„Der Blick auf die andere Flussseite“
In jungen Jahren konnte man sich für Kriegsfilme begeistern. Soldaten stürmten heldenhaft die Linien, retteten Menschen aus den Fängen diktatorischer Mächte und es knallte an jeder Ecke. Der Geschichtsunterricht bildet weiter, man wird erwachsen und andere Filme zeigen die zermürbende Sinnlosigkeit des Krieges. Spätestens, wenn man APOCALYPSE NOW (1979) oder DER SCHMALE GRAT (THE THIN RED LINE, 1998) gesehen hat, verändert sich die cineastische Wahrnehmung auf dieses Genre. Der Zweite Weltkrieg als Handlungsort und -zeitpunkt ist meist als Mischung aus Drama und Actionspektakel zu verorten, vor allem wenn Hollywood seine Finger im Spiel hat: DER SOLDAT JAMES RYAN (SAVING PRIVAT RYAN, 1998), FLAGS OF OUR FATHERS (2006), LETTERS FROM IWO JIMA (2006) oder DUNKIRK (2017). Es gibt in vielen solcher Filme stets einen geografischen Punkt mit strategischem Wert. Zum Beispiel eine Brücke als Ziel, wie DIE BRÜCKE AM KWAI (THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI, 1957) und DIE BRÜCKE VON ARNHEIM (A BRIDGE TOO FAR, 1977) darstellen. Eine solche Verbindung ist nicht nur taktisch sinnvoll einzunehmen, sondern auch für die Versorgung essenziell. Im Eifer des Gefechts ist sie auch ein äußerst fragiles Konstrukt, das schnell mit ein paar Stangen Dynamit dem Erdboden gleich gemacht wird. DIE BRÜCKE VON REMAGEN (THE BRIDGE AT REMAGEN, 1969) vereint all diese Elemente: Die Wirren des Krieges, fanatische Generäle mit ihren Befehlen, strategische Gefechte und jede Menge actionreiche Sequenzen. Die Aufnahmen sind so spektakulär inszeniert und aufwändig gedreht, dass man sagen kann, DIE BRÜCKE VON REMAGEN ist einer der ersten Actionfilme mit Kriegsthematik und kann sehr gut neben DER LÄNGSTE TAG (THE LONGEST DAY, 1962), der ebenfalls Anspruch auf diesen Titel erhebt, bestehen.
Handlung
Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs. Das Deutsche Reich wird in Europa immer weiter zurückgedrängt. Der Rhein stellt für die alliierten Mächte nicht nur eine geografische Herausforderung dar, die es zu überwinden gilt, sondern Hitler hat dort Kräfte mobilisiert, um „das heilige, arische Deutschland vor den Invasoren zu schützen“. Die letzten Einheiten der deutschen Armee ziehen sich über die 47 Brücken des Rhein zurück, danach folgen die Sprengungen, damit die Verfolger gestoppt werden. Die letzte funktionstüchtige Querung ist die Ludendorff-Brücke bei Remagen. Die Deutschen wollen ein ganzes Bataillon mit über 75.000 Soldaten genau dort zurückschleusen. Zumindest wollen dies ein paar Offiziere erreichen, denn offiziell gibt es keinen Rückzug bzw. sollen alle Brücken gesprengt werden. Generaloberst Brock (Peter van Eyck) beauftragt, gegen den Befehl der Berliner Führung, Major Paul Krüger (Robert Vaughn) die Brücke von Remagen so lange wie möglich zu halten, um den Rückzug zu gewährleisten.
Auf der anderen Seite der Linien kämpfen sich die Alliierten im Eiltempo durch Europa. Der amerikanische General George S. Patton folgt dem Motto, je schneller zugeschlagen wird, umso weniger Verluste gibt es. An vorderster Front kämpfen Lieutenant Hartman (George Segal) und seine schnelle Panzerkompanie. Sie sind schon seit Tagen völlig übermüdet und kraftlos unterwegs, sollen aber nun als erste die Brücke von Remagen erreichen, um herauszufinden, welche gegnerischen Verbände dort lauern. Die amerikanischen Streitkräfte gehen davon aus, dass die Brücke von den Deutschen gesprengt wird, wohingegen das deutsche Militär glaubt, dass die US Air Force die Brücke bombardieren wird, um dem fliehenden Bataillon den Rückzug abzuschneiden. Der Kampf um die letzte Eisenbahnbrücke über den Rhein beginnt.
Ein neuer Blick auf den Krieg
Während in den 1940er Jahren bis in die 1950er der Fokus amerikanischer Filmproduktionen noch stark auf dem heldenhaften Einsatz der Truppen im Zweiten Weltkrieg lag und die Protagonisten noch mit vollem Eifer dabei waren, gesichtslose „Krauts“ niederzuschießen, wandelte sich mit diesem Projekt der Blick auf die verheerende Zeit. Die rebellischen und kritischen 1970er Jahren standen vor der Tür als DIE BRÜCKE VON REMAGEN in die Produktion ging und das ist auch deutlich im Drehbuch zu erkennen. Noch vor dem Intro wird der deutsche Offizier Krüger bei seinem inoffiziellen Befehl die Brücke zu retten, begleitet. Die Rebellen innerhalb der Deutschen Armee sind somit nicht unsympathisch und von den bekannten herrschsüchtigen, fiesen Fanatiker-Stereotypen im Stile der INDIANA-JONES-Reihe weit entfernt. Die militärische Strategie steht im Mittelpunkt und es geht eher darum, den Kameraden den Rückzug in die Heimat zu ermöglichen als faschistische Ideologie zu grölen.
Nach dem Vorspann kommen die US-Streitkräfte. Streng nach Hierarchie beginnt DIE BRÜCKE VON REMAGEN mit der Lagebesprechung von Brigade-General Shinner (E. G. Marshall). Der ruhmgierige Major Barnes (Bradford Dillman) meldet sich für den Vorstoßtrupp bzw. er meldet seine Kompanie dafür an. Die motivierten Soldaten vergangener Filmtage sind hier nicht mehr zu finden. Wie die Geier an einem Tatort schleicht die Kompanie um Lt. Phil Hartman durch brennende Wracks des deutschen Heers. Sgt. „Angel“ Angelo (Ben Gazzara) sucht nach wertvollen Gegenständen an den Leichen. Vorgesetzter Hartmann toleriert das Verhalten seiner Einheit. Er ist einfach zu müde und abkämpft. Das Verständnis für moralische Begriffe scheint er seit der Landung in der Normandie verloren zu haben. Für sie gibt es keine Pause, sie sollen weiter und die nächste Stadt einnehmen. Lt. Hartman geht aber bedächtig vor, was durch das Vorpreschen eines Captains, der gleich am nächsten Bauernhof in die Luft gesprengt wird, gerechtfertigt wird.
Überleben vor Ehrenmedaille
Der Zuschauer zieht mit den lethargisch depressiven US-Truppen von einem Ort zum nächsten und erhält immer wieder neue Befehle, bis sie es zur Brücke von Remagen schaffen. Die Hoffnung auf eine Sprengung der Deutschen und endlich etwas Urlaub heben die Laune. Aber auch hier wird kein Moment des Verschnaufens gewährt. Um den Krieg zu verkürzen, will der General die Brücke einnehmen. Der Befehl wird an unsere ausgezehrten Soldaten weitergegeben, die das Selbstmordkommando kaum fassen können. Einen Kinnhaken und den Verzicht auf Befehlsverweigerung später, geht die Einheit auf ihre vorerst letzte Mission. Die Spannung ist am Siedepunkt.
So wechselt sich der differenzierte Blick auf der deutschen wie auch amerikanischen Seite mit guten wie auch schlechten Charakterzügen stets mit jeder Menge Kriegs-Action ab. Immer wieder werden ganze Häuserreihen dem Erdboden gleich gemacht, Panzer schießen bei voller Fahrt aus allen Rohren und Kugeln fliegen den Soldaten um die Ohren. Ohne Modellbau kommen die Effekte aus und wenn von einer Seite die Dampflok angeschossen kommt und auf der anderen die US-Panzer schießend anrollen, ist man wie in einer Kleiner-Junge-Kriegs-Fantasie. Die Spektakel geben sich dramaturgisch immer wieder mit den Einsichten auf die jeweiligen Kriegsseiten die Klinke in die Hand, ohne eine Minute der Langeweile zu bieten. Dabei stellen sich Major Krüger und Leutnant Hartman als Kontrahenten heraus in denen sich der Konflikt manifestiert. Vor allem für Filmfans spannend, da DIE BRÜCKE VON REMAGEN einige Westernmotive aufweist, wie zum Beispiel die Einführung des Protagonisten beim Rasieren mitten im Kriegsgebiet. Ob das Duell der beiden Widersacher seinen alles entscheidenden Showdown findet?
Das beste Filmpaket
Bei jedem historischen Stoff, auch wenn sie wie bei DIE BRÜCKE VON REMAGEN nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, wünscht man sich ein solches Filmpaket. Capelight Pictures veröffentlicht den Kriegsfilm in Deutschland erstmals in HD auf Blu-ray. Das Bild ist beeindruckend scharf und sauber wiederhergestellt. Wenn bei manchen Szenen keine kleineren, chemischen Farbwechsel zu sehen wären, würde man denken, der Film ist 20 und nicht über 50 Jahre alt. Der Ton ist gut aufbereitet und klar in Stereo abgemischt.
Auf einer Bonus-Blu-ray gibt es eine gut 45-minütige Dokumentation über die geschichtlichen Hintergründe, die für das lineare Fernsehen produziert wurde. Wesentlich interessanter sind die fünf Wochenschauen von 1944/1945. In kurzen Schwarz-Weiß-Berichten wurde dem Kinobesucher zu Kriegszeiten vor dem Hauptfilm von der Front berichtet. Sie sind nicht nur wegen der Bilder interessant, sondern auch wegen des subjektiven Blicks auf die Geschehnisse. Absolutes Highlight, neben dem schönen Einband und Coverbild ist das 24-seitige Booklet. Kein Name der bekannten Mediabook-Essay-Szene ist dort als Autor zu finden, sondern der von Diplom-Volkswirt Kai Althoetmar. Im präzisen Wechselspiel berichtet Althoetmar von den geschichtlichen Fakten im März 1945 am Rhein und der aufregenden Filmproduktion von DIE BRÜCKE VON REMAGEN in der damaligen Tschechoslowakei, die 1968 kurz davor stand der Sowjetunion einverleibt zu werden. Dringende Kaufempfehlung für jeden Interessierten an diesem vielschichtigen Kriegsfilm.
Fazit
Freund oder Feind? DIE BRÜCKE VON REMAGEN zeigt eine der ersten differenzierten Filmaufbereitungen des Zweiten Weltkrieges. Fast gleichgewichtig werden zwei Streitkräfte auf unterschiedlichen Seiten mit Hilfe der guten wie auch schlechten Eigenschaften ihrer charismatischen Anführer Major Krüger und Lt. Hartman bebildert. Das alles spielt in einem der entscheidendsten Momente des Krieges: Die letzte Brücke über den Rhein ist einfach Goldstaub für Drehbuchautoren. Die spektakulären Actionsequenzen beleben die bereits effizient erzählte Geschichte. Ein extrem spannender und oft vergessener Film über den Zweiten Weltkrieg.
Titel, Cast und Crew | Die Brücke von Remagen (1969) OT: The Bridge at Remagen |
Poster | |
Regisseur | John Guillermin |
Release | ab dem 28.05.2021 auf DVD und im Mediabook (Blu-ray+DVD) Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: Oder direkt beim Label bestellen >>> |
Trailer | |
Besetzung | George Segal (Lt. Phil Hartman) Robert Vaughn (Maj. Paul Krueger) Ben Gazzara (Sgt. Angelo) Bradford Dillman (Maj. Barnes) E.G. Marshall (Brig. Gen. Shinner) Peter van Eyck (General Von Brock) Hans Christian Blech (Capt. Carl Schmidt) Heinz Reincke (Holzgang) Joachim Hansen (Capt. Otto Baumann) Sonja Ziemann (Greta Holzgang) |
Drehbuch | Richard Yates William Roberts |
Kamera | Stanley Cortez |
Filmmusik | Elmer Bernstein |
Schnitt | William T. Cartwright Harry V. Knapp Marshall Neilan Jr. |
Filmlänge | 117 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter