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Es geschah in einer Nacht (1934) – Filmkritik

Dieses Mal bewegen wir uns weit in die Vergangenheit zurück. Dank meiner Filmchallenge alle Filme sehen zu wollen, die Martin Scorsese geprägt haben, landete dieser Klassiker im Blu-ray-Player. Abgesehen von manch unscharfen Rückwandprojektionen, sieht ES GESCHAH IN EINER NACHT erstaunlich frisch aus, was auch der zweiten Synchronisation von 1979 zu verdanken ist. Clark Gable wird zum Beispiel von Norbert Langer (Burt Reynolds, Tom Selleck) gesprochen. Eigentlich empfehlen wir meist die Original-Versionen, aber hier funkt es nicht nur zwischen den beiden Hauptdarstellern, sondern auch in der Synchronisationsregie. Nicht so frisch ist die Behandlung der einzigen Frau im Film: Die verwöhnte Elli Andrews, die sehr von oben herab und nicht wirklich als Erwachsene gezeigt wird. Aber selbst Scorsese bemerkte, dass er den Film beim ersten Mal nicht mochte, bis ihm, bei einem weiteren Sehen auf der großen Leinwand, die Harmonie vor allem in der Körpersprache der beiden Hauptdarsteller auffiel. Dieses perfekte Zusammenspiel ist auch das große Highlight von Frank Capras erfolgreicher und mit fünf Oscars vergoldeten Screwball-Komödie.

© Sony Pictures Home Entertainment

Handlung

Was macht man als rebellische Millionärstochter? Man heiratet einfach jemanden, den der eigene Vater nicht ausstehen kann. Gesagt, getan und Ellen Andrews (Claudette Colbert) heiratet den Vorzeigejunggesellen King Westley (Jameson Thomas). Mit Vater Alexander Andrews (Walter Connolly) gibt es natürlich einen Riesenkrach und nach einer Ohrfeige desselbigen, springt Ellie kurzerhand von der herrschaftlichen Yacht und flieht an die Küste. Sie will nach New York in die Arme ihres frisch Angetrauten. Als verwöhnte Tochter ist es mit der Selbstständigkeit jedoch weit her. Sie steigt mit ein paar Dollar in der Tasche in den Bus, um eine tagelange Fahrt auf sich zu nehmen. In der letzten Sitzreihe trifft sie auf den kürzlich gefeuerten Reporter Peter Warne (Clark Gable), der ihr im normalen Leben etwas unter die Arme greifen will, aber stehts seinen Groll gegenüber der reichen Elite zum Ausdruck bringt. Nachdem Vater Andrews per Detektiv und groß angelegtem Medienrummel nach seiner Tochter suchen lässt, wittert Peter die große Story und sein Comeback in die journalistische Zunft. Aber sein schlechtes Gewissen kommt nicht nur aus moralischen Gründen zum Vorschein, sondern auch der Liebe wegen. Ein verrückter Roadtrip quer durch Amerika nimmt seinen Lauf.

© Sony Pictures Home Entertainment

In vielen Bereichen legendär

Der Erfolg von ES GESCHAH IN EINER NACHT öffnete dem Regisseur Frank Capra alle Türen in Hollywood. So eine schnelle, mit Dialogen pointierte Liebesgeschichte hatte das Publikum noch nicht gesehen. Die sogenannte Screwball-Komödie war geboren. Sie zeichnet sich durch besonders exzentrische Charaktere aus, die wegen ihrem spleenigen Auftreten in jede Menge verrückte Situationen geraten. Die Liebe spielt stets eine wichtige Rolle in diesem Subgenre. ES GESCHAH IN EINER NACHT ist über die Jahre zur Blaupause der Screwball-Komödien gewachsen. Allein die beiden Hauptfiguren können nicht ungewöhnlicher sein. Reporter Peter Warn schafft es im Nu sich eine packende Geschichte auszudenken und seine Vorurteile als die große Wahrheit zu verkaufen – nicht gerade die Eigenschaften eines objektiven Journalisten. Frisch gefeuert und sternhagelvoll steigt er zu Beginn in den Bus und diese Geschichte.

Aber auch Ellen Andrews als reiche Tochter, die sich kaum vorstellen kann, dass der Linienbus nicht auf sie wartet und gern ihr letztes Geld für Pralinen ausgibt, ist für die 1930er-Jahre ein unkonventioneller Charakter. Diese beiden sturen Persönlichkeiten quetscht das Drehbuch wortwörtlich auf die letzte Reihe im Reisebus. Die Fahrt bringt sie zusammen, obwohl sie sich auf einen oberflächlichen Blick nicht ausstehen können. Wir als Zuschauer sehen bereits, dass sich beide ineinander verliebt haben, ohne es zu wissen und die erste Nacht als Passagiere, die Ellie schlafend auf Peters Schulter verbringt, zeigt wie sehr sie einander vertrauen. Der Rest ist großes Hollywood voller Zufälle, Einfälle und Missverständnisse. Es ist ein gewaltiger Kraftakt, aber am Ende wird die „Mauer von Jericho“ fallen, was übrigens die plakativste Metapher für Sex, bzw. das erste Mal für Ellie, in der damaligen Zeit im Kino sein konnte. Das Ende verursachte in den Lichtspielhäusern damals sicher einige verwegene Schmunzler. „Wer braucht schon für die Hochzeitsnacht ein Seil, eine Decke und eine Trompete?“

© Sony Pictures Home Entertainment

Rollenklischee

In den Dialogen, die salvenartig das Mundwerk der beiden Akteure verlassen, finden sich vom heutigen, aufgeklärten Standpunkt ein paar unangenehme Momente. Zum einen wird Ellie von Peter stark bevormundet, wie ein Kind behandelt und kaum in die Entscheidungen der Flucht eingebunden. Peter ist ein Klugscheißer, der immer auch Mal auf die Nase fliegt, wie mit seinen Tipps fürs Trampen, aber insgesamt alles sehr an sich reißt. Das Motelzimmer wird ohne große Rücksprache gebucht, er zahlt und sie verlassen den Bus auf seinen Befehl. Das verstärkt noch mehr die schlechte Selbständigkeit der weiblichen Hauptfigur. So verwöhnt, wie uns die Geschichte glauben lassen will, ist Ellie gar nicht. Nur weil sie nicht weiß, dass Pralinen keine Mahlzeit für die kleine Haushaltskasse sind, sie sich ihren Koffer stehlen lässt und von besetzen Duschen noch nie etwas gehört hat, heißt das nicht, dass sie nicht clever oder selbstständig sein kann. Bei einer arg widerlichen Anmache eines Mitreisenden gibt sie gut Kontra, kann aber nur entfliehen als sich Peter als ihr Ehemann ausgibt. Das Gefühl kommt auf, dass ihre betuchte Erziehung als Lacher für die „einfachen“ Leute herhalten soll.

© Sony Pictures Home Entertainment

Dennoch, die Chemie zwischen Clark Gable und Claudette Colbert ist feinste Filmmagie in Schwarzweiß. Legendär ist die Besetzungsscharade im Vorfeld der Produktion, was zu diesem glücklichen Zufall führte. Die beste Szene zwischen beiden ist, wenn wieder einmal jemand in ihr Motelzimmer stürmt – Privatsphäre scheint es nicht zu geben – und beide eine theaterreife Vorstellung eines verheirateten Ehepaars geben. Beide spielen hingebungsvoll ihre selbstgewählten Klischees aus. Das Tempo ist so enorm, dass man aus dem Schmunzeln nicht mehr rauskommt und die Störenfriede im Motelzimmer gar nicht anders können, als beschämt den Raum zu verlassen.

© Sony Pictures Home Entertainment

Fazit

Der Klassiker fällt definitiv unter die Kategorie, muss man gesehen haben, vor allem weil ES GESCHAH IN EINER NACHT die Urversion der lockeren intellektuellen Liebeskomödie darstellt. Über die maskuline Bevormundung kann man heute nicht mehr hinwegsehen und auch die aufkeimende Liebe zwischen beiden Figuren scheint vom Drehbuch sehr erzwungen. Aber das ist doch ein gutes Zeichen, dass sich unser Bewusstsein und unsere Sensibilität für solche Situationen weiterentwickelt hat. Es geht so weit, dass man Claudette Colbert heute sogar schon aus den Händen von Clark Gable entführen will. Machen wir aber nicht, Ellie ist heute eine selbstständige Frau und das ist gut so.

© Christoph Müller

Gesehen im Zuge meiner Filmchallenge #FLUXScorseseMasterclass

Ich hatte die Freude mit Patrick Torma beim Journalistenfilme-Podcast über den Film zu sprechen.

 

Titel, Cast und CrewEs geschah in einer Nacht (1934)
OT: It Happened One Night
Poster
Releaseseit dem 08.10.2015 auf Blu-ray erhältlich.

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RegisseurFrank Capra
Trailer

Englisch
BesetzungClark Gable (Peter Warne)
Claudette Colbert (Ellen „Ellie“ Andrews)
Walter Connolly (Alexander Andrews)
Roscoe Karns (Oscar Shapeley)
Jameson Thomas (King Westley)
Alan Hale: Danker (Autofahrer)
Charles C. Wilson (Joe Gordon)
Arthur Hoyt: Zeke (Motelbesitzer)
Blanche Friderici (Zekes Frau)
Bess Flowers (Agnes, Joes Sekretärin)
DrehbuchRobert Riskin
VorlageBasiert auf der Kurzgeschichte "Night Bus" von Samuel Hopkins Adams.
KameraJoseph Walker
MusikFrank Churchill
Louis Silvers
SchnittGene Havlick
Filmlänge105 Minuten
FSKab 0 Jahren

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