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Die letzte Fahrt der Demeter (2023) – Filmkritik

„Schiffbruch mit Vampir“

Man kehrt im Leben zwangsläufig immer wieder zurück zu popkulturellen Gütern, die einen in irgendeiner Weise geprägt haben. Jeder Mensch hat seine comfort movies, -records und -books. Ob des Mediums lässt sich im Fall literarischer Produkte aber vielleicht noch eine zweite Kategorie der Wiederkehr bestimmen: Bücher, die man alle naslang wieder aus dem Regal holt, um aber eigentlich nur ein bestimmtes Kapitel oder einen Abschnitt zu lesen. Eine persönliche Auswahl: der Teufelspakt in Thomas Manns DOKTOR FAUSTUS, Martin Schlossers Abenteuer auf einem Borkumer Campingplatz in BILDUNGSROMAN und das siebente Kapitel in Bram Stokers DRACULA.

Dieses Kapitel, dass textuell spannend verschachtelt die Überfahrt der Demeter von Transsilvanien nach London schildert, ist bis heute ein Musterbeispiel für spürbares Unbehagen bei den Leser:innen. In Hollywood schien man ähnlicher Meinung zu sein (bzw. wurde dieses Kapitel in den zahlreichen Dracula-Verfilmungen häufig ausgespart) und präsentiert mit DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER nun die Leinwandadaption dieses literarischen Meisterstücks, also rein paratextuell. Mit seiner Vorlage hat der Film leider so gut wie gar nichts zu tun.

© 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved

Warum besagtes siebte Kapitel so herausragend funktioniert, darüber haben klügere Menschen zahlreiche lesenswerte Essays veröffentlicht. Vielleicht kurz zusammengefasst. Stoker wählt mehrere spannende diegetische Rahmungen, um uns die Angst des Kapitäns erfahrbar zu machen. Das siebte Kapitel ist grundsätzlich ein Tagebucheintrag von Mina Harker, seine Beschaffenheit als Briefroman liefert also bereits eine erste Ebene der behaupteten Authentizität. In dieses Tagebuch „eingeklebt“ ist ein Zeitungsartikel, indem von dem mysteriösen Fund der Demeter berichtet wird. Da taucht plötzlich ein Schoner unter vollen Segeln im Hafen von Whitby auf, nur ist das Schiff menschenleer, abgesehen von dem Leichnam des Kapitäns, der sich selbst ans Steuerrad gefesselt. Nach kürzeren juristischen Komplikationen findet man ein Logbuch, welches uns nun als „Originalquelle“ im Artikel präsentiert wird. Stokers Spiel mit drei diegetischen Ebenen lässt uns die folgenden Schilderungen des Kapitäns tatsächlich für bare Münze nehmen (ein vergleichbares Beispiel für diegetische Spielereien aus der Filmwelt sei durch die Verwendung zweier filmischer Ebenen in Ruggero Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST kurz erwähnt). Es funktioniert aber auch losgelöst vom Romankonstrukt als short story. Da ist durch das Auftauchen der Demeter gleich die Konfrontation mit dem gothic intrinsischen je ne sais pas, denn wie kann ein Schiff ohne Besatzung in einem Hafen anlegen? Was ist mit der Crew geschehen? Spannende Fragen, deren Antworten wir wissen wollen.

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER (2023)
© 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved

Man könnte den Drehbuchautoren Bragi Schut Jr. und Zak Olkewicz jetzt gemeinerweise vorwerfen, den Reiz des Romankapitels, die Konfrontation mit dem Unbekannten, dass für die Crew (bzw. den Kapitän) nie sichtbar in Erscheinung tritt und stets im Ominösen bleibt, nicht verstanden zu haben. DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER eröffnet mit dem Fund eines Schiffwracks bei Whitby, der namensgebenden Demeter. Da muss man leider feststellen: So ein Schiffbruch ist tragisch, sicherlich, aber alltäglich, bzw. rational und terrestrisch erklärbar. Unheimlich ist hier nichts. Warum sollte mich als Zuschauer:in also interessieren, wie dieses Schiff strandete?

© 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved

Das Logbuch gibt Auskunft. Die Überfahrt der Demeter, tatsächlich auch die letzte für Captain Elliot (Liam Cunningham) stand unter keinem guten Stern. Klar, dass „der letzte Job“ nicht gut gehen darf, ist Genretradition. Die Crew ist unterbesetzt, notgedrungen nimmt der junge Clemens (Corey Hawkins), eigentlich Mediziner, eine Heuer auf dem Schoner an. Eine Prämie bei besonderer Überfahrtsgeschwindigkeit gibt der Crew zusätzlich Ansporn, doch kurz nach dem Auslaufen, nun ja, Verschwinden die Crewmitglieder. Hat die mysteriöse, schlangenverzierte Kiste im Laderaum der Demeter etwas damit zu tun? Ja, natürlich und mit der Tatsache, dass sich in dieser Kiste Dracula himself überschifft, hält der Film auch nicht lange hinterm Berg. Spätestens hier dürfte einem auch bewusst werden, dass DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER wohl eher keine Suspense- und Unbehagen-getränkte Konfrontation mit der Grenze des Vorstellbaren wird, sondern, politisch korrekt ausgedrückt, ein Abzählreimfilm. Aber warum auch nicht.

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER (2023)
© 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved

Leider kann sich DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER über seine eher quälenden zwei Stunden Laufzeit nicht ganz für einen Modus entscheiden. Die Zeit, die uns ins Vorstellen der Crew gesteckt wird, sprechen für eine Art ALIEN at Sea. Wir erinnern uns auch kurz daran, dass es etwa eine ganze Filmstunde braucht, bis der Xenomorph das erste Mal sichtbar auftaucht. Dafür schmerzt das Ableben eines jeden Crewmitgliedes aber auch. DEMETER schmeißt mit dem ersten Onscreen Auftreten des Fürsten der Finsternis diesen Ansatz (nach etwa 20 bis 30 Filmminuten) über Bord und geht in den Metzelmodus. Und hier kommen wir zum großen Problem des Films: Um an den überraschend gewalttätigen Splattersequenzen unseren Spaß haben zu können, kennen wir die Figuren zu gut, um mit ihnen zu leiden oder um sie zu trauern, zu wenig. So sitzt man die 119 Minuten seltsam unbeteiligt und verwirrt im Kino, eben weil man sich nie ganz sicher ist, was dieser Film jetzt eigentlich von einem will. Was deshalb umso ärgerlicher ist, da der Film trotz überschaubarem Budget von 45 Millionen Dollar sehr hochwertig aussieht und die partiell aufblitzende Atmosphäre auf dem nebelverhangenen Schiff sich zumindest optisch durchgängig für besseres empfiehlt. Etwas unhandlich, um nicht zu sagen völlig misslungen, ist die Einbindung des Filmes in den restlichen Draculastoff.

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER (2023)
© 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved

So unbeholfen wie diese Bezugnahme, ist auch der Umgang mit der Vampirfigur. Diese steht natürlich in einer jahrhundertelangen stofflichen Tradition, die nicht erst Bram Stoker interessiert hat, aber so wenig Interesse an dem Vampirmythos wie DEMETER an seinem Antagonisten zu haben, ist schon beachtlich.

Es schmerzt immer, auf einen eigentlich gut gemeinten Film, der sich abseits von Franchises positionieren möchte, draufzuhauen, aber DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER macht es einem dahingehend wirklich zu einfach. Die komplette Missachtung der Vorlage (mit der man sich im Vorspann dann aber doch unverständlicherweise rühmt) und die Abstinenz irgendeiner Emotion abseits von gähnender Langeweile zwingen förmlich dazu, dieses Wrack von einem Film lieber unbeachtet am Strand verenden zu lassen.

© Fynn

Titel, Cast und CrewDie letzte Fahrt der Demeter (2023)
The Last Voyage of the Demeter
Poster
ReleaseKinostart: 17.08.2023
RegieAndré Øvredal
Trailer
BesetzungLiam Cunningham (Kapitän Elliot)
Aisling Franciosi (Anna)
Javier Botet (Dracula)
Corey Hawkins (Clemens)
David Dastmalchian (Wojchek)
Jon Jon Briones (Cook)
Stefan Kapicic (Olgaren)
Nicolo Pasetti (Deputy Hirsch)
Chris Walley (Abrams)
Nikolai Nikolaeff (Petrofsky)
Graham Turner (Constable)
DrehbuchBragi F. Schut
KameraRoman Osin
Tom Stern
MusikBear McCreary
SchnittChristian Wagner
Filmlänge119 Minuten
FSKab 16 Jahren

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