„Zeitsprung in Fußballgeschichte“
Jedes zweite Jahr im Sommer beginnt das große Gejammer in der Kinobranche Deutschlands. Nicht, dass in der warmen Jahreszeit sowieso schon die Gäste lieber ihre Zeit draußen verbringen und dem Kino fernbleiben, sondern auch noch zusätzlich alle zwei Jahre vier Wochen gähnende Leere in den Foyers der Lichtspielhäuser herrscht, denn es ist Fußball-WM/EM. Jeden Tag feuert in dieser Zeit ganz Europa ihre Mannschaften an und an andere Unterhaltung ist nicht zu denken. Die Filmverleihe treten in dieser Zeit immer schon stark auf die Veröffentlichungsbremse und nur ein paar konventionelle Kinderfilme oder anspruchsvolles Arthauskino – ja, die kulturinteressierte Zielgruppe steht wohl laut Umfragen nicht auf Fußball – finden den Weg ins Spielprogramm. Pfiffige Filmproduzenten haben sich nun gedacht, warum nicht in dieser Zeit einen Familienfilm mit Fußballthematik herausbringen? Gesagt, getan und das Stop-Motion-Genie hinter WALLACE & GROMIT Nick Park hatte genau den richtigen Film dafür im Gepäck: EARLY MAN.
Wie ihr dieser Einleitung schon anmerkt, habe ich mir äußerst skeptisch dieses nach Marketing-Strategie-riechende Produkt angesehen und auch Studiocanal bereitete die Fußball-EM 2018 zu große Umsatzangst und ließ den Film bereits Ende April in den Kinos starten. So kann man vielleicht die Meute besser auf das runde Leder einstimmen. EARLY MAN ist weder ein Marktforschungsprodukt noch wurde meine Skepsis bestätigt. EARLY MAN ist ein rundum gelungener Familienfilm, über den auch Nicht-Fußball-Fans herzhaft lachen können, weil sich hier niemand zu ernst nimmt und das alles noch unter Leitung des Kreativgenies Nick Park.
Inhalt
Der Steinzeit-Mensch Dug lebt mit seiner Sippe ein primitives, aber glückliches Leben. Die Bande ist vielleicht nicht besonders clever, hält aber zusammen als Lord Nooth in ihre Welt einfällt. Ihnen wird auf einmal klar, dass sie in einem riesigen Meteoritenkrater der geschichtlichen Entwicklung entkommen sind und die Welt sich bereits im Bronzezeitalter befindet. Lord Nooth spielt seine Macht gegenüber Dug und seiner Truppe gekonnt aus und vertreibt sie aus ihrem Zuhause, um deren Land nach Bodenschätzen auszubeuten. Die Gesellschaft der Bronzezeit ist bereits völlig dem Fußballfieber verfallen und Dug fordert Lord Nooths Profi-Fußballmannschaft heraus, um das eigene Land zurückzugewinnen. Problematisch ist jedoch, dass die Steinzeitmenschen diese Sportart noch nie gespielt haben.
Bekannte Geschichte mit Lachgarantie
Ich selbst bin kein Fan des Ballsports, liebe aber den Humor des Regisseurs Kevin Park mit seinen Knetfiguren aus dem Universum von SHAUN DAS SCHAF und WALLACE & GROMIT. Er schafft es nicht nur, die Dummheit unserer Gesellschaft in viel Humor zu verpacken, sondern bringt der Tierwelt Respekt und ein freundliches Eigenleben bei. EARLY MAN nimmt die bereits vielfach verfilmte Geschichte des Außenseiters, der mit Hilfe eines sportlichen Wettkampfs versucht über sich selbst hinauszuwachsen, als Grundlage. Was EARLY MAN aber so sehenswert macht ist, dass über diesen Sport, der Millionen begeistert, gepflegt abgelästert wird. Von einem eingebildeten Vereinskapitän über den gierigen Sportveranstalter bis hin zum starken, aber dummen Steinzeitmenschen als Spitzensportler ist alles dabei.
Außerdem darf sich hier nicht nur eine Frau in der von Männern dominierten Sportart beweisen, sondern geht den Schritt noch weiter und macht ein Wildschwein zum besten Torhüter der Mannschaft. Außerdem gibt es noch eine Vielzahl von so abgefahrenen Jokes in der Handlung, dass man beim Sehen manchmal gar nicht alles mitbekommt. Eine Filmlänge von knapp 90 Minuten ist kinderfreundlich, hat aber auch den Nachteil, dass die ein oder andere Pause nach einem gelungenen Gag oder einer Metapher auf unsere Zeit sinnvoll gewesen wäre. Wer damit zusammenkommt, dem offenbart sich der geniale Witz des Regisseurs und Ideengebers. Ein Steinzeitmensch wirft zum Bespiel aus Hunger einen Stein auf eine Ente und man erkennt mit ihm zusammen bei einem Perspektivwechsel, dass es eher eine riesige Godzilla-Ente ist. Hier fällt auch uns Zuschauern regelrecht die Kauleiste runter.
Fazit
EARLY MAN ist ein gelungener Unterhaltungsfilm für die ganze Familie, welcher nicht nur Fußball-Fans zum Lachen bringen wird. Leider fehlt der Handlung etwas Ruhe und somit kann er es nicht mit SHAUN DAS SCHAF oder WALLACE & GROMIT UND DAS RIESENKANINCHEN aufnehmen, bleibt aber dennoch über dem Durchschnitt der aktuellen Animationsfilme voller Hektik, permanent schreiender Figuren und schlechten Abspannsongs. Die Liebe, die in diesem aufwändigen Produktionsprozess mit den Knetfiguren steckt, spürt man auch beim Sehen. Jedoch zuhören sollte man – wenn man Englisch versteht – den Figuren im Originalton, denn Eddie Redmayne als Dug und vor allem Tom Hiddleston als aufgeblasener Franzose Lord Nooth, stecken die deutschen Synchronsprecher locker in die Tasche.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter