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Der weite Ritt (1971) – Filmkritik & Review zum Mediabook

„Kreative Grenzenlosigkeit“

Der noch junge THE SISTERS BROTHERS ist ein Beweis für die Vielschichtigkeit des Western-Genres, welches sich selbst im 21. Jahrhundert noch weiterentwickelt. Überraschungen können aber auch 50 Jahre alt sein: DER WEITE RITT (THE HIRED HAND) aus dem Jahr 1971 von und mit Peter Fonda. Dieser ungewöhnliche Film, die Wissenschaftler sprechen von Anti-Western, gibt noch einmal einen ganz anderen Blick auf das Genre der schönen Panoramen und schnellen Schüsse frei. Fonda hat sich mit seinem Regiedebut den Konventionen des Genres verwehrt und gleichzeitig das Studiosystem im Schwung seiner erfolgreichen Rolle in EASY RIDER für die Finanzierung genutzt. Es hat jedoch viele Jahre gedauert bis DER WEITE RITT auch den wohlverdienten Zuspruch bekam. Schön, in einer Zeit zu leben, in der versteckte Filmgeschichte lediglich ein paar Klicks und 25 Euros für das Mediabook von Koch Films entfernt ist. Aber zuerst zur Handlung, die Peter Fonda auch auf einen Bierdeckel hätte schreiben können.

Der Weite Ritt 1971

Handlung

Das Dreigespann aus Harry Collings (Peter Fonda), Arch Harris (Warren Oates) und Dan Griffen (Robert Pratt) ist auf dem Weg an die kalifornische Küste. Als sie in einem armen Örtchen im Nirgendwo rasten, hat Harry das Vagabundenleben satt und beschließt zu Frau und Kind zurückzukehren. Als sie ihren letzten Abend betrinken, wird der junge Dan in eine Falle der Einheimischen gelockt und erschossen. Harry und Arch üben die verdiente Rache aus und reiten zur Farm von Harrys Frau. Hannah Collings (Verna Bloom) empfängt ihren Ex nicht gerade mit offenen Armen. Der Tochter hat sie erzählt ihr Vater sei tot. Harry und Arch heuern bei ihr als Arbeiter an, schlafen in der Scheune und genießen die alltägliche harte Arbeit des Landlebens. Aber die Vergangenheit ist allgegenwärtig und holt auch sie ein.

© Koch Films

Esoterik oder Kunst

Das Intro verströmt bereits die Hippiekultur in Reinform, trotz des Western-Settings. In Zeitlupen werden die vier Elemente in einem Moment der absoluten Friedlichkeit dargestellt. Dan taucht aus dem rauschenden Fluss auf und ringt nach Luft nach der kühlen Erfrischung. Die Sonne flimmert wie tausend Juwelen auf der Strömung. Harry angelt mit einer Schnur nach dem Abendessen und Arch kocht am Lagerfeuer den alten Kaffeesatz auf. Diese minutenlange Szene mit den langen Überblendungen macht klar, dies wird kein 0815-Western, sondern eine spirituelle Reise.

Das japanische Kinopsoster

Das Tempo von DER WEITE RITT spiegelt den wahren Wilden Western wieder. Wie Fonda in einem Interview so treffend erklärt: „ … nur in schlechten Western wird galoppiert, in guten wird geritten“. Für unsere jetzigen Sehgewohnheiten sind die Szenen sicherlich zu lang und manchmal zu gewollt esoterisch. Vor allem der Schnitt von Frank Mazzola zeigt zu viele Montagen, aber diese Sperrigkeit verortet das Werk in eine Zeit der kreativen Freiheit, die 70er Jahre. Wenn die langsamen Überblendungen auf ein Standbild übergehen, wirkt es wie eine Blick in ein altes Fotoalbum, aber manchmal auch wie eine familiäre Diashow zum 70. Geburtstag.

Der Weite Ritt 1971

Junge Talente

Auch wenn man mit dem Schnittrhythmus heute nicht viel anfangen kann, so sind die Kameraarbeit von Vilmos Zsigmond und die Musik von Bruce Langhorne zeitlose Kunstwerke. Zsigmond (HEAVEN’S GATE, DIE UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER 3. ART) ist hier noch jung aus der Werbefilm-Ecke entstiegen und wurde von Kameramann László Kovács (EASY RIDER) an Fonda empfohlen. Die idyllischen Bilder Zsigmond, welche nie kitschig werden, verschmelzen mit den Melodien von Langhorn. Sie erzeugen ein Gefühl für das Leben in Freiheit im Wilden Westen. Man beginnt bei jeder weiteren malerischen Einstellung, Zsigmond liebt das Spiel mit Licht und Schatten, sich zurückzulehnen und treiben zu lassen.

© Koch Films

Die Verweigerung der Konventionen des Genres und die kreative Grenzenlosigkeit jener filmischen Handwerke ist Peter Fonda zu verdanken. Nach dem unglaublichen Kinoerfolg von EASY RIDER gab das Studio Fonda Freiheiten mit einem eigenen Projekt, nur mit der Bedingung eines niedrigen Budgets (Dennis Hopper erhielt sein Freifahrtschein mit THE LAST MOVIE). Fonda willigte ein, gab sich selbst die Hauptrolle und zog mit seinem Charisma und Enthusiasmus eine günstige, aber motivierte und talentierte Crew um sich. Fonda hatte vor, die ausgetretenen Pfade seines Vaters völlig neu zu beschreiben. Der Dreh fand zum größten Teil in Mexiko statt, wo das Team eine ganze Farm nachbaute und man sich auch nach dem Dreh dem entspannten Leben der Flower-Power-Zeit hingab. Bei den Erzählungen der Crew – das Bonusmaterial des Mediabooks ist absolut sehenswert – verspürt man das Bedürfnis, gern dabei gewesen zu sein und wenn man nur die Stromkabel getragen hätte.

© Koch Films

Das letzte Wort hat das Studio

Umso trauriger ist es, was Universal Pictures zum Kinostart aus dem Film machte. Der Trailer suggerierte einen schießwütigen Western mit jeder Menge Action. Verstört reagierten die Zuschauer im Kino als ihr „Captain America“ das Leben eines Farmers wählte. Kritiker wahren gelangweilt wie auch das Publikum und bereits nach einer Woche zog das Studio DER WEITE RITT aus den spärlichen Programmen. Die Möglichkeit als ein Kunstfilm zu bestehen, wurde somit gar nicht erst gewährt. Eine grob verschnittene TV-Version beerdigte jegliche Hoffnung der Crew den Film als das zu verstehen, was sie aussagen wollte. Nach einer aufwändigen Restaurierung, mit Hilfe der Film Foundation von Martin Scorsese, konnte der Film einem neugierigen und interessierten Publikum zum Sundance Festival 2001 vorgeführt werden. Man munkelt, es soll der beste Film des Festivals gewesen sein.

Der Weite Ritt 1971

Das Mediabook

Cover des Mediabooks

Koch Films bringt hier eine HD-Neuauflage ihrer 2-Disc-Special-Edition von 2007 auf den Markt. Der Transfer zur Blu-ray ist bestens gelungen. Der Film sah nie so gut aus und selbst Fonda wird bei diesem HD-Master sicherlich Augen gemacht haben. 2001 wurde die restaurierte Version auf dem Sundance Festival gezeigt, wo auch das sehenswerte THE RETURN OF THE HIRED HAND im Bonusmaterial mit einer knappen Stunde Laufzeit gedreht wurde. Fonda ist der Einzige, der aus dieser Interview-Konstellation zum Mediabook-Release noch lebt. Verna Bloom ist zu Beginn dieses Jahres mit 80 Jahren verstorben. Die Extras auf der zweiten Disc umfassen neben diesem Aufleben der alten Zeiten, gelöschte Szenen, eine Bildergalerie und einen Audiomitschnitt (76 min) vom NFT mit Warren Oats und Peter Fonda. Das Cover sowie ein Booklet runden diesen Archiv-Zugang jeder Filmsammlung perfekt ab. Besitzer der DVD-Edition von 2007 sollten selber entscheiden, ob ihnen das visuelle Upgrade der Preis wert ist. Allen anderen, die mit ihrer Aufmerksamkeit bis zu diesen Zeilen gelangt sind, spreche ich eine uneingeschränkte Film-/Kaufempfehlung aus. Jedoch sollte man den Film im Originalton schauen, denn bei der deutschen Synchronisation gingen sämtliche Umgebungsgeräusche verloren.

Fazit

Dank an Martin Scorsese, der mit seiner Film Foundation diese Restauration möglich machte und diesem künstlerischen Sonderling des Western endlich das verdiente Ansehen gewährte. An jene, die gern in eine Zeit reisen wollen, als Kreativität vor kommerziellem Erfolg stand, sei der Griff ins Filmregal zu DER WEITE RITT dringend ans Herz gelegt.

Titel, Cast und CrewDer weite Ritt (1971)
OT: The Hired Hand
PosterDer Weite Ritt 1971

Release
ab dem 11.04.2019 im Mediabook (1 Blu-ray und 2 DVDs) erhältlich
Bei Amazon kaufen
RegisseurPeter Fonda
Trailer
DarstellerPeter Fonda (Harry Collings)
Warren Oates (Arch Harris)
Verna Bloom (Hannah Collings)
Robert Pratt (Dan Griffen)
DrehbuchAlan Sharp
MusikBruce Langhorne
KameraVilmos Zsigmond
SchnittFrank Mazzola
Filmlänge90 Minuten (Director's Cut)
FSKab 16 Jahren

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