„Familienbande“
Für Filmfans sind Wes-Anderson-Filme immer eine sichere Bank für einen Kinobesuch: Darsteller, Requisite, Erzählweise, Absurdität und Kamerabild – alles vom Feinsten. Außerdem ist Anderson zusammen mit Freund Roman Coppola nie müde, mittlerweile fast jährlich, Geschichten zu erzählen, die alle aus derselben Fantasiewelt kommen, aber immer einen anderen Themenschwerpunkt haben. In DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH, wie schon in so vielen Wes-Anderson-Filmen, geht es um Familien mit einem Stammbaum, auf dessen Äste nur schräge Vögel sitzen, aber hier geht es um Angehörige ganz weit oben in der Vermögensklasse. Er fokussiert sich kritisch auf das obere ein Prozent. Hinzu kommt, dass die Hauptfigur mit moralisch fragwürdigen Geschäftsgebaren handelt und sogar im Rüstungsgeschäft tätig ist. Auch wenn die Geschichte in den 1950er-Jahren spielt, trifft es den heutigen Zeitgeist und die gesellschaftlichen Diskussionen auf den Punkt genau, ob einzelne Menschen überhaupt so reich sein dürfen und auf welche Arten sie zu Reichtum kommen. Keine Sorge, auch hierfür hat Anderson einen Lösungsvorschlag.

Handlung
Zsa-Zsa Korda (Benicio del Toro), einer der reichsten Männer Europas, will sein Vermächtnis weiter ausbauen. Kurz vor seiner neuesten tollkühnen Unternehmung, welche einen finanziellen Zusammenschluss mehrerer exzentrischer Industrieller erfordert, will ihn die Konkurrenz aus dem Weg schaffen. In einem Netz aus Sabotage und Attentat scheint sein Halbbruder Nubar (Benedict Cumberbatch) eine Rolle zu spielen. Trotz einiger überlebter Anschläge ist es für ihn an der Zeit, einen Erben zu ernennen. Die Wahl fällt jedoch nicht auf einen seiner neun Söhne, sondern auf seine einzige Tochter Liesl (Mia Threapleton), die ein Leben als Nonne führt. Zsa-Zsa überredet sie, trotz ihres strengen Glaubens mit auf Geschäftsreise zu gehen und von ihrem Vater zu lernen. Der kultivierte Tycoon ernennt noch kurzerhand einen Entomologen, den er eigentlich für seine Söhne als Privatlehrer angestellt hat, zu seinem Sekretär. Das kommt Björn Lund (Michael Cera) gelegen, denn er hat ein Auge auf die potenzielle Erbin geworfen. Die Reise ist vollgepackt mit Wettkämpfen, Abstürzen, Konflikten, Nahtod-Erfahrungen und einer Hochzeit mit handfester Schlägerei.

Skurrilität vor Logik
Einen Wes-Anderson-Film zu schauen ist wie ein Buch des Philosophen Peter Sloterdijk zu lesen. Man versteht ab und zu nicht mehr viel, aber es ist verdammt schön geschrieben. DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH ist da nicht anders. Was soll schon dieses Adjektiv bedeuten, „phönizisch“? Vielleicht sollen wir hier unser Kulturwissen erweitern. Ich helfe mit einer externen Recherche weiter: Die Phönizier waren eine semitischsprachige Bevölkerung (ca. 1.000 v. Chr.) und lebten geografisch im heutigen Norden Israels, Libanon, Syrien bis nach Gaza. Es waren überwiegend autonome Stadtstaaten, die auf Handel und Transport spezialisiert waren. Die Verbindung zu unserer Hauptfigur besteht in der Fusion mehrerer Unternehmen wie Zugverkehr, Schiffbau und Staudamm zur Elektrizitätsgewinnung.

Das Ziel ist eine üppige jährliche Rendite ohne großes Eigenkapital. Deswegen begibt sich DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH durch diverse Handelsgespräche in kleine Akte mit Schuhboxen als Tafeln unterteilt, die stets exzentrisch und spektakulär ablaufen. Dealmaker werden in unserer Gesellschaft immer noch mit Respekt behandelt, wohingegen es bei Personen, die seit 40 Jahren den gleichen Job machen, eher verständnislose Blicke gibt. So auch die Handlung, denn die verbleibt in elitären Kreisen, die selbst von den Katholiken als Geldgeber nicht zurückschreckt. Garniert werden diese bizarren Treffen mit kleinen Gesten, wie dem Verschenken einer Handgranate zur Begrüßung, als ob es nicht schon genug Verrückte gäbe. Ob man nun diese Art von Humor gut findet, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Gesundes Familienbusiness
Trotz einiger lustiger, abstruser Momente und seltsamer Charaktere fehlt es in DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH an wirklich sympathischen Figuren. Entomologe Lund ist vor allem beschwipst sehr liebenswert, aber Zsa-Zsa scheint keinerlei gesellschaftliches Interesse zu haben und verlobt sich sogar wegen geschäftlicher Vorteile mit seiner Cousine Hilda (Scarlett Johansson). Nonne Liesl scheint auf den ersten Blick nicht die Lösung zu sein, das Imperium weiterzuführen, doch Stück für Stück wird sie taffer. Das wird nicht nur in ihren Aussagen deutlich, sondern auch optisch bei ihr vorangetrieben. Das Make-up wird stärker, die Strumpfhose auffälliger, die Pfeife glitzernder und das Messer zur Verteidigung eckiger. Diese Emanzipation nicht nur vom System katholische Kirche, sondern auch von der Isolation als Tochter, die ins Kloster geschickt wurde, gelingt hier wunderbar. Und ganz nebenbei ist es ein Aufruf nach einer Frauenquote in den oberen Managerposten.

Fazit
DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH bietet eine Lösung solche Imperien der moralisch fragwürdigen Art zu beenden: Den Akteuren wieder das zu geben, was sie wirklich gut können, etwas Simples. Aber das sei hier nicht verraten und sollte selbst am Filmende entdeckt werden. Interessant ist, dass die letzte Szene sich besonders herzlich anfühlt. Der Marmor wurde gegen die heimelige Atmosphäre einer Küche ausgetauscht und Freude am Leben kommt aus der abendlichen Lohnkasse in Bargeld. Erst jetzt scheint man wieder einen menschlichen Wes-Anderson-Film zu sehen, vorher war alles nur Show für die Investoren und Anteilseigner.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter