Vor ziemlich genau 39 Jahren, im Oktober 1980, startete in den deutschen Kinos Stanley Kubricks SHINING. Kubricks Film revolutionierte nicht nur das Genre von Grund auf, er stellte es komplett auf den Kopf. Sein Meisterwerk übt bis in die heutige Zeit einen enormen Einfluss auf viele Filmemacher weltweit aus. Selbst nach so vielen Jahren muss man jedoch anmerken, dass bis jetzt nur eine geringe Anzahl von Personen diesen außergewöhnlichen Film in seiner komplexen Gesamtheit erfasst und auch wirklich verstanden haben. Im Jahre 2013 veröffentlichte Stephen King dann die lang erwartete Fortsetzung der Buchvorlage zu SHINING, unter dem Titel DOCTOR SLEEP. Kurz nach der Veröffentlichung sicherte sich Warner Bros. die Rechte an der Verfilmung DOCTOR SLEEPS ERWACHEN.
Im Januar 2018 wurde bekannt das Mike Flanagan das Drehbuch sowie die Regie der Fortsetzung übernehmen wird. Zudem arbeitet man an einem Prequel zu SHINING, dass auf den Titel THE OVERLOOK HOTEL hört, Regisseur soll hier Mark Romanek sein, Drehbuchautor ist diesmal Glen Mazzara. Doch zurück zu DOCTOR SLEEP: Regisseur Mike Flanagan wurde 1978 in Salem, Massachusetts, geboren. Schon als Kind drehte er Kurzfilme, die ihm später auch zum Horrorfilm brachten, unter anderem OCULUS (2013), OUIJA: URSPRUNG DES BÖSEN (OUIJA: ORIGIN OF EVIL, 2016), DAS SPIEL (GERALD‘S GAME, 2017) sowie einige Folgen der TV-Serie SPUK IN HILL HOUSE (THE HAUNTING OF HILL HOUSE, 2018- ). Kameramann Michael Fimognari arbeitete bei mehreren Projekten mit Flanagan zusammen, man kann sagen die beiden kennen sich gut. Auch er hat schon Erfahrungen mit Horrorfilmen gesammelt, wie in JESSABELLE – DIE VORHERSEHUNG (2014) DEMONIC – HAUS DES HORRORS (2015) oder THE LAZARUS EFFECT (2015), beide sind nun für DOCTOR SLEEPS ERWACHEN erneut zusammengekommen. Auf dem wunderbaren roten US-Kinoplakat steht als Überschrift „Dare To Go Back“. Stellt sich nun die Frage, ob es sich auch gelohnt hat, zurück ins Overlook Hotel zu gehen?
Inhalt
Danny Torrance (Ewan McGregor) ist erwachsen geworden, doch die Ereignisse im Overlook Hotel wirken noch immer nach. Als Alkoholiker lebt er auf der Straße in den Tag hinein, ohne jedes Ziel, immer im Kampf gegen seine Dämonen. Eines Tages wird Danny von Billy Freeman (Cliff Curtis) angesprochen, der ihm kurz darauf eine Wohnung besorgt und bei den Anonymen Alkoholikern vorstellt. Bei einer der Sitzungen trifft Danny den Arzt Dr. John (Bruce Greenwood), der ihm eine Arbeit in einem Hospiz anbietet. Jahre später platzt Abra Stone (Kyliegh Curran) in Dannys Leben. Ihr Shining ist jedoch um einiges stärker. Sie wird von einer brutalen Sekte verfolgt, deren Anführerin eine gewisse Rose The Hat (Rebecca Ferguson) ist. Die Gruppe zieht durch das Land, auf der Suche nach Kindern, die ebenfalls die Kraft des Shining besitzen. Doch die Gruppe sucht keine neuen Mitglieder, sie benötigt die Energie, die das Shining im Augenblick des Todes freisetzt. Es verleiht Rose und ihren Anhängern ein besonders langes Leben. Danny und Abra schmieden einen gefährlichen Plan, denn Rose hat nun sie als nächste Opfer auserwählt.
„Ich laufe vor mir selbst davon“
Diese Aussage von Danny könnte auch das Motto des Films sein. Das Interessanteste daran dürfte noch die Geschichte um seine Hauptfigur Danny Torrance sein. Ein paar gute Ansätze finden sich in seiner weiteren Entwicklung zum Erwachsenen, aber auch in seinem schweren Kampf gegen die Vergangenheit. Ebenso spannend ist sein verzweifeltes Ringen gegen das Erbe seines Vaters Jack, welches aus einer Mischung von Angst, Alkohol und Gewalt besteht. All das ist gut in Szene gesetzt und Ewan McGregor verkörpert glaubwürdigen den erwachsenen und innerlich zerstörten Danny. Doch all diese Probleme, die seinen Charakter betreffen, werden nur an der Oberfläche angerissen, wie auch seine Arbeit in dem Hospiz.
Im Gegensatz dazu ist der ganze Zirkus um „den wahren Knoten“, wie sich die Gruppe um Rose The Hat nennt, nur langweilig und viel zu dominant ausgefallen. Diese Sekte kommt einem vor wie eine wild gewordene Horde von Vampir-Mutanten. Mehrmals hat man den Eindruck, dass Professor Xavier von den X-Men, ganz sicher ein paar seiner Schüler abhandengekommen sind. Wenn dann Grampa Flick (Carel Struycken, der Riese aus TWIN PEAKS) stirbt, nimmt das ganze sogar die Dimensionen einer Jahrhunderte alten Vampir-Legende an. Lediglich Rebecca Ferguson als Rose kann stellenweise überzeugen.
Der Score von den Newton Brothers dagegen kann sich hören lassen und erinnert in einigen Momenten an sein prominentes Vorbild. Doch gibt es auch Szenen, wo er sich zu sehr in den Vordergrund spielt, fast schon aufdringlich wirkt, was aber nur aufgrund des durchgehend schwachen Drehbuchs möglich ist. Womit wir auch schon beim größten Problem des Filmes sind: DOCTOR SLEEPS ERWACHEN schwankt zwischen einigen wenigen, interessanten Momenten und vielen langweiligen Abschnitten, die scheinbar kein Ende nehmen wollen. Sowie der Tatsache, dass alle Themen und Charaktere nur oberflächlich behandelt werden. Weniger wäre hier ganz sicher mehr gewesen und hätte dem gesamten Film besser zu Gesicht gestanden.
Original vs. Kopie
Gleich zu Beginn gibt es den ersten Schock für Fans von SHINING, wenn plötzlich zwei unbekannte Gesichter als Wendy Torrance (Alex Essoe) und Dick Hallorann (Carl Lumbly) eingeführt werden. Danach folgt eine unendlich lange Geschichte um nichts, bevor wir in den gut letzten zwanzig Minuten endlich zum Overlook Hotel fahren. Es fühlt sich an, als würde man nach einer langen, sinnlosen Reise, endlich zu Hause ankommen. Doch prompt taucht neues Ungemach am Horizont auf, denn was machen all die fremden Menschen hier? Warum nur wurden die bekannten Gesichter eines Jack Nicholson oder einer Shelley Duvall, Philip Stone, Joe Turkel oder Scatman Crothers mit neuen Schauspielern besetzt? Das wirkt wie eine billige Kopie aus der untersten Schublade, wie Fremdkörper in einer bekannten Kulisse, einfach schauderhaft. Wenn man schon nicht die Originaldarsteller bekommen kann, warum dann keine Computereffekte einsetzen? Selbst bei STAR WARS hat man Peter Cushing mithilfe der neusten Technik aus der Mottenkiste gezaubert. Wo sind da nur die geschätzten 45.000.000 US-Dollar geblieben, die der Film angeblich verschlungen haben soll?
Kopieren, kopieren und noch mal kopieren
Die ganzen Reminiszenzen an Kubricks Meisterwerk machen DOCTOR SLEEPS ERWACHEN schlussendlich nicht wirklich besser, ganz im Gegenteil, sie steigern eher noch die Enttäuschung. Denn man kann erahnen, was wirklich möglich gewesen wäre, was für ein Potenzial eigentlich im Stoff verborgen ist. Als Anspielungen wären zum Beispiel die ganzen Hinweise auf das Jahr 1980 (der Kinopremiere von SHINING), das alte Warner Bros. Logo gleich zu Beginn, Dr. John, der nicht nur eine Kopie von Ullman (Berry Nelson) aus dem Overlook ist, nein, sein ganzes Büro ist eine Kopie von Ullmans Büro. So geht das weiter, ein Verweis zu SHINING nach dem anderen, selbst am Ende ist der Zweikampf zwischen Rose und Danny, der auf derselben Treppe stattfindet, auf der schon Jack und Wendy gekämpft haben, sogar mit den gleichen Kameraeinstellungen gedreht. Aber selbst bei aller Sorgfalt im Kopieren, haben sich doch einige Fehler eingeschlichen. Als Jack Torrance mit der Axt in der Hand Danny verfolgte, waren sie niemals in den oberen Stockwerken, schon gar nicht auf dem Flur vor Zimmer 237, wie hier in einer kurzen Szene zu sehen ist. Oder die kleine Wohnung, die der Familie Torrance im Overlook zugewiesen wurde, hat direkt hinter der Eingangstür drei Stufen, die ins Innere führen. Diese Stufen sind nun einfach verschwunden. Kleinigkeiten nur, die jedoch für SHINING-Fans störend sind.
Fazit
DOCTOR SLEEPS ERWACHEN wurde weltweit als Fortsetzung, als das nächstes Kapitel, zu seinem überragendem Vorgänger SHINING angekündigt. Also muss der Film sich auch daran messen lassen, ob er will oder nicht. Kubricks SHINING war voller Leben im Tod, Fragen und Geheimnissen an jeder Ecke, jede Einstellung ist ein Kunstwerk. Ikonische Bilder, meisterhafte Augenblicke, jede Szene ist eine Offenbarung. Dazu noch grandiose Schauspieler, die auf ewig mit diesem Film verbunden sein werden.
Flanagans DOCTOR SLEEP dagegen ist eher der fette Sattelschlepper, der mühsam durch die heiße Prärie gezogen werden muss, weil er keinen Treibstoff mehr hat, vollkommen orientierungslos, egal was es kostet. Die Frage vom Anfang, ob es sich wirklich gelohnt hat, noch einmal zurück zu gehen, kann ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Oder um es mit den Worten von Jack Torrance abzuschließen: „Ich bin gerne bei euch, Loyd“.
Titel, Cast und Crew | Doctor Sleeps Erwachen (2019) OT: Doctor Sleep |
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Poster | |
Release | Kinostart: 21.11.2019 ab dem 09.04.2020 auf UHD, Blu-ray und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Mike Flanagan |
Trailer | |
Besetzung | Ewan McGregor (Danny Torrance) Rebecca Ferguson (Rose The Hat) Kyliegh Curran (Abra Stone) Cliff Curtis (Billy Freeman) Zahn McClarnon (Crow Daddy) Dr. John (Bruce Greenwood) |
Drehbuch | Mike Flanagan |
Buchvolage | DOCTOR SLEEP von Stephen King |
Musik | The Newton Brothers |
Kamera | Michael Fimognari |
Schnitt | Mike Flanagan |
Filmlänge | 152 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Ohne Kaffee geht hier gar nix / Liebt den Phantastischen Film in Wort und Bild / Vor allem alles was vor 2000 entstanden ist / Lieber ein neues Regal mit Filmen als einen Schrank mit Klamotten