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Fair Game (1986) – Filmkritik

„Mad Maxime“

Mit FAIR GAME geht es ins Subgenre des Exploitationfilm, dem Ozploitation. Beim Exploitationfilm handelt es sich um günstige Filmproduktionen, die nicht auf die Auswertung in den großen Kinos schielen, sondern eher auf die Autokinos, die Videotheken und die Bahnhofkinos. Ein Genre, das sich auf möglichst viel Sex und Gewalt in der Handlung spezialisiert hat. Die Charakteristiken des Genres gelten auch für den Ozploitationfilm, nur ist hier Australien die große Bühne. Einer der bekanntesten Genrevertreter ist MAD MAX (1979). Der Bodensatz mit schlechten bis mittelmäßigen Streifen in dieser cineastischen Spielart ist hoch, aber FAIR GAME zählt nicht dazu. Man möchte ihn sogar zur Kategorie „Kleiner Geheimtipp“ avancieren lassen, denn trotz der überschaubaren Handlung, hält sich die australische Produktion eben nicht an bekannte Rape-And-Revenge-Muster, die in den letzten 15 Jahren mit möglichst hohem Brutalitätsfaktor, wie bei I SPIT ON YOUR GRAVE (2010) oder REVENGE (2017), die Fans hinterm Ofen hervorlockten. FAIR GAME ist angenehm ausgewogen und hält immer seine Spannung. Vor allem das stets präsente australische Outback und die knochenharten Stunts machen den Film zu einem stolzen Vertreter seiner Art.

© Camera Obscura

Handlung

Im tiefsten Hinterland von Australien lebt Jessica (Cassandra Delaney) auf ihrer Ranch mitten in einem Wildreservat. Die Idylle hält nicht lang an, denn die Wilderer Sunny (Peter Ford), Ringo (David Sandford) und Sparks (Garry Who) treiben ihr Unwesen. Sie legen qualvolle Tierfallen aus, schießen auf alles, was ein Fell hat und drängen sogar Autos von der Straße. Jessica muss das in ihrem Pick-up am eigenen Leibe erfahren. Die Wilderer haben Gefallen an ihr gefunden und lauern ihr immer wieder auf, drohen ihr und machen keinen Halt vor den Tieren auf ihrem Grundstück. Jessica lässt sich das nicht gefallen und die Spirale der Gewalt dreht sich immer höher, bis es zum finalen Showdown kommen muss.

© Camera Obscura

Mehr als B-Ware

Die Schauspieler sind keine Charakterdarsteller, aber diesen Anspruch hat man als Zuschauer von FAIR GAME auch nicht. Vor allem die Jäger erfüllen ihre Rollen, die ihre Namen schon suggerieren, mustergültig. Eine gewisse Leinwandpräsenz möchte man ihnen nicht absprechen. Hingucker ist vor allem die Hauptdarstellerin, nicht nur wegen ihrer Beine bis zum Himmel und ihren Beach Waves bis zum Boden, sondern weil sie eben nicht wie ein Modell wirkt, das man in die Steppe von Australien gestellt hat und das bei jedem Blutfleck hysterisch kreischt.

© Camera Obscura

Die Australierin Cassandra Delany punktet mit einer natürlichen Schönheit, praktischen Outfits (wir haben mitgezählt, sechs ausgewählte Designs) und einer anpackenden Art: Gleich zu Beginn, in Outfit No. 1 (Blue Jeans und weißes T-Shirt) fällt sie vom Pferd und steht direkt wieder auf. Oder ihr Auto geht nicht mehr, dann stiefelt sie eben zu Fuß in Outfit No. 2 (Blaues Jeans-Hemd zum Kleid gebunden) meilenweit nach Hause. Auch im Anschleichen oder bei der Flucht merkt man einfach, dass sie sich in dieser Landschaft auskennt und sich darin natürlich bewegen kann. Grandios in der Szene eingefangen, als Hund Kyla verloren geht und sie durch die niedrigen Bäume rennt und die Jäger hinter ihr her sind. Nicht nur Outfit No. 3 (schulterfreies Wickelkleid mit Aboriginemuster und breitem Ledergürtel) macht sie zur Gazellen-Inkarnation, sondern auch ihre Bewegungen. In anderen Genrevertretern wäre die Gejagte schon zig Mal über ihre teuren Hochhackigen gestolpert und hingefallen. Jessica bewegt sich in ihren Mokassins leichtfüßig schnell, über Stock und Stein.

© Camera Obscura

Neben den coolen Stunts, die sich manchmal zu oft handlungs-irrelevant nach vorn spielen, aber immer ohne große Tricks ausgeführt werden, ist das Highlight die Kameraführung von Andrew Lesnie in Zusammenarbeit mit Regisseur Mario Andreacchio. Die Aufnahmen sind immer in fließender Bewegung, verstecken sich voyeuristisch im Hintergrund oder drehen sich wie ein Strudel bei den Actionsequenzen. Die Karriere von Mario Andreacchino kam nicht über eine solide Altersvorsorge hinaus, wohingegen die Arbeit von Kameramann Andrew Lesnie bei Peter Jackson Gefallen fand (HERR-DER-RINGE-TRILOGIE, HOBBIT-TRILOGIE, KING KONG (2005)) und ihm sogar einen Oscar einbrachte. Leider verstarb Lesnie bereits 2015 mit 59 Jahren.

© Camera Obscura

Die Action

FAIR GAME ist in Sachen Härte nicht was manch einer erwartet. Die Tode sind recht blutarm und es gibt kaum Verletzungen. Das macht den Film zu einem distanzierten Tanz zwischen den Jägern und ihrer Beute. Doch die Beute weiß sich zu wehren und wird neugeboren, nachdem sie aus Outfit No. 5 (schwarze enge Jeans und T-Shirt) gehäutet wird und auf dem Truck wie eine Trophäe bis zur Ohnmacht durch die Wildnis gefahren wird (Quentin Tarantino: „A scene you never forget!“, hat er nicht siehe DEATH PROOF). Jessica passt sich der Gefahrensituation an, die Jäger bleiben bei ihrer Taktik „Wir fahren mit dem Truck alles zu Brei“. Wer hier gewinnen wird, ist klar, spätestens wenn Jessica ihr Haus mit dem Prädikat JOHN-RAMBO-Sicherheitsvorkehrungen versieht und todesmutig das Bügeleisen schwingt, geht es den Chauvinisten an die Weichteile.

© Camera Obscura

Ein paar Witze auf eigene Kosten weiß FAIR GAME durchaus zu reißen, siehe schwingendes Bügeleisen oder dass Ringo nur 10 Minuten zum Reparieren des Fahrzeugs hat, er es aber in 5 Minuten schafft. Für eine Ozploitation-Film typisch, nimmt er sich selbst nicht zu ernst, riskiert bei den Stunts aber Haut und Haar. Wer ein Gefühl für die Sicherheitsvorkehrungen bei australischen Actionfilmproduktionen in den 1970er-Jahren bekommen möchte, sollte das Unfallbuch vom Dreh zu MAD MAX (1979) lesen, da kam schon am ersten Drehtag der Stuntman in Gips und Krücken zur Arbeit.

© Camera Obscura

Mediabook

Das Mediabook mir BD-Premiere

Einen Dank an Camera Obscura für diese Veröffentlichung. FAIR GAME im Mediabook wird zum Appetizer des Ozploitation-Genres. Wer sich hier noch nicht auskennt, leckt mit dieser Veröffentlichung garantiert blutroten Staub auf Zelluloid. Das Bild sieht aus wie frisch aus dem Kopierwerk der 1980er Jahre erstellt. Der Ton ist gut abgemischt. Der hochfrequente Score spielt sich zu oft in den Vordergrund, aber hier wollte wohl die Produktion einfach über die schlechten Tonaufnahmen beim Dreh hinwegtäuschen. So wirken auch Szenen im Originalton wie nachsynchronisiert. Aber das bringt nur mehr Punkte auf der Genre-Charme-Liste. Das Booklet bietet zwei Texte: Pelle Felsch geht aufs Genre ein und sorgt für Einträge auf der eigenen Watchlist. Lioba Schlösser analysiert, warum FAIR GAME mehr als ein Rollenkampf ist und wie sich der Film in den Exploitation-Regeln eine originelle Stimme erarbeitet.

© Camera Obscura

Das auf 1.000 Stück limitierte Sammlerschätzchen bietet neben Extras zum Film (Interview mit der Hauptdarstellerin und drei kurze Behind-The-Scene-Clips) ein dickes Kaufargument: Die Dokumentation NOT QUITE HOLLYWOOD (2008) auf Blu-ray. In einer 103-minütigen „The Wild, Untold Story of Ozploitation!“ geht es flott durch die australische Filmgeschichte. Man kommt kaum zum Mitschreiben vor lauter Filmempfehlungen. Mit Mr. „Ich habe für jedes Subgenre eine Top-5-Liste“ Tarantino und Vertretern dieser verrückten Filmproduktionszeit (u. a. George Miller) gibt es Nischen-Filmgeschichte im Sekundentakt. Eine deutsche Erstveröffentlichung, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

© Camera Obscura

Fazit

Wer schon immer wissen wollte, ob man mit Zebrastiefeln über einen Hausgiebel balancieren kann, wie weit Australierinnen mit Zaunpfählen werfen können und wie man stilvoll elegant durchs Outback in Down Under kommt, der sollte mit FAIR GAME seinen Filmabend gestalten. Und die Doku NOT QUITE HOLLYWOOD am besten gleich danach einlegen.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewHunting Season (1986)
OT: Fair Game
Poster
RegisseurMario Andreacchio
Releaseab dem 30.10.2020 im Blu-ray-Mediabook + Bonusfilm NOT QUITE HOLLYWOOD

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Trailer
BesetzungCassandra Delaney (Jessica)
Peter Ford (Sunny)
David Sandford (Ringo)
Garry Who (Sparks)
Don Barker (Frank)
Carmel Young (Moira)
DrehbuchRob George
FilmmusikAshley Irwin
KameraAndrew Lesnie
SchnittAndrew Prowse
Filmlänge87 Minuten
FSKungeprüft

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