Im Jahr 1967 klärte Sidney Poitier alle Zuschauer im Kinosaal auf, wie die Rolle seiner Figur heißt: „They call me Mr. Tibbs!“ (aus IN DER HITZE DER NACHT). Mit viel Mut zur Gleichberechtigung ging ein Raunen durch die Filmwelt und das Black Cinema klopfte an die Tür der Filmgeschichte. Der charismatische Detectiv Virgil Tibbs funktionierte nicht nur gut auf der Leinwand, sondern auch an der Kinokasse und so entstand die Virgil-Tibbs-Trilogie. Im zweiten Teil ZEHN STUNDEN ZEIT FÜR VIRGIL TIBBS (THEY CALL ME MISTER TIBBS!, 1970), muss der Mordfahnder gegen einen engen Freund ermitteln. Wie weit geht Tibbs für Recht und Ordnung, wenn es zur Benachteiligung des sozialen Lebens führt? Im letzten Fall, DIE ORGANISATION, wird sein Berufsethos hart auf die Probe gestellt. Der sonst so korrekte Polizist muss sich auf die andere Seite des Gesetzes schlagen, um den Fall zu lösen.
Handlung
Ein scheinbar perfekter Coup: Bei einem Teppichhandel wird mitten in der Nacht eingebrochen. Das Gebäude ist erstaunlich gut gesichert und es stellt sich heraus, dass die Diebe es nicht auf feine orientalische Auslegware abgesehen haben, sondern an den versteckten Safe wollen. Einige Kilo Rauschgift sind hier gebunkert, die gleich eingesackt werden. Nach dem Überfall wird auf einmal die Leiche des Geschäftsführers an seinem Schreibtisch entdeckt, obwohl die Diebe ihn nicht erschossen haben. Lieutenant Virgil Tibbs (Sidney Poitier) wird mit dem Fall beauftragt und gleich einen Tag später von den Dieben kontaktiert. Sie wollen eine große Organisation, die bis in die höchsten Kreise der Wirtschaft Drogengelder verschwindet lässt, auffliegen lassen. Nicht nur mit dem Aspekt der Selbstjustiz hat Tibbs seine Probleme, denn der Korruptionsverdacht fällt auch auf die Gesetzeshüter.
Blaxploitation ade
Ende der 1960er- bis Anfang der 1970er-Jahre erlebte die sogenannte Blaxploitation ihre Hochzeit. In günstigen Produktionen werden schwarze Darstellerinnen und Darsteller zu Leinwandhelden, aber stets mit einem Hang zum ambivalenten Charakter. Die großen Studios sahen hier jede Menge Geld auf den Kinoteppichen liegen und so investierten sie zwei Fortsetzungen in den mehrfachen Oscargewinnerfilm IN DER HITZE DER NACHT (IN THE HEAT OF THE NIGHT, 1967). Was in DIE ORGANISATION besonders zugänglich ist, dass jeder ohne große Affinität zum Black Cinema einen spannenden und temporeichen Krimi erlebt. Allein schon die ersten 10 Filmminuten kommen fast ohne Dialog aus. In einem perfekt durchgetimten Plan bricht zu Beginn noch ein Stabhochspringer in einen gesicherten Bereich ein und wird dann durch weitere Akteure wie Bauarbeiter oder Zivilisten bei diesem Coup unterstützt. Mit jedem neuen Aspekte des Einbruchs entstehen jedoch immer neue Fragen. Warum sprengen sie am Ende noch das Zufahrtstor, obwohl schon alles vorbei ist? So wird Spannung gleich zu Filmbeginn erzeugt, wie es zum Beispiel in einem der cleversten Prologe der Filmgeschichte geschehen ist: THE DARK KNIGHT (2008). Diese hohen Qualitäten von Christopher Nolan besitzt DIE ORGANISATION nicht – es werden sogar ein paar Einstellungen doppelt verwendet – aber die Aufmerksamkeit ist auf jeden Fall voll da.
Super-Detectiv
Es ist vor allem Sidney Poitier zu verdanken, dass die Hauptfigur eine erkennbare Persönlichkeit vorweist und zudem noch jede Menge Coolness mitbringt. Sein Gespür für die versteckten Indizien, lügenden Zeugen und die richtige Fährte lassen seine Kollegen blass aussehen. Er gibt schnell prägnante Kommandos und kuscht nicht beim Vorgesetzten, bewegt sich aber stets innerhalb des Handbuchs der San Francisco Police. Umso schwieriger nimmt man ihm die Entscheidung ab, mit Gesetzesbrechern zusammenzuarbeiten. Poitiers darstellerische Klasse zeigt sich in der Szene seiner Suspendierung. Er blickt noch einmal in die Augen seiner Kollegen, kann dort ablesen, ob sie diesen Tadel gutheißen oder nicht, legt ohne ein weiteres Wort seine Dienstmarke und Waffe auf den Schreibtisch und verlässt emotionslos das Department. So wie sich Tibbs um den richtigen Sitz seiner Anzüge kümmert, so kontrolliert ist auch sein Auftreten. In seiner Rolle als Vater und Ehemann wurden gegenüber dem vorherigen Teil etwas die Fesseln gelockert. Der Sohn bekommt Aufklärungsunterricht, was für ein paar lächelnde Blicke sorgt und die Ehefrau Valerie (immer noch Barbara McNair) ist stets die Mustervorlage einer Hausfrau. Die Tochter scheint abhandengekommen zu sein. Das zurückgefahre Privatleben ist auch wichtig, so dass Tibbs‘ „menschliche Seite“ nicht viel Screen Time erhält, denn der komplexe Fall erzeugt genug Spannung.
Action-Krimi
Wie zum Beispiel bei den James-Bond-Filmen oder THE MECHANIC (1972) ist der Feind ein gesichtsloser Kartellring in den oberen Etagen der Wolkenkratzer. Die Drecksarbeit wird Handlangern überlassen, die nicht austauschbarer aussehen könnten. Ihnen gegenüber steht die Gruppe, die den Drogen mit Selbstjustiz den Kampf angesagt hat. Die heutige Gleichstellungspolitik hätte sich hier keine bessere Diversität wünschen können, Männer und Frauen jeder Ethnie sind dabei. Von ihnen hat jeder seine persönliche Geschichte mit den Schattenseiten des Rauschgifthandels erlebt. Ungeschickt wird dies bei der Vorstellung schnell heruntergerasselt und hätte portionsweise in der Handlung den Akteuren mehr Kontur verliehen, aber man darf nicht vergessen aus welchem Produktionsjahr DIE ORGANISATION stammt.
Dafür ist die Spannung sehr gut konstruiert. Verfolgungen haben das nötige Schnitttempo und selbst zu Fuß ist stets Aufmerksamkeit die treibende Kraft. Wo heute in einer MISSION-IMPOSSIBLE-Verfolgungsjagd alles Erdenkliche explodiert wäre und die Stunts unmenschlich erscheinen, begnügt sich die Handlung mit einfachen Hindernissen. Da fällt dem Bauarbeiter schon mal das Schweißgerät aus der Hand und brennt Tibbs das Hosenbein an. So einfach kann Action inszeniert sein. Selbst mit für heutige Kommunikationswege trifft die Spannung auch beim Telefonieren zu. Die Pläne ändern sich manchmal schneller als das Kleingeld ins Münztelefon geworfen werden kann. Wem die Nerven, dann immer noch nicht gespannt werden, lässt sie sich von Filmkomponist Gil Mellé (ANDROMEDA – TÖDLICHER STAUB AUS DEM ALL, 1971)) aufwickeln. Mit seinen Free-Jazz-Sixties-Tunes scheucht er nicht nur die Jäger über die Bilder.
Die Blu-ray
Wer nun mit Mr. Tibbs auf Verbrecherjagd gehen möchte, sollte zur Blu-ray von Wicked Vision aus der Black Cinema Collection greifen. Als Ausgabe #5 bietet sie den idealen Einstieg in den Kosmos dieser filmhistorischen Stilepoche. Bild und Ton (Englisch und Deutsch) sind wieder passgenau aufs Filmjahrzehnt geschneidert. Als Extras gibt es ein Booklet von Thorsten Hanisch, einen Audiokommentar von Dr. Gerd Naumann & Christopher Klaese und das wieder einmal sehenswerte Featurette mit Andreas Rauscher zum Thema „Blaxploitation zwischen Independent und Hollywood“.
Fazit
Die effektiv erzählte Kriminalgeschichte und ein ressourcenstarker Verbrecherring machen DIE ORGANISATION zu einem spannenden 70er-Jahre-Filmabend. Vor allem Sidney Poitier ist es zu verdanken, dass die Aufmerksamkeit über die komplette Laufzeit anhält. Wie bei dem vorherigen Teil ist das Ende bitterböse zynisch. Kein Wunder, dass im selben Jahr ein gewisser „Dirty“ Harry Callahan als Kläger, Richter und Henker in Personalunion mit den Schurken auf den Leinwänden aufräumen wird.
Titel, Cast und Crew | Die Organisation (1971) OT: The Organization |
Poster | |
Regisseur | Don Medford |
Release | seit dem 14.05.2021 auf Blu-ray in der Black-Cinema-Collection Am besten direkt beim Label bestellen. Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Trailer | Englisch |
Besetzung | Sidney Poitier (Virgil Tibbs) Barbara McNair (Valerie Tibbs) Gerald S. O'Loughlin (Jack Pecora) Sheree North (Mrs. Morgan) Fred Beir (Bob Alford) Allen Garfield (Benjy) Bernie Hamilton (Lt. Jessop) Graham Jarvis (William Martin) Raul Julia (Juan Mendoza) Ron O'Neal (Joe Peralez) James A. Watson (Stacy Baker) Charles H. Gray (George Morgan - Night Watchman) Jarion Monroe (Larry French) |
Drehbuch | James R. Webb |
Filmmusik | Gil Mellé |
Kamera | Joseph F. Biroc |
Schnitt | Ferris Webster |
Filmlänge | 106 Minuten |
FSK | Ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter