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Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) – Filmkritik

„Drehbuchautor gesucht”

Endlich hat Doctor Strange wieder Sprechstunde. Seit seiner Spielfilm-Origin-Story von 2016 musste sich der mächtige Magier einmal quer durch das MCU kämpfen, um endlich wieder einen eigenen Film auf der großen Kinoleinwand zu bekommen. So die Erwartung, aber Marvelfilme sind zu einem unendlichen Mahlstrom aus verschiedensten Handlungen und Medien geworden. Hast du Filme oder Serien nicht gesehen, staunst du Löcher in die komplexe Handlung. Und das ist ja der Geniestreich des Marvelstudios, seine Zuschauerinnen und Zuschauern, ob groß oder klein, glauben zu lassen, dass hier ein vielschichtiges Geflecht aus Geschichten präsentiert wird. Das ist es mitnichten. Bei DOCTOR STRANGE Teil 2 – denn das sollte es eigentlich sein, ein zweiter Teil um eine charakterstarke Figur – haben die Produzenten gemerkt, dass es viel größer werden muss, für eine Fortsetzung geht keiner mehr ins Kino. Paralleluniversen oder Multiversen müssen her, ein „Strange“ ist zu wenig. Das Schicksal ereilte die Spinne aus der Nachbarschaft in NO WAY HOME (2021) ebenfalls, aber auf äußerst charmante Weise. In DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS muss sich nun der frühere Chirurg und jetzt Vollzeit-Zauberer mit Alternativen seiner Welt, seiner Freunde und seines Ichs herumschlagen. Dabei ist der Charakter, der seine Geburtsstunde in den „Strange Tales“ im Juli 1963 in den Marvel Comics feierte, exzentrisch genug, um eine Fortsetzung allein zu stemmen. Der Glaube an den Supermagier fehlte aber schon im Vorhinein von Seiten der Geldgeber, vom Regie-Wechsel-Kurs ganz zu schweigen, aber darüber später mehr.

© Marvel Studios 2022

Handlung

Es beginnt furios, astro-spektakulär, Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) kämpft sich zusammen mit der jungen America Chavez (Xochitl Gomez) durch eine fremde Welt. Monster wollen ihren Tod und sie wollen an ein magisches Buch. Doch irgendetwas ist anders und das sind nicht nur die langen Haare von Strange. Er ist bereit die Energie seiner jungen Helferin zu opfern, um seinen Willen zu erreichen, doch es wird seinen Tod bedeuten.
Puh, nur ein Alptraum, Strange wacht in seinem Gemach in New York auf und muss heute einmal nicht die Welt retten, sondern auf eine Hochzeit. Seine große Liebe Christine Palmer (Rachel McAdams) heiratet. Ein guter Grund, sein Bedauern nicht ein anderes Leben führen zu dürfen an der Theke mit ein paar Martinis hinunterzuspülen. Superhelden haben nie Freizeit und es muss doch noch die Welt gerettet werden, genauer gesagt, die junge America Chavez. Die Teenagerin aus seinem Alptraum wird von einem einäugigen Tentakelmonster durch die Straßen gejagt. Eine ruppige Augen-OP von Strange an besagter Bestie später, muss er erfahren, dass es kein Traum war, sondern ein Blick in ein Paralleluniversum. Das Buch, was dort beide versucht haben zu erreichen, enthält mächtige dunkle Magie. Hier gibt es diesen uralten Band auch, in der Bibliothek des Kamar-Taj. Das bringt Wong (Benedict Wong), den ehemaligen Hüter dieser Bibliothek, auf den Plan. Leider verrät Strange in der Hoffnung auf Unterstützung der falschen Person von dem Buch, nämlich Wanda Maximoff aka The Scarlet Witch (Elizabeth Olsen), die bereit ist alles zu tun, um in einem anderen Universum ihre Söhne wiederzusehen.

© Marvel Studios 2022

Nicht nachfragen

Nachdem Strange, mehr schlecht als recht, Betreuer für den jungen Peter Parker in NO WAY HOME war, ist er nun wieder großer Bruder oder schräger Onkel für einen weiteren Teenager. Man will anscheinend auf Teufel komm raus keinen erwachsenen Marvelfilm drehen, deswegen gibt es einen jungen Sidekick. Die junge America ist der Schlüssel durch die Welten, öffnet Portale in Sternchen-Form und verweist mit ihrem Regenbogenflaggen-Pin an der Jeansjacke an ihre Mütter (das LGBTTIQ+ Thema wäre hiermit abgehakt). Xochitl Gomez spielt aber so sympathisch vor dem Greenscreen, dass man ihr die auferlegten Merkmale gern verzeiht. Liebes Independent-Kino schickt ihr dringend Drehbücher!

© Marvel Studios 2022

Die Erfinderwerkstatt für neue Schurken ist im Betriebsurlaub und deswegen muss Wanda mit ihrer Verrückte-Mutter-Story als Bösewicht herhalten. Ein paar Anleihen an die magischen Wesen aus dem letzten MCU-No-Brainer SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE TEN RINGS (2021) gibt es ebenfalls. Das bedeutet, es ist sinnvoll die Disney+ Miniserie WANDAVISION zu kennen und den eben erwähnten SHANG-CHI-Film, wie auch den letzten SPIDER-MAN von 2021 gesehen zu haben. Um im Mittelteil von DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS mitlachen oder mitstaunen zu dürfen, sollte man bei der Serie WHAT IF…?, ebenfalls auf Disney+, reingesehen haben. Der Eindruck drängt sich in Monstergröße auf, dass die erste Filmhälfte nur als Rechtfertigung dazu da ist, diese vorherigen Serien und Filme gesehen zu haben.

© Marvel Studios 2022

Die Grundfesten einer Filmhandlung, die durch die Persönlichkeit des Protagonisten und seiner Nebendarsteller vorangetrieben wird, gibt es nicht mehr. Die Effekte und unlogischen Szenen prasseln auf uns und die Figuren ein. Es fällt dadurch umso mehr auf, dass eine konkrete künstlerische Aussage oder dramatische Handlung fehlt. Das liegt vor allem am wechselnden Drehbuchautorenkreis in der Vorproduktionsgeschichte und am Wechsel der Regisseure von Scott Derrickson (DOCTOR STRANGE, 2016; SINISTER, 2012) zu Sam Raimi (SPIDER-MAN, 2002; TANZ DER TEUFEL, 1981). Ergebnis: Im ersten Drittel scheinen nur die Marvelstudio-Produzenten das Script geschrieben zu haben, dann hatte Derrickson keine Lust mehr, weil er seine Möglichkeit auf einen soliden Horrorfilm im MCU verstreichen sah, was dem zweiten Drittel einen absurden Leerlauf von einfallslosen Parallelwelten bescherte (Die Menschen gehen bei Rot über die Straße, verrückt!), um dann im letzten Filmdrittel Sam Raimi von der Leine zu lassen.

© Marvel Studios 2022

Langweilige Parallelwelten und Horrorklassiker

Der cleverste Umgang mit einem übermächtigen Ideenreichtum zum Thema Paralleluniversen ist die Animationsserie RICK UND MORTY. Für die breite Masse zu nerdig, zu clever, zu pessimistisch und viel zu abgedreht. In einer Folge dieses Zeichentricks steckt mehr Philosophie, Wissenschaft und Ethik als in diesen zwei Stunden Superheldenfilm. Der Aufbruch in die Parallelwelten mit DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS wird zu einer nüchternen Angelegenheit. Die erste große Welt in die Strange und America reisen, sieht immer noch aus wie das Marvel-New-York, aus dem sie kommen. Die Pflanzen haben Blüten statt Blätter, ein paar andere Klamotten an den Statisten und die Nummer mit den Ampeln. Von den dortigen Helden (WHAT IF…?) fangen wir lieber erst gar nicht an, denn mehr als ein Personal- und Kostümwechsel stellen sie nicht dar. Da bringt es auch nichts, den stärksten Telepathen der Comicgeschichte in einem gelben Gefährt in die Szene zu rollen. Diese oberflächliche Welt wird noch vom Kampf der Scarlet Witch gegen diese Bande in ihrer Belanglosigkeit übertroffen. Niemand hat den Hauch einer Chance. Das Fehlen von Grenzen bei Superkräften und somit der Verlust von Spannung bekommt im Mittelteil seinen traurigen Höhepunkt. Die anderen Welten scheinen eher von Produktionsdesignern erschaffen worden zu sein als von richtigen Geschichtenerzählern, aber das lässt sich auf das Personalrondell an der Drehbuchschreibmaschine erklären.

© Marvel Studios 2022

Im letzten Drittel, wenn auch nur visuell, wacht DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS erst richtig auf. Jeder, der schon die Trailer gesehen hat, dem werden leider die Überraschungen verhagelt, aber für Filmgeschichtsfans gibt es Licht am Ende des Tunnels oder besser gesagt Dunkelheit am Ende dieses Kindergeburtstages: Sam Raimi ist am Steuer. Das passt zwar alles so gar nicht in die Welt der Paralleluniversen, aber es ist eine Wohltat, wenn endlich eine künstlerische Stimme im Film Gehör findet: in einem verspielten Notenkampf von Good-Strange gegen Bad-Stange mit der Unterstützung von Filmkomponist Danny Elfman oder in der unerwarteten Kameraführung. Der 62-jährige Regisseur Raimi schmeißt alles im Bild über Bord, was dort keinen Nutzen hat, bringt minimalistische Düsternis zum Beispiel mit einer endlosen Foyertreppe auf die Leinwand, verkürzt die Dialoge auf das Wesentliche und bringt die Kamera in Bewegung – man erinnert sich an EVIL DEAD, in dem die Kamera zum angriffslustigen Monster wird. Dieses letzte Filmdrittel mit Spaß täuscht über das ganze Ideenchaos ohne Abstimmung davor nicht hinweg. Bruce Campbell, in der Hidden-Hidden-Credit-Scene bringt es auf den Punkt. Puh, es ist endlich vorbei.

© Marvel Studios 2022

Fazit

Jeder durfte hier Ideen in einen Topf werfen und die wurden dann Stück für Stück abgearbeitet. Paralleluniversen können cool, ideenreich und komplex sein. Sie können hinterfragen, warum unsere Welt so ist, wie sie ist und eingefahrene Strukturen aufbrechen. In DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS werden jedoch Farben- und Kostümwechsel als unglaubliche Geschichten verkauft. Aber am Ende wird nur eines verkauft und das ist eine weitere Jahresmitgliedschaft im Marvel-Fanclub. Vertragslänge: die Unendlichkeit des Profits.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewDoctor Strange in the Multiverse of Madness (2022)
Poster
RegieSam Raimi
ReleaseKinostart: 04.05.2022
ab 28.07.2022 als Ultra-HD Blu-ray, Blu-ray und DVD erhältlich.

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Trailer
BesetzungBenedict Cumberbatch (Dr. Stephen Strange)
Elizabeth Olsen (Wanda Maximoff / Scarlet Witch)
Xochitl Gomez (America Chavez)
Chiwetel Ejiofor (Karl Mordo)
Benedict Wong (Wong)
Rachel McAdams (Rachel McAdams)
Michael Stuhlbarg (Nicodemus West)
DrehbuchMichael Waldron
KameraJohn Mathieson
FilmmusikDanny Elfman
SchnittBob Murawski
Tia Nolan
Filmlänge127 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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