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© Pandora Film / NEOPA, Fictive

Evil Does Not Exist (2023) – Filmkritik

„Naturpoesie“

Während der Planet unter unseren Füßen regelrecht wegschmilzt, beginnt in wenigen Teilen der Gesellschaft die Suche nach der Verbundenheit zur Natur. Wir beginnen unsere gesellschaftlichen Formen und Lebensgrundlagen zu hinterfragen. Wenn man als Stadtmensch einmal die Natur durchstreift, ausschließlich den Geräuschen der Tiere, der Pflanzen und des Wetters lauscht, spürt man tief in sich drinnen, dass man eben nicht aus der Kultur, sondern aus der Natur stammt. Der Mensch verbrachte in seiner Evolution mehr Zeit in der ungeschützten Außenwelt als zwischen dem Glas, Stahl und Beton der Metropolen. EVIL DOES NOT EXIST nutzt die Diskrepanz Stadt-Land als Drehbuchgrundlage, erzählt aber noch viel mehr und weiß uns mit seinem Ende in Interpretationslaune zu versetzen.

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Handlung

In der ländlichen Gemeinde Mizubiki leben die Bewohner im Einklang mit der Natur. Vater Takumi (Hitoshi Omika) führt mit seiner Tochter Hana (Ryo Nishikawa) ein einfaches Leben mitten im winterlichen Wald. Doch für die Einwohner steht eine Veränderung an. Eine Agentur will in ein paar Monaten eine sogenannte Glamping-Anlage für knapp 100 Besucher betreiben. Glamping setzt sich aus den Worten Glamourös und Camping zusammen. Bei der Vorstellung des Konzepts im Gemeindesaal gibt es starken Widerstand. Bedenken über die Verschmutzung des Grundwassers wie auch des Standorts, an dem reger Wildwechsel herrscht, werden aufgeführt. Die Repräsentanten der Kapitalgeber machen diese Präsentation aber nicht hauptberuflich, eigentlich arbeiten sie in einer Künstleragentur. Für Mayuzumi (Ayaka Shibutani) und Takahashi (Ryuji Kosaka) hat die naturbelassene Umgebung und die Einwände der Dorfbewohner einen starken Einfluss auf ihren Lebenssinn.

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Im Einklang mit der Natur

Für uns ist vieles selbstverständlich, was vor 100 Jahren noch unmöglich erschien. Wenn wir morgens aufwachen, ist jeder Raum in unserem Zuhause warm. Wasser und Strom ist ohne Einschränkungen immer verfügbar. Wir können schnell von einem Ort zum nächsten reisen. Diese Annehmlichkeiten der Infrastruktur haben natürlich ihren Preis: Wir geben unsere Lebenszeit für Erwerbstätigkeiten her, um diesen Wohlstand bezahlen zu können. Aber auch die Natur und die Ressourcen dieses Planeten leiden unter dem unverhältnismäßigen Verbrauch. EVIL DOES NOT EXIST von Ryūsuke Hamaguchi setzt sein Publikum erst einmal mit einer langen, meditativen Kamerafahrt durch Baumwipfel auf Werkseinstellung zurück. Alles braucht eben seine Zeit wie zum Beispiel Holz hacken, um es warm zu haben und Essen zu kochen. Das örtliche Restaurant, welches seine Udon-Nudeln nur mit Quellwasser kocht, schöpft Takumi mühsam mit einer Kelle aus einem kleinen Bach und füllt es in Kanister. Arbeit ist hier keine Qual mit der Hoffnung auf Konsum, sondern gehört zur Lebensgrundlage. Das Ergebnis ist Konzentration, Ruhe und Naturverbundenheit. Die Kameraführung mit ihren Einstellungen verströmen förmlich die klare Luft eines kalten, sonnigen Wintertages. Die Entdeckung von wildem Wasabi kann gleich das Restaurant-Menü bereichern und Hana, die auf dem Heimweg nach Hause streift, lernt die ökologischen Zusammenhänge kennen.

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Die Figuren in diesem ruhigen Gesellschaftsportrait folgen der bewiesenen These von Rutger Bregmans Buch „Im Grunde gut“, dass wir Menschen besser sind, als wir denken. Der Filmtitel deutet darauf hin. EVIL DOES NOT EXIST stellt keinen einseitigen Konflikt aus Land- und Stadtmenschen vor, sondern begibt sich auf Erkenntnisreise der Charaktere. Bei Takumi und Hana wird ein Verlust verarbeitet. Mayuzumi und Takahashi aus der Stadt zeigen in einer langen Autofahrtszenen, wie unglücklich sie mit ihrem Leben in Tokio sind, welche seelischen Verletzungen sie erlitten haben und wie einsam sie sind. Da kann die Freude am Holz hacken schnell die Weltsicht ändern (Ich kann es selbst jeder Leserin und jedem Leser an dieser Stelle empfehlen.) Es findet ein sehr behutsames Kennenlernen dieser verschiedenen Weltansichten statt, die durch die japanische Zurückgezogenheit und das kauzige Verhalten der Hauptfigur nicht gerade schnell vorangeht. Die Ruhe eines einfachen Alltages in einem minimalistischen Leben strahlt dieser Film förmlich auf uns ab, so dass man unweigerlich denken muss: Es fehlt etwas – oder viel mehr, es sind manche Dinge zu viel in unserem Leben.

© Pandora Film / NEOPA, Fictive

Konzept

Es ist eine klare Handlung erkennbar, jedoch finden keine narrativen Schnörkel wie Zeitsprünge oder parallele Handlungsebenen statt. Das Einzige, was von der geradlinigen Erzählweise abweicht, ist eine Traum von Hana. Der Regisseur setzt nicht auf bildliche oder erzählerische Überraschungsmomente, sondern lässt diese allein akustisch erklingen. Das liegt am Konzept des Films. Ursprünglich sollte Videomaterial für eine Live-Performance der Musikerin Eiko Ishibashi erstellt werden. Jedoch entwickelte das Projekt eine Eigendynamik. Das ging sogar so weit, dass der Hauptdarsteller eigentlich „nur“ der Fahrer des Produktionsteams war. Nachdem der Kameramann Yoshio Kitagawa und Regisseur Ryūsuke ihn immer wieder als Stand-in-Double nutzen, war er irgendwann nicht mehr wegzudenken. Es sollte nur Videomaterial entstehen, deswegen gab es auch kein Drehbuch und somit wurde stets improvisiert. In manchen langen Einstellungen ist erkennbar, welch schönen Momente dabei entstanden sind und welche Liebe der Regisseurs zum Theater hat – siehe auch DRIVE MY CAR. Deswegen ist EVIL DOES NOT EXIST ein klarer Kunstfilm, der aber von jedem genossen werden kann, ob mit Kunststudium oder ohne. Denn hier liegen keine kreativen Konzepte vor, sondern es ist vielmehr ein Streifzug durch die Schönheit der belassenen japanischen Natur und der bewussten Verantwortung dafür. Zusammen mit der wundervollen Musik von Eiko Ishibashi genießt man jede Minute davon. Diese Kooperation von Ishibashi und Ryūsuke hat sich auch in dem Film GIFT niedergeschlagen, den man nur mit Live-Performance von Eiko Ishibashi sehen kann. In beiden Filmen werden ähnliche Szenen benutzt, jedoch aus unterschiedlichen Takes und es soll eine andere Struktur geben.

Fazit

In unserer schnelllebigen Zeit, in der wir Informationen in Sekundenbruchteilen verarbeiten müssen und im emotionalen Dauerfeuer stehen, ist EVIL DOES NOT EXIST etwas wunderbar Heilsames. Wer da draußen gestresst ist und keinen Zugang zur Natur hat, ich stelle hiermit ein seelisches Gesundheits-Filmrezept aus.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewEvil Does Not Exist (2023)
OT: Aku wa sonzai shinai
Poster
ReleaseKinostart: 18.04.2024
RegisseurRyūsuke Hamaguchi
Trailer
BesetzungHidetoshi Nishijima (Yūsuke Kafuku)
Tōko Miura (Misaki Watari)
Masaki Okada (Kōji Takatsuki)
Reika Kirishima (Oto, Kafukus Ehefrau)
DrehbuchRyūsuke Hamaguchi
KameraYoshio Kitagawa
MusikEiko Ishibashi
SchnittAzusa Yamazaki
Ryūsuke Hamaguchi
Filmlänge106 Minuten
FSKab 12 Jahren

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