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Die Unzertrennlichen Special Edition Koch Films

Die Unzertrennlichen (1988) – Filmkritik & Review der Special Edition

„Zwei Herzen und eine Seele“

Zugegebenermaßen: Für David Cronenbergs Meisterstück DIE UNZERTRENNLICHEN (DEAD RINGERS, 1988) lässt sich nur schwer eine absolut treffende Überschrift einer Besprechung/Rezension finden – Das doppelte Ich oder gar Zweiteilige Zwillinge? Etwas gewollt vielleicht. Das Werk ist in sich doch sehr facettenreich, auch komplex, dabei stets spannend und geradlinig erzählt. Vielleicht lässt sich hier einmal mehr Cronenbergs Status ableiten, nicht nur als Meister des „Body Horror“, sondern der filmischen Erzählung selbst zu gelten: in sich schwierige, anspruchsvolle Stoffe nicht verkompliziert ins Kinogewand zu hüllen, sondern klare Bilder zu schaffen, denen eine große erzählerische Kraft innewohnt und die eine eindeutige Sprache sprechen. DEAD RINGERS ist hierbei zweifellos von einem ganz besonderen, dunklen Glanz umgeben. Für Einige gilt er gar als Cronenbergs bester Film überhaupt:

„Der Ort des Schreckens ist Toronto […] Hier ist man bestenfalls so zu Hause, wie man in einem Operationssaal zu Hause wäre. Nur daß in diesem OP sezierende Schnitte an der Psyche vorgenommen werden. Ein Film von einer ansteckenden Kälte.“
Hellmuth Karasek: Der Spiegel

„Es ist der radikalste Film des Kanadiers, noch ausgefeilter und durchdachter als seine vorherigen Arbeiten. Der intellektuellen Provokation mit ihren bitteren Erkenntnissen scheint ein leiser Bedacht gefolgt zu sein, um nicht mehr nur länger den Irrglauben geistlicher Unendlichkeit mit Bildern mutierter Leiber zu kontrastieren, sondern das absolute Grundprinzip des Seins in Frage zu stellen.“
Rajko Burchardt: filmzentrale.com

Toxic Twins ist ebenfalls ein gelungener Titel, der gleichzeitig Symbiose und Abgrenzung vermittelt – Filmkenner Oliver Nöding schuf ihn für seinen Booklet-Text der aktuellen 3-Disc-Edition von Koch Films im schmucken Digipack. Seinen Text empfehle ich uneingeschränkt, ebenso diese neue Veröffentlichung im Ganzen.

Die Unzertrennlichen Jeremy Irons
Beverly oder Elliot Mantle (Jeremy Irons) und Claire Niveau (Geneviève Bujold) // © Koch Films

Cronenbergs DEAD RINGERS ging im Laufe der folgenden Jahre immer ein bisschen unter. Überlebensgroß schienen manch andere Werke des Meisters gerade in den Achtzigern wie etwa DIE FLIEGE (1986) oder VIDEODROME (1983). Doch ist dieser Film hier zweifellos als Kulmination bisher etablierter Elemente des Schöpfers zu betrachten. So ist er zum einen Cronenbergs bis heute konsequenteste Verbindung von psychosexueller Dramatik – die eindeutig im Vordergrund steht – sowie Bausteinen des bewährten Körperhorrors, der hier zunächst spärlich, dafür umso effektiver innerhalb der Bildgestaltung heraussticht, bis das gemeinsame Schicksal der „Unzertrennlichen“ schließlich physisch manifestiert wird. Dabei sei ein ums andere Mal zu betonen, dass gerade der effektbetonte DIE FLIEGE im Kern immer schon ein ausgeprägtes Beziehungsdrama war und vielmehr ergänzend ein Horrorfilm im Sinne eines garstigen Schockers (vgl. meine Audio-Besprechung mit Kollege Benedikt beim Deep Red Radio).

Die Unzertrennlichen Special Edition
Claire Niveau (Geneviève Bujold) // © Koch Films

Es ist demnach erkennbar, dass Cronenberg nach seinen frühen, eher garstigen Auswüchsen wie SHIVERS (1975) oder RABID – DER BRÜLLENDE TOD (1977) in den Achtzigern alsbald das Genrekino überwand und es als Präsentationsfläche für sehr reife Stoffe verwendete. In DEAD RINGERS darf das eindringlich-perfekte Spiel von Jeremy Irons in Doppelrolle, gepaart mit dem von Geneviève Bujold, als höchst bemerkenswerte Darstellung von Persönlichkeit(en) gelten. Die Story um zwei Zwillingsbrüder, die als landesweit führende Gynäkologen nicht nur während der Arbeit kaum voneinander weichen, sondern auch zusammen wohnen und augenscheinlich wie eine geeinte Seele agieren, ist eine erschreckende, höchst unterhaltsame Parabel auf die Hybridisierung menschlicher Verhaltensmuster. Cronenberg analysiert mit Irons’ Doppelrolle die Abhängigkeit zweier sich bis ins Detail gleichender Menschen und stellt in spannender Wechselwirkung sowohl deren enorme Gemeinsamkeiten wie auch, und hier dann vor allem psychologisch/ethologisch, deren signifikante Unterschiede heraus. Die Mantle-Brüder treten in einer Chronik auf, wie es Elliot, der einnehmendere von Beiden, auch gegenüber dem weiblichen love interest einmal deutlich formuliert. Doch gerade Bujold als Claire Niveau – was für ein Name! – verlangt schließlich Offenlegung der Mantle-Identitäten, bis sie nicht nur als Gespielin die Rivalität zwischen den Brüdern befördert, sondern gleichermaßen als figürliche Anti-Mutter die destruktive Abhängigkeit zwischen Beiden umso deutlicher werden lässt.

Die Unzertrennlichen Jeremy Irons
© Koch Films
david cronenberg Buch Breetz Verlag
DAVID CRONENBERG von Marcus Stiglegger

Loben kann man so ziemlich alles an DEAD RINGERS: Kamera, Musik, Ausstattung… Ich verzichte an dieser Stelle auf eine ausführlichere Filmanalyse, denn davon gibt es schon einige gute. So verweise ich einmal mehr auf das von Marcus Stiglegger herausgegebene Buch über den Regisseur im Bertz+Fischer Verlag. Einzig im Detail erwähnen möchte ich die bildlichen Komponenten der Teilung, der Trennung. Nicht oft, aber zu gegebener Zeit werden auch Bildüberlagerungen – geschickt entlang linearer Achsen – eingesetzt, wodurch dann Jeremy Irons doppelt innerhalb der Kadrage zu sehen ist. Solche Achsen sind u.a. die Oberkante einer Sitzreihe, architektonische Balken aus Holz oder Stahl oder Säulen. Doch wird dieser Effekt wie gesagt selten eingesetzt, um nicht abzulenken. Die Trennung entsteht per se durch Räume. Die kalte, urbane Architektur der Achtziger kommt gerade im Umfeld der wohlverdienenden Ärzte vollends zur Geltung. Und so wirkt nicht nur der Operationssaal selbst wie ein steriler Ort, in dem Fruchtbarkeit und erfüllte Liebe nicht, wie durch die Forschung der Mantle-Brüder intendiert, ermöglicht wird, sondern bereits verloren scheint. Scheinbares, Oberfläche und schließlich morbide Tragik – all das zieht sich durch den gesamten Wohn- und Lebensraum. DEAD RINGERS ist ein enorm spannender, psychosexuell aufgeladener Horrorthriller, der als schier perfekte Unterhaltung für Erwachsene gelten darf. NAKED LUNCH (1991) drei Jahre später war dann vielleicht schon wieder zu abgefahren und speziell in seiner Gesamtwirkung und konnte ein ausgesprochen spezielles (Kult-)Publikum um sich scharen; doch DEAD RINGERS gehört in jede Filmsammlung.

Die Unzertrennlichen Jeremy Irons
© Koch Films

Nach Jahren der mangelhaften Qualität wird die fulminante Wirkung der unzensierten Fassung von DEAD RINGERS hierzulande endlich offenbart: HD-Premiere auf formidabler Blu-ray plus 2 DVDs bieten zahlreiche Extras und das restaurierte Original-Bildformat von 1,66:1. Der Film ist von der FSK ungekürzt ab 18 Jahren freigegeben. Wenn man die Verpackung des Digipacks selbst offenlegt, wirkt das ganze wie ein blutrotes Buch über Frauenheilkunde voll Porträts der wichtigsten Beteiligten dieser filmischen Glanzoperation. Allerdings ist die Außenhaut des Verpackungskörpers etwas sensibel und weist bei erhöhtem Druck bereits frühzeitig Verschleißerscheinungen auf. Daher gilt: behutsames Entblößen und Ehrfurcht vor der zu untersuchenden Sache.

Extras der Special Edition

Die Unzertrennlichen Cover 3-Disc-Special Edition
Die Special Edition mit der uncut-Version von © Koch Films
  • 2 Audiokommentare, einer mit William Beard, Autor von „The Artist as a Monster: The Cinema of David Cronenberg“ und einer mit Hauptdarsteller Jeremy Irons,
  • 5 Interviews u.a. mit Cronenberg, Irons und Kameramann Peter Suschitsky (gesamt: 79 Min.)
  • Make-up mit Gordon Smith (20 Min.)
  • Trailers from Hell mit Mick Garris (2 Min.)
  • Behind the Scenes (7 Min.)
  • Vintage Making-of (7 Min.)
  • „Zwillingseffekt“ (21 Min.)
  • 24-seitiges Booklet „Toxic Twins“ von Oliver Nöding

© Stefan Jung

Titel, Cast und CrewDie Unzertrennlichen (1988)
OT: Dead Ringers

PosterDead Ringers Kinoplakat
Releaseab dem 27.09.2018 in der Special Edition (1 Blu-ray + 2 DVDs)
Bei Amazon kaufen:
RegisseurDavid Cronenberg
Trailer
BesetzungJeremy Irons (Beverly Mantle / Elliot Mantle)
Geneviève Bujold (Claire Niveau)
Heidi von Palleske (Cary)
Shirly Douglas (Laura)
Stephen Lack (Anders Wolleck)
DrehbuchDavid Cronenberg
Norman Snider
Buchvorlagebasiert auf der Buch TWINS von Bari Wood und Jack Geasland (1977)
KameraPeter Suschitzky
MusikHoward Shore
SchnittRonals Sanders
Filmlänge116 Minuten
FSKab 16 Jahren

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