„Die Spielbergs“
Steven Spielberg (geb. 1946) erzählte einmal in einem Interview als es um das Thema „Aufhören“ ging, dass er es sich nie vorstellen könnte. Für ihn gehört es zum Leben dazu, in jedem Jahr an einem Filmprojekt zu arbeiten. Er kann es einfach nicht lassen. Und wir, die mit seinen Kinofilmen aufgewachsen sind, können es nicht lassen dem Veteranen und Erfinder des Familien-Blockbusters weiterhin ins Lichtspielhaus zu folgen. Sein vorheriger Film und inniger Herzenswunsch, das Remake WEST SIDE STORY (2021), verströmte nicht ganz den Zauber seiner großen Werke, aber in jeder Einstellung war der Meisterhandwerker hinter der Kamera zu erkennen. Als hätte Spielberg die Wünsche seiner Fans nach mehr Persönlichkeit in seinen Geschichten gehört, besinnt er sich in DIE FABELMANS auf die, die er am besten kennt, seine eigene. Und eines lässt sich bereits jetzt sagen, die Magie entstand nicht erst in Hollywood.
Handlung
Die sechsköpfige Familie Fabelman ist wirklich etwas Besonderes. Vater Burt (Paul Dano) ist begnadeter Elektronikingenieur und repariert die Fernsehgeräte aus der Nachbarschaft. Mutter Mitzi (Michelle Williams) hat ihre Karriere als Pianistin zu Gunsten der vier Kinder, drei Mädchen und ein Junge, aufgegeben. Sohnemann Sammy (Gabriel LaBelle) hat nur eins im Kopf: Filme mit seinen Freunden zu drehen. Dank seiner 8-mm-Kamera und der örtlichen Pfadfindergruppe dreht er Western und Kriegsfilme, die sich trotz des jungen Alters des Amateurfilmers großer Beliebtheit erfreuen. Doch in der jüdisch-orthodoxen Familie läuft nicht alles harmonisch und als sie der Karriere des Vaters wegen nach Phoenix, Arizona umziehen müssen, scheint die Ehe erste Risse zu bekommen. Sammy ist nun hin und her gerissen zwischen dem bröckelnden Elternhaus und einer Filmkarriere.
Von Egoismus keine Spur
Wenn sich ein Filmemacher mit seiner eigenen Kindheit filmisch auseinandersetzt, kann das immer etwas aufgesetzt, verklärt und künstlich wirken. Zuletzt hat es aber James Grays ZEITEN DES UMBRUCHS (2022), der auch inhaltlich gar nicht so weit von DIE FABELMANS entfernt ist, bewiesen, dass hier dennoch Authentizität vermittelt werden kann. Historische Objektivität erwartet man bei Steven Spielberg nicht als erstes – vertrauensvolles Abtauchen in seine Geschichten schon eher. Es gelingt ihm gleich am Anfang, uns erst einmal vor den Kopf zu stoßen, und zwar mit dieser Familienkonstellation: die jüdische Familie, deren Haus das Einzige ist, was keine Weihnachtsbeleuchtung in der Nachbarschaft hat und die Eltern, die definitiv unter die Kategorie schräge Intellektuelle fallen. Spielberg-Fans wissen, die erste Szene ist eine der wichtigsten und in dieser muss dem kleinen Sammy in der Warteschlange vorm Kino erklärt werden, dass Filme Spaß machen und kein traumatisches Erlebnis sind. In dem ausverkauften dunklen Saal mit DIE GROESSTE SCHAU DER WELT (THE GREATEST SHOW ON EARTH, 1952) bekommt der Junge bei der Szene mit dem Zugunfall den Schreck seines Lebens. Der Wunsch es mit der Kamera nachzudrehen, um es somit zu kontrollieren, ist geboren. Die Mutter hilft ihm dabei und im Kinosaal der Fabelmans, dem Wandschrank, entsteht der erste Kurzfilm von Sammy Fabelman. Ein ziemlich frischer Auftakt für ein autobiographisches Biopic des Meisterregisseurs, der – Stand 2022 – 35-mal einen Oscar als Produzent und Regisseur gewann. Von Eitelkeit keine Spur, denn die Familie ist von einer amerikanischen Vorzeigefamilie weit entfernt.
Nicht nur Filme
DIE FABELMANS ist vor allem von der Liebe zum Filmemachen beseelt, aber die muss sich der Film mit der Liebe zur Familie teilen. Die Charaktere sind sympathisch schräg, gnadenlos ehrlich und differenziert emotional. Spielberg portraitiert seine Eltern und ihre Streitereien, wie auch die aufkommende Liebe der Mutter zu Bennie (Seth Rogen), dem besten Freund des Vaters, ungeschönt ehrlich. Die Entdeckung, dass die Mutter in jemanden anderen verliebt ist, macht Sammy mit seinen Familienaufnahmen. Das genaue Hinsehen ist die Lektion aus dieser Tragödie.
Dennoch, DIE FABELMANS ist der Film zu Ehren Spielbergs Eltern (im Abspann gibt es eine Widmung an Leah und Arnold) und wie aus ihnen sein Verständnis, seine Flucht und seine Psychotherapie fürs Filmemachen geboren wird. Sammy ist eine Mischung aus Vater (Wissenschaftler) und Mutter (Künstlerin) zu gleichen Teilen. Er entscheidet sich für kein Team wie es Vater Burt am Essenstisch verlangt, sie sind beide in seiner Berufung vertreten. Es gibt zwei ganz fantastische Momente in diesem hervorragenden Film und die sind nicht von raffinierten Kameraeinstellungen oder technischen Raffinessen geprägt. Es sind Dialogszenen. Als Onkel Boris (Judd Hirsch) für eine Nacht bei den Fabelmans übernachtet, weist er den Jungen auf die schiere Existenz von Kunst hin. Dass er nicht nur an seinen Filmen Spaß haben kann, sondern das Leben als Künstler eine traumatische Angelegenheit ist, vor allem, wenn es mit der Familie kollidiert. Dies begründet er mit Mutter Mitzi, die ihre Musikkarriere für die Rolle als Mutter aufgab. Der verrückte Onkel ist auch der erste, der den Jungen einschüchtert und auf das Leben vorbereitet.
Die andere Szene, ist eine auf dem Schulflur beim Abschlussball zwischen dem antisemitischen Raufblod Logan Hall (Sam Rechner) und Sammy, nachdem Sammy ein Schulfest am Strand in ein Beach-Party-Movie verwandelt hat. Logan ist außer sich, warum Sammy ihn so ideal dargestellt hat, trotz seiner Aggression ihm gegenüber. Ein wunderbarer Dialogkonflikt, von dem man nicht weiß, wohin er führt. Was wird das Ergebnis sein, Freundschaft oder blutige Nase? Die Filmemacherlektion dahinter ist: Unterschätze niemals Dein Publikum.
Die Besonderheiten
Man kann unendlich viel über DIE FABLEMANS reden, über die tolle Musik von John Williams oder die ganz dichte Soundkulisse wie das Knacken eines auskühlenden Automotors oder das beruhigende Rattern eine Kamera. Aber auch die vielen Filmempfehlungen, die Spielberg und Protagonist Sammy maßgeblich prägen wie DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS (1962) und die raffinierten Tricks, wie mit einfachen Mitteln große Effekte erzielt werden, liebt man in jeder Filmminute. Zum Beispiel ersetzen ein paar Löcher im Filmmaterial die Revolverschüsse beim stummen Western. Dennoch ist der Wechsel zwischen den Stimmungen hin und wieder etwas holprig, von einem Moment der antisemitischen Unterdrückung an der High School springt es zum christlich-spirituellen ersten Kuss eines jüdischen Jungen. Das Kind in Spielberg ist nicht müde uns Streiche auf der Leinwand zu spielen und mit unseren Gefühlen zu jonglieren.
Wenn man die Filme Spielbergs liebt und schon oft gesehen hat, weiß man, dass vor allem seine erste Szene eine entscheidende ist. Oben erwähnt muss er erst einmal Überzeugungsarbeit (Kinofilme sind etwas Wundervolles) leisten, um unser Vertrauen für seine Geschichte zu gewinnen. DIE FABELMANS hat aber auch eine der besten Spielberg-Schlussszenen, wenn nicht die Beste. Cineasten werden sich die Finger lecken nach dieser wunderbaren Anekdote mit John Ford, der von David Lynch gespielt wird. Mehr soll hier nicht verraten werden und bis dahin vergehen zwei wundervolle Stunden in der wirren Welt eines Jungen, der am Anfang einer der wichtigsten Karrieren Hollywoods steht, ohne zu selbstverliebt zu sein.
Fazit
Spielberg setzt sich zu uns und schlägt sein Familienalbum auf. Wir dürfen jeder Menge toller Geschichten, witziger Anekdoten und trauriger Momente lauschen. Mehr kann man sich als Filmfan nicht wünschen – Fabelhaft.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter