Christopher Nolan, ein Regisseur, über den viel gesprochen und diskutiert wird. In den Arbeiten des Briten trifft spannendes Blockbusterkino auf clevere Filmkunst und gerade diese Mischung macht ihn in der Szene zu einem heiß debattierten Inszenator. Manchmal zu Unrecht als reiner Handwerker abgestempelt, muss er nie um große Schauspielernamen in seinen Bestzungen buhlen. Christian Bale, Michael Caine, Hugh Jackman, Guy Pearce, Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Matthew McConaughey, Cillian Murphy, Al Pacino oder Robin Williams, sie allen wollen in seinen Filmen mitspielen, wissen um die professionelle Führung des Geschichtenerzählers. An den Darstellernamen zu erkennen, geht es fast ausschließlich um männliche Protagonisten, die „einseitig, eindimensional und archetypisch“ [1] agieren. Frauenrollen gleichen eher einer Femme fatale aus dem Film noir. Gerade solche Gedankengänge über das Oeuvre Nolans sind schwierig zu entwickelt, da man meist völlig von seiner filmischen Immersion gefangen ist. Deswegen ist es umso schöner, sich eine handliche Publikation für die Zeit danach aus dem Regal zu ziehen und in die Gedankenwelt von Deutung der künstlerischen Sprache Nolans von Wissenschaftler*innen und Journalist*innen einzutauchen. Der eben erwähnte Aspekt der männlichen Hauptfiguren ist zum Beispiel gleich aus dem ersten Kapitel „Doodlebug“ von Herausgeber Jörg Helbig aus dem hier empfohlenen Film-Konzepte-Heft (edition text + kritik) entnommen.
Umfang
Das 117-seitige Heft mit wenigen Fotoabbildungen umfasst neun Texte, die sich entweder bestimmten Themen in den Filmen von Christopher Nolan widmen oder einem spezifischen Aspekt.
- „DOODLEBUG. Eine Reise durch das Universum von Christopher Nolan in 180 Sekunden“ von Jörg Helbig
- „Ekstasen der Zeitlichkeit. Achronologische Montage und Existenzerkundung in Filmen von Christopher Nolan“ von Marcus Stiglegger
- „This Hint of things to come. Stilistische Merkmale, Figurensubjektivität und nicht-lineares Erzählen in FOLLOWING” von Désirée Kriesch
- „Wandelnde Identitäten. Überlegungen zum Ereignis der Grenzüberschreitung in Insomnia“ von Sebastian Seidler
- „Why so Serious? Christopher Nolans DARK-KNIGHT-Trilogie“ von Andreas Rauscher
- „Im Bann der Elemente. Annotationen zur Ästhetik von THE PRESTIGE“ von Sabrina Gärtner
- „Metaleptische Abenteuer. Über Christopher Nolans INCEPTION“ von Arno Rußegger
- „The Science of Fiction. Die Computersimulation eines Schwarzen Lochs in INTERSTELLAR“ von Jannik Müller
- „DUNKIRK und die Zeit. Mythos und Thriller im Gegenspiel“ von Barbara Korte
Es soll gleich erwähnt werden, dass es allen Autorinnen und Autoren gelungen ist, ein sprachliches Niveau zu finden, was jedem zugänglich ist, aber dennoch die Arbeiten von Nolan wissenschaftlich wie auch umfangreich professionell beleuchtet. Es wird sich auch nicht an jedem Werk einzeln mit einer Analyse abgearbeitet, denn hierfür gibt es ausreichend englischsprachigen Content, sondern – wie sagt man so schön: die Mischung machst. Es beginnt mit einer spannenden Erkenntnis, wie ausgeprägt Nolans Filmsprache bereits bei seinem ersten Kurzfilm DOODLEBUG war. Ebenfalls wird der kleine Außenseiter INSOMNIA (2002), bei dem Nolan als einziger Film nicht am Drehbuch mitgearbeitet hat, präzise betrachtet und zum Beispiel vom „Horror des Gesichts“ (S. 42) berichtet. Ebenfalls sehr lesenswert ist der Einfluss des Western-Genre auf den Comic und somit auch auf die DARK-KNIGHT-Trilogie. Nicht nur die Naturwissenschaft diente als Grundlage für INTERSTELLAR, sondern auch eine Rückkopplung war möglich. Die visuelle Darstellung des Schwarzen Lochs ist eine der genausten wissenschaftlichen Simulationen und wäre ohne das hohe Filmbudget bzw. den Willen des Regisseurs nicht möglich gewesen. Persönliches Highlight ist der Text zu THE PRESTIGE. Der Film wird bei den erfolgreichen Schwergewichten leider immer etwas vernachlässigt, aber Sabrina Gärtner gelingt ein sprachlich runder, wie auch informationsreicher Blick hinter die Kulissen der Zaubertricks, die sowohl vor wie auch hinter der Kamera vollführt werden.
Fazit
Einziges Manko ist, dass TENET (2020), abgesehen von der philosophischen Betrachtung Marcus Stigleggers kaum erwähnt wird und somit nicht das Versprechen auf dem Heftrücken erfüllt. Dennoch, ein gelungener Spagat aus wissenschaftlicher Betrachtung und spannender Beleuchtung der Kinofilme Nolans. Differenziert in ihrer Art der Betrachtung wie auch vielseitig im Fokus. Das Film-Konzepte-Heft Nr. 62 ist unterhaltsam und dennoch anspruchsvoll, wie die Werke von Nolan selbst und somit eine uneingeschränkte Empfehlung für alle „Nolaniacs“ oder die, die es noch werden wollen.
Quelle:
[1] Anna Kessler: „It’s a man‘s man’s man’s world…. The Cinema of Christopher Nolan” https://thefword.org.uk/2012/10/films_of_christopher_nolan/
- Film-Konzepte Heft 62
- Christopher Nolan
- Jörg Helbig (Hg.)
- 9/2021, 117 Seiten
- Verlag: edition text + kritik
- Preis: 20,00 €
- Bei et+k bestellen
- Bei Amazon bestellen
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter