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Ein Quantum Trost (2008) – Filmkritik

Inhalt/Teaser EIN QUANTUM TROST

Der Film beginnt unmittelbar mit einer rasanten Autoverfolgungsjagd, wobei 007 (Daniel Craig) versucht, Verfolgern der Terrororganisation „Quantum“ zu entkommen. Im Kofferraum, so stellt sich Minuten später heraus, befindet sich Mr. White (Jesper Christensen), führendes Mitglied von Quantum und dem Publikum noch gut bekannt aus seinem vorherigen Auftritt in CASINO ROYALE (2006). Die Fahrt endet in Siena, wo Mr. White durch den MI6 verhört wird. M (Judi Dench) vermutet persönliche Rachegefühle bei Bond, nicht zuletzt aufgrund seiner Vorgeschichte mit Vesper Lynd. White, dessen Verbrecherorganisation die „Leute überall“ habe, entkommt. Der MI6 findet durch Rückverfolgung von registriertem Geld ein Mitglied von Quantum, das in einem Hotel in Haiti eingecheckt hat, setzt Bond auf dessen Fährte an. Dort trifft Bond auf Camille, die den Agenten fälschlicherweise für einen Informanten hält. Bond erkennt, das Camille (Olga Kurylenko) in Lebensgefahr schwebt. Die beiden treffen auf Dominic Greene (Mathieu Amalric), Mitglied von Quantum und Camilles Liebhaber, der von ihr wegen des für sie vorgesehenen Auftragsmörders zur Rede gestellt wird. Greene weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Camille eine bolivianische Agentin ist und vorrangig beabsichtigt, ihre Familie zu rächen, die einst von General Medrano getötet wurde. Greene versucht, Medrano als Staatsoberhaupt von Bolivien einzusetzen. Als Gegenleistung verlangt Greene ein scheinbar wertloses Stück Wüste. Bond lässt Greene vom MI6 überprüfen. Dieser sitzt inzwischen in einem Flugzeug nach Bregenz mit Gregg Beam, dem Leiter der Südamerika-Abteilung der CIA, sowie dessen Mitarbeiter Felix Leiter (Jeffrey Wright). Beam will Greene bei seinem Projekt unterstützen, da er sich im Gegenzug Ölvorräte für die USA verspricht. Auf der Seebühne Bregenz kommt es zum ersten, aber wahrlich nicht letzten Showdown.

EIN QUANTUM TROST (2008)
Rollentausch – die Frau sitzt am Steuer. James Bond (Daniel Craig) und Camille (Olga Kurylenko). // © 2008 Danjaq, LLC, United Artists Corporation and Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.

Another Way to Die?

EIN QUANTUM TROST weist nach dem Anfangspart in DIAMANTENFIEBER (DIAMONDS ARE FOREVER, 1971) erstmals in der Bond-Historie wieder einen direkten narrativen Zusammenhang zum Vorgängerfilm auf. Er setzt nur wenige Minuten nach den Schlussereignissen von CASINO ROYALE (R: Martin Campbell, 2006) ein und begleitet 007, wie er den Verdächtigen mit Namen Mr. White im Kofferraum seines Fahrzeugs abtransportiert. White spielte bereits im vorherigen Film eine Schlüsselrolle und wird vom MI6 als Drahtzieher einer gefährlichen Verbrecherorganisation gedeutet. Dabei setzt EIN QUANTUM TROST mitten in der Szenerie ein, wirft den Zuschauer von Beginn an direkt ins Geschehen. Man erkennt nicht, wo die rasante Verfolgungsjagd begann, nur, dass sie existiert. Am Ende eines teilweise übertrieben dargestellten, da hochfrequent montierten Bildergewitters, bei dem man kaum Zeit für räumliche Verortung auf dem Bildschirm – geschweige denn auf der großen Kinoleinwand hat –, öffnet 007 den Kofferraum und blickt seinem Erzfeind in die Augen. Ende des (typisch motivierten, da heldsouveränen) Prologs, Beginn der Vorspannsequenz. Letztere, die ganz im Sinne einer zeitgemäß popkulturgewichtigen Ästhetik in Bild (Animation: David Kleinman, der seit GOLDENEYE, 1995, dabei ist) und Ton (Song: „Another Way to Die“, Jack White & Alicia Keys) gestaltet ist, scheint nicht so recht zum Rest des Films zu passen, der noch trockener und härter als sein Vorgänger daherkommt und in vielen Einstellungen seinen anmutenden Naturalismus betont wissen möchte.

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Die Handlung pendelt, ganz Bond-typisch, zwischen mehreren Ländern und Kontinenten und erbringt gemeinhin ihren eigenen visuellen Reiz. Insgesamt drängt sich der optische Charakter des Films mehrmals auf, wenn Regisseur Marc Forster (DRACHENLÄUFER, THE KITE RUNNER, 2007) die Kamera über die romantische Architektur Italiens sowie den schlichten Behausungen Mittel- und Südamerikas lenken lässt, nur um das Gesehene zugleich in starken Kontrast zum (post-)modernen Erscheinungsbild des Bildungsbürgertums zu setzen: Der MI6 lässt in seinen Geheimdienstquartieren in London mittlerweile Computer- und High-Tech-Spezialisten die meiste Arbeit machen, hier dominieren über Touchtables geschobene 2D-Modelle und mit diesen in digitale Text- und Bilddateien gefasste Informationen auch eine betonte Sterilität und Kälte die Bildgestaltung. Außenansichten eines verregnet-grauen London ergänzen sich hierzu adäquat.

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Auch mit der (teils gar modifizierten) Architektur der berühmten Seebühne im österreichischen Bregenz verhält es sich ähnlich. Bei einer Aufführung von Verdis Tosca scheint das gesamte Set-Design neben singulären ästhetischen Rückbeziehungen zur Reihe[1] gemeinhin erneut einer künstlichen Sterilität gewidmet, in welcher das feindliche Figurenensemble anonym gehaltenen Geheimprojekten nachgehen kann. Dominic Greene und seine Geschäftspartner kommunizieren über Mikrofunk, und verhandeln während einer elitären Kulturveranstaltung über Leben und Tod, über Macht und Profit. Sie sind Schattenmenschen und setzen alles daran, als Individuen unerkannt zu bleiben; ihre Organisation ‚Quantum‘ ist nicht zuletzt deshalb stark am alten ‚Phantom‘ (engl.: S.P.E.C.T.R.E.) orientiert. Diese zeitgemäße, wenig abstrakte Darstellung der Bösewichte verleiht der Handlung eine zutiefst glaubwürdige Komponente. Die Verbündeten benutzen auch weitere Formen des Events als Fassade, was schließlich in einem inoffiziellen Gipfeln von Greene mit den Führungsleuten des CIA gipfelt, wobei Felix Leiter, ewiger Freund und Helfer von Bond, hier bereits entgegen der kriminellen Energie seines direkten Vorgesetzten motiviert ist (parallel zu Bond wird auch diese Figur in den ersten beiden Filmen noch am Anfang ihrer Karriere gezeigt).

„Grüne“ Terroristen überall

Macht und Kontrolle, das zeigt EIN QUANTUM TROST überdeutlich, sind politisch übergreifend vernetzt. Ein jeder möchte ein Stück vom Kuchen haben und Almaric verkörpert diesbezüglich die snobistische Gereiztheit seiner Figur, die unter allen Mitstreitern lohnende Appetithäppchen verteilen muss, geradezu souverän. Sein Bösewicht ist kein auffällig gestaltetes, mit Narben versehenes Menschenmonster, dessen innerer Abgrund nach außen hin beständig Ausdruck findet; gerade durch seine manierlich dargestellte Zurückhaltung, ja Introvertiertheit gelingt es ihm, seine taktische Aggressivität zu kaschieren.

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Greene ist kein klassischer Bondschurke, was ihn umso interessanter macht. Er zählt zu den realistischsten Bösewichten der gesamten Reihe, ganz einfach, weil kein äußeres Merkmal von seiner inneren Verwahrlosung ablenkt. (Einige Bond-Schurken waren gerade auf Grund ihrer betonten Äußerlichkeit tatsächlich weniger furchteinflößend, da sie selten mehr als Leidensfiguren darstellten oder in ihrer Motivation eher auf persönliche Rache gepolt waren; Auric GOLDFINGER (1964) bleibt gerade deshalb maßstabsetzend, weil er ‚normal‘ ist, ein einfacher Geschäftsmann, der lediglich drastische Maßnahmen ergreift.) Gegen diese Kälte und Arroganz der Nemesis, die unter dem Schein der Öko-Bewegung „Greene Planet“ exakt das Gegenteil beabsichtigt, sind selbst Bond und der MI6 lange Zeit machtlos. ‚Quantum‘-Mitglied Mr. White besagt dies bereits zu Beginn, wenn er gegenüber M behelligt: „Sie haben wirklich keine Ahnung über uns… Das Erste, was Sie über uns wissen sollten, ist: wir haben unsere Leute überall.“[2]

EIN QUANTUM TROST (2008)
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Eine gezielte Infiltration findet hier statt, eine, die auf einzelner, personeller Basis verläuft: Manche Agenten sind plötzlich Doppelagenten*innen – der Geheimdienst wurde bereits von Innen zerfressen. Dass am Ende einer solchen psychologischen Tour de Force der reine Schlagabtausch zwischen Bond und Greene steht, mag etwas ernüchternd wirken, wird aber dennoch von einem gekonnten motivischen Einfall gestützt. Effektiv und schlicht wird hier mit den Elementen ‚Feuer‘ und ‚Wasser‘ gespielt. Ihre Gegenüberstellung erfüllt als eine der wenigen in der Reihe auch einen narrativen Zweck und dient somit weit mehr als bloß dem visuellen Pomp. Dieses spannende Thema der Infiltration war, aller Kritik an dem Film zum Trotz, für die Produzenten Barbara Broccoli (die Tochter des Franchise-Begründers Albert R. Broccoli) und Michael G. Wilson Grund genug, um sie im Folgeteil SKYFALL (2012) weiter auszubauen. Dort wird dann bereits der komplette MI6 in London terrorisiert, was letztlich zu noch drastischeren Konsequenzen führt. (Allerdings verschiebt sich dort die Quelle der Gewalt auf eine stärker persönliche, rachemotivierte Ebene durch die Feindfigur, die mit den Ereignissen von EIN QUANTUM TROST nichts mehr zu tun hat.)

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Leben und sterben lassen

Im Anbetracht der Figurenentwicklung von James Bond seit Daniel Craigs erstem Auftritt in CASINO ROYALE lässt sich zwischen QUANTUM und SKYFALL ein rabiater Schnitt feststellen. War Craigs Bond in den beiden ersten Teilen noch der angehende Killer-Agent, der seine verdiente Lizenz am Ende der verknüpften Geschichte mehr als einmal bestätigt hat (“Well, then the right people kept their jobs.”), nahmen viele Kritiker sein zerfurchtes, mit Bartstoppeln übersätes Antlitz zu Beginn des 23. Bondabenteuers zum Anlass, ihn als bisher „ältesten Bond“ zu bezeichnen, was angesichts des erkennbaren Alters des Darsteller zu diesem Zeitpunkt (44 Jahre) wenig angemessen scheint, bedenkt man Sean Connerys oder Roger Moores deutlich spätere Auftritte als Doppelnull-Agent, in deren Fußstapfen Craig dann später mit KEINE ZEIT ZU STERBEN (2021) trat.

Dennoch wird zwischen den Handlungen von QUANTUM und SKYFALL eine große Lücke gelassen, was bei näherer Betrachtung auch Sinn macht, denn die Geschichten um den etablierten 007, der die Frauen verführt und sein Fachwissen in linguistischer und haptischer Form durchweg selbstverliebt zum Ausdruck bringt, sind bereits mit den meisten (Roman-)Verfilmungen auserzählt. Die Produzenten und Drehbuchautoren gehen seit 2012 einen Schritt weiter in Richtung Zukunft bzw. Zeitgemäßheit (und doch auch wieder ‚back to the roots‘). Diese genannte Lücke markiert EIN QUANTUM TROST als Endpunkt einer frühen Erzählphase und es ist viel dem Hauptdarsteller zuzuschreiben, dass diese Entwicklung einer renommierten Film- und Popkultur-Figur einen zunehmend menschlichen Fundus erhält. Die Hitzköpfigkeit in CASINO ROYALE ist einer zunehmenden Seelenentleerung gewichen: Die tragischen Ereignisse um Bonds Geliebte Vesper Lynd begleiten die Figur noch durchgängig im Folgeteil, seine psychische Widerspenstigkeit, mit der sich M und der MI6 im Laufe der Handlung von EIN QUANTUM TROST beständig abmühen müssen, resultieren aus dieser prägenden Entwicklungsphase, die von Ian Fleming selbst bekanntermaßen ganz auf Anfang gesetzt wurde.[3]

EIN QUANTUM TROST (2008)
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Überwältigende Bilder

Produktionstechnisch stellte EIN QUANTUM TROST das bis dato teuerste Unterfangen in der Bond-Geschichte dar: über 230 Millionen US-Dollar betrug das Budget, was sich vor allem in der Schauplatzwahl, dem Bühnenbild und den zahlreichen visuellen Effekten bemerkbar macht. Kennzeichnend bleibt hier Forsters Wahl bestimmter regionsspezifischer Motive, wie die eingangs erwähnte architektonische Ikonografie der einzelnen Länder. Beispielsweise legt sich simultan zum Establishing Shot auf die Geografie Norditaliens zu Beginn des Films eine bewusst aufs Malerische bezogene Serifen-Schriftart über die Kadrage, die dem Zuschauer gar in Bild und Schrift eine spezifische regionale Charakterisierung vermittelt.

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Leider bleiben diese Bemühungen, die sicherlich hübsch anzusehen sind, wenig in der Handlung selbst verortet; man könnte hier ohne weiteres mit dem Fall einer häufig auf Tableaus bezogenen Bildsprache argumentieren, die allerdings in einzelnen Fällen auch wieder ihren Zweck erfüllt. Wenn z. B. die Schnelligkeit und Physis des Palio di Siena (eines der härtesten und berühmtesten Pferderennen der Welt) durch rasante Parallelmontage in direkten Bezug zur eigentlichen Haupthandlung, der Verfolgungsjagd zwischen Bond und seinem Widersacher gesetzt wird, entsteht hier ein ästhetisch begründeter Verlust der genauen räumlichen Verortung und zwar deshalb, da die Zahl der einzelnen Kameraeinstellungen insgesamt zu hoch ist, als dass man noch genau wüsste, welche Figur sich nun exakt in welchem Bewegungsvektor befindet. Man könnte aber auch argumentieren, dass genau dies beabsichtigt ist, dass der Verlust von Räumlichkeit und Identität gar als eines der Hauptmotive innerhalb der jüngeren Bond-Vertreter etabliert wird: Man kann niemals sicher sein, wer sich jetzt plötzlich aus welchem Winkel herausschält bzw. was genau in welchem Moment das Sichtfeld trifft; Figuren tauchen unversehens dort auf, wo man sie zumeist nicht erwartet hätte oder bleiben gerade dann nicht zu sehen, wenn man ihr Erscheinen antizipiert hätte.

Unterschiede in der Technik gibt es freilich, manche stilistische Entscheidungen werden mit mehr Lob von Kritik und Publikum aufgenommen, manche weniger – entscheidend bleibt der technische Aspekt und sein Kontext innerhalb der Erzählung. Während in CASINO ROYALE die reine Bewegung (ihre Physis, ihre Stärke) in einem Höchstmaß stilisiert wurde, Laufwege dabei fast immer nachvollziehbar blieben und der Zuschauer somit Zeuge eines von großer Körperlichkeit bestimmten Agentenalltags wird, beginnt mit EIN QUANTUM TROST bereits dessen bewusste räumliche Dekonstruktion. Es sind mindestens drei, vier Actionszenen, die wie aus dem Nichts und ohne Vorwarnung in die Szenerie platzen, einmal eine räumlich extrem kompakt gestalteter Faustkampf von relativ kurzer Dauer, dafür aber von umso größerer Intensität und einmal eine sich unversehens einstellende Beschattung/Besetzung des Agentenunterschlupfs, einem Hotel in Bolivien, dessen gewalttätiges Resultat von diesem kurz angebundenen Dialog zwischen Bond und Felix Leiter eingeleitet wird und sogleich in der schlagartigen Flucht des Helden resultiert:

Bond: “How long have I got?”
Leiter: “Thirty seconds.” – Bond: “Well, that doesn’t give us a lot of time, does it”?[4]

Mehr als alle Vorgänger wollen die Craig-Bonds zum Ausdruck bringen, dass die Protagonisten unter permanentem Druck, unter Dauerfeuer stehen. Eine Parallele zur Realität der Spionage und des Agentenlebens scheint hier allemal gegeben. Die Zeiten des eleganten, ausnahmslos wohlmanierlichen Gentlemans, der darüber hinaus immer auch die Zeit findet, das weibliche Gegenüber zu verführen, ist mit Craigs Interpretation – und innerhalb der von den bisherigen Regisseuren allesamt gelungenen Inszenierungen – des Figurenmythos endgültig vorbei. Dennoch möchte selbst der so nüchterne EIN QUANTUM TROST nicht auf Verweise innerhalb des eigenen filmischen Universums (sowie des Genres per se) verzichten. Nach CASINO ROYALE weiterhin ohne Verwendung solch grundbekannter Figuren wie Quartermaster ‚Q‘ oder Monneypenny (die beiden finden erst in SKYFALL wieder Verwendung), gibt es mit der ölüberzogenen Gemma Aterton als Bonds Kollegin/Affäre-im-Schnelldurchlauf eine klare Reminiszenz an das erste (weibliche) Opfer in GOLDFINGER. Wie damals der hauchdünne, aber tödliche[5] Überzug aus Goldfarbe bedeckt hier nun ein klebrig-glänzender Film aus ‚schwarzem Gold‘ den Körper der Schönheit. Die Kameraeinstellung auf das Opfer, das entblößt und mit dem Bauch nach unten auf dem Bett eines Hotelzimmers liegt, führt zum gleichen Positionseinfang der Figur wie damals im Jahr 1964 – eine gewichtige Ikonologie, wenn nicht eine der stärksten im Bond-Universum überhaupt wird hier in der Erscheinung lediglich eines Farbwechsels, dabei jedoch mit exakt gleichem Formausdruck wiederbelebt.

© 2008 Danjaq, LLC, United Artists Corporation and Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.

Ähnlich wie beim zuvor angesprochenen Bild der Bregenzer Seebühne, stechen solch exakt durchkomponierten (Reminiszenz-)Bilder – wenngleich ihnen auch jeweils nur eine kurze Einstellungsdauer zugestanden wird – aus der Masse der Tempoerhöhung bzw. Handlungsstraffung (QUANTUM ist mit 106 Minuten der kürzeste Bond-Film) deutlich hervor. Auch beim darauffolgenden SKYFALL entstehen so innerhalb der Bildkomposition bemerkenswerte Momente visueller Aufarbeitung bzw. Rückbeziehung auf das eigene filmische Universum. Tableaus sind dies, wie bereits angesprochen, durchaus, aber solche, die einen gezielten Zweck erfüllen, da sie eine bewusste Verknüpfung zu den übrigen Bond-Teilen herstellen und so eine motivisch-visuelle Landkarte innerhalb der Reihe schaffen (mit der beständigen Verwendung/Abwandlung des von Monty Norman komponierten Original-Motivs verhält es sich seit Jahrzehnten genauso, nur eben auf akustischer Ebene[6]). Bei der langlebigsten Kinoreihe aller Zeiten ist dies auch begrüßenswert, weil dadurch die ontologische Kennzeichnung – die ursprüngliche Bond-DNA – abseits einer beständig weiterentwickelten Handlungskonzeption, welche nun schon lange auf ‚klassische‘ Bond-Girls und seit den Craig-Filmen auch völlig auf Spielereien verzichtet, weiterhin erhalten bleibt. So begegnen wir, ähnlich wie bereits in CASINO ROYALE, der berühmten Einstellung durch den Pistolenlauf, bei welcher die Hauptfigur den Schuss direkt in Richtung Publikum abfeuert, erst am Schluss des Films, anstatt wie bei allen Filmen zwischen 1963 und 2002 als Auftaktbild. Die bildliche Tradition wird hier durchweg verankert, lediglich an anderer Stelle.

EIN QUANTUM TROST (2008)
© 2008 Danjaq, LLC, United Artists Corporation and Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.

Fazit: Ikone

In SKYFALL fällt diese Einstellung ebenfalls auf den Schluss. Wie in meiner dortigen Besprechung angemerkt, verfolgt dieser Film eine gezielte Re-Etablierung der Figur ‚Bond‘ (welche hier bereits bewusst reifer gezeichnet ist), die insbesondere in den letzten Bildern vor dem Abspann eine verstärkte Hinwendung zur klassischen Bildsprache der allerersten Vertreter der Reihe (in etwa bis 1965, vor allem unter der Regie Terence Youngs) aufweist. In CASINO ROYALE erfolgte dies, wie ebenfalls zuvor erwähnt, ganz gemäß der (ersten) Romanvorlage Ian Flemings, bei der sich unser Doppelnull-Agent in seinem erlangten Status erst einmal profilieren muss. In EIN QUANTUM TROST wird die Schlusspositionierung dieser ikonologischen Einstellung vor allem durch die durchgangene Psychologisierung der Hauptfigur gerechtfertigt. 007 nimmt im Epilog des Films die lang gesuchte Rache an dem Hauptverantwortlichen für den Tod seiner Geliebten Vesper aus der Vorgeschichte. Allerdings bleibt unser Agent nicht mehr von bloßen Rachegefühlen geleitet, er vollzieht tatsächlich einen Job, der ihn im Auftrag des MI6 handeln lässt, nur, dass sich dieser Job diesmal verstärkt mit persönlichem Interesse überschneidet. Nicht mehr ungestüm, sondern professionell und nüchtern agierend, hat er als Killer schließlich gelernt, seine Emotionen zu kontrollieren. Es ist die psychologische Etablierung der Figur James Bond, wie wir sie seit ihren ersten Auftritten unter Connerys virtuoser Darstellung kennen. Dieser Epilog, bei dem die Kamera immer auf das Angesicht der Hauptfigur konzentriert ist – Bond ist fokussiert, bestimmend, aber auch genügend distanziert –, stellt die vielleicht wichtigste Sequenz innerhalb der jüngeren Bond-Historie dar, denn sie fängt erstmals wieder die vollständige und gezielt düstere Faszination der Hauptfigur (ein Killer, ein harter Hund und nur fassadenhaft der manierliche Gentleman) ein, die lange Zeit verloren geglaubt schien.

© Stefan Jung

Quellen:

  • [1] Es handelt sich um die Ansicht des Theater-Bühnenbilds, bei dem sich im Schlussakt der Oper ein riesiges Auge öffnet (bei LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU war es der Mund als sich in der Nacht öffnendes, leuchtendes Fenster); die gesamte Darstellung hinsichtlich der ‚Theatralik‘ verweist zudem gekonnt auf das Wesen des Bond-Franchise selbst, das seit jeher immer auch ‚Show‘ war und auch gekonnt bei Brosnan- und Dalton-Teilen durchschien. Durch den erneut rasanten Schnitt und den gewollten Forttrieb der Handlung gehen solche Einzelheiten bei QUANTUM leider immer wieder unter.
  • [2] EIN QUANTUM TROST (2008), Timecode DVD 9:28-9:58.
  • [3] Der erste Bond-Roman Casino Royale wurde 1953 veröffentlicht.
  • [4] EIN QUANTUM TROST (2008), Timecode DVD 1.19:48-1.19:54.
  • [5] Mittlerweile bekannt sein dürfte die Tatsache, dass ein vollständiger Überzug mittels Körperfarbe keineswegs gesundheitsgefährdend ist, solange man ihn, wie bei Dreharbeiten üblich, nicht mehrere Stunden auf der Haut des Darstellers/der Darstellerin lässt.
  • [6] John Barry orchestrierte die Musik für zwölf Bond-Filme, darüberhinaus gibt es noch über 50 weitere Interpretationen.
Titel, Cast und CrewEin Quantum Trost (2008)
OT: Quantum of Solace
Poster
RegisseurMarc Forster
Releaseab dem 15.09.2015 auf Blu-ray und DVD, ab dem 19.03.2020 auf UHD

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Trailer
BesetzungDaniel Craig (James Bond)
Olga Kurylenko (Camille)
Mathieu Amalric (Dominic Greene)
Judi Dench (M)
Giancarlo Giannini (Rene Mathis)
Gemma Arterton (Strawberry Fields)
Jeffrey Wright (Felix Leiter)
David Harbour (Gregg Beam)
Jesper Christensen (Mr. White)
Anatole Taubman (Elvis)
Rory Kinnear (Bill Tanner)
DrehbuchPaul Haggis
Neal Purvis
Robert Wade
FilmmusikRoberto Schaefer
KameraLinus Sandgren
SchnittMatt Chesse
Richard Pearson
Filmlänge106 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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