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Es ist schwer, ein Gott zu sein (2013) – Filmkritik

Prolog

In seinem letzten Spielfilm katapultiert uns Alexei Jurjewitsch German in einen mittelalterlichen Menschenbrei aus meterhohem Schlamm, Abfällen, Innereien und Exkrementen. Insgesamt 13 Jahre dauerte die Produktion dieses bildgewaltigen Kunstwerks auf Leinwand, dessen Vollendung der russische Regisseur nicht mehr erleben durfte. Von der internationalen Kritik wurde sein Film sehr treffend als Filmmonster bezeichnet. ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN (2000 – 2013) ist zu gleichen Teilen eine visuelle Offenbarung, wie auch eine zutiefst verstörende Provokation gegen alle Sinne unseres Körpers. Hin- und hergerissen zwischen atemloser Bewunderung und angewidertem Fluchtreflex durchleiden wir eine schwer entschlüsselbare Geschichte über Macht, Verantwortung und die abgründige Natur des Menschen. Der Film bohrt sich mit einer solchen Wucht in unser Sehzentrum, dass es weh tut. Wer dieses dreistündige Martyrium übersteht, wird lange damit zu tun haben, seine filmische Seele vom porentiefen Schmutz zu reinigen. Doch nach einiger Zeit überkommt einen immer mehr ein Gefühl unendlicher Dankbarkeit. Eine Dankbarkeit, kein Kind des Mittelalters zu sein. So erhalten wir am Ende Trost von der eigenen Gegenwart, egal wie schlimm sie auch immer zu sein scheint. Schlimmer als die Welt dieses filmischen Ungeheuers wird sie niemals sein können. Oder doch?

© Bildstörung

Wie eine freie Jazzimprovisation folgt der Film grob der Handlung des 1964 veröffentlichten, utopischen Science-Fiction-Romans ES IST NICHT LEICHT, EIN GOTT ZU SEIN des russischen Autorenduos Arkadi und Boris Strugazki.

Die Romanvorlage

Die Ausgangssituation des Romans spielt weit in der Zukunft des dritten Jahrtausends. Die Menschheit hat eine höhere Entwicklungsstufe erreicht. Frei von Emotionen basiert ihr Leben auf Rationalität und Logik. Auf einem weit entfernten Planeten wurde eine menschenähnliche Zivilisation entdeckt. Diese ähnelt in ihrem Entwicklungsstand der Gesellschaft unseres Mittelalters. Um diese zu erforschen, entsenden sie mehrere Wissenschaftler. Als Adlige getarnt, sollen sie mit Hilfe versteckter Kameras das dortige Leben studieren, ohne in die Geschehnisse einzugreifen. Einer von ihnen ist Anton, der mit einer implantierten Augenkamera als Don Rumata tief in die archaische Gesellschaft des Königreichs Arkanar eintaucht. Obwohl er jegliche Hilfsmittel seiner eigenen Welt ablehnt, genießt er dort dennoch gottähnliche Bewunderung. Aber eine aufkommende Kulturrevolution provoziert ihn, seine rein beobachtende Deckung zu verlassen. Ein sich immer weiter etablierender Überwachungsstaat hat es auf Gelehrte und Künstler abgesehen.

© Bildstörung

Da Anton die kulturelle Entwicklung „seiner“ Zeit gefährdet sieht, versucht er so viele „seiner Leute“ in einer Festung zu verstecken. Gleichzeitig bemüht er sich, die Geisteshaltung der Aufklärung zu verbreiten, ohne selbst als Anführer in Erscheinung treten zu müssen. Dennoch beschwört er gerade dadurch unausweichlich einen blutigen Konflikt herauf. Zu schlechter Letzt muss er seine Zurückhaltung aufgeben und wird selbst zum mordenden Schlächter. Am Ende stellt sich die Frage, ob nicht Anton selbst das Objekt der Beobachtung geworden ist. Hat er dadurch bewiesen, dass wir als Menschheit nicht in der Lage sind, unsere Urinstinkte zu überwinden?

Der Roman stellt somit philosophische Fragen nach, der sich scheinbar im Kreis drehenden Natur des Menschen.

Die Verfilmung

Versuchte die eher enttäuschende Erstverfilmung von 1990 (Deutschland, Frankreich, UDSSR) der literarischen Vorlage noch weitestgehend zu folgen, geht German mit seiner Version einen anderen Weg. Er konzentriert sich ganz auf das unmittelbare Erleben. Das Erleben einer mitleidlosen Verbindung von Leben und Tod. Die Handlung des Romans dient ihm hierbei als löchriger Handlungsteppich für sein Kino der Grausamkeit. In Anlehnung an das unmittelbare Theater eines Antonin Artaud (französischer Theaterrevolutionär), zerstört er die Grenze der Leinwand und alle Stützen eines klassisch geschriebenen Drehbuchs. Lediglich vereinzelte Off-Texte vermitteln uns grobe Orientierungspunkte für seinen völlig enthemmten Handlungsreigen. Dieser erläutert uns grob, dass wir uns auf einem entfernten Planeten befinden. Die Gesellschaft der Zukunft sehen wir genau so wenig wie Raumschiffe und futuristische Errungenschaften. Wir landen direkt am Ort des Geschehens.

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Unfassbare Bilder

In fesselnden Schwarzweißbildern werden wir in die mittelalterliche Szenerie eines menschlichen Fegefeuers geflogen. Die Kamera (Wladimir Iljin, Juri Klimenko) schwebt in eine Welt, die sich nicht zwischen winterlichem Weiß und tropischem Dauerregen zu entscheiden weiß. Die Kraft dieser ersten Bilder ist atemberaubend und zitiert souverän Andrei Tarkowskis Meisterwerk ANDREJ RUBELJOW (1966). Erweitert um eine Mischung aus schroffem Pasolini-Realismus, Blade-Runner-Optik und Terry-Gilliam-Ästhetik durchstreifen wir eine Welt, in der wir keine zehn Minuten überleben würden. Hier wird wahllos gequält, gemordet und in himmelschreiendem Dreck gewatet. Dabei sind wir so unmittelbar im Geschehen, dass wir diese fremdartige Welt förmlich riechen können. Wer immer für die Einführung von Geruchskino plädiert hat, wird hier vor Dankbarkeit die eigene Nase küssen. Und doch haben wir das Gefühl, dass wir durch die Kraft der Bilder das Gesehene förmlich einatmen.

© Bildstörung

Die hyperrealistischen Sets, die Kostüme, das Make-Up, sowie die Auswahl von Darstellern mit realen, körperlichen Einschränkungen, hämmern sich wie stakkatohafte Tiefschläge in unser Sehzentrum und verteilen sich von dort tief in unseren Eingeweiden. Die rastlose Kamera mäandriert sich auf Augenhöhe durch schlammdurchtränkte Gassen, erfrierende Burgmauern, schwitzende Gewölbe und vor Fäulnis dampfende Menschleiber. Dabei etabliert die Inszenierung früh einen brechtschen Verfremdungseffekt durch ständige Blicke der Figuren in die sie hautnah verfolgende Kamera. Dies suggeriert anfänglich noch das Kameraauge der Romanfigur Anton. Doch spätestens, wenn die Hauptfigur (Leonid Jarmolni) von ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN verkatert zwischen Essensresten in seiner Kammer erwacht, ist klar, dass nicht er, sondern wir, die Zuschauer dieses Films, durch diese eingepflanzte Kamera blicken. Doch wir beobachten nicht, wir durchleben.

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Free Jazz im Mittelalter

So durchleben wir direkt eine Improvisation auf einem saxophonähnlichen Blasinstrument, die Don Rumata seinen Untergebenen in die Gehörgänge presst. Dies verursacht nicht nur bei den Figuren körperliche Schmerzen. Mit dieser Szene etabliert ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN seine Struktur: freie Improvisation über eine klassische Vorlage. Wer diese nicht kennt, geht spätestens nach einer halben Stunde orientierungslos im distanzlosen Nahkampf menschlicher Körper verloren. Der Morast der Bilder lässt sämtliche Figuren zu einer Art menschlicher Ursuppe verschmelzen. Zwar werden immer wieder Namen und Geschehnisse genannt, diese bewahren uns aber nicht davor, offenen Auges durch diese Kakophonie der Bilder zu irren. Die schiere Flut an unterschiedlichen, ständig vor sich hinrotzenden Figuren bewirkt, dass wir sie, einschließlich der Hauptfigur, nur noch als fleischliche Masse in Bewegung wahrnehmen können.

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Die Inszenierung

Das Spiel der Darsteller wirkt wie enthemmtes Impro-Theater auf halluzinogen Pilzen. Der Ablauf der Handlung gebärdet sich wie endloses Einstimmen eines großen Orchesters vor dem ersten Takt. German scheint uns mit sämtlichen Reaktionen der menschlichen Natur konfrontieren zu wollen. Und das gleichzeitig, unmittelbar und ohne jede Schonung. Was er damit bezweckt, kann sich erst Stunden nach dem Durchleben dieser Zelluloid-Explosion nach und nach entfalten. Was das am Ende ist, muss am Ende jeder für sich selbst entscheiden.

In endlos scheinenden Plansequenzen irren wir durch diesen Parcours der Grausamkeiten, ohne auch nur eine in sich stimmige Handlung nachvollziehen zu können. Dialoge zerfallen in kaum verständliche Sprachfetzen, Kampfhandlungen kommen aus dem Nichts, werden aber dann lediglich auf ihr blutiges Endergebnis reduziert. Obwohl wir nie den Eindruck haben auch nur eine Sekunde zu verpassen, scheint die Kamera bewusst die Momente wegzuschwenken, die uns einen letzten Halt an Orientierung geben könnten. Am Ende müssen wir uns dem Gesehenen geschlagen geben. Das Vergangene ist genauso unverständlich, wie jede Form menschlichen Handelns. Da werden von jetzt auf gleich Augenpaare aus Köpfen gerissen, alte Männer in Scheiße ertränkt und Gehängte mit Fischschuppen übergossen. Und mittendrin eine Hauptfigur, die dieser Anarchie der Abläufe wie ein Fähnlein im Winde zu folgen scheint. Eine Identifikation ist dadurch unmöglich. Doch was genau ist die Mission der Figur?

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Die Mission

Deutet der Erzähler noch an, dass es ihm, um die Bewahrung von Wissenschaft und Kunst gehe, fragt man sich die ganze Zeit, von welcher Kunst er da zu sprechen scheint. Außer einem verblassenden Fresko auf bröckelndem Burggemäuer und einer literarischen Schriftseite, die in einem Haufen menschlicher Ausscheidungen versunken sein soll, sehen wir hier nichts Schützenswertes. Andrei Tarkowski offenbarte uns in seiner Ode auf den russischen Ikonenmaler Rubljow, nach fast drei Stunden Schwarz-Weiß, am Ende dessen Werke in goldener Farbenpracht. German verweilt dagegen wie ein trotziger Junge im einmal gewählten Farbschema. Nichts deutet auf eine bewahrenswerte Schönheit hin. Will er uns am Ende genau das vermitteln? Hat Kunst am Ende keinen Bestand, wenn der Mensch bloß überleben will? In der letzten Einstellung von ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN fragt ein Bauer seine Tochter, wie ihr die Musik des davonreitenden Don Reba mit seinem Saxophon gefallen würde. Ihr Kommentar ist zu gleichen Teilen komisch wie böse:

„Davon bekomme ich Bauchschmerzen.“

Also bewirkt Kunst am Ende nur den meterhohen Durchfall an den Burgmauern unserer abendländischen Kultur? Brutaler kann man das eigene Handwerk nicht beurteilen.

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Doch warum das alles?

Muss Kino immer einfach sein? Ist Kino nicht der Ort, an dem etwas entsteht, was wir nicht erklären müssen? Ein Ort mit einer tiefergehenden Wahrheit, sei sie auch noch so schwer zu ertragen? Dies ist kein Unterhaltungsfilm, sondern Kunst als Schlüssel zu unseren Wurzeln. Wurzeln, die weit über das Mittelalter hinausreichen.

Was bleibt?

Neben unzähligen, schmerzverzerrten Fragezeichen hinterlässt ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN Bilder, die wir so schnell nicht wieder vergessen werden. Bilder zwischen ernüchternder Realität und befremdlicher Poesie. Eine Art Maschinenwagen durchkreuzt eine Nebelwand. Auf ihr ein Mann mit einem gitarrenähnlichen Instrument, welches er wie ein Heavy Metal Hero bearbeitet. Ein Bild, welches wir sofort in George Millers MAD MAX: FURY ROAD wiedererkennen wollen.

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Die Intention dieses Filmmartyriums kann am Ende nur eine katharsische Grundreinigung sein. Durch eine filmische Grenzerfahrung zu einem neuen Blick auf uns selbst? Eine Befreiung, um unser, aktuell als unzumutbar, empfundenes Schicksal neu bewerten zu können?

Die Blu-ray

Die Veröffentlichung von ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN durch Bildstörung beschränkt sich auf die russische Originalversion mit deutschen Untertiteln im satten 1,66:1, 1080/24p-Format. Extras fehlen hier leider komplett. Wer also mehr über dieses ungewöhnliche Filmjuwel erfahren möchte, sollte Russisch können. Denn leider beschränkt sich nahezu alles Wissenswertes um diese Mammutproduktion auf kyrillische Quellen. Hier wäre ein bisschen mehr, tatsächlich mehr gewesen: ein Mehr an Hintergrundwissen.

© Bildstörung

Fazit

ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN ist alles andere als ein Vergnügen. Eher eine herausfordernde Tortur für die Sehnerven. Doch warum sollte man sich dieses Werk, zumindest im Schnelldurchlauf, dennoch einmal geben? In kaum einem anderen Film wird einem eine mittelalterliche Welt so ungefiltert in die Augäpfel gerammt. Einzelne Szenen müssten Standartmaterial für jeden Geschichtsunterricht in Schulen und Unis werden. Diese Welt hat nichts mit Helden in Strumpfhosen aus Hollywood zu tun. Dies ist die Welt unserer Vorfahren.

Darüber hinaus zeigt uns dieser Film eine Sache überdeutlich: ein paar Wochen auf Abstand zu gehen, war in dieser Welt unmöglich. In unserer zivilisierten Welt haben wir die Möglichkeit, uns durch einfachstes Grundverhalten vor aktuellen Corona-Viren zu schützen.

Es ist schwer, ein Gott zu sein – doch leicht, ein Mensch mit Verstand zu bleiben.

© Andreas Ullrich

Titel, Cast und CrewEs ist schwer, ein Gott zu sein (2013)
OT: Trudno byt bogom
Poster
Releaseab dem 27.11.2015 auf Blu-ray und DVD erhältlich

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RegisseurAleksei German
Trailer
BesetzungLeonid Yarmolnik (Don Rumata)
Aleksandr Chutko (Don Reba)
Yuriy Tsurilo (Baron Pampa)
Evgeniy Gerchakov (Budakh)
Valentin Golubenko (Arata)
Leonid Timtsunik (Arima)
DrehbuchA.I. Bezzerides
BuchvorlageNach dem Roman ES IST NICHT LEICHT, EIN GOTT ZU SEIN von Arkadi und Boris Strugazki
KameraVladimir Ilin
Yuriy Klimenko
FilmmusikViktor Lebedev
SchnittIrina Gorokhovskaya
Filmlänge177 Minuten
FSKab 16 Jahren

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