Zum Inhalt springen

Die Geschichte meiner Frau (2021) – Filmkritik

„Ein Epos ohne Emo(tionen)“

Die Filme von Ildikó Eyedi (KÖRPER UND SEELE, 2017) befassen sich mit dem Zusammenleben von Menschen, mit dem Beginn und dem Scheitern von Beziehungen, mit dem Älterwerden und dem Sich verändern, sowohl personell als auch weltlich-historisch. DIE GESCHICHTE MEINER FRAU passt perfekt ins Oeuvre der Ungarin und erinnert die Kinogänger:innen magisch an eine fast schon vergessene Art des Prestigekinos.

© 2021 Alamodefilm

Kapitän Jakob Störr (Gjis Naber) ist, Ende der 1920er Jahre, ein den Elementen trotzenden Kapitän zur See. Doch seit kurzem plagt ihn eine ganz besondere Art der Seekrankheit. Der Schiffsarzt diagnostiziert: Ihm fehle etwas, das ihn motiviere, von der See zurück an Land zu kommen. Kurzum wettet Stör mit seinem halbkriminellen Kumpel Kodor (Sergio Rubini): Er werde die erste Frau heiraten, die das Café betritt, in dem die beiden gerade sitzen. Wie der Zufall (und das Drehbuch) das so wollen, ist besagte Frau Lizzy (Léa Seydoux), die Jakobs wahnsinnigen Antrag belustigt annimmt. Vorhang auf für eine jahrelange Liebesbeziehung, die knapp drei Stunden Laufzeit, mehrere Umzüge (u.a. nach Hamburg) und zahlreiche kleinere und größere Krisen durchlaufen wird.

© 2021 Alamodefilm

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU ist kein Film, der mit Plotprogression beeindruckt. Es ist klassisches Prestigekino der ganz alten Schule, in dem es eher um Ausstattung, Kostümierung und viele kleine Situationen geht, die unsere beiden Liebenden nach und nach auseinandertreiben. Und gerade ob der beinahe obsessiv pervers guten Mise en Scène fühlt sich DIE GESCHICHTE MEINER FRAU häufig ziemlich aseptisch an, was aber irgendwo auch gar nichts ausmacht. Denn, auf den Trichter kommt man nach etwa 60 Minuten, Enyedi möchte gar nicht die emotionale Auslieferung der Zuschauenden erreichen, sie möchte ausstellen, ihrem hervorragenden Schauspieler:innenensemble viele kleine Szenen geben in denen sie scheinen können (in kleineren und größeren Nebenrollen tummeln sich u.a. Louis Garrel, Luna Wedler und Josef Hader). Ob dessen zerfasert der Film auch gerne mal und sieht sich eher als Aneinanderreihung teilweise einflussreiche Episoden, als von A nach B gleitende Plotprogression. Diese Erzählweise mag nicht jedermanns Tasse Tee sein, wenn man sich darauf einlässt, entwickelt DIE GESCHICHTE MEINER FRAU aber eine ziemlich einzig- wie eigenartige Sogwirkung, die einem beizeiten das Gefühl gibt, leibhaftig mit Jakob und Lizzy durch die Straßen des letzten Jahrhunderts zu schlendern und sie dabei zu begleiten, wie sie Eifersuchtsdramen, finanzielle Not, Lebenslügen, aber auch Momente puren Glücks teilen.

© 2021 Alamodefilm

Überhaupt fühlt sich Enyedis Film mehr nach einem Roman (es handelt sich tatsächlich auch um eine Literaturverfilmung von Milan Füst) an als nach einem Zelluloidwerk. Dieses Gefühl des Sich treiben lassen, dass man auch bei der Lektüre großer Werke des Realismus oder der Neuen Sachlichkeit empfindet. Es plätschert alles so ein bisschen vor sich hin, was das filmische Werk auch sicherlich seine arg polarisierende kritische Rezeption eingebracht hat. Wer sich von dem Verlangen an eine mitreißende Geschichte entsagen kann, findet jedoch so viele andere offensichtliche Reize in Enyedis Film, allen voran die Arbeit von Kameramann Marcell Rév, der Bilder von solcher einer präzisen Schönheit auf die Leinwand zaubert, dass man mehrfach im Kinosaal laut applaudieren möchte ob dieser inszenatorischen Brillanz. Etwas dick aufgetragen ist vielleicht das Leitmotiv der Spiegelungen, aber bitte, wenn es so vorzüglich aussieht…

© 2021 Alamodefilm

Es gibt wenig Filme, die einem das Aussprechen einer Empfehlung so schwer machen wie DIE GESCHICHTE MEINER FRAU. Da ist auf der einen Seite das hervorragende Schauspieler:innenensemble, in welchem vor allem Léa Seydoux zeigen kann, weshalb sie zu einer der begehrtesten Darstellerinnen ihrer Generation gehört. Aber es ist auch das komplette Fehlen irgendwelcher Emotionen, die über das intellektuelle Goutieren der meisterlichen Inszenierung hinweggehen würde. Böse gesprochen würde man hier von „Omas Kino“ sprechen, und vielleicht ist genau das auch die Legitimation des Filmes: Das Erinnern an eine längst vergangene Epoche, die Fähigkeit, den Kinobesuch ein bisschen wieder zum schwelgerischen Erlebnis zu machen, frei von allzu aufdringlichem Effektgewitter. Wer auch außerhalb der Verpflichtungen im Rahmen diverser Literaturunterrichtseinheiten Spaß mit Zola, Flaubert, Mann oder Eliot hatte, der oder die könnte in DIE GESCHICHTE MEINER FRAU eine lohnende cineastische Kontemplation finden.

© Fynn

Titel, Cast und CrewDie Geschichte meiner Frau (2021)
OT: The Story Of My Wife / A feleségem története
Poster
RegisseurIldikó Enyedi
ReleaseKinostart: 04.11.2021
Trailer
BesetzungLéa Seydoux (Lizzy)
Gijs Naber (Jakob)
Louis Garrel (Dedin)
Sergio Rubini (Kodor)
Jasmine Trinca (Viola)
Luna Wedler (Grete)
Josef Hader (Herr Blume)
Ulrich Matthes (Herr Lange )
Udo Samel (Herr Voss)
DrehbuchIldikó Enyedi
RomanvorlageNach dem gleichnamigen Roman von Milán Füst
KameraMarcell Rév
FilmmusikÁdám Balázs
SchnittKároly Szalai
Filmlänge169 Minuten
FSKAb 12 Jahren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert