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Eric Clapton: Life in 12 Bars (2017) – Filmkritik

„Blues als Lebenstherapie“

Mein persönlicher Bezug zum Schaffen von Eric Clapton könnte allein mehrere spannende Seiten füllen. Als Mann, der nicht zeitgemäß mit seiner Musik aufgewachsen ist, doch ungebrochen seit 17 Jahren all seine Aufnahmen auf CD und Schallplatte wie ein Schwamm aufsaugt, liebe ich Claptons Werk seit meiner Jugend. Ich liebe es, wie ich vielleicht noch jenes von Santana, Led Zeppelin oder einer Handvoll 1970er Prog-Rock-Ästheten liebe. Claptons Musik sprüht vor Leben und Emotion: vor heftig pochenden Herzschlagtönen (etwa mit Cream), auch vor soft-sonoren Rockballaden, doch reflektiert seine Musik stets Trauer und Bewältigung und bleibt somit – auch in den weniger spektakulären Songs – ganz und gar dem Blues verschrieben.

Eric Clapton and BB King // © Getty Images

Der Blues

Den Blues hat man oder man hat ihn nicht. Jim Morrison und die Doors hatten ihn im Blut, Jimi Hendrix ebenso, vermischt mit noch mehr Adrenalin. B.B. King, neben Albert und Freddie einer der „drei Kings des elektrischen Blues“, zelebrierte diese Musik über 65 (!) Jahre lang vor einer Zuhörerschaft, seinen hörigen Untertanen, wenn es schon so gut passt. Und auch Mick und Keith zollen mit ihren Rolling Stones immer wieder der musikalischen Quelle des Rock Respekt. Während Charley Patton (1891-1934) bereits zu Lebzeiten als „Vater des Delta Blues“ galt, wurde etwa Robert Johnson erst durch weiße Bluesmusiker in den 1950ern und 1960ern wiederentdeckt. Clapton war einer davon. Johnson (1911-1938) gilt seit dieser Renaissance rückblickend als wichtigste Figur des Delta Blues. Es existieren zahllose Cover-Versionen von Johnsons Liedgut. Allein Clapton spielte ihn dutzende Male, widmete ihm sogar zwei ganze Alben, “Me and Mr. Johnson” und “Sessions for Robert J” (2004).

© Eric Clapton

Meinen ersten – lebensprägenden – Kontakt mit Eric Clapton (und dem Blues) hatte ich im Leichtathletik-Trainingslager in Italien im Sommer 2002, als ich mir neben einer Packung Illy-Espresso noch das 4-CD-Set “Crossroads 2: Live in the Seventies” für über 50 Euro leistete. Für einen 15-Jährigen immens teuer, doch es war eine mehr als lohnende Investition. Auf diesem Box-Set waren neben 4 akustischen Hinterzimmer-“Studio”-Tracks ausschließlich ungekürzte Live-Versionen aus dieser berühmt-berüchtigten Phase Claptons, aus den Jahren 1974 bis 1978, enthalten: “Layla” in einer verlängerten Rock-Version mit mehr Gitarren-Soli, jedoch ohne den beschaulichen Piano-Exit (zu hören u.a. in Scorseses GOODFELLAS), “Further on up the Road”, “Cocaine”, “Double Trouble” (11+ Minuten) und das Mammut-Live-Werk “Eyesight to the Blind/Why Does Love got to be so sadly?” (24+ Minuten), wo er sich zusammen mit der Santana-Band unwiderruflich in den musikalischen Olymp spielt. Die meisten dieser Songs wurden nicht von Clapton selbst geschrieben, aber wie Uli, mein liebster Stammgast zu studentischen Kneipenzeiten mir einmal nachdrücklich vermittelte, ist Clapton einfach deshalb so klasse, weil er solch ein verdammt guter Spieler ist. Einer der besten aller Zeiten für wahr. Wenn Manche häufig über Bob Dylan lästerten, dessen schwankende und launige Darbietungen lägen deutlich hinter dem perfektem Songwriting zurück, dann ist Clapton wohl die exakte Kehrseite. Für mich war Letzteres immer entscheidender, fühlbarer, echter. Musik, so meine ich, muss gespürt und weniger gelesen werden.

© Getty Images

LIFE IN 12 BARS – entschuldigt, ich muss es kurz anbringen, weil es schon missverstanden wurde – bezieht sich dann eben nicht auf zwölf Performances in zwölf verschiedenen Locations (Bars?), sondern der Titel dieser Dokumentation fasst das Leben von Eric Clapton als einziges, großes Blues-Stück zusammen. Der 12-Bar-Blues, oder Zwölftakt-Blues ist „eine der prominentesten Akkordfolgen in der populären Musik“ (Wikipedia). Auf seiner Grundlage entstanden die berühmtesten Stücke, von denen Mister „Slowhand“ zweifellos nur einen Bruchteil interpretierte. Wobei „Bar“ im Sinne von Alkohol trifft es dann doch wieder bei Clapton. Ein tragischer Säufer war er. Ein elender Hund vor dem Herrn. Somit ist dieser Film auch nicht unbedingt als Einstieg in Claptons Vita zu empfehlen (lieber mit viel Musik anfangen!), sondern schlussendlich als vollständige Aufarbeitung, die wohl auch der Schöpfer selbst im Sinn hatte. Wir erleben Clapton nach seinem rasanten Aufstieg und ebenso schnellem Ende mit Cream (1966-1968) als völliges Wrack – er war erste Mitte 20! – und als lebende Alkohol- und Heroinleiche, aus welchem Zustand er bis zum tragischen Tod seines Sohns Conor im Jahr 1991 auch nicht mehr herauskam. Das ist womöglich der Moment, wo für manch jüngere Fans von Claptons Musik die bekanntere Zeitrechnung einsetzt: mit dem ersten MTV-Unplugged-Konzert überhaupt (1992), als Clapton erneut nachhaltig dem Blues huldigte und sein Leben (privat und karrieretechnisch) mit Ende 40 doch noch einmal neu begann.

(c) Getty Images

LIFE IN 12 BARS durchzieht Claptons Leben lückenlos und chronologisch, wie es eine zweistündige Dokumentation bestenfalls versuchen kann. Größtes Plus ist die Entscheidung von Regisseurin Lili Fini Zanuck, zahlreiche Zeitzeugen, angefangen bei Claptons Großmutter Rose Clapp, lediglich in Off-Kommentaren hörbar zu machen und synchron dazu ununterbrochen persönliches Archivmaterial zu zeigen. Das spart wichtige (Lauf-)Zeit im Film. Die 134 Minuten Stoff lähmen in ihrer Intensität dann nachdrücklich die gute Stimmung des Zuschauers/Fans, zeigen sie doch in erster Linie, wie düster und verloren Claptons Leben viel zu lange war. Der Preis des Ausnahmemusikers, nicht ebenfalls Mitglieds des Club 27 zu werden – das hätte bei ihm anno 1972 jeden Tag passieren können – bestand aus weiteren 20 Jahren wechselhaften Entzugs und heftigen Rückfällen mit schweren Folgen. Dass gerade in der ersten Hälfte dieser dunklen Phase auch viele der besten Aufnahmen entstanden, der körperlich marodierende Clapton also zumindest in der Musik aufblühen und Ruhm ernten konnte, wird als kurze Cover-Slideshow und folgendem Ausspruch des Künstlers abgehandelt: „Eigentlich höre ich die Aufnahmen aus dieser Zeit gar nicht gerne an, gerade weil man hört, wie betrunken ich ständig war.“

Eric Clapton leaning against table // © David Wedgebury

Back to the roots

Claptons Kindheitstage sind mit vielen bisher unveröffentlichten Aufnahmen bereits das erste Highlight: hier werden quasi die ersten Kapitel aus Claptons Autobiographie (2007) in Bilder getaucht und man ist völlig gebannt. „Ich hatte eine glückliche Kindheit. Meine Eltern erzogen mich mit sehr viel Liebe, vor allem meine Mutter“, beginnt Clapton seine Lebensgeschichte fast schon klischeehaft – ein Trugschluss, wie es wenige Augenblicke später offenbart wird: „Dann erfuhr ich, dass meine Schwester in Wirklichkeit meine Mutter war. Sie ging weg, als ich noch klein war […] Das hat mich sehr verletzt und mitgenommen. Von da an misstraute ich allen, auch meinen Großeltern. Ich war total durcheinander. Mein Leben erschien mir wie eine Lüge.“ Letztlich war es die Musik aus dem Radio (eine Kindershow, die auch Blues-Songs spielte), die sein Leben rettete: „So etwas hörte man nirgendwo sonst, nur in dieser Kindersendung. Und ich dachte: ,Oh Mann, das ist mein Ding.ʻ Irgendetwas an dieser Musik packte und berührte mich. Ohne dass ich es merkte, linderte sie meinen Schmerz.“ Zu Claptons Worten hören wir “My Life is ruined” (1953) von Muddy Waters. Dann fließt die Doku bedächtig durch Erics Jugendtage, präsentiert noch nie gesehene Bilder von informativer und berührender Qualität.

© Photo by 1996-98 AccuSoft Inc.

Nach dem Start-Up bei den Yardbirds (1963-1965), in welcher Zeit Clapton persönlichen Kontakt zu Mitgliedern der Beatles und Rolling Stones knüpfte, führt uns der Film zu dessen kurzer, aber prägender Mitgliedschaft bei John Mayall’s Bluesbreakers (1965-1966). Zeitgleich lernte er Jimi Hendrix und die berauschende Kraft von Drogen kennen. Nach nur einem Album folgten sogleich sein Ausstieg und der heftige, wenngleich überschaubare Aufenthalt im Rock-Himmel mit Cream. Ginger Baker (Drums), Jack Bruce (Bass/Harmonica/Gesang) und Clapton (Gitarre/Gesang) revolutionierten als Power-Trio, als erste Supergroup des Rock, die Musikgeschichte. Ihre Klänge waren so intensiv, die Basslinien so flackernd, die Akkorde so rau, dass bei vielen Studio-Takes die Verstärker aufgaben. Das Trio war groß – und kommerziell sehr erfolgreich – da standen die Karrieren von Led Zeppelin, Deep Purple oder Queen erst noch bevor. Das wird immer wieder vergessen. Erst live gerieten Cream zu voller Größe, übertrafen sich gegenseitig hinsichtlich musikalischer Virtuosität. Bakers energetische und doch punktgenaue Rhythmen hielten die Ekstase der beiden Seiteninstrumentalisten zusammen, er war wohl der einzige, der dies bewerkstelligen konnte. Jedenfalls zeugt die gerade einmal gut zweijährige Powerphase mit Cream davon, mit welch hervorragenden Musikern Clapton auch zukünftig zusammenarbeiten sollte.

Intimes Portrait

Von musikalischen Höhenflügen mit Blind Faith (mit Steve Winwood, Baker u.a.) über Derek and the Dominos (mit Duane Allman, Bobby Whitlock u.a.) bis zur folgenden Solo-Karriere (ab 1970) deckt LIFE IN 12 BARS alles ab. Doch spätestens mit der Entstehungsgeschichte zu seinem berühmten “Layla” und dem dazugehörigen Album wechselt die Dokumentation nachhaltig auf Trauerstimmung. Claptons vergebliche Liebe für George Harrisons damalige Ehefrau Pattie Boyd – was Kennern schon lange ein Begriff ist – zieht sich auch in dieser aktuellen Dokumentation merklich in die Länge. Zumindest wird an dieser Stelle dem Album noch die gleiche Aufmerksamkeit zuteil. Danach ist es just diejenige Phase, diese von mir zuvor erwähnte aus meinem CD-Box-Set, in der keine der berühmten Stücke in ihrem Entstehungs- und Darbietungsprozess beleuchtet werden, sondern vorrangig und wiederholt Claptons Selbstzerstörung betont wird. Statt einem fulminanten “I Shot the Sheriff” mit Claptons berühmter Live-Band (u.a. Jamie Oldaker am Schlagzeug) gibt als also Clapton, der selbst wie angeschossen, besoffen, über die Bühne wackelt und sogar das Publikum beschimpft. Der absolute Tiefpunkt. Eine Entscheidung, die das restliche Antlitz der Doku prägt, mit dem Willen, weniger popmusikalisches Dokument als vielmehr intimes Portrait zu sein.

Mit dieser Entscheidung geht Zanuck, verwitwete Ehefrau des berühmten Produzenten Richard D. Zanuck (DER WEISSE HAI/THE VERDICT u.a.), einen mutigen und durchaus auch richtigen Weg. Zweieinhalb Jahre bastelte sie an ihrem filmischen Portrait von Clapton, der ihr vertrauensvoll Zugang zu sämtlichen Aufnahmen seines Privatarchivs gewährte. Im Bonus-Feature, einem sehenswerten und berührenden Q&A mit Zanuck und Clapton nach einem Festivalscreening, räumt der Musiker ein, hier stellenweise das Leben über „jemand völlig Anderen“ zu sehen geglaubt zu haben… so eigenartig und fremd kämen ihm einzelne Exzesse bzw. Bilder davon im heutigen Bewusstsein vor, auch wenn er letztlich wüsste, dass all dies sehr wohl die Wahrheit – seine Wahrheit – sei.

© Alamy Lory and Eric Clapton

Fazit

Für Fans und Interessierte sowieso ein Muss, liefert dieses spielfilmlange Clapton-Portrait noch nie gesehene Videos, Fotografien und Tagebuchausschnitte – berührende Zeugnisse eines über lange Zeit sehr traurigen und finsteren Lebens. Musikalische Meilensteine werden anfangs noch recht unterhaltsam präsentiert, doch weichen diese später zugunsten einer sehr intimen Sichtweise auf Claptons krankes Leben. Im Bann des Blues, der Rettung durch Musik, bleibt Clapton dennoch nicht allein. Die finalen Minuten der Doku reflektieren – etwas hastig – seine letzten 20 Lebensjahre bis zur Gegenwart: seine Rückkehr zu vollständiger Genesung, seine nachhaltige Investition in Hilfsorganisationen (so das von ihm 1997 gegründete Crossroads Centre, Antigua, zur Behandlung von Alkohol- und Drogenabhängigen) und sein spätes Familienglück. Der Album-Kooperation mit seinem geschätzten Kollegen und Freund J. J. Cale (“The Road to Escondido”, 2006) wird leider gar keine Aufmerksamkeit gewidmet – Clapton nahm nach dessen Tod u.a. noch ein eindrucksvolles Tribute-Album, “The Breeze” (2014), auf. Dafür darf B. B. Kings Freundschaftsrede bei einem der Crossroads-Guitar-Festivals noch einmal gehört und gespürt werden: “I have never met a better man, a more gracious man than my friend – I like to call him my friend: Eric Clapton.”

Soeben habe ich noch gesehen, oder besser gehört: es gibt auch zu dieser Dokumentation den passenden Soundtrack auf 2 CDs – und dieser ist als Einstieg in Claptons Gesamtwerk wiederum bestens geeignet, wird doch dessen Umtriebigkeit der ersten Jahre sowie der Kern seines Schaffens bestmöglich vermittelt: der Blues in brachialer Kraft. Sahnehäubchen: einige der besten Live-Versionen, die von und mit Clapton existieren, u.a. eine über 17-minütige, ungekürzte Fassung von “Spoonful” mit Cream. Damit wird auch noch der letzte Ungläubige bekehrt.

Titel, Cast und CrewEric Clapton: Life in 12 Bars (2017)
Poster
Releaseseit 29.06.18 auf Blu-ray
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RegisseurLili Fini Zanuck
Trailer
BesetzungEric Clapton
Bob Dylan
Aretha Franklin
B. B. King
Chuck Berry
John Lennon
Paul McCarthney
DrehbuchStephen "Scooter" Weintraub
Larry Yelen
KameraSayombhu Mukdeeprom
MusikGustavo Santaolalla
SchnittChris King
Filmlänge135 Minuten
FSKab 0 Jahren

 

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