Zum Inhalt springen

Die Kunst des toten Mannes (2019) – Filmkritik

„Für die Kunst töten“

Man stellt sich das Wohnzimmer des Schauspielers Jake Gyllenhaal vor, schlicht, aber modisch stilvoll. Es gibt dort bestimmt einen breiten Kaminsims auf dem keine Filmpreise stehen, sondern kleine Actionfiguren. Wenn man langsam näherkommt, erkennt man, es sind alles Figuren zu seinen Filmrollen. Da gibt es eine braungebrannte Figur mit Juwelen besetztem Säbel (PRINCE OF PERSIA), eine mit Bürstenhaarschnitt und Tarnfleck-Kleidung (JARHEAD), eine im Hasenkostüm (DONNIE DARKO) und eine sehr blasse Figur mit einer Kamera und einem roten Mustang (NIGHTCRAWLER). Es ist eine lange Reihe der kleinen Repräsentanten seiner Filmografie (Stand Feb. 2019: 50 Filmrollen), wo keiner dem anderen ähnelt. Man kann sich vorstellen, wenn Gyllenhaal ein Drehbuch angeboten wird, wie er diese Reihe von Charakteren gedanklich abgeht und wenn nur eine Figur der angebotenen Rollen ähnelt, sagt er das Filmprojekt ab. Somit ist Jake Gyllenhaal (STRONGER) zu einem der vielseitigsten und fleißigsten Schauspieler unser Zeit geworden. Ein Kunstkritiker hat ihm in dieser Sammlung noch gefehlt und da kam ihm die Netflix-Produktion DIE KUNST DES TOTEN MANNES von Dan Gillroy (NIGHTCRAWLER) gerade recht.

© Claudette Barius NETFLIX

Handlung

Die amerikanische Gegenwart-Kunst ist seinem Urteil hörig: Morf Vandewalt (Jake Gyllenhaal). Der Handel mit Kunst ist ein Millionengeschäft und die Qualität der Werke hängt von seiner Meinung als Kunstkritiker ab. Morf ist in Kalifornien der unangefochtene König er Kunstjournalisten. Als Galerist oder Künstler weiß man mit ihm umzugehen oder eben nicht. Rhodora Haze (Rene Russo) kann die angesagtesten Künstler ihre Klienten nennen und mit Morf zusammen, können sie dem Wert einer bemalten Leinwand problemlos ein paar Nullen hinzufügen.

Als Hazes Assistentin Josephina (Zawe Ashton) ihren leblosen Nachbarn im Treppenhaus findet, entdeckt sie, dass dieser ein Leben als Maler geführt hat. Der Name des verstorbenen Künstlers ist Ventril Dease und jeder, der einen Zugang zu Kunst hat, wird sofort von seinen Bildern in den Bann gezogen. Der Kunstmarkt ist hungrig nach neuer unbekannter Kunst, vor allem wenn sie von Toten stammt und ab sofort redet jeder von Ventril Dease. Jedoch haben seine Werke noch eine viel größere Wirkung auf die Rezipienten, eine tödliche.

© Claudette Barius NETFLIX

Welcome to L.A.

Der Handlungsort Los Angeles könnte nicht perfekter gewählt sein. Die vielen hellen Gebäude sind wie die weißen Wände eines Ausstellungshauses. Der Strand und das Meer liegen einen Wimpernschlag entfernt und die Städtearchitektur könnte nicht künstlicher wirken. Die kalifornische Metropole bildet für diesen Mysterythriller, in dem David-Lynch seine Handschrift hinterlassen haben könnte, die perfekte Leinwand mit seiner künstlichen Maskerade. Auch die Inszenierung von Dan Gillroy weiß damit umzugehen. Sehr flache Bilder mit hoher Tiefenschärfe erzeugen die Optik eines YouTube-Videos.  Aber auch die Handlungsorte deuten darauf hin, dass alles nur Inszenierung und künstlich ist. Da fährt auch einmal ein in Silber funkelnder Mercedes-Gelände-Jeep geräuschlos um die Ecke. Die Regeln und das Verhalten des amerikanischen Kunstmarkts werden in DIE KUNST DES TOTEN MANNES auch Neulingen gut erklärt. Der Zuschauer muss sicherlich bei den schnellen Dialogen dranbleiben, aber die Vielzahl von Rollen lassen den Film lebendig erscheinen. Toni Colette spielt Gretchen, die endlich das unflexible Arbeitsleben eines Museums verlassen kann. John Malkovich spielt Piers, der nach dem Ende seiner Alkoholsucht seinen Biss als Maler verloren hat. Aber auch Natalia Dyer (STRANGER THINGS) spielt als Jobwechslerin Coco eine naive, aber willensstarke „Erste am Tatort“.

© Claudette Barius NETFLIX

Mischung mit Klumpen

Regisseur und Drehbuchautor Dan Gillroy versucht mit DIE KUNST DES TOTEN MANNES, der im Original den rockigen Bandnamen VELVET BUZZSAW trägt, unterschiedliche Genres abzudecken. Ein bisschen Drama, etwas Gesellschaftskritik und eine Satire auf die Kunstbranchen fügen sich organisch zusammen. Auch die mystische Komponente mit den Fragen wie „Wer war der tote Maler?“, „Welche paranormale Wirkung haben die Kunstwerke?“, bekommen Andeutungen und kleinere Hinweise mit Detailaufnahmen. Jedoch entwickelt sich die „Unfall“-Todes-Serie ab der zweiten Hälfte in eine so willkürliche Richtung, welche sich eher an Splatter und übersinnlichen Effekten ergötzt als an einer Lösung des Mythos.

© Claudette Barius NETFLIX

Dies ist schade, weil nun die Intelligenz zu Beginn des Films kaum noch gefordert wird und ins Leere läuft. Das Gefühl kommt auf, eher einen weiteren Teil der FINAL-DESTINATION-Reihe zu sehen als einen Autorenfilm. Auch die traumatische Vergangenheit des toten Künstlers Ventril Dease wird nur angedeutet und wirkt wie eine Klischee-Kollage aus den schlimmsten Kindheiten von Psychopathen. Die Effekte der mordlustigen Kunst sind wirksam und gezielt eingesetzt, so dass hier keine Gewaltorgie zelebriert wird. Dan Gillroy meinte in einem Interview (Thriller) eher einen Robert-Altman-Film drehen zu wollen, der sich um ein Ensemble von unterschiedlichsten Figuren dreht und von der Performance der Darsteller lebt. Dies gelingt ihm bis zu dem Moment als das Übersinnliche, immer in Kombinationen mit Objekten aus der Vergangenheit, welche die Vergangenheit von Ventril Dease symbolisieren sollen, eintritt. Ab da fehlen Zusammenhänge und die Handlung verliert ihren Fokus.

© Claudette Barius NETFLIX

Die Bilder von Ventril Dease

Die Gemälde wurden für den Film in Auftrag gegeben und sollen bestimmte Abschnitte der traumatischen Kindheit von Dease wiedergeben. Die dunkle Ölmalerei ist ein kleines Highlight des Films und man glaubt in eine wilde Mischung der Arbeiten von Neo Rauch und Zdzisław Beksiński zu blicken. Die unauffälligen Bewegungen mit Hilfe von Computereffekten, verstärkt durch die dicht gespannte musikalische Untermalung von Marco Beltrami, lassen wenige geniale Szenen aufblitzen.

© Claudette Barius NETFLIX

Fazit

Leider können die Erwartungen an Dan Gillroy nach seinem Geniestreich NIGHTCRAWLER mit DIE KUNST DES TOTEN MANNES nicht erfüllt werden. Dem Film fehlt schlichtweg ein sinniges Ende. Da helfen auch die leidenschaftlichen und perfekten Darstellerqualitäten nicht viel. Schon seltsam, dass gerade einem Drehbuchautor es nicht gelingt der Geschichte einen Kern zu geben. So bleibt nach dem Film ein Gefühl zurück etwas gesehen zu haben, was Protagonist Morf Vandewalt mit Freuden in einer Kunstkritik als belanglos betitelt hätte. Für einen Fernsehabend mit vorhandenem NETFLIX-Abo lässt sich der Film dennoch auf unterhaltsame Weise wegschnabulieren.

Titel, Cast und CrewDie Kunst des toten Mannes (2019)
OT: Velvet Buzzsaw
Poster
Releaseseit dem 01.02.2019 im Stream auf NETFLIX
RegisseurDan Gilroy
Trailer
BesetzungJake Gyllenhaal (Morf Vandewalt)
Rene Russo (Rhodora Haze)
Zawe Ashton (Josephina)
Tom Surridge (Jon Dondon)
Toni Collette (Gretchen)
Natalia Dyer (Coco)
Daveed Diggs (Damrish)
John Malkovich (Piers)
Billy Magnussen (Bryson)
DrehbuchDan Gilroy
KameraRobert Elswit
MusikMarco Beltrami
Buck Sanders
SchnittDan Gilroy
Filmlänge113 Minuten
FSKab 16 Jahren

2 Gedanken zu „Die Kunst des toten Mannes (2019) – Filmkritik“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert