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Die wandernde Erde II (2023) – Filmkritik

„Made in China”

Das Gute an durchschnittlichen bis schlechten Filmen ist, dass man während der Szenen einfach seinen Gedanken nachhängen kann. Bei mittelmäßigen Unterhaltungsblockbustern geht das besonders gut. Man denkt an den ein oder anderen alten Film, der hierfür vielleicht Inspirationsquelle sein könnte oder man versucht es analytisch. Im Fall von DIE WANDERNDE ERDE II geht das wunderbar, denn wir bekommen einen Einblick wie die chinesische Unterhaltungsbranche bzw. die Politik tickt, denn jede chinesische Filmproduktion muss von der Kommunistischen Partei (KP) freigegeben werden. Die Fortsetzung des Actionspektakels DIE WANDERNDE ERDE, welches aktuell nur in OmU auf Netflix zu sehen ist, besitzt ein solides, einfältiges Untergangsszenario, auf das selbst Roland Emmerich neidisch wäre. Es stellt ebenfalls klar, wie sich die zweitgrößte Volkswirtschaft des Planeten in ihrer globalen Rolle versteht und welche Visionen sie für die Menschheit als richtig erachtet. Das geht für die westliche Welt, vor allem uns Europäer, gar nicht gut aus – wir bekommen keine handlungsrelevante Rolle zugeteilt. Aber dank der Hollywood-Filmbildung nach Ende des Kalten Kriegs auch nichts Neues. Bis jetzt retten bekanntlich nur die Amerikaner die Welt auf den Leinwand und andere Nationen müssen für Sidekicks oder Schurken herhalten. Auch wenn THE WANDERING EARTH II nicht wirklich ein guter Film ist, macht es vor allem Spaß in dieses gesellschaftliche und politische Verständnis Chinas einzutauchen. Keine Sorge, die Gehirnwäsche bleibt aus, aber zuerst zur verrückten Geschichte.

© Plaion Pictures

Handlung

2044, keine Klimakatastrophe und kein tödlicher Asteroid bedroht unsere Existenz, nein, es ist die Sonne, die sich unerwartet ausdehnt und in knapp 100 Jahren die Erde verschlingen wird. Von den lebensbedrohlichen Veränderungen wie Sonnenstürmen und extremer Hitze ganz zu Schweigen. Die Nationen raffen sich zusammen und formen eine Erdregierung, um Pläne für die Rettung der Menschheit zu schmieden. Es gibt zwei Bewegungen: Einmal das sogenannte „digitale Leben“: wissenschaftliche Bestrebungen das menschliche Bewusstsein digital einzuspeisen, um ewig zu leben. Die zweite Bewegung, vor allem von der chinesischen Führung, ist das Projekt „Berg versetzen“. Mit riesigen Triebwerken soll die Erde nicht nur im Sonnensystem verschoben werden, sondern gleich ganz aus dem System abhauen. Nächster Halt: Alpha Centauri. Das dauert aber seine Zeit, genauer gesagt 2.500 Jahre. Die Menschen müssten sich auf Grund der lebensfeindlichen Bedingungen bei dieser interstellaren Reise unter die Erdoberfläche zurückziehen und man braucht noch so um die 10.000 Supertriebwerke für die Beschleunigung. Es heißt aber hier nicht kleckern, sondern klotzen und man entscheidet sich für die zweite Variante. Einige Gruppen der Menschheit teilen diesen fusionsstarken Optimismus jedoch nicht und wollen ihr Hirn lieber ins Netz hochladen, aber vorher werden sie noch zu dem ein oder anderen Sabotageakt greifen.

© Plaion Pictures

Science-Fiction-Paradigmen

Die Verschiebung der Erde ist nicht neu im Genre. Im japanischen Film GORATH – UFOS ZERSTÖREN DIE ERDE (1962) werden riesige Düsentriebwerke auf dem Südpol platziert. Die Erde soll dem titelgebenden Asteroiden ausweichen und dann wieder an ihren alten Platz zurückkehren. Der Film ist ein großer Spaß und das liegt nicht nur an GODZILLA-Regisseur Ishirō Honda, der wie im deutschen Titel keine Ufos bieten kann, aber ein Riesenwallross namens Magma. Diese Filmreihe jedoch, die eine Trilogie werden soll, basiert auf der Kurzgeschichte des chinesischen Bestsellerautors Liu Cixin (Trisolaris-Trilogie). DIE WANDERNDE ERDE II enthält zusätzlich ein paar technologische Updates aus unserem Jahrtausend und einiges an Größenwahn. Dank Quantencomputer ist die Technologie der heliumbetrieben Fusionstriebwerke überhaupt möglich. Die KI (Rechnermodell 550A bis 550W) treibt die Effizienz in enormem Tempo voran. Zusammen mit Robotern, Drohnen und 3D-Druckern soll es möglich sein, diese riesige Anzahl an Triebwerken, die größer als ganze Städte sind und einige Kilometer hoch, zu bauen. Wo die Ressourcen für das Material herkommen, weiß man nicht. Selbst heute ist Sand für Beton endlich und wir verbrauchen aktuell Rohstoffe von mehr als vier Planeten. Somit wird das Unterfangen schwer nachvollziehbar. Zusätzlich soll es in diesem Szenario auch noch unterirdische Städte geben, in denen sich die Menschheit für 2.500 Jahren verkriechen wird. Schwierige Angelegenheit, dann vielleicht doch lieber sein Bewusstsein in Bits und Qubits hochladen. Aber das Ganze muss ja auf Servern laufen und mit Strom versorgt werden, wenn die Sonne die Erde verdampft, haben wir auch nicht viel vom virtuellen Walhalla. Ihr merkt, es ist nicht leicht sich als Publikum in eine der beiden ideellen Strömungen zu verorten, vor allem, wenn man Natur als Lebensgrundlage ansieht, denn die kommt in diesem Film rein gar nicht vor.

© Plaion Pictures

All diese technologischen Neuerungen machen DIE WANDERNDE ERDE II zu einer Melange aus bekannten Genre-Konzepten: Bedrohung durch KI, 550W erinnert an HAL 9000 (2001: ODYSSEE IM WELTRAUM), die Verwirklichung von industriellen Megaprojekten danke Baudrohnen (AVATAR 2), den digitalen Bewusstseins-Upload (TV-Serien wie BLACK MIRROR, EXTRAPOLATIONS) und einiges an militärischer Rettungsattitüde (ARMAGEDDON, etc.). Das grundlegende Problem des Films ist aber seine narrative Ebene. Die Charaktere werden kaum ausgearbeitet, es ist immer wieder schwer dem Geschehen zu folgen, in welcher Zeitebene oder an welchem Ort man sich gerade befindet. Das Drehbuch will für seine üppigen 173 Filmminuten viel zu viel erzählen. Aber darüber, warum der Film nicht funktioniert, möchten wir an dieser Stelle nicht sprechen, sondern darüber was DIE WANDERNDE ERDE II uns über das aktuelle China verrät.

© Plaion Pictures

Politbarometer

Manche nennen es Propaganda, ich nenne es einen Einblick in das Verständnis der chinesischen Bevölkerung und der politischen Führung. China ist eine Diktatur mit einem enormen Regierungsapparat, der Kommunistischen Partei unter der Führung von Xi Jinping als Generalsekretär, Staatspräsident und oberster Befehlshaber der Armee. Seit Xi Jingping 2012 die Führung Chinas übernommen hatte, ist es das oberste Ziel der KP alle Chinesinnen und Chinesen aus der Armut in den Wohlstand zu führen, auch auf Kosten von Minderheiten im eigenen Land. Das Ganze hat einen Zeitstempel: 2049 (genau 100 Jahre nach Gründung der Volksrepublik) soll China ein „modernes, sozialistisches Land sein, dass reich, stark, demokratisch, zivilisiert und harmonisch ist“ (Quelle: Wikipedia). Mit anderen Worten: China will die globale Führung. Diese konkrete Benennung mit Jahreszahlen finden wir auch hier in DIE WANDERNDE ERDE II. Selbst am Filmende werden noch Jahreszahlen genannt und wie perfekt der jahrzehntelange Zeitplan eingehalten wird.

© Plaion Pictures

Die Kontrolle der Bevölkerung für das beschlossene Ziel findet man deutlich im Subtext des Films wieder. Der chinesische Botschafter Zhou Zhezhi (Li Xuejian) führt ohne Bedenken das Projekt voran, hat bereits auch schon diverse Missionen ohne Absprache initialisiert, um das Ziel zu erreichen. Auch sein äußeres Erscheinungsbild wandelt sich vom Anzug zur kommunistischen Arbeiterjacke. Das Konzept Familie wird mit dem Piloten Liu Peiqiang (Wu Jing) und der Militärärztin Han Duoduo (Wang Zhi) verdeutlicht. Beide lernen sich beim Militär kennen, bekommen ein Kind, fügen sich der Umsiedlung und nachdem die Ehefrau – ein emanzipiertes Frauenbild ist Lichtjahre entfernt – sterbenskrank ist, muss sie ihren Platz für den Großvater räumen, der mit dem Sohn ins unterirdische Beijing (DIE WANDERNDE ERDE Teil 1) umsiedelt, während Pilot Liu Peiqiang als Astronaut die Menschheit rettet. Die Richtung gibt die Regierung vor, Zweifel an der Vorgehensweise sind nicht zu hören. Die Opposition ist entweder das indische Projekt „Digitales Leben“ oder wahllose Terroranschläge. Die Figur von Andy Lau als Wissenschaftler Tu Hengyu versucht einen Kompromiss herzustellen, aber wir wissen dank des vorherigen Teils, es ist nur die Grundlage weiterer Konflikte. Die Allgemeinheit fügt sich diesem einen Projekt, stellt sich artig in Essensschlangen (Militärhelden bekommen zwei Plastiktüten extra) und schiebt ab und zu ein paar Zigarettenschachteln für Gefallen in fremde Hände. Aber dieses Phänomen ist kein rein chinesisches. Korruption und Militärverehrung, das kennen wir zur Genüge aus amerikanischen Filmen.

© Plaion Pictures

Fazit

Innerhalb von hundert Jahren will China wieder eine unangefochtene Macht auf diesem Planeten sein und in DIE WANDERNDE ERDE II will die Menschheit samt Erdball innerhalb von 100 Generationen mit 10.000 fusionsbetrieben Triebwerken nach Alpha Centauri fliegen. Diese und weitere Parallelen lassen sich im zeitweise schwer zu folgenden Actionspektakel wiederfinden. Wer geopolitische Ideale und Science-Fiction gern zusammenbringen will, findet hier gute analytische Unterhaltung, aber für alle, die nicht daran glauben enorme Probleme mit industriellen Megaprojekten zu lösen, werden nach den ersten Minuten verständnislos abschalten.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewDie wandernde Erde II (2023)
OT: liúlàng dìqiú 2
Poster
ReleaseKinostart: 21.12.2023
seit dem 25.04.2024 auf UHD/Blu-ray im Steelbook, Einzel-Blu-ray und DVD erhältlich.

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RegieFrant Gwo
Trailer
BesetzungWu Jing (Liu Peiqiang)
Li Xuejian (Zhou Zhezhi)
Andy Lau (Tu Hengyu)
Wang Zhi (Han Duoduo)
Sha Yi (Zhang Peng)
Zhu Yanmanzi (Hao Xiaoxi)
Ning Li (Ma Zhao)
Andy Friend (Mike)
DrehbuchGong Geer
Ruchang Ye
Frant Gwo
Yang Zhixue
KameraMichael Liu
MusikRoc Chen
SchnittYan Tingting
God Ye
Ruchang Ye
Filmlänge173 Minuten
FSKab 12 Jahren

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