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Die 12 Geschworenen (1957) – Filmkritik & Review des Mediabooks

Was ist Recht? Und was ist richtig? Diese existenzielle Frage treibt uns Menschen tagtäglich um. Der eine hat vielleicht Streit mit seinem Gegenüber, meint, er sei im Recht, während der andere verschieden darüber denkt. Diese Frage begleitet uns im „Kleinen“, also im privatrechtlichen Bereich, wie im Großen, gar Globalen – die sich zuspitzenden Kriege in der Welt sind das Extrembeispiel. Jeder meint, er wäre im Recht, viele Unschuldige müssen leiden.

In dieses Thema spielt auf künstlerischer Ebene das Genre des Gerichtsfilms bzw. Justizthrillers hinein. Es gibt einige berühmte Beispiele, in denen dann auch mehr verhandelt wird als die bloße Frage nach dem Recht. Filme wie EINE FRAGE DER EHRE (A Few Good Men, 1992), DIE JURY (A Time to Kill, 1996) oder ANATOMIE EINES FALLS (Anatomie d’une chute, 2023) spannen den Bogen um die Systematik und Methodik eines gerichtlichen Falls und lassen uns tief in die beteiligten Charaktere blicken, uns immer wieder auch unser eigenes Bild machen. Ein Veteran des US-Justizfilms, um mit dem Begriff viele seiner Werke zu berücksichtigen, war der Regisseur Sidney Lumet (1924–2011). Dessen Kinodebüt ist sogleich der wohl größte Klassiker des Genres: DIE 12 GESCHWORENEN (12 Angry Men, 1957) mit Henry Fonda in der Hauptrolle, der den Film auch produzierte. Capelight hat den Klassiker nun im eindrucksvollen 3-Disc Mediabook mit interessantem Bonusmaterial inkl. William Friedkins TV-Neuverfilmung (1997) veröffentlicht.

© Capelight Pictures

„Ich möchte darüber reden.“

Die Ausgangssituation des Plots, der bereits vor Lumets Verfilmung als einstündiges Fernsehspiel (1954) in den USA lief, ist schnell erklärt: Ein junger Mann von 18 Jahren, „also kein Kind mehr“, wie einer der Geschworenen später formuliert, wird des Mordes an seinem Vater beschuldigt. Mit einem speziellen Messer soll er es getan haben, eine Frau und ein älterer Mann haben es gesehen bzw. gehört. Der Film beginnt mit einem Establishing Shot auf das US-Gerichtsgebäude von außen, aus merklicher Untersicht am Fuße der breiten, steinernen Treppen, mit dem Blick nach oben auf die geprägte Inschrift, wonach die Rechtspflege die stärkste Säule der Regierung ist („The Administration of Justice is the Firmest Pillar of Government“). Diese einzelne Einstellung genügt, um die Gewichtigkeit der folgenden Handlung, die sich ausschließlich hinter geschlossenen Türen abspielt, deutlich zu machen. Was folgt, ist ein perfekt inszeniertes Kammerspiel, das bis heute nichts an Spannung eingebüßt hat.

Offenkundig sei es, also dass der junge Mann schuldig ist, daran bestehe keinerlei Zweifel, raunt einer der zwölf Männer früh im Geschworenenzimmer. Ein anderer pflichtet bei, ein weiterer stimmt zu. So geht das einige Momente, bis erstmals formell eine Abstimmung erfolgt. 11 zu 1 für schuldig, „einer tanzt immer aus der Reihe“, wie der erste Lautstarke erneut nicht lassen kann. Es ist wichtig zu beobachten, wie die Männer bereits vor der Abstimmung inszeniert werden: bei gewöhnlichem Smalltalk, da spielt ein Baseballmatch eine große Rolle, zu dem Nr. 7 nach dem Termin noch hinmöchte, oder die Werbeagentur, bei der Nr. 12 arbeitet. Nach dem alltäglichen Durcheinander platzieren sich die zwölf Geschworenen dann allmählich in der Reihenfolge ihrer Nummern, reden sich fortan nur auf diese Weise an. Jede Stimme zählt, aber das Urteil, egal wie es auch ausfällt, muss einstimmig sein.

Indem Lumet die menschlichen Launen der Männer genauso berücksichtigt wie das Interesse Einzelner an logischen Erklärungen, wird DIE 12 GESCHWORENEN nicht nur zu einem spannenden Justizfall, packend wie ein Krimi nacherzählt, sondern vielmehr eine Parabel über Menschlichkeit selbst. Nr. 8 (Henry Fonda) steht zu Beginn allein da, möchte nicht durch seine letzte Stimme das Todesurteil des jungen Mannes besiegeln. Also will er bei den anderen ranfühlen, ihre Überzeugungen prüfen – es stellt sich bald heraus, dass nicht nur er allein „berechtigte Zweifel“ hat, wie der Fachausdruck heißt. Dieser berechtigte Zweifel, selbst wenn vieles gegen den Angeklagten spricht, ist der Dreh- und Angelpunkt: um jemanden schuldig zu sprechen, muss man sicher sein.

© Capelight Pictures

Die Spannung um den Fall spürbar machen

Das Aus-der-Reihe-tanzen von Nr. 8, dem „selbsterklärten Anführer der Gegenseite“, wie ihn einer der Zweifellosen tituliert, führt zu Spannungen innerhalb des Geschworenenzimmers, wo nur anfangs halbwegs geordnet der Reihe nach gesprochen wird einzelne Indizien immer neue Rückfragen und Diskussionspunkte mit sich bringen. Es dauert nur wenige Minuten, und wir Zuschauer sind immer stärker involviert, so effektiv ziehen uns die Blickwechsel und Kameraperspektiven ins Geschehen. Jedem der Protagonisten gewähren Lumet und Kameramann Boris Kaufman (DIE FAUST IM NACKEN, 1954) seine Momente, jeder der zwölf Männer ist gleich wichtig, um die ganze Komplexität der Diskussion um Schuld und Unschuld zu verstehen.

„Fragen, die über das Leben eines Menschen entscheiden, können gar nicht genau genug formuliert sein“, statuiert Nr. 8 und diskreditiert damit die Indifferenz, die manche der Figuren (zeitweise) an den Tag legen. Da spielen zwei Geschworene plötzlich Tic-Tac-Toe, als ihnen eine Diskussion zu lange dauert – die von Fonda verkörperte Hauptfigur reißt ihnen den Zettel vom Tisch, zerknüllt ihn, wirft beiden vor versammeltem Tisch Anstandslosigkeit vor. Mit Recht. Während die meisten Wutmomente unserer 12 Angry Men persönliche Befindlichkeiten spiegeln, ist der Protest von Nr. 8 vielmehr ethischer Ankerpunkt. Und das, obwohl auch er zu Beginn Unrecht begeht: Um seine Mitstreiter zu überzeugen, präsentiert er ein der Mordwaffe zum Verwechseln ähnliches Messer – er manipuliert den Geschworenenprozess. Ein dramaturgischer Kniff freilich. Aber was für einer.

© Capelight Pictures

Lumet und Kaufman wechseln zweimal die Brennweite und damit die Stimmung, um den 90-Minüter entlang einer 3-Akt-Struktur zu verdichten. So rücken wir im Verlauf der Diskussion um die Schuldfrage immer näher an die Geschworenen, sind mit ihnen in der Hitze und dem baldigen Gewitter immer stärker eingepfercht in dem kompakten Raum, bei dem obendrein das Lüftungsgerät versagt. Und dann, als es im letzten Drittel doch funktioniert, ist die Stimmung bereits am Siedepunkt, sodass eine Abkühlung obsolet erscheint – selbst der Sommerregen bewirkt keine Erleichterung, sondern schicksalhafte Schwere und Verdunklung. Schließlich geht es immer noch um Leben und Tod.

Die große Stärke von Lumets Debüt – im US-Kino damals kein Hit, international über die Jahre hinweg ein entscheidender Beitrag – liegt darin, jeden der zwölf Männer im richtigen Moment zu zeigen: ihre Mimik und Reaktionen einzufangen, selbst wenn einzelne in diesem Moment nichts Gehaltvolles beitragen. So entsteht ein Panoptikum der Schuldfrage, bei dem ein repräsentativer Querschnitt der menschlichen Meinungen und Motivationen zum Vorschein kommt: der windige Werbeagent, der gelangweilte Sportfan, der jähzornige Rassist, der idealistische Wahrheitssuchende und auch zwei, drei anfänglich stumme Mitläufer, deren Wort am Ende nicht weniger wichtig wird. Alle Darsteller werden von Lumet bestmöglich inszeniert, nicht alle hatten das Kaliber von Henry Fonda, doch die Inszenierung geriet auffällig demokratisch. Unfair, hier einzelne hervorzuheben, dennoch gebührt Lee J. Cobb als Nr. 3 besonderes Lob, der quasi den Gegenpart zu Fondas Figur mimt und immer stärker über sich selbst hinauswächst. Eine erzählerische Kreisbewegung, auch ein Spiegelmoment. Am Ende steht es wieder 11 zu 1.

© Capelight Pictures

Das Mediabook von Capelight Pictures

Wichtige Klassiker verdienen eine würdige Auswertung. Diese, das können wir vorab bereits festhalten, ist mit dem neuen 3-Disc Mediabook via Capelight Pictures geglückt. Die Edition enthält Lumets Klassiker auf Blu-ray und 4K UHD in herausragender Qualität. Grundlage ist eine brandneue Restaurierung (2023) vom Originalnegativ, die aus dem Schwarzweiß-Klassiker jede Schattierung und jede Nuance bestmöglich herausholt. Ein feines Filmkorn überzieht das Bild, das naturbelassen bleibt und niemals glattgefiltert erscheint. Aufgrund der durchdachten Kameraeinstellungen und dem gekonnten Umgang mit Objektiven besitzen die Frames bisweilen eine erstaunliche Tiefe und Dynamik, das Bild wirkt geradezu plastisch. Sichtbares Manko jedoch bleibt die Ignoranz hinsichtlich des Original-Kinoformats (1,66:1) – dieses wurde ähnlich wie bei DIE NACHT DES JÄGERS (The Night of the Hunter, 1951) oder auch ROBOCOP (1987) oben und unten beschnitten, und der Film wird nunmehr in 1,85:1 präsentiert, vermutlich um die 16:9-TVs besser zu füllen. Ein mehr als dubioser Trend bei 4K-Restaurierungen, wobei sichtbares Filmbild zugunsten moderner (Bildschirm-)Formate entfernt wird.

© Capelight Pictures

Der Ton liegt im Originalformat (verbessertes Linear PCM 2.0 Mono) sowie in der klassischen deutschen Synchronisation vor. Da der Film als Kammerspiel und Dialogfilm konzipiert wurde, lohnt sich hier die Umstellung des Heimkino-Audiosystems auf eine (Multi) Stereo-Variante, da beim Kino-Mehrkanal-Option ausschließlich zwei Speaker beansprucht werden und der Ton, zumindest in der deutschen Synchronisation bisweilen etwas verhalten klingt.

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Beim Bonusmaterial liegen zunächst zwei Audiokommentare vor, einer von Filmhistoriker Drew Casper und einer von Filmhistoriker und Drehbuchautor Gary Gerani, beide sind optional deutsch untertitelt. Beide Kommentatoren ordnen den Film historisch und erzählerisch ein (u. a. in Sidney Lumets Gesamtwerk) und sprechen über die Adaption des Stoffes bis zu seiner Nachwirkung. Szenenspezifische Anmerkungen sind über den Film verteilt ebenso enthalten. Der erste Kommentar von Drew Casper war bereits auf der Blu-ray von 2013 enthalten. Dann gibt es zwei Featurettes, die ebenfalls schon 2013 veröffentlicht wurden: „Inside the Jury Room“ (15 Min.), wo Rechtsexperten die realen Hintergründe des Geschworenenarbeit erläutern, sowie ein 23-minütiges Making-of, bei dem einige der Experten der vorherigen Featurette um Stimmen der Filmemacher (u. a. Sidney Lumet) ergänzt werden, um ein Gesamtbild zu den Hintergründen des Films zu bieten. Beide Featurettes sind informativ und kurzweilig und bieten eine erste wichtige Einordnung. Mit den tiefergehenden Extras der Criterion Blu-ray (2 Stunden Interviews mit den Filmemachern plus die originale TV-Verfilmung von 1954) kann die hiesige Edition jedoch nicht mithalten. Das äußert sich auch im Booklet-Text, der von Kathrin Horster gewohnt solide geschrieben ist, aber hinter Umfang und Qualität eines Thane Rosenbaum (Essay für die US-Edition, 2011) merklich zurückbleibt.

© Capelight Pictures

Positiv hervorzuheben ist die Integrierung von William Friedkins TV-Verfilmung DIE 12 GESCHWORENEN aus dem Jahr 1997 (damals anlässlich des 40-jährigen Jubiläums von Lumets Kinofilm). Der Film liegt erstmals in HD auf einer eigenen Blu-ray vor, was die bisherige Edition deutlich übertrifft und eine sehr gelungene Ergänzung darstellt. Zum Film selbst, den ich unmittelbar nach dem Original geschaut habe, seien noch ein paar Zeilen vermittelt. Zunächst hält sich Friedkin geradezu akribisch an das Original entlang von Skript und gesprochenem Dialog, dabei braucht er knapp 30 Minuten länger als Lumet, um die Geschichte zu erzählen. Friedkins Version ist nicht so konzentriert hinsichtlich Bildsprache wie auch Schauspielführung – er lässt in beiderlei Hinsicht mehr Raum. Dennoch weiß seine Verfilmung zu überzeugen, indem sie die Charaktere im weiteren Verlauf leicht abändert und neue Nuancen aus der Geschichte herausholt. Besonders hervorzuheben ist die Darbietung von Schauspieler Mykelti Williamson (HEAT), der einen schwarzen Rassisten mimt. In weiteren Rollen sind u. a. Edward James Olmos (BLADE RUNNER), William Petersen (LEBEN UND STERBEN IN L.A.) James Gandolfini und Armin Müller-Stahl zu sehen. Die Hauptrolle von Geschworener Nr. 8 übernahm der damals 72-jährige Jack Lemmon. Viele der neueren Gesichter wirken dabei wie Type-Casting auf die Figuren aus Lumets Film, insbesondere wird dies deutlich bei Lemmon und George C. Scott, der Lee J. Cobbs Performance seinen eigenen, etwas betagten Stempel aufdrückt.

© Capelight Pictures

Friedkins Version ist eine sehenswerte Wiederentdeckung, der TV-Film war damals für mehrere Preise (u. a. Golden Globe, Emmy, Screen Actors Guild) nominiert, George C. Scott wurde zweimal ausgezeichnet. Im direkten Vergleich mit Lumets Klassiker hinkt die jüngere Adaption jedoch deutlich hinterher: weniger überzeugend gespielt, nicht so dicht erzählt, gefilmt und montiert und mit weniger treffsicheren Pointen. Wenn man Lumets Film gesehen hat, kann man Friedkins Film vorrangig die eigenen Nuancen und gegen Ende hin die (leichten) Variationen in den Dialogen abgewinnen. Wenn man bedenkt, dass Friedkin im Laufe seiner Karriere immer wieder klassische Stoffe neu verfilmt hat, sind seine 12 GESCHWORENEN vorrangig ein frischer Aufguss und keine virtuose Neuinterpretation wie sein SORCERER (1977) gegenüber dessen Vorbild LOHN DER ANGST (1953).

Beide Filme halten sich nach dem Originalstück „12 Angry Men“ an zwölf männliche Geschworene, Friedkin variiert lediglich deren ethnische Merkmale. Beide Verfilmungen enden mit der Pointe, dass eine Frau, um attraktiver zu wirken, keine Brille in der Öffentlichkeit tragen würde, was 1957 (leider) sehr aktuell war, 40 Jahre später aber verkalkt wirkt. Als Entschädigung für dieses Beharren lässt Friedkin immerhin zu Beginn eine Frau als Richterin auftreten (gespielt von Mary McDonnell). Zu Friedkins Film selbst gibt es kein ergänzendes Bonusmaterial.

© Capelight Pictures

Fazit

Mit dem Mediabook von DIE 12 GESCHWORENEN liegt eine gelungene Veröffentlichung fürs Heimkino vor. Der Hauptfilm sieht dank der neuen 4K-Restaurierung beeindruckend aus, insbesondere auf der UHD-Scheibe – leider wurde das Original-Bildformat nicht beibehalten. Beim Bonusmaterial wird mit William Friedkins gelungener TV-Adaption ein vollwertiger weiterer Spielfilm mit angeboten. Für den hiesigen Markt stellt das Mediabook die Referenzveröffentlichung dar: ein zeitloser Klassiker in einer wertigen Edition. Ähnlich dem Geschworenenzimmer haben wir ein paar berechtigte Zweifel – und plädieren für Freispruch. Unterm Strich eine klare Empfehlung.

© Stefan Jung

Titel, Cast und CrewDie 12 Geschworenen (1957)
OT: 12 Angry Men
Poster
Releaseseit dem 12.06.2025 im Mediabook (Ultra HD Blu-ray + Blu-ray + Bonus-Blu-ray) erhältlich.

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RegieSidney Lumet
Trailer
BesetzungHenry Fonda (Geschworener Nr. 8)
Lee J. Cobb (Geschworener Nr. 3)
Ed Begley (Geschworener Nr. 10)
E. G. Marshall (Geschworener Nr. 4)
Jack Warden (Geschworener Nr. 7)
Martin Balsam (Geschworener Nr. 1)
John Fiedler (Geschworener Nr. 2)
Jack Klugman (Geschworener Nr. 5)
Edward Binns (Geschworener Nr. 6)
Joseph Sweeney (Geschworener Nr. 9)
George Voskovec (Geschworener Nr. 11)
Robert Webber (Geschworener Nr. 12)
DrehbuchReginald Rose
KameraBoris Kaufman
MusikKenyon Hopkins
SchnittCarl Lerner
Filmlänge96 Minuten
FSKab 12 Jahren

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