„Eine Abrechnung mit dem Western“
Clint Eastwood kann nicht nur 70 Auftritte als Schauspieler vorweisen, sondern auch halb so viele als Regisseur verbuchen. Nach seinem Regiefilmdebüt mit Sadistico (1971) nahm er das Genre aufs Korn, welchem er seinen Bekanntheitsgrad zu verdanken hat: Den Western. EIN FREMDER OHNE NAMEN (1973) (Originaltitel: „High Plains Drifter“, grob übersetzt „Hochebenen-Landstreicher“) ist die zweite Regiearbeit von Eastwood. Während der Dreharbeiten stellte er zwei Grabsteine mit den Namen seiner Regie-Meister Don Siegel und Sergio Leone auf. Dies ist eine gute Metapher dafür, was er mit dem geliebten Genre der Amerikaner vorhatte: Alte Konventionen begraben und etwas Neues entstehen lassen. EIN FREMDER OHNE NAMEN, einer der wenigen gut übersetzten deutschen Filmtitel, ist nun uncut auf Blu-Ray und im Mediabook von Capelight erschienen. Für mich – als Fan der aktuellen Regiearbeiten Eastwoods – Grund genug, mich einem seiner ersten kreativen Ellenbogen-Einsätze zu stellen.

Inhalt
Von Vegetation kann man nicht gerade sprechen, durch welche der unbekannte Revolvermann zu Beginn des Films reitet. Es sind nur Staub und Kies unter den Hufen seines Pferdes zu sehen und zu hören. In dieser Mondlandschaft taucht am Horizont eine kleine Stadt am Rande eines großen Sees auf. Das Wasser scheint der Natur jedoch keinerlei Leben zu spenden. Man fragt sich sofort, woher das Holz für die paar Häuser an dieser einen Straße kommt. Der unbekannte Reiter (Clint Eastwood) wird von den Einwohnern skeptisch beäugt und wie es in vielen Western schon fast Tradition ist, muss der Revolverheld gleich seine Schießkünste gegen drei Halunken unter Beweis stellen. Diese Prüfung besteht der Unbekannte mit Auszeichnung und die Bewohner heuern ihn an, um sie vor der zügellosen Rache drei Gesetzesloser zu schützen. Ein Held ist er jedoch nicht, denn sein Vorhaben ist anders als es sich die ängstlichen Bürger vorstellen und gnadenlos wie ein Peitschenhieb.

Antiheld der Vergeltung
Eastwood reitet bereits in den ersten Filmminuten respektlos über die Gräber des Ortes, was bereits andeutet mit welcher Sorte von Held wir es hier zu tun haben. Schießen kann er, aber für alle Anderen hat er nur Verachtung übrig. Mit seinem Predigerhut schaut er auf sie herab, als ob er jederzeit das Jüngste Gericht einbestellen könnte. Einzig der Kleinwüchsige Mordecai (Billy Curtis) erkennt sofort, dass es darum geht, die Gunst des Reiters zu gewinnen. Als Dank werden ihm zwei wichtige Posten der Stadt zugesprochen. Der Umgang mit den Frauen im Ort ist schwer zu ertragen, ihre Rollen wirken wie hysterische Furien, die nur körperliche Liebe brauchen, um lammfromm zu sein. Aber die Geschichte spielt in einer Zeit, in der so etwas nicht unüblich war und ist für mich auch ein Grund, dass der Film in Deutschland keine Jugendfreigabe erhalten hat.

Eastwood, ein Talent vor wie hinter der Kamera
Beeindruckend ist sein Gefühl für eine klare und simple Bildersprache als Regisseur. Vor allem im Rückblick auf die Peitschen-Folter, beschwört er unsere Verachtung gegenüber den feigen Zeugen des Vorfalls herauf. Die Gesichter sind in dunkle Schatten getaucht und der Rest ist starr vor Angst. Bei der Produktion von EIN FREMDER OHNE NAMEN zeigt sich auch Eastwoods Talent für die Arbeitsweise. Der Filme wurde zwei Wochen eher fertiggestellt und lag unter dem kalkulierten Budget, welches erfolgreich an der Kinokasse eingespielt wurde.

Das Mediabook

Die 2-Disc Limited Collector´s Edition wird im stabilen Mediabook von Capelight Pictures präsentiert. Den Film gibt es ungeschnitten auf DVD und Blu-ray. An der Bildqualität kann man wie immer nichts aussetzen und der 45 Jahre alte Streifen sieht ausgesprochen gut aus. Selbst die starken Farbgegensätze zwischen den roten Häusern, dem dunkelblauem See und der grauen Einöde wirken nicht übersteuert. Die Nachtszenen haben kräftige Schwarzwerte und alles ist klar erkennbar. Die deutsche Synchronisation ist gut, es gibt ausreichend Umgebungsgeräusche und die Tondesigner haben einen knackigen Klangteppich erzeugt. Nur einmal, beim Herumschreien von Marianna Hill, sind kurz die digitalen Limitierungen zu hören. Leider hat das Mediabook kein audiovisuelles Bonusmaterial. Das 26-seitige Booklet tröstet aber darüber hinweg: Der Text von Prof. Dr. Marcus Stiglegger verdeutlicht, welche Bedeutung dieser Film auf das Wesen des Western-Genre besitzt und beschreibt EIN FREMDER OHNE NAMEN als Hybrid zum Horrorthriller. Seine Darlegung kommt ohne große filmwissenschaftliche Fremdwortsammlung aus und ist schlüssig erklärt. Dieses Mediabook ist für unter 20 Euro sein Geld nicht nur für Eastwood-Fans wert.
Fazit
Mich hat der Film vor allem in seiner geradlinigen Art beeindruckt, die sich in der Figur Eastwoods widerspiegelt. Er setzt seinen Willen durch und hat auch das Talent dazu, als Figur wie auch als Künstler. Wenn man sich überlegt, dass dieser Film erst seine zweite Regiearbeit war, ist es bemerkenswert wie er mit dem Image des Revolverhelden den Boden aufwischt. Das höllische Ende sitzt wie ein Peitschenhieb und wird noch einige Zeit in meinen Gedanken verbleiben, da auch viel gesellschaftkritische Gedanken Gehör finden.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter