. First publ. in Universe #11, 1981.
  • Gibson, William (1981). Hinterlands. First publ. in Omni, 1981.
  • Gibson, William (1981). New Rose Hotel. First publ. in Omni, 1981.
  • Gibson, William (1981). The Belonging Kid. First publ. in Shadows 4, 1981.
  • Gibson, William (1984). Neuromancer. Publ. by Ace Books, New York 1984. Dt. Ausgabe: Wilhelm Heyne, München 1991.
  • Hammett, Dashiell (1930). The Maltese Falcon. Main character: Sam Spade.
  • Heldreth, Leonard G. (1997). »Memories … you’re talking about memories.« Re-retrofitting Blade Runner. In: Kerman, Judith B. (Hg.) Retrofitting Blade Runner. Madison: The University of Wisconsin Press (2nd edition), S. 308-312.
  • Hills, Matt (2005). Academic Textual Poachers – Blade Runner as Cult Canonical Movie. In: Brooker, Will (Hg.) The Blade Runner Experience. London: Wallflower Press, S. 124-141.
  • Karow, Willi (2004). Einleitung. In: Rüffert, Christine (Hg.) Zeitsprünge. Wie Filme Geschichten erzählen. Berlin: Bertz, S. 10.
  • Kaul, Susanne & Palmier, Jean-Pierre (2010). Stanley Kubrick. München: Wilhelm Fink.
  • Kiefer, Bernd (2003). 2001: Odyssee im Weltraum. In: Koebner, Thomas (Hg.) Filmgenres. Science Fiction. Stuttgart: Reclam, S. 198-207.
  • Kirste, Katja (2002). Der Blade Runner. In: Müller, Jürgen (Hg.) Filme der 80er. Köln: Taschen, S. 146-155.
  • Lacey, Nick (2005). Postmodern Romance. The Impossibility of (De)centring the Self. In: Brooker, Will (Hg.) The Blade Runner Experience. London: Wallflower Press, S. 190-202.
  • Lash, Scott & Urry, John (1994). Time and Memory. In: Economies of signs and Space. London/Thousand Oaks/New Dheli: SAGE Publications, S. 223-251.
  • Lehmann, Hans-Thies (1983). Die Raumfabrik. Mythos im Kino und Kinomythos. In: Bohrer, Karl Heinz (Hg.) Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 572-598.
  • Lindauer, Tanja (2008). Reconstructing Eve. Automatenmenschen in Literatur und Film. Marburg: Tectum.
  • Müller, Jürgen & Haubner, Steffen (2002). Das Kino der Oberflächen. Überlegungen zur Filmästhetik der 80er Jahre. In: Müller, Jürgen (Hg.) Filme der 80er. Köln: Taschen, S. 4-16.
  • Mulvey, Laura (2004). Das Stille im bewegten Bild. Möglichkeiten der Visualisierung von Zeit und ihrem Vergehen. In: Nagl, Ludwig/Waniek, Eva/Mayr, Brigitte (Hg.) film denken. thinking film. Wien: Synema Publikationen, S. 131-137.
  • Obermayr, Brigitte (2010). Datumskunst. Zur Erfahrung der datierten Zeit. In: Henning, Anke/Koch, Gertrud/Voss, Christiane/Witte, Georg (Hg.) Jetzt und dann. Zeiterfahrung in Film, Literatur und Philosophie. München: Wilhelm Fink, S. 159-183.
  • Orwell, George (1948). Nineteen Eighty-Four. Publ. by Secker and Warburg, London 1949.
  • Ovid (~1 n. Chr.) Metamorphosen. Darin: Pygmalion, Buch 10, Vers 243 ff.
  • Platon (~388 v. Chr.) Protagoras. Darin: Epimetheus und Prometheus, 320d-322a.
  • Sammon, Paul S. (1996). Future Noir: The Making of Blade Runner. New York: Harper-Prism.
  • Schnelle, Frank (1994). Ridley Scott’s Blade Runner. Stuttgart: Verlag Uwe Wiedleroither.
  • Schüle, Christian (2011). Im Bann der Erinnerung. In: ZeitWissen, #2/2011, S. 16-28.
  • Sievert, Johannes F. (2000). Theoretische und filmanalytische Aspekte in Ridley Scotts Blade Runner. Alfeld: Coppi Verlag.
  • Tosca, Susana P. (2005). Implanted Memories, or the Illusion of Free Action. In: Brooker, Will (Hg.) The Blade Runner Experience. London: Wallflower Press, S. 92-110.
  • Turmbau zu Babel, Der. Altes Testament: Genesis 11, 1-9.
  • Vest, Jason P. (2007). Future Imperfect. Philip K. Dick at the movies. London: Praeger.
  • Wells, Howard G. (1933). The Shape of Things to Come. Publ. by Hutchinson (UK) and Macmillan (US).
  • Will, Fabienne (2003). Der Blade Runner. In: Koebner, Thomas (Hg.) Filmgenres. Science Fiction. Stuttgart: Reclam, S. 376-387.