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Fabian oder der Gang vor die Hunde (2021) – Filmkritik

„Ein Film für Moralist:innen“

Seinen grandiosen Roman „Der Gang vor die Hunde“ (lange Zeit nur gekürzt als „Fabian“ im Handel erhältlich) versah Erich Kästner einst mit dem grandiosen Hinweis „Kein Buch für Konfirmanden jeden Alters“. Der höchst frivole und politisch brisante Großstadtroman zählt auch fast hundert Jahre nach seinem Erscheinen zu den vitalsten und beeindruckendsten Erzeugnissen, die Autor:innen aus dem deutschem Lande so zu Stande gebracht haben. Dominik Graf, der Großmeister des Genres, verfilmt dieses Werk nun und, soviel sei hier schon festgehalten: FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE ist ein cineastisches Großereignis, der Film unserer Zeit und ein Film, der bleiben wird.

Irene Moll (Meret Becker) und Fabian (Tom Schilling) // © Lupa Film, Hanno Lentz, DCM

Fabian (Tom Schilling) ist der zynische Beobachter des langsamen Untergangs der Weimarer Republik. Als Werbetexter für eine Tabakfirma tingelt er durch die Bars und Bordelle der Stadt, immer an seiner Seite: der noch abgebrühtere Labude (Albrecht Schuch). Sie sehen ihn, den unaufhaltsamen Aufstieg der Nazis, aber sie tun nichts, sie sind bereits wie Fliegen gefangen in einem Spinnennetz, aus dem es längst kein Entkommen mehr gibt. Die Liebe zu der Schauspielerin Cornelia (Saskia Rosendahl) könnte für Fabian so etwas wie Erlösung bedeuten. Wenn der Autor (oder in diesem Fall der Regisseur) nicht leider Gottes anderes mit ihm im Schilde hätte.

Fabian (Tom Schilling) //© Lupa Film Hanno Lentz DCM

Parallelen zu BERLIN ALEXANDERPLATZ (2019 interessant modernisiert verfilmt) drängen sich beim Lesen der Romanvorlage auf. In beiden Texten steht noch vor dem sukzessiven Niedergang der Hauptfigur das Erlebnis der Metropole Berlin im Mittelpunkt. Doch wo Franz Bieberkopf das tragische Verlangen nach einem guten und aufrichtigen Leben hatte, so ist Fabian als Figur fast schon eine Leerstelle, die beobachtet, aber nicht eingreift, wenn ihm die Erzählung nach und nach alles raubt, was er sein Eigen nannte, den Job, die Wohnung, die Frau und schließlich (in einem der grandiosesten und bösesten letzten Sätze der Literaturgeschichte) das Leben. Zwischendurch wechselt der Roman episodenhaft die Ton- und Stillagen, ist häufig mal derb-frivol, romantisch, tragisch, komisch, verliert seinen Protagonisten auch gerne mal aus den Augen, denn Zeitungen und Reklamen spielen hier eine ebenso große Rolle wie der Besuch eines feministischen Bordells.

Fabian (Tom Schilling) mit Irene Moll (Meret Becker) // © Lupa Film, Hanno Lentz, DCM

FABIAN zu verfilmen ist keine einfache Aufgabe, doch man darf festhalten, dass Schelm Dominik Graf seine Aufgabe geradezu meisterlich vollbracht hat. Denn gegenüber Kästner, dessen Roman 1931 erschien, hat Graf den nicht zu unterschätzenden (und brillant umgesetzten) Vorteil der späteren Geburt und damit des historischen Wissens. Wobei Kästner die bevorstehende Machtergreifung der Nazis nur erahnt konnte, kann Graf sie ganz unverblümt darstellen, was im Roman im Subtext mitschwingt, das bringt Graf ganz eindeutig auf die Leinwand, was in einer so genialen wie bösen Schlusspointe mündet, die die Verfilmung in eine beunruhigende metadiegetische Ebene hebt, etwa so, wie es David Wnendt auch in einer 2015er Verfilmung von ER IST WIEDER DA schaffte.

Labude (Albrecht Schuch) und Cornelia (Saskia Rosendahl) beim Schießen // © Lupa Film, Hanno Lentz, DCM

Es ist ein Film geworden, der ermahnt, nicht wegzusehen, wenn Feinde der Demokratie zu neuer Stärke erwachen, sich zu positionieren und „wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz“, wie Danger Dan schon sang. Eindringlich verbildlicht Regisseur Graf den Nährboden, die dem NS-Regime damals zum Wachsen angedeihte: Eine komplexer werdende Welt, Technisierung und damit verbundene Arbeitslosigkeit und eine intellektuelle Elite, die sich entweder in den Eskapismus in den Speakessays oder, wie im Fall von Labude, in das Erstellen realitätsferner Dissertationen flüchtet, während auf den Straßen die Hakenkreuze aus dem Boden sprießen. Grafs größte Leistung dürfte sein, all dies nicht als Historizität abzutun, sondern stets mahnende Brücken in die Gegenwart zu schlagen. 1930 ist hier auch immer irgendwo 2020, nicht ganz so radikal wie in Christian Petzolds TRANSIT, sondern spielerischer. Da fahren gerne mal moderne Autos durch die Weimarer Republik, die Kamera scheint eher aus der frühen Phase eines Godards entwachsen zu sein (besonders AUSSER ATEM mit seine Adrenalin geladenen Jumpcuts drängt sich des Öfteren als Referenz auf) und wechselt unverblümt ins YouTube-esque essayische, mit Split-Screen und allem Pipapo.

Fabian (Tom Schilling) und Irene Moll (Meret Becker) // © Lupa Film_Hanno Lentz DCM

Die Unsicherheit jener Zeit, aber auch das spielerisch-eskapistische, das jene Zeit seinen Bürger:innnen geboten haben muss, übertragt sich so perfekt auf die Zuschauer:innen. Wo Kästner in seinem Roman vor Allem die Willkürlichkeit der Gegenwart und die Ohnmacht des Individuums gegen eben jene, aber auch die Ohnmacht des Romanprotagonisten gegen den Autor an sich demonstrierte, bringt Graf die episodenhafte Handlung der Vorlage in eine etwas nachvollziehbarere Reihenfolge, indem er Ereignisse geschickt anders verknüpft als noch Kästner. Das Ergebnis: Obwohl FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE auf der einen Seite eine der treusten Adaptionen überhaupt ist (selbst Vor- und Nachworte der verschiedenen Ausgaben hat Graf irgendwie im filmischen Text untergebracht), wirkt hier tatsächlich alles ein bisschen schlüssiger als im literarischen Text. Und am interessantesten: Wo Kästner seinen Fabian im Verlaufe des Romans immer weiter in die Fänge der Nazis treibt, was darin gipfelt, dass eben jener kurz vor Ende des Romans aus monetären Zwängen eine Anstellung bei einer rechten Zeitung annimmt, inszeniert Graf ihn als utopisch Außenstehenden, als Zyniker zwar, aber nicht als Kollaborateur. Diese hinzugewonnene Integrität der Hauptfigur mag der Geschichte ein wenig die praktische Veranschaulichung der „Naziverführung“ nehmen, sorgt andererseits aber auch für eine etwas positivere Hauptfigur, wodurch die Zuschauer:innen von ihrer Tragödie nicht nur intellektuell, sondern auch emotional berührt werden.

Fabian (Tom Schilling) © Lupa Film, Hanno Lentz, DCM

Nebst der herausragenden Inszenierung sind es auch die Darsteller:innen, die aus FABIAN solch ein Meisterstück machen. Albrecht Schuch hat ja gerade einen echten Lauf, was großartige Rollen angeht (SYSTEMSPRENGER, BERLIN ALEXANDERPLATZ) und empfiehlt sich erneut als einer der verlässlichsten Darsteller seiner Generation, was das schauspielerische Können angeht. Saskia Rosendahl spielt ohne Probleme die etwas naive Cornelia, verhebt sich aber etwas daran, ihre Figur in der zweiten Hälfte der Geschichte zur zusehends berechnenden Karrieristin zu machen. Was aber gar nicht mal so schlimm ist, da in der filmischen Version die Liebesgeschichte zwischen Cornelia und Fabian um eine ganze Spur romantischer gerät als in der zynischen Romanvorlage. Aber die Paraderolle gebührt Tom Schilling als Fabian, der den Film mühelos auf seinen Schultern trägt. Das ist auch nicht verwunderlich, schließlich hat er Variationen dieser Figur bereits in OH BOY, TOD DEN HIPPIES oder WERK OHNE AUTOR gespielt. In der Figur des Fabians kulminieren diese vorherigen Darstellungen und bringen den Rollenarchetypus des salingerschen Suchenden jungen Manns zum fulminanten Höhepunkt.

Mit 68 Jahren dreht Dominik Graf freshere und stilistisch mutigere Filme als so mancher oder manche Nachwuchsregisseur:in. FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE ist eine cineastische Wundertüte, ein Beweis für die Qualität des deutschen Films und für die Kraft des Films an sich, uns unsere Gegenwart im zelluloidschen Spiegel zu zeigen. Ein Meisterwerk.

© Fynn

Titel, Cast und CrewFabian oder Der Gang vor die Hunde (2021)
Poster
RegisseurDominik Graf
ReleaseKinostart: 05.08.2021
ab dem 10.01.2021 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungTom Schilling (Dr. Jakob Fabian)
Saskia Rosendah (Cornelia Battenberg)
Albrecht Schuch (Stephan Labude)
Meret Becker (Irene Moll)
Lena Baader (Selow)
Eva Medusa Gühne (Witwe Hohlfeld)
Catalina Navarro Kirner (Frau Menasse)
Petra Kalkutschke (Mutter Fabian)
Caroline Adam Bay (Sängerin)
Brian Völkner (Kollege Fischer)
Sascha Maaz (Caligula)
DrehbuchDominik Graf
Constantin Lieb
basiert auf dem Roman FABIAN. DIE GESCHICHTE EINES MORALISTEN von Erich Kästner
FilmmusikFlorian van Volxem
Sven Rossenbach
KameraHanno Lentz
SchnittClaudia Wolscht
Filmlänge178 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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