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Die besten Horrorfilme der 2010er Jahre | Platz 1 – 15

Die besten/wichtigsten Horror-Filme der Jahre 2010-2019

Hier vervollständigen wir die Liste mit den besten Horrorfilmen der 2010er um die Plätze 1-15. Ihr könnt auch hier noch einmal einen Blick auf die Plätze 16-30 werfen.

Die nachfolgende Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sie soll lediglich anhand der wichtigsten Filme die Entwicklung des Horrorfilms verdeutlichen. Zudem ist die Reihenfolge nicht zwingend als „in Stein gemeißelt“ zu verstehen.

 

Platz 15: THE CABIN IN THE WOODS (2012)

Das Spielfilmdebüt des US-Amerikaners Drew Goddard war eine weitere große Überraschung dieses Jahrzehnts. Das Drehbuch verfasste Goddard zusammen mit seinem Freund und Kollegen Joss Whedon, der vor allem für seine Arbeiten in den MARVEL- und DC-Reihen bekannt sein dürfte. Darüber hinaus war er auch an der TV-Serie BUFFY: IM BANN DER DÄMONEN (BUFFY THE VAMPIRE SLAYER, 1997-2003) sowie ANGEL: JÄGER DER FINSTERNIS (ANGEL, 1999-2004) als Autor und Regisseur beteiligt, wo er bereits mit Drew Goddard zusammenarbeitete. CABIN IN THE WOODS wurde im Jahr 2009 gefilmt, jedoch erst drei Jahre später veröffentlicht, als Hauptdarsteller Chris Hemsworth mittlerweile ein Superstar war.

Mit einem Augenzwinkern präsentiert uns Regisseur Goddard zuerst eine Reihe so ziemlich aller Stereotypen, die das Genre im Laufe der Jahre angesammelt hat: die typische Clique von Studenten, die einsame Hütte im Wald als Urlaubsziel oder der heruntergekommene Tankstellenbesitzer, der mysteriöse Warnungen ausspricht, um nur ein paar zu nennen. Und so geht es munter weiter auf eine faszinierende wie amüsante Art. Der Zuschauer fühlt sich sofort Zuhause, denn was uns Goddard anbietet, ist nichts Neues, sondern Altbekanntes, nur in ein schickes neues Gewand gehüllt. Doch zwischen all dem Bekannten sehen wir auch etwas, dass sich nicht so schnell einordnen lässt: zwei Männer in ihrem Bunker, die unsere Protagonisten rund um die Uhr beobachten. Bald wird klar, dass es hier um etwas Größeres geht, etwas, das die Grenzen der Horrorkonventionen aufbricht. Der filmische Schrecken wird hier selbstreflexiv und auch parodistisch als ebensolcher präsentiert: als unterhaltsames mediales Spektakel unter Gleichgesinnten. Entsprechend locker und entspannt ist auch die Stimmung, egal ob unsere Protagonisten um ihr Leben kämpfen oder wir die mysteriösen Personen in ihrem Bunker beobachten. Alles wird mit einem Lächeln präsentiert oder durch einen Witz gebrochen, was hier hundertprozentig passt. So zielt THE CABIN IN THE WOODS auch mehr in Richtung Komödie als Horror, zeugt aber durchweg vom handwerklichen Geschick seiner Macher, zahlreiche etablierte Elemente von Horror-Topografien zielführend zu nutzen.

Und dann wären da noch die ganz besonderen Momente, wenn Goddard so ziemlich alles an Halbwesen, Monstertieren, Ungeheuern, Zombies, Dämonen und sonstigem bösartigen Gesindel des unerschöpflichen Horroruniversums unter einem Dach vereint. Zwar wurden alle Monster leicht verändert, vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen, um die Originale zu schützen, doch bleiben sie für jeden halbwegs erfahrenen Horrorfreund sofort erkennbar. Für jeden Liebhaber des Genres wird es ein ganz besonderes Fest sein, diesen abgelegenen Ort im Wald zu betreten, für Neulinge bietet er einen spannenden Einblick in selbiges. (SF)

 

Platz 14: A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT (2014)

Sicher einer der ungewöhnlichsten und außergewöhnlichsten Vampirfilme seit der deutschen Produktion JONATHAN (1970), Romeros MARTIN (1977), der verstörende NADJA (1994) oder ONLY LOVERS LEFT ALIVE (2013), nicht nur, weil er in schwarz-weiß gedreht wurde. Ungewöhnlich wohl eher durch seine eindrucksvollen Bilder, die uns in eine stille, verführerisch wie lustvoll-subversive Arthouse-Produktion entführen. Die in England geborene Filmemacherin Ana Lily Amirpour ist iranischer Abstammung, ihre Eltern wanderten 1979 aufgrund der Islamischen Revolution nach Großbritannien aus. In ihrem Spielfilmdebüt A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT präsentiert sie uns ein beeindruckendes wie unkonventionelles, ein schönes wie hypnotisch faszinierendes Vampir-Drama über Einsamkeit, Romantik, Abenteuer und Liebe. Meisterhaft komponiert, meditativ und eindringlich in Szene gesetzt.

Eine Stadt, Bad City. Ein Platz am Ende der Welt, trostlos wie hoffnungslos. Ein Ort, so gewalttätig und rücksichtslos wie die leere Wüste, die sie umgibt, ähnlich einer der unzähligen Geisterstädte des ehemaligen Wilden Westens. Hier ist kein Leben mehr möglich, allenfalls ein stumpfes Existieren von Tag zu Tag. Für die meisten endet der Weg in einem ausgetrockneten Flussbett vor der Stadt, das vorwiegend zur Entsorgung unliebsamer Einwohner verwendet wird.

Die Story startet wie ein beliebiger US-Thriller unmittelbar im Milieu zwischen Drogen, Prostitution und kompromissloser Kriminalität. Die Charaktere, wie auch ihre Handlungen, sind extrem überzeichnet und erinnern in vielen Szenen an ins Leben geholte Comic-Figuren. So verwundert es nicht, wenn immer wieder verschwommene Reminiszenzen an SIN CITY (2005) beim Rezipienten ankommen, obwohl beide Filme nicht die geringste Ähnlichkeit aufweisen. Skurril, absurd, ja fast schon surreal, eine Parallelwelt aus einem uns fremden Universum, so zeichnet Ana Lily Amirpour dieses trostlose und bedrückende Leben. Ein wilder Tanz zwischen unvereinbaren und gegensätzlichen Kulturen, ein Tanz zwischen Frauen und Männern, zwischen Sex und Gewalt, Arm und Reich und letztendlich zwischen Leben und Tod. Dazwischen agiert unsere Vampirin, sie ist Richter und Henker ihrer eigenen Moralvorstellungen und Gesetze, sie ist Erlöser und Vernichter in Personalunion in einer gesetzlosen Stadt. Für die einen ist sie der Lone Ranger für andere der Sensenmann. Mit einer Mischung aus traditionellem Tschador (ich hoffe das ist der korrekte Ausdruck) und Graf Draculas Umhang wandelt unsere einsame Rächerin durch diesen iranischen Vampir-Western und sorgt für Ordnung in den finsteren Gassen von Bad City. (SF)

 

Platz 13: DARLING (2015)

Wie schon in meiner ausführlichen Besprechung zu DARLING möchte ich betonen, dass er beileibe kein einfacher Film ist. DARLING wirft alle bekannten Muster des Genres über den Haufen, tritt sie mit Füßen und errichtet auf den Trümmern seine neue Sicht der Dinge. Es ist ein Film, den man erfühlen muss und das am besten mehrmals und in Ruhe. Durch die besondere Wahl des Filmmaterials, Regisseur Mickey Keating wählte Schwarz-weiß, wird der konsequente Verfall der kranken Psyche unserer Protagonistin, wie auch die alptraumhafte Atmosphäre, die im inneren des Hauses herrscht, Bild für Bild intensiviert. Die elegische Ruhe der Story ist bedrückend, fast schon erdrückend. Dazu passt auch die bedachte Kameraführung, die das Geschehen begleitet, jedoch niemals bewertet oder gar verurteilt. Eine weitere Auffälligkeit gegenüber dem Mainstream dürfte die Tatsache sein, dass es in DARLING sehr wenige Dialoge gibt. Dafür sprechen die Bilder eine deutliche Sprache, durch sie wird diese Geschichte nicht nur transportiert, sondern eindrucksvoll in Szene gesetzt. Immer wieder begegnen uns Aufnahmen einer großen, kalten Stadt, in der unser Film spielt. Wir erahnen zu Beginn die Isolation unserer Protagonistin und die Furcht vor dem Leben in dieser rücksichtslosen Welt. Ihre panische Angst vor Menschen, ihre Einsamkeit und Unsicherheit.

Die junge Darling (Lauren Ashley Carter) nimmt einen Job als Haushüterin an. Am ersten Tag bekommt sie genaue Anweisungen von einer Frau, die nur als Madame (Sean Young) bezeichnet wird. Madame erzählt ihr auch von den Geistergeschichten, die sich um das alte Gebäude ranken und vom Selbstmord ihrer Vorgängerin. Beim ersten Rundgang Darlings durch das leere Haus findet sie unter anderem eine seltsame, verschlossene Tür am Ende eines kleinen, engen Ganges vor. Auf telefonische Nachfrage bei Madame erfährt Darling, dass weder die Tür noch das Zimmer dahinter sie nichts angehe.

Mickey Keatings elaborierte Art, diese komplexe Story zu erzählen, überzeugt. Ebenso der beeindruckende Soloauftritt von Lauren Ashley Carter, die diesen kranken, alles verschlingenden Wahnsinn ihres Charakters mit einer Wucht spielt, dass einem der Atem stockt. DARLING ist eine Symphonie des Grauens in uns allen und von einer Welt, die wir uns selbst geschaffen haben. Düster, hoffnungslos, ohne jede Gnade und keine Chance auf Flucht. Wieder einmal zeigt uns ein kleiner Film, dass es nicht viel braucht für einen guten und überzeugenden Horrorabend. Aber DARLING fordert auch sehr viel vom Zuschauer, Mitdenken ist angesagt. Das Ende, so viel sei verraten, erklärt nichts. Ganz im Gegenteil, es lässt mehrere Deutungen und Möglichkeiten für eine Erklärung zu, was für reichlich Diskussionsstoff sorgen sollte. (SF)

 

Platz 12: HAGAZUSSA (2017)

Im kargen Licht eines verschneiten Wintertages streift eine Mutter (Claudia Martini) mit ihrer jungen Tochter Albrun (Celina Peter) durch dichten Wald in den Bergen. Auf dem Weg werden sie noch von einem der Älteren vor der bevorstehenden Rauhnacht gewarnt. Des Nachts erblickt die Mutter Perchten-Gestalten vor ihrer Hütte, deren Lärmen und geisterhafte Stimmen sie bis in ihr Haus und ihre Träume verfolgen. Sie leidet fortan unter einer schweren Krankheit, stirbt bald. Zuvor näherte sie sich merklich entfremdet ihrer Tochter, Anflüge von Vampirismus prägten diese Szene. Einige Jahre später ist Albrun (Aleksandra Cwen) selbst Mutter und lebt mit ihrem Baby das abseitige Leben weiter, das sie als Mädchen von ihrer Mutter gelernt hat. Von der Gesellschaft gemieden, spürt sie immer stärker, dass der Hexenfluch, der ihrer Mutter einst Seele und Leben raubte, auch auf ihr lastet.

HAGAZUSSA (althochdeutsch: Hexe) ist ein seltenes Beispiel von atmosphärisch und handwerklich überzeugendem (Genre-)Kino aus dem deutschsprachigen Raum. Das Spielfilmdebüt des österreichischen Regisseurs Lukas Feigelfeld erzählt vor dem Hintergrund einer früheren Zivilisation – wir schreiben das 15. Jahrhundert – von einer jungen Frau, die nach dem kläglichen Ableben ihrer Ahnin nun selbst von den Menschen der Gegend als Andersartige beäugt und gefürchtet wird. HAGAZUSSA, komplett ohne künstliches Licht und an Originalschauplätzen in der (Vor-)Alpenregion um das Salzkammergut gedreht, überzeugt durch seine durchdringende Atmosphäre und mythische Kraft, die sich zu Beginn der Erzählung auf die besondere Zeit der Rauhnächte besinnt und deren Bedeutung anhand von Symbolen, Figuren und Ritualen rezitiert. Bereits die archaischen Schriftzüge des Vorspanns werden sogleich vom eisigen Weiß der Landschaft verschlungen, entsättigt-graue Weitwinkelaufnahmen gebirgiger Nadelwälder verbreiten eine düstere Stimmung. Es sind Bilder, die uns Zuschauer ohne Umschweife in die dunkle Seele dieses Films geleiten und eine bedrückende Schwere vermitteln.

Als Rückzugsort bleibt Albrun einzig die Natur. Die Rhythmen des Waldes und der Bergwässer bestimmen ihr weiteres Leben. Später dringt neben „Schatten“, „Horn“ und „Blut“ das Element Feuer weiter in den Vordergrund (so die vier Kapitel des Films). Die Verbindung zur Zivilisation birgt Gefahren. Albrun wandelt am Scheideweg zwischen Leben und Tod, gemäß der Zaunreiterin oder auch den dämonischen Gestalten der Rauhnacht, die des Nachts an Grenzwegen erschienen und den Menschen einst ihr Schicksal offenbarten. Diese Mythen leben in den elegisch komponierten Bildern von HAGAZUSSA in filmischer Form weiter. (SJ)

 

Platz 11: WIR (US, 2019)

Filmemacher Jordan Peele ist mit WIR ein visionärer Coup gelungen. Der Horrorfilm ist toll besetzt, spannend, unberechenbar, famos gefilmt und mysteriös. Zusätzlich greift er mit WIR nicht nur der COVID-19-Pandemie ein Jahr voraus, sondern bringt ein gesellschaftliches Problem auf den Punkt, was schon seit Jahrzehnten unsere Kultur prägt: soziale Ungerechtigkeit.

Die Familie Wilson macht Urlaub in ihrem Ferienbungalow in der Nähe von Santa Cruz, Kalifornien. Mutter Adelaide (Lupita Nyong’o) verbindet ihre Kindheit mit diesem Ort und vor allem das Jahr 1986, in dem sie ein traumatisches Erlebnis im strandnahen Spiegelkabinett des Vergnügungsparks hatte. Ehemann Gabe (Winston Duke) versucht, die Stimmung mit einem Bootskauf und einem Besuch am Strand mit der befreundeten Familie Tyler (Elisabeth Moss und Tim Heidecker) aufrecht zu halten. Doch eines Abends fällt der Strom aus und vier Personen in roten Overalls, der Familie Wilson nicht unähnlich, tauchen in der Einfahrt auf. Sie scheinen die Wilson mehr als nur zu kennen.

Regisseur und Drehbuchautor Peele weiß, wie ein guter Horrorfilm funktioniert. Seinen späten Karriereeinstig mit GET OUT (2017) hatte er mit Bravour gemeistert und nun galt es, mit WIR noch etwas mehr zu wagen. GET OUT lebt von seiner mysteriösen Exposition und seinem handfesten Kommentar auf den historisch verwachsenen Rassismus der Vereinigten Staaten. WIR ist in seiner geheimnisvollen Darstellung nicht anders, weiß aber mehr zu unterhalten und kann sogar zum gesellschaftspolitischen Diskurs anregen – oder wie Kollege Fynn in seiner Filmkritik so passend schrieb: es ist ein „zeitgeistlicher Essayfilm“. Wer nun WIR auf Grund unserer Empfehlung hier zum ersten Mal sieht, dem raten wir gleich zu Beginn auf Symbole wie Spiegel, das weiße Kaninchen und visuelle Gegenteile zu achten. Das erste Bild ist schon Hinweis auf das Filmende. Es ist eine Wand voller eingesperrter Hasen zu sehen. Der Hase in der Mitte, von dem sich die Kamera respektvoll entfernt, ist nicht unbedingt wie seine Nachbarn. Er scheint ruhiger und konzentrierter als der Rest. Gehört er vielleicht gar nicht dorthin?

Zusätzlich gibt es noch jede Menge popkulturelle Referenzen (z. B. JAWS-T-Shirt, Spiegelkabinett, SHINING-Kamerafahrt, Schere) und vor allem die Musik von Michael Abels wie auch die Songs passen maßgeschneidert auf dieses Endzeitszenario. Musikalisch kumuliert alles in einem Ballett-Dance-Fight mit einem instrumentellen Remix von „I Got 5 On It“ von Luniz.

WIR ist massentauglich und zeigt dennoch frisches Cineastenfutter ohne seine filmhistorischen Vorgänger zu leugnen. Ein ganz wichtiger Beitrag in diesem Jahrzehnt und ich lehne mich gern hier einmal weit aus dem Fenster und behaupte, dass Jordan Peele für den Mysteryfilm der neue Kapitän ist, wie es Christopher Nolan für den Actionfilm und Denis Villeneuve für den Science-Fiction-Film sind. (CM)

 

Platz 10: I SEE YOU (2019)

Ein Serienkiller versetzt eine kleine Ortschaft in den USA in Angst und Schrecken. Soeben wurde der zehnjährige Justin entführt, und die örtliche Polizei ist fieberhaft auf der Suche, unter ihnen auch Greg Harper (Jon Tenney). Parallel zur Jagd auf den geheimnisvollen Killer verfolgen wir den Alltag der Familie Harper, die seit dem Seitensprung von Gregs Frau Jackie (Helen Hunt) in Trümmern liegt. Doch noch etwas passiert genau an diesem Ort, unmittelbar im Haus dieser hoffnungslos zerstörten Gemeinschaft. Dinge verschwinden und tauchen an unmöglichen Plätzen wieder auf, das TV-Gerät schaltet sich von alleine an, Geräusche und dumpfe Stimmen sind zu hören.

Obwohl die mysteriösen Vorkommnisse weiter zunehmen, schwebt über allem der Kindermörder dem Greg und seine Kollegen verzweifelt auf der Spur sind. Nach gut 40 Minuten dürften die meisten Zuschauer jedoch der Meinung sein, dass es im Haus der Harpers unheimlich ist und erste Gedanken in Richtung Geister werden gesponnen. Immer wieder schiebt Regisseur Adam Randall ruhige, scheinbar ziellose Kamerafahrten durch das leere Haus ein, die den Eindruck eines unsichtbaren Beobachters erwecken. Doch genau hier vollführt die Handlung eine Wendung, mit der niemand rechnet. Und das ist nur die erste faustdicke Überraschung, die I SEE YOU für den Zuschauer bereithält. Denn nun schlägt die Story die wildesten Haken, ähnlich einem verrückten Kaninchen auf der Flucht vor seinen Häschern.

Für viele überraschend dürfte die Schauspielerin Helen Hunt sein, die mit I SEE YOU in ihrem ersten Horrorfilm vor der Kamera steht, auf besonderem Wunsch von Regisseur Adam Randall. Und ja, sie spielt ihre Rolle perfekt, wie übrigens alle beteiligten Darsteller. Mit viel Liebe zum Detail wurde die spannende Story – das Drehbuch stammt von Devon Graye – in Szene gesetzt. Die ruhigen Kamerafahrten durch das Haus und das bewusste Spiel mit den Farben verraten das geschulte Auge von Regisseur Adam Randall und seines erfahrenen Kameramanns Philipp Blaubach. Zusammen erschaffen sie eine unheimliche, unwirkliche Atmosphäre irgendwo zwischen Alpträumen und Wahnsinn, ehe sie fast schüchtern die Spannung auf die Spitze treiben. Am Ende wird das Geheimnis gelüftet und der Betrachter sieht das gesamte Porträt des Grauens, das sich blutig vor ihm präsentiert. Doch zuvor muss er einige genuine Überraschungen verdauen. Schnell wird klar, dass sich in I SEE YOU vieles um Vertrauen und Geheimnisse dreht. Geheimnisse, die jeder hat und vor den Anderen verbirgt, sie in seinem ganz privaten Verlies einschließt, aus welchen Gründen auch immer. Vertrauen gegenüber seinen Mitmenschen, Partnern und Freunden: Wie genau kennen wir die Person, mit der wir leben oder unsere Nachbarn oder Arbeitskollegen? Was wissen wir wirklich über sie und was verbergen sie vor uns? (SF)

 

Platz 9: SUSPIRIA (2018)

Suspiria Kritik zum Film Review

Mit Neuauflagen von Horrorklassikern ist es ja seither so eine Sache: häufig will man Stimmung und Setting des Originals möglichst nahekommen und verirrt sich dabei nicht selten in halbgaren Variationen, die dann aber weiterhin im gleichen Atemzug mit dem Original genannt und verglichen werden und unweigerlich scheitern. Der italienische Regisseur Luca Guadagnino (CALL ME BY YOUR NAME, 2017) wählte bei seiner Neuverfilmung SUSPIRIA, die lediglich in der Kernstruktur an Dario Argentos gleichnamigen Klassiker (1977) erinnert, einen ganz eigenen Weg.

Zunächst wird die Handlung weg vom süddeutschen Raum (München; Schwarzwald) und hin ins Berlin des Deutschen Herbstes verlegt, wobei zeitlich zugleich eine Brücke zur Entstehung von Argentos Werk geschlagen wird. Somit stellt die geteilte deutsche (Haupt-)Stadt in ihrer wohl unsichersten und spannendsten Phase den topografischen Rahmen der Handlung, der über das Soziopolitische durchgängig bis in einzelne Szenen des Films vordringt. Susie Bannion (Dakota Johnson) ist auch hier die US-amerikanische neue Schülerin in der Tanzakademie von Madame Blanc (Tilda Swinton), doch wird ihr persönlicher Hintergrund ebenso näher beleuchtet wie der der Leiterin. War bei Argento die Tanzschule bewusst eine düstere Gothic-Residenz von abgeschiedener Anmut, in der das Grauen wie in einem Hexenkessel brodelt, so entwickelt sich der Horror bei Guadagnino eher als netzwerkartiger Terror, der dann kontinuierlich mit übernatürlichen bzw. parapsychischen Elementen angereichert wird. All das wird hervorragend im körperlichen und mimischen Spiel der (fast) ausschließlich weiblichen Darstellerinnen eingefangen.

Guadagninos Film polarisiert seither etwas: die harten Fans des Originals verwirrte er mit seiner Eigensinnigkeit, andersherum erschuf er hier wirklich etwas Originelles, was neuen Adaptionen von Horrorstoffen nur selten gelingt. Die Filmemacher vertrauen dabei auf die immersive und performative Wirkung der Bilder und Töne – nicht zuletzt in den wahrhaft sinnlichen und kraftvollen Tanz-Performances. Thom Yorkes atmosphärischer Score sprießt nur so von melancholischer Energie, das titelgebende Seufzen wird akustisch und auch bildlich immer wieder aufgegriffen. Der mit 150 Minuten sehr ergiebige Film ist in jeder Einstellung durchdacht und regelmäßig mit Querverweisen verziert: zur Geschichte Berlins, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreicht, sowie zur Filmgeschichte selbst, wenn nicht nur die Hauptdarstellerin des Originals eine – völlig neue – Nebenrolle erhält, sondern mit Ingrid Caven und Angela Winkler bedeutende Schauspielerinnen des deutschen Kinos aus der erzählten Zeit von SUSPIRIA auftreten.

Zuletzt inspirierte die Dreifachbesetzung von Tilda Swinton (nach dem Freud’schen Strukturmodell der Psyche) unverkennbar die jüngere Generation – man denke nur an Mia Goth, die hier in SUSPIRIA eine wichtige Rolle spielt und aktuell im Horror-Double X und PEARL (2022, R: Ti West) in eine ähnliche Richtung geht. (SJ)

Buchtipp: Lioba Schlösser (2021): Mythos und Wahrheit in Berlin 1977. Suspiria (2018) als politischer und sozialer Spiegel des Deutschen Herbstes, in: Stefan Jung / Marcus Stiglegger (Hrsg.) Berlin Visionen. Filmische Stadtbilder seit 1980. Berlin: Martin Schmitz Verlag, S. 315-333.

 

Platz 8: THE VOID (2016)

THE VOID ist nicht nur modernes Horrorkino im Stile der 1980er-Jahre, sondern auch ein Meisterwerk im Sinne von H. P. Lovecrafts „Kosmischen Grauen“ und seinen „Großen Alten“. Kaum ein anderer Film hat diese Dichte an Motiven des US-Autors vereint und so überzeugend in Szene gesetzt.

Irgendwo im amerikanischen Hinterland: Es ist Nacht, ein junger Mann und eine junge Frau taumeln verletzt aus einem Haus, verfolgt von zwei zornig dreinblickenden und bewaffneten Gestalten. Der Mann entkommt mit Mühe und schwer verletzt in die Dunkelheit, die Frau fängt sich einen Schuss in den Rücken, stürzt zu Boden, lebt aber noch. Wenige Sekunden später wird sie von ihren Verfolgern mit Benzin übergossen und ohne zu zögern verbrannt.

Willkommen bei THE VOID. Sofort wird klar, was uns in den nächsten gut 90 Minuten bevorsteht. Die Regisseure Jeremy Gillespie und Steven Kostanski haben ihren Film mit jeder Menge Tempo und reichlich Schockmomenten ausgestattet, die den Zuschauer auf seiner wilden Reise durch die Nacht am Rande des Wahnsinns begleiten.

Das Werk ist eine Verbeugung vor den 1980ern und ganz großer, handgemachter Horror der Extraklasse, der weder komische Momente zulässt noch irgendwelche Gefangenen macht. Wer eine Handlung sucht, die ihm alles erklärt und alles vorkaut, ist an der falschen Adresse. Erklärungen gibt es keine, die sind auch gar nicht nötig. Instinktiv spürt der Zuschauer, was dort vor sich geht. Der Film wird getragen von einem namenlosen, nicht beschreibbaren Grauen, dass sich lange Zeit im Hintergrund verbirgt. Das Ganze ist sehr an H. P. Lovecrafts unglaublichen Geschichten um die „großen Alten“ angelehnt, allen voran Cthulhu, die abgeschnitten in einer uns unbekannten Dimension darauf warten, ihren Planeten Erde wieder in Besitz nehmen zu können. Wesen, die so schrecklich sind, dass keine Worte das Grauen beschreiben könnten oder gar ausreichen, um ihr Aussehen auch nur annähernd zu erklären. Die Monster und Splatter-Effekte sind größtenteils handgemacht und sehen fantastisch auf der Leinwand aus. Zu keiner Zeit entsteht der Eindruck, dass hier am Geld gespart werden musste. Das Tempo ist enorm hoch, die Figuren schnell etabliert und es gibt so gut wie keine Pause, ein Schock jagt den nächsten. Die Story ist konsequent und verliert sich nicht in Nebensächlichkeiten. Der Cast liefert durchweg eine gute Leistung ab und trägt zur Spannung bis zum unglaublichen Ende bei. Der sparsam angelegte Score von Samy Inayeh unterstützt und verstärkt das Grauen, den Wahnsinn, der sich langsam auf der Leinwand ausbreitet. Wer auf 1980er Horror steht, der wird diesen Film lieben. (SF)

 

Platz 7: THE GIRL WITH ALL THE GIFTS (2016)

Damit ein weiterer Zombiefilm nach über 600 Variationen (Every Zombie Movie ever made) es noch in unsere Filmliste schafft, muss er schon etwas Neues zu erzählen wissen. THE GIRL WITH ALL THE GIFTS verwandelt unsere Gesellschaft nicht in einfältige Monster, die es nach Menschenfleisch dürstet. Sicher, diese Prämisse gibt es auch, jedoch stellt der Film vielmehr die Frage: Was kommt nach den Zombies? Was ist die nächste Evolutionsstufe der neuen Spitze der Nahrungskette? Es ist ein Mädchen.

Melanie (Sennia Nanua) ist ein aufmerksames, schlaues und gut erzogenes Mädchen. Sie wird jedoch mit Gleichaltrigen in einem unterirdischen Militärkomplex gefangen gehalten. Soldaten nähern sich ihr nur mit entsicherten Waffen und wenn sie zum Unterricht muss, wird sie wie alle anderen auf einen Rollstuhl gefesselt. Sobald Melanie menschlichen Geruch wahrnimmt, überkommt sie ein unstillbares Verlangen nach lebendem Fleisch. Ihre Instinkte übernehmen die Kontrolle. Eine Pilzart hat den Großteil der Menschheit in fleischfressende Bestien verwandelt. Abgesehen von einer Gruppe Kinder, die scheinbar beides sind: Zombies und Menschen. Ist das die nächste Stufe der Menschheit?

Der Zombiefilm hat sich ebenfalls weiterentwickelt. Seit eine tollwütige Zombie-Schwangere ein noch viel zombie-hafteres Baby in DAWN OF THE DEAD (2004) zur Welt gebracht hat, geht THE GIRL WITH ALL THE GIFTS einen Schritt weiter und vereint Untote und Lebende in einem unschuldigen Mädchen. Wie unschuldig kann sie sein, wenn sie ihren animalischen Instinkt nicht kontrollieren kann? Solche und noch mehr Fragen stellt der Film von Colm McCarthy. Den Wünschen der Zuschauer nach Action, ein paar derben Witzen und blutigen Effekten kann auch er sich nicht erwehren, doch im Herzen bleib es ein einfacher Indie-Film. Was vor allem gefällt, ist, dass die kleine Gruppe aus Überlebenskämpfern nicht unbedingt dem Charakterhandbuch des Subgenres entsprungen ist und dass um Melanies Seele zwei Frauen als Vorbilder kämpfen: die mitfühlende Lehrerin Helen Justineau (Gemma Arterton) und die Ärztin Dr. Caroline Caldwell (Glenn Close). Wie Engel und Teufel streiten sie um die Seele der aufmerksamkeitsbedürftigen Melanie. Doch sie wird sich nicht nur von ihnen emanzipieren. Das große Finale passt perfekt zur grundlegenden Stimmung des Films und lädt für Metapherdeutungen im Bereich Generationskonflikt ein. Auch wenn die Computereffekte und Actionszenen schon in seinem Erscheinungsjahr nicht dem aktuellen Standard entsprachen, begeistert THE GIRL WITH ALL THE GIFTS durch seine talentierte junge Hauptdarstellerin. (CM)

 

Platz 6: THE EYES OF MY MOTHER (2016)

Kein Popcorn-Kino, kein Film für zwischendurch und beileibe kein Film wie jeder andere. Das ist THE EYES OF MY MOTHER. Eine Kategorisierung fällt ebenso schwer, denn er ist nicht wirklich ein Horrorfilm im herkömmlichen Sinne, wobei es fast unmöglich ist, dieses kleine Biest in eine Schublade zu stecken. Nicolas Pesces Debüt ist ein bizarres Gothic-Drama-Gemälde, das weit über die Genre-Grenzen hinausgeht. Bei Weitem keine Achterbahnfahrt des Grauens oder gar eine nette, kleine Geisterbahnfahrt. Nein, hier erwartet uns eine Reise ohne Rückfahrticket in den dunkelsten Winkel der menschlichen Seele. Unglaubliche Bilder und Momente explodieren auf der Netzhaut des Zuschauers, um sich für immer tief in sein Gehirn zu brennen.

Die kleine Francisca (Olivia Bond) lebt mit ihren Eltern weit außerhalb der Stadt, zurückgezogen in einem kleinen Häuschen. Franciscas Mutter (Diana Agostini) war einst Chirurgin in ihrem Heimatland Portugal, nun lehrt sie ihrer kleinen Tochter alles, was sie über ihr Handwerk weiß. Praktische Übungen finden an toten Kühen in der Küche statt. Eines Tages, der Vater (Paul Nazak) ist außer Haus, kommt ein gewisser Charlie (Will Brill) auf den Hof. Nach einem kurzen Gespräch bittet er darum, das WC benutzen zu dürfen. Als der Vater schließlich nach Hause kommt, findet er die verängstigte Francisca in der Küche vor, während Charlie im Badezimmer noch immer auf die schon längst tote Mutter einschlägt. Doch das ist erst der Anfang der unglaublichen Geschichte.

Regisseur und Drehbuchautor Nicolas Pesces wurde immer wieder vorgeworfen, abartige Brutalitäten in THE EYES OF MY MOTHER aneinanderzureihen, ohne jeden Sinn. Wenn man den Film lediglich als normalen Horrorfilm konsumiert, können die teilweise sehr heftigen Szenen diesen Eindruck erwecken. Beleuchtet man die seltsame Familie jedoch ausführlicher, dann entfaltet sich das Grauen wie eine Blume der Finsternis vor den Augen des Betrachters. Die Schönheit des Schreckens in seiner Reinform erblüht und man erkennt, dass die ganze Gewalt der Protagonistin nur eine Form der Furcht vor der absoluten Einsamkeit darstellt, die Angst vor dem Vergessenwerden, die in uns allen lauert. Beeindruckend sind vor allem die beiden Stars des Filmes, allen voran Olivia Bond, die die junge Francisca spielt, und Kika Magalhaes die Francisca etwas später als junge Frau darstellt. Während Olivia Bond mit einer Abgeklärtheit und einer unglaublichen, fast dämonischen Ruhe diese komplexe Rolle angeht, umweht Magalhaes’ Auftritt etwas gänzlich Fremdes. Zwar zeigt auch sie diese stille Bosheit, die schon Olivia Bond vorzüglich darstellte, diese Aura der Gefahr. Doch Magalhaes’ Spiel geht noch einen Schritt weiter. Ihre Darbietung scheint einfach nicht von dieser Welt zu sein, wenn sie vor der Kamera auftaucht. Ihr Gesicht zeigt keinerlei Emotionen, egal was von ihr verlangt wird. Lediglich beim Gedanken an die verstorbene Mutter brechen für Sekunden menschliche Gefühle aus ihr heraus, die fast wie ein Fremdkörper wirken. THE EYES OF MY MOTHER ist ein Film gewordenes Gemälde, ein Gemälde des Grauens und der Finsternis, die in uns allen herrscht. (SF)

 

Platz 5: THE WAILING – DIE BESESSENEN (GOK-SEONG, 2016)

Verrückt wird man nicht von einem Sekundenbruchteil auf den anderen. Es ist ein schleichender Prozess. Ein seltsamer Moment, eine gruselige Begegnung oder ein unerwartetes Geräusch sind nur der Anfang. Die Spirale der seltsamen Ereignisse dreht sich immer weiter nach oben, bis die eigene Wahrnehmung sich verändert und man umso genauer auf die anormalen Dinge schaut. THE WAILING ist ein cineastisches Ticket direkt in die spirituelle Irrfahrt. Zu Beginn denkt man noch, einer kleinen Krimikomödie im ländlichen Südkorea beizuwohnen, doch dann zieht Regisseur Na Hong-jin (THE CHASER, 2008) immer weiter die synaptischen Schraubstöcke an und wir sind mittendrin in der großen Show voller Schamanen, Besessener und Kranker.

Im ländlichen Goksung reiht sich ein blutiger Tatort an den nächsten. Familienmitglieder werden zu Mördern, Häuser werden niedergebrannt und Unschuldige brutal erstochen. In diesem Chaos versucht Polizei-Sergeant Jong-goo (Kwak Do-won), den Überblick zu behalten. Leider ist Jong-goo nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte. Beweise und Indizien scheint es kaum zu geben, aber die Gerüchteküche ist am Brodeln. Der zugezogene Japaner (Jun Kunimura) soll an jedem Tatort gesehen worden sein und mit seinen dunklen Kräften die unschuldige Gemeinde zur Hölle werden lassen. Als Jong-goos Tochter von einer seltsamen Krankheit befallen wird und gar nicht mehr sie selbst zu sein scheint, bestellt die Mutter einen Schamanen (Hwang Jung-min) ein. Doch jetzt werden Dämonen und Geister erst recht entfesselt.

Südkorea ist für uns eine Abbildung der Schönheitsideale, moderner Städte und des technischen Fortschritts. Doch THE WAILING zeigt uns ein völlig anderes Land und eine völlig andere Kultur. Die ländliche Gegend ist von der Natur durchwachsen, die Häuser sind nicht mehr als tapezierte Bretterbuden und das Leben ist ein einfaches, in dem noch die Wäsche auf dem Hof am Waschbrett gewaschen wird. Hier ist Fortschritt nur punktuell zu erkennen. Der perfekte Nährboden für religiöse Einflussnahme. Wir belächeln das Ganze zu Beginn, glauben nicht an böse Geister und seltsame Riten, aber dann dreht THE WAILING erst so richtig auf. Der Schrecken findet meist im Alltag und bei Tageslicht statt. Visionen, Träume und Berufsalltag gehen Hand in Hand. Die einzige Frage, die gnadenlos spannend bis zum Ende der beinahe drei Stunden gestellt wird, ist: Wer ist der Ursprung allen Übels? Einfach einen Fremden, in diesem Fall den Japaner, zu beschuldigen, ist eine zu leichte Anschuldigung. Und zieht der Schamane mit ein paar Tricks den einfachen Leuten nur das Geld aus der Tasche?

Teufel, Gläubige, Geister, Priester und Dämonen kämpfen alle gleichzeitig in diesem komplexen und gut durchdachten Horrorthriller um die unschuldigen, einfältigen Seelen der Gemeinde. Am Ende stellt jeder, ob Gut oder Böse, die Frage des Vertrauens. Rettung und Antworten auf existenzielle Fragen hält THE WAILING jedoch nicht parat. Es beginnt als spaßiger Krimi und endet im spirituellen und düsteren Horror, der einen ratlos zurücklässt. (CM)

 

Platz 4: A DARK SONG (2016)

Der Okkultismus hat eine lange Tradition im Horrorfilm. Das unbekannte Religiöse ist der beste Nährboden für Schreckensgeschichten. Der immer noch als Geheimtipp gehandelte A DARK SONG begegnet der Welt der Séancen und Geisterbeschwörungen geradezu pragmatisch, aber immer mit Raum für Interpretationen. Das Kammerspiel aus Dämonen und Erzengel in der walisischen Einöde lässt sich nie auf Bäche von Blut und sonstigem Überschwang ein. A DARK SONG behält seine zwei Protagonisten im Auge, denn die bringen viel interessantere seelische Probleme mit, die in so einer konzentrierten Umgebung geradezu genüsslich auseinandergenommen werden.

Nach dem Mord an ihrem Sohn sucht Sophia (Catherine Walker) Hilfe bei einem Okkultisten. Joseph Solomon (Steve Oram) soll mit einem Abramelin-Ritual ihren Schutzengel herbeirufen, bei dem sie sich etwas wünschen kann. Sie will noch einmal mit ihrem Sohn sprechen. Der monatelange Prozess wird in einem verlassenen Anwesen in der Abgeschiedenheit der Waliser Landschaft durchgeführt. Die Regeln sind komplex und die Nerven liegen schnell blank, denn nicht nur körperlich ist das Ritual eine Herausforderung, sondern auch ein psychischer Irrsinn.

Zu Beginn sind wir Zuschauer Amateure. Wir belächeln die beiden, die Geister und Dämonen beschwören wollen. Vielleicht ist alles nur fauler Zauber. Aber die psychischen Narben, erst von Sophie und später auch von Joseph, sind echt. Hinzu kommt die Situation von monatelanger Isolation, Dehydrierung, Schlafentzug und dem Verzehr von Giftpilzen. Da würden sicherlich bei uns allen die Sinne durchbrennen. A DARK SONG spielt unsere Erwartung und Skepsis geschickt gegen uns aus. Bei so viel nerdigem okkultem Gerede beginnt man, beide Personen genauer zu betrachten, wie sie ihre Beziehung führen, welche Altlasten sie bereits in sich tragen. Der Film belohnt unsere Aufmerksamkeit mit punktuellem Übersinnlichen. Das Finale ist ein Rausch für jeden Gläubigen oder eine große Projektionsfläche für Interpretationen – vielleicht ist auch etwas ganz Anderes im Haus geschehen als es die Kamera uns glauben lassen will? Ein sehr starker Debütfilm von Liam Gavin, der nicht nur sein Thema ernst nimmt, sondern auch sein Publikum. (CM)

 

Platz 3: THE WITCH (THE VVITCH: A NEW-ENGLAND FOLKTALE, 2015)

Neuengland 1630: Farmer William (Ralph Ineson) wird in einem Prozess mit seiner streng gläubigen Familie aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Schnell finden sie ein neues Zuhause auf einem abgelegenen Stück Land in der Nähe eines düsteren Waldes. Bald kommt es zu seltsamen Vorfällen: Einzelne Tiere werden aggressiv, eines der Kinder verschwindet, ein weiteres scheint von einer dunklen Macht besessen zu sein. Schnell überkommt die Familie Misstrauen und Paranoia, zudem wird die älteste Tochter Thomasin (Anya Taylor-Joy) der Hexerei beschuldigt.

Der US-Amerikaner Robert Houston Eggers ist nicht nur Regisseur und Autor. Gerne übernimmt er auch den Job als Produzent oder „Costume-“ und „Production designer“. Bei THE VVITCH beschränkte er sich auf das Schreiben des Drehbuchs und die Regie. Ebenfalls von Eggers ist DER LEUCHTTURM (THE LIGHTHOUSE, 2019). THE VVITCH ist kein durchschnittlicher Horrorfilm, auch wenn er von einem gewöhnlichen Genre-Thema handelt: Hexen. Doch so einfach ist es nicht, denn Eggers lässt uns in seinem komplexen und subtilen Horror bis zum Finale im Unklaren, ob es sich nun um religiösen Wahn, Einbildung oder um wirkliche Hexerei handelt. Abseits aller Genre-Konventionen entwirft er einen immer bedrohlicher werdenden bösartigen Schatten, der sich über unserer puritanischen Familie sammelt. Nie wird klar, aus welcher Richtung die Bedrohung kommt, von wo das Böse als Nächstes zuschlägt. Oder ist doch alles nur Einbildung und Wahn, verstärkt durch die Einsamkeit, den Wald, mangelhafte Ernährung und religiösem Fanatismus? Dass es sich auch um eine Art von erwachsenem Märchen handelt, macht der Untertitel A NEW-ENGLAND FOLKTALE deutlich. Wer hier auf deftigen Splatter oder Blutorgien wartet, hat den falschen Film gewählt. Denn Robert Eggers braucht dieses Beiwerk zu keiner Zeit um echten Horror, der unter die Haut geht, zu inszenieren. Die Atmosphäre ist über die komplette Laufzeit düster und bedrohlich wie in einem finsteren Alptraum, aus dem es kein Entkommen gibt. Unterstützt wird dieser unsichtbare und nicht greifbare Schrecken durch die fantastischen Aufnahmen von Kameramann Jarin Blaschke, der schon bei mehreren Filmen mit Robert Eggers zusammenarbeitete. Um dem Film den nötigen historischen Hintergrund zu verleihen, wurden Akten von Hexenprozessen, Fachbücher über die damalige Landwirtschaft, Wohnungen und Stallungen sowie Werkzeuge studiert. Gerade diese Authentizität damaliger Pioniere, ihr hartes Leben in der Umwelt und die permanente Selbsterniedrigung durch ihren Glauben überzeugt in THE VVITCH. Hinzu kommt die grandiose Leistung der Darsteller, allen voran der jungen Anya Taylor-Joy. Auch wenn der heimliche Star des Filmes der „Schwarze Phillip“ ist. (SF)

 

Platz 2: HEREDITARY – DAS VERMÄCHTNIS (2018)

Horrorfilme dürfen durchaus mehr sein als reines Schockerlebnis. Das anspruchsvolle Publikum hat dies erkannt und ein Regisseur will diese Nachfrage nicht nur bedienen, sondern wird auch dankend von Kritik und Publikum dafür gefeiert: Ari Aster. Mit seinem Spielfilmdebüt HEREDITARY setzte er gleich zu Beginn seiner Karriere ein dickes Ausrufezeichen. Dank seiner Hauptdarstellerin Toni Collette, einem maßgeschneiderten Szenenbild, einer Kameraarbeit, die kein Wegschauen zulässt und dem Wunsch, nie alles erklären zu müssen, ist HEREDITARY einer der eigenwilligsten Horrorfilme der 2010er-Jahre. Das bedeutet viel, denn eigentlich steht er vordergründig in der Tradition des Geisterfilms.

Die amerikanische Familie Graham versucht über den Tod der Großmutter hinwegzukommen. In ihrer Rede bei der Bestattungszeremonie weiß Annie Graham (Toni Collette) aber nicht nur gute Dinge über ihre Mutter zu erzählen, sondern auch von ihren strengen, ernsten und psychotischen Eigenschaften zu berichten. Der Tod der Mutter scheint eine Befreiung zu sein, aber dennoch hinterlässt das seltsame Verhalten der Großmutter in ihren letzten Lebzeiten einige Spuren in der Psyche der Familie. Die Tochter Charlie (Milly Shapiro) war der Großmutter liebstes Enkelkind. Charlie ist ein eigenwilliges und unsoziales Mädchen. Als eines Abends Mutter Annie ihre Tochter Charlie mit ihrem Bruder Peter (Alex Wolff) auf eine Party von seinen Schuldfreunden schickt, gibt es eine weitere Familientragödie. Der Vater Steve (Gabriel Byrne) sieht seine Frau daran zerbrechen und alte – überwunden geglaubte – Psychosen bei ihr wieder auferstehen. Die Rolle der Mutter ist zusätzlich in den Händen von höllischen spirituellen Kräften.

Oberflächlich ist der Film ein Familienmelodram. Eine scheinbar perfekte Familie mit großem Haus und keinerlei Geldsorgen. HEREDITARY legt aber immer mehr Ebenen zutage, die Tiefer in den Horror wie auch der Psychen der Familienmitglieder vordringt. Aufmerksame Zuschauerinnen und Zuschauer wissen die ersten Zeichen zu deuten. Mutter Annie baut Dioramen aus ihrer Vergangenheit, den letzten Lebensjahren mit ihrer Mutter und Szenen aus dem Familienleben. Die puppenhaus-ähnlichen Miniaturen schärfen unsere Sicht für die Details und es gibt noch viel mehr als das Offensichtliche zu entdecken. Als Zwischenstation von Realität und maßstabsgetreuen Nachbildungen im Kartonformat fällt vor allem das Baumhaus auf, welches direkt neben dem Haus im nordischen Architekturstil – vielleicht ein Hinweis den nächsten Film vom Regisseur MIDSOMMAR (2019) – auf Birkenstämmen gesetzt wurde. Dort lebt Charlie am liebsten und dort wird der Film auch sein okkultes Ende finden, was jeder gern selbst zu interpretieren weiß. Die statischen Bilder zu Beginn, die immer wieder eine Parallele zu den gebauten Bildnissen der Mutter herstellen, fordern unsere Aufmerksamkeit genau hinzusehen und dann beginnt die wilde Reise des Horrors. Kleine Bewegungen im Hintergrund, seltsame Geräusche und Visionen brechen die aufwändigen Figurencharakteristiken und die stets ruhige Erzählweise. Das perfekte Bildnis für diese Filmstruktur manifestiert sich im Modell, das direkt neben der Treppe im Flur des Familienhauses steht. Oben steht ein symmetrischer Bungalow und in der Erde darunter sind weitere Häuser zu erkennen. Diese Schichten unter der familiären Fassade bröckeln in diesem Film immer weiter Stück für Stück, bis jeder in ein okkultes Ritual hineingezogen wird, aus dem es kein Entkommen gibt.

HEREDITARY ist im Herzen eine Liebeserklärung an die Familie, wenn sie denn harmonisch funktioniert und alle mehr gemeinsam haben als ihren Nachnamen. Die Grahams haben für ein erfülltes Familienleben nämlich gar nichts übrig, leben in einer Puppenhaus-Scheinwelt, laden emotionale Probleme bei anderen ab und gerade deswegen wird es für sie kein Happy End geben. (CM)

 

Platz 1: DER LEUCHTTURM (THE LIGHTHOUSE, 2019)

Den LEUCHTTURM von Roger Eggers zu sehen, ist wie ein Hineintauchen in die mit hartem Realismus verknüpfte, phantastische Literatur von Jules Verne, Guy de Maupassant, Jack London und Howard Phillips Lovecraft, um nur einige Namen zu nennen. Die vielleicht wichtigsten Einflüsse auf Eggers, der bereits mit THE WITCH (2015) neue Akzente im Horror-Genre setzte: Edgar Allan Poes möglicherweise letzter, weitgehend unbekannter Text, das Fragment „Der Leuchtturm“ und „Die Ballade“ vom alten Seemann von Samuel Taylor Coleridge, die von einem durch die Tötung eines Albatrosses ausgelösten Fluch auf Hoher See erzählt.

Ein Leuchtturm irgendwo an der Küste Neu-Englands am Ende des 19. Jahrhunderts: Thomas Wake (Willem Dafoe) und sein neuer Gehilfe, der sich „Ephraim Winslow“ nennt (Robert Pattinson) sind hier in nahezu völliger Isolation als Wärter tätig. Wake beginnt früh, seinen Untergebenen zu quälen und zu demütigen. Winslow entdeckt eine kleine Seejungfrauenfigur, die offenbar seinem Vorgänger gehörte, der zwischenzeitlich im Wahnsinn gestorben sein soll. Die Statue wird immer mehr Gegenstand von Winslows sexuellen Obsessionen, er träumt von ihr, schließlich wird sogar (in seiner Einbildung?) eine Nixe (Valeriia Karaman) an dem Strand gespült. Von der Frau geht jedoch etwas Bedrohliches aus, vor allem von ihrem Lachen und Schreien. Dann wirkt sie wie ein dämonisches Meerwesen, das dem Lovecraft-Kosmos entsprungen sein könnte.

Wake warnt Winslow davor, einen Seevogel zu töten, da dies Unglück bringen würde. Als Winslow schließlich eine Möwe erschlägt – die hilflosen Versuche einen Vogel zu fangen, wirken wie ein direktes Zitat aus Jack Londons „Liebe zum Leben“ – bricht ein Sturm los (Assoziationen an die gleichnamige Kurzgeschichte von Jules Verne werden geweckt), der es unmöglich macht, die Insel zu verlassen. Die Spannungen zwischen Wake und Winslow werden unerträglich.

Während der Phasen, als die beiden Männer sich exzessivem Alkoholkonsum hingeben, offenbart Winslow, er heiße in Wahrheit Howard und habe den Namen eines Mannes angenommen, dessen Tod er einst verschuldete – nicht zufällig klingt dieser so ähnlich wie William Wilson. Edgar Allan Poes düstere Themen – Persönlichkeitsspaltung, Angst vor dem Lebendig-Begraben-Werden, die Dämonie des Meeres – sind allgegenwärtig. Die getötete Möwe war einäugig, wie der schwarze Kater Pluto. Das Augen-Motiv und das Gestehen eines aus irrationalen Motiven verübten Verbrechens verweisen zusätzlich auch auf „Das verräterische Herz“. Am Schluss des Films geht der Mann, der sich Winslow nannte, immer weiter hinauf in nahezu unerträglich gleißende Helle. Der poetisch anmutende Titel der gleichnamigen, ungewöhnlich harten Verfilmung (1971) von Jules Vernes letztem, von dessen Sohn vollendetem Roman „Das Licht am Ende der Welt“ (1906) wäre auch für Eggers’ Meisterwerk treffend gewesen. Die eisigen, teilweise grellen Schwarz-Weiß-Aufnahmen wirken wie eine Hommage an das pessimistische Kino von Ingmar Bergman, vor allem an DIE STUNDE DES WOLFS (VARGTIMMEN, 1968). Man fühlt die Kälte, man fühlt die Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit, die beklemmende Atmosphäre mit den harten Vogelschreien erinnert an „Das Winterquartier“ von Guy de Maupassant, eine Geschichte, die bereits auf Stanley Kubricks SHINING (1980) Einfluss gehabt soll. Eggers’ LEUCHTTURM ist auf dem besten Weg, ein intertextuell diskutierter Meilenstein des Horror-Genres zu werden. (SP)

 

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