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Die Büchse der Pandora (1929) – Filmkritik

Die Büchse der Pandora enthält, laut der griechischen Mythologie, alle der Menschheit bis dahin verborgene Übel, wie Arbeit, Krankheit, Tod und Hoffnung. Sie wurden auf die Welt losgelassen, als Pandora eben jene Büchse aus Neugier öffnete [1]. Aber das Ganze kann man auch von einer anderen Seite deuten, wie Frank Wedekind in seinen beiden Dramen DIE BÜCHSE DER PANDORA und ERDGEIST im Jahre 1904 für das Theater zeigte. Der zweideutige Klang des Titels verweist auf die Vagina als Wurzel allen Übels, dass „Zentrum von Begierde und sexueller Lust“ [2]. Die Aufführung der Stücke in Nürnberg war ein Skandal und weitere Vorstellungen wurden von der Polizei verboten. Es endete schließlich vor Gericht, mit einer Anklage gegen Wedekind und seinem Verleger wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften. Schließlich wurde in drei Instanzen Wedekind 1906 freigesprochen, aber sein Werk mit einem Verbot belegt. Trotz allem gab es immer wieder Aufführungen des Stückes in diversen Ländern und Theatern. Das Drehbuch zu DIE BÜCHSE DER PANDORA beruht genau auf diesen Theaterstücken von Wedekind.

© Deutsche Kinemathek

Handlung

Die bezaubernde Lulu (Louise Brooks) verdreht sowohl Männern wie auch Frauen den Kopf, niemand kann sich ihrem Charme und Liebreiz entziehen. Eigentlich arbeitet sie als Tänzerin, doch ihr Haupteinkommen besteht aus den Zuwendungen ihrer Verehrer und Liebhaber. Einer von ihnen ist Dr. Schön (Fritz Kortner), ein wohlhabender und einflussreicher Zeitungsherausgeber. Dr. Schön ist der faszinierenden Lulu mit Haut und Haaren verfallen, trotz der Tatsache, dass er aus gesellschaftlichen Zwängen eigentlich eine andere Frau heiraten soll. Lulu inszeniert kurzerhand einen handfesten Skandal, als die Verlobte davon erfährt, führt es auch zum sofortigen Bruch des zukünftigen Eheversprechens. Somit ist der Weg frei für eine Heirat von Lulu und Dr. Schön. In der Hochzeitsnacht kommt es zu einem Kampf zwischen den beiden, in dessen Verlauf Dr. Schön stirbt. Lulu muss sich vor Gericht verantworten, doch mit Hilfe von Alwa (Franz Lederer), Dr. Schöns Sohn, der ihr ebenfalls verfallen ist, gelingt der Verurteilten die Flucht aus den Händen der Justiz. Doch das Schicksal nimmt seinen unerbittlichen Lauf …

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Ikarus und Pandora

Die erste Hälfte des Filmes ist strahlend hell und mit Reichtum aller Orten überzogen. Es gibt keinen Grund, sich über die Zukunft und das Leben Sorgen zu machen. Lediglich Dr. Schön ahnt, was auf sie alle noch zukommen wird, wenn sie sich nicht aus dem Bann Lulus befreien können. In seiner Hochzeitsnacht warnt er noch seinen Sohn Alwa, die Finger von Lulu zu lassen, doch vergeblich.

Die zweite Hälfte ist dann das genaue Gegenteil, geprägt von dunklen, unheimlichen Bildern, die den Abstieg und Verfall begleiten, in dem die handelnden Personen sich verfangen haben. Stimmung und Atmosphäre kippen, denn ohne Geld und eine vernünftige Behausung ist auch die Lebensfreude verschwunden. Für Lulu und ihre Begleiter geht es bis nach ganz unten, bis sie in den schmutzigen Gossen einer heruntergekommenen, verfaulten Stadt landen. Lulu muss am Ende das Unheil am eigenen Leib erfahren, dass sie auf die Welt und die sie umgebenden und liebenden Menschen losgelassen hat. Ikarus, um wieder an die griechische Mythologie anzuknüpfen, ist zu nahe an die Sonne geflogen. Aber Lulu ist nicht der bösartige Vamp, der berechnende Männerschreck, sondern das unschuldige, triebhaft kindliche Geschöpf, das weder gut noch böse sein kann. Während sie neugierig passiv ist, geschehen um sie herum die großen Tragödien. Nicht nur, dass Regisseur Pabst uns hier die Frau als Quell allen Übels darstellt, bekommen wir auch noch eine der ersten lesbischen Film-Frauen überhaupt präsentiert.

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Das Ausgangsmaterial

Leider ist kein einziges Originalnegativ von DIE BÜCHSE DER PANDORA mehr verfügbar. Für diese neu bearbeitete Fassung musste daher auf die schlechteren Umkopierungen aus den 1950er und 1960er Jahren zurückgegriffen werden, die noch vorhanden waren. Aus mehreren unterschiedlichen Schnittfassungen konnte nun eine fast lückenlose Version erstellt werden, die dann mit der neuesten digitalen Bildbearbeitung in einem aufwendigen Verfahren verbessert wurde. Das Ergebnis überzeugt auf ganzer Linie, der Großteil des Films ist als gut bis sehr gut zu beschreiben. Dazwischen gibt es zwar immer wieder mal die ein oder andere Szene, bei der das Ausgangsmaterial einfach zu fehlerhaft war, doch das wirkt sich in keiner Weise negativ auf den Filmgenuss aus.

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Die Darsteller

Pabst schaffte es, eine beeindruckende Ansammlung von großen und bekannten Schauspielern aus allen Herren Ländern für seinen außergewöhnlichen Film zu gewinnen. Neben der bezaubernden, aber in Deutschland bis dahin unbekannten, Hauptdarstellerin Louise Brooks aus den USA, haben wir den deutschen Star Fritz Kortner, der unter anderem auch in DIE UNHEIMLICHEN HÄNDE DES DOKTOR ORLAC (ORLACS HÄNDE, 1924) zu bewundern ist, Francis Lederer aus ICH WAR EIN SPION DER NAZIS (CONFESSIONS OF A NAZI SPY, 1939) oder auch Carl Goetz, der in dem weniger bekannten ungarischen Film DRAKULA HALÁLA (1921) mitspielte. In einer kleinen Rolle ist auch Gustav Diesel zu sehen, der unter anderem in dem deutschen Thriller DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) mitspielt.

Daneben gibt es noch viele weitere bekannte Gesichter zu entdecken, alle mit einer beeindruckenden Filmografie von außergewöhnlichen Werken. Georg Wilhelm Pabst drehte mit Brooks einen weiteren Film mit dem Titel TAGEBUCH EINER VERLORENEN im gleichen Jahr, ehe sie wieder zurück in die USA ging. Durch das Aufkommen des Tonfilms war sie jedoch in Hollywood auf dem Abstellgleis gelandet, denn ihre Stimme soll dafür nicht geeignet gewesen sein, heißt es. Erst im Jahre 1952 wurde durch die Cinémathéque Francaise die vergessene Louise Brooks weltberühmt. In Paris wurde eine große Retrospektive zum Film DIE BÜCHSE DER PANDORA veranstaltet, was den bis dahin verloren geglaubten Film wie auch die Schauspielerin Brooks wieder in den Fokus der Filmliebhaber rückte.

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Das Mediabook

Das Mediabook der Atlas Film ist ein kleines Schmuckstück und macht einen sehr hochwertigen Eindruck. Neben der üblichen DVD- und Blu-ray-Version gibt es auch noch ein umfangreiches und sehr informatives 24-seitiges Booklet. Darin sind mehrere zeitgenössische Rezensionen von der Uraufführung abgedruckt, wie auch ein Bericht der Louise Brooks zu den Dreharbeiten vom Pabst-Film, sowie weiteren interessanten Texten. Angereichert wird das Ganze von Original-Abdrucken des Film-Kuriers. Auf den Scheiben befindet sich noch die interessante Dokumentation „Der Schatten meines Vaters: Michael Pabst“. Ebenfalls enthalten sind drei Postkarten mit den klassischen Kinoplakaten jener Jahre, eines davon ziert auch das Cover des Mediabooks.

Inhalt Mediabook

Fazit

Auch wenn DIE BÜCHSE DER PANDORA bei seiner Uraufführung alles andere als gut bei den Kritikern ankam und im Nachgang durch den Tonfilm komplett in Vergessenheit geriet, ist G. W. Pabsts Drama ein beeindruckendes Werk. Verpackt in einzigartigen Bildern, die uns mehrere Liebesgeschichten bieten, die schlussendlich jedoch alle ohne das bekannte Happy End auskommen müssen.

Charismatische Darsteller und ausufernde Bauten versprechen ein ganz außergewöhnliches Erlebnis eines späten deutschen Stummfilms. Die gesamte Bildgestaltung ist überdurchschnittlich. Ebenso beeindruckend ist auch die spannende Ausleuchtung, die in den stärksten und dunkelsten Momenten den vorangegangenen Deutschen Expressionismus reflektiert und die Grundsteine für den kommenden Film noir legt. Trotz seiner enormen Länge von knapp über zwei Stunden, schafft es Pabst den Zuschauer bei der Stange zu halten. Die Story wird flüssig erzählt, ohne unnötige Längen und Wendungen. DIE BÜCHSE DER PANDORA sei nicht nur den Freunden alter Klassiker empfohlen, sondern allen Filmliebhabern.

© Stefan F.

Quellen

Titel, Cast und CrewDie Büchse der Pandora (1929)
Poster
Releaseab dem 15.11.2019 im limitierten Mediabook (Blu-ray und DVD)

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RegisseurGeorg Wilhelm Pabst
Trailer
BesetzungLouise Brooks (Lulu)
Fritz Kortner (Dr. Peter Schön)
Franz Lederer (Alwa Schön)
Carl Goetz (Schigolch)
Krafft-Raschig (Rodrigo Quast)
Alice Roberts (Gräfin Geschwitz)
Gustav Diesel (Jack the Ripper)
DrehbuchJoseph Fleiser
Ladislaus Vajda
Georg Wilhelm Pabst
MusikPeer Raben (1997)
KameraGünther Krampf
SchnittJoseph Fleisler
Filmlänge133 Minuten
FSKab 6 Jahren

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