„Miau!“
Genie und Wahnsinn trennen der Redensart nur ein paar Synapsen voneinander. Ein Zeichner und Maler, der Ende des 19. Jahrhunderts Bilder von Katzen malt, die sich wie Menschen verhalten, klingt des Wahnsinns nahe. Außerdem galten Katzen zu dieser Zeit nur als Kammerjäger und nicht als Haustier. Louis Wain war dieser Mann, ein Exzentriker mit vielen Talenten, verrückten Theorien und zu viele Schwestern, die finanziell versorgt werden mussten. Das träumerische Biopic DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN nimmt uns mit auf eine Reise in das Leben einer irren Persönlichkeit, die seinerzeit als einer der berühmtesten britischen Maler galt. Der Film treibt mit allen Gewerken der Kunst sein schrulliges Spiel und man muss ein paar Schritte über die eigenen Erwartungen hinweg machen, damit ein Eintauchen ins viktorianische Zeitalter und die kreative Muse dieses Ausnahmetalents gelingt.
Handlung
London, das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende und Louis Wain (Benedict Cumberbatch) hat keine Zeit. Er zeichnet Illustrationen für die THE ILLUSTRATED LONDON NEWS, die ihm für einen Hungerlohn geradeso sein Leben und das seiner Schwestern und Mutter finanzieren. Der Vater ist früh gestorben, hat ein Haus, ein kleines Vermögen und viel Verantwortung für Louis hinterlassen. Doch der hohe Stand in der Gesellschaft ist teuer und Louis hat viele Interessen wie Boxsport, Elektrizität und Kunst. Sein Geist scheint nie zu ruhen. Nur wenn er in Bewegung ist, bündeln sich seine Gedanken.
Als für sein Schwestern eine Lehrerin im Haus eingestellt wird, ist er von der neuen Person ganz fasziniert. Die Gouvernante Emily Richardsen (Claire Foy) zählt mit ihren Eigenarten und Ängsten nicht gerade zu den konventionellen Frauen jener Zeit. Beide verlieben sich ineinander und Louis nimmt – trotz massivem Bruch der damaligen Konventionen – die intelligente, aber arme Emily zur Frau. Sie ziehen aus der Stadt in ein kleines malerisches Haus. Dort treffen sie auf einen herumstreuenden kleinen Kater, den sie Peter taufen. Er wird zum Ersatzkind und Inspiration, denn das Schicksal für eine glückliche Ehe ist nicht bestellt.
Katzenbande
Das heutige Internet besteht bestimmt zur Hälfte aus Katzenvideos, in denen die Stubentiger verrückte Sachen tun oder sich wie Menschen verhalten. Louis Wain malte sie bereits in menschlichen Situationen und das vor über 100 Jahren. Die Menschen hatten nicht einmal Katzen als Haustiere und erst mit seinen Bildern begann die damalige Oberschicht, sich Katzen zu halten. Zudem war er zu Lebzeiten bereits sehr erfolgreich, da seine liebevollen Bilder, den Menschen wohl ein Lächeln in den tristen Alltag zauberte. Die Bilder sind frei von politischer Satire oder gesellschaftlicher Moden. Es sind Katzen, die Schlitten fahren, Golf spielen oder eine Runde pokern. Wain sah in ihnen etwas, was andere nicht sahen und konnte dies in seinen Bildern zum Ausdruck bringen. Im Verlaufe seiner Karriere mit all ihren Höhen und Tiefen und stetigem Verlust seiner geistigen Gesundheit, veränderte sich auch seine Kunst. Von Zeichnungen, die für Kinderbücher wie geschaffen waren, wurde die Schnurrhaargesichter bunter, abstrakter und psychedelischer. Man mag es Ausdruck seiner geistigen Krankheit nennen oder es ist die Evolution der eigenen künstlerischen Aussage. Zum Beispiel der deutsche Maler Gerhard Richter malte eine Zeit lang fast fotografisch genaue Gemälde, später wurden seine Werke groß, abstrakt, flächig und zweidimensional.
DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN versucht mit ihren eigenen cineastischen Mitteln bei dieser künstlerischen Weiterentwicklung mitzuhalten. Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch (SHERLOCK TV-Serie, DOCTOR STRANGE) und Claire Foy (THE CROWN TV-Serie, UNSANE) sind für dieses britische Biopic belebend. Hinzukommt Olivia Colman als Erzählerin, Andrea Riseborough als Schwester Caroline, Taika Waititi als schrulliger New Yorker Verleger und ein geradezu elektrisierender Nick Cave als H.G. Wells. In kleinen Räumen, malerischen Landschaften und auf steinigen Straßen folgen wir Louis Wain durch sein Leben.
Die Inszenierung von Will Sharpe ist ungemein verspielt, manchmal märchenhaft schön, aber auch manchmal befremdlich affektiert. Blitze zucken wie auf historischen Röntgenplatten durch einen Alptraum Wains, das verliebte Paar spaziert durch eine impressionistische, saisonale Landschaft und zum Ende treibt uns der Film durch einen kaleidoskopischen Rohrschachtest (Sehen sie die Katzen?). Das passt zwar perfekt zum Verständnis dieses Künstlers, blockt aber immer wieder das Eintauchen in dessen Leben. Unauffälligere Merkmale wie das 4:3 Bildformat, das eine permanente Isolation und Klaustrophobie erzeugt, würde DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN besser zu Gesicht stehen. Hinzukommt eine sich immer wieder in den Vordergrund spielende Filmmusik vom Bruder des Regisseur Arthur Sharpe. Auch hier wären ein paar simplere Melodien für die Immersion in die Hauptfigur besser gewesen.
Fazit
Louis Wain war abgesehen von seinen Kunstwerken ein Mann der Zukunft. Er heiratete eine Frau, die nicht seinem Stand entsprach, beide hielten sich einen Kater als Haustier und seine Interessen waren nicht davon geprägt Vermögen anzuhäufen. Er ist eine Blaupause für so viele Lebensmodelle, die heute als selbstverständlich gelten. DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN erzählt mit exzentrischer Kreativität davon, vielleicht nicht alles, aber es ist ein verspielter Blick in die Welt eines Künstlers mit psychischem Krankheitsbild, der mehr war als die Summe seiner Werke.
Titel, Cast und Crew | Die wundersame Welt des Louis Wain (2021) OT: The Electrical Life of Louis Wain |
Poster | |
Regie | Will Sharpe |
Release | Kinostart: 21.04.2022 |
Trailer | Englisch |
Besetzung | Benedict Cumberbatch (Louis Wain) Claire Foy (Emily Richardson-Wain) Andrea Riseborough (Caroline Wain) Toby Jones (Sir William Ingram) Sharon Rooney (Josephine Wain) Aimee Lou Wood (Claire Wain) Hayley Squires (Marie Wain) Stacy Martin (Felicie Wain) Phoebe Nicholls (Mrs. Wain) Adeel Akhtar (Dan Rider) Asim Chaudhry (Herbert Railton) Taika Waititi (Max Kase) Crystal Clarke (Alicia Simmonds) Daniel Rigby (Bendigo) Richard Ayoade (Henry Wood) Julian Barratt (Dr. Elphick) Dorothy Atkinson (Mrs. DuFrayne) Nick Cave (H.G. Wells) Olivia Colman (Erzählerin) |
Drehbuch | Simon Stephenson Will Sharpe |
Filmmusik | Arthur Sharpe |
Kamera | Erik Wilson |
Schnitt | Selina Macarthur |
Filmlänge | 111 Minuten |
FSK | Ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter