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DER LEUCHTTURM (2019) Film

Der Leuchtturm (2019) – Filmkritik

„Das dunkelste Seemannsmärchen“

Unser 21. Jahrhundert bietet alles. Vom Roboterhund über einen Superrechner für die Hosentasche bis hin zur Ehefrau aus dem Internet kann man alles bekommen. Vielen Filmemachern ist dieser Fortschritt nicht genug und sie verwandeln ihre Zukunftsszenarien mit digitaler Technik in visuelle Realitäten. Dann gibt es noch andere Produktionsteams, die sich auf die Vergangenheit spezialisiert haben. Details werden punktgenau in den richtigen zeitlichen Kontext gesetzt und Originalrequisiten erhalten den Status von Heiligtümern. Nicht nur Quentin Tarantino oder Paul Thomas Anderson gehen als anerkannte Filmemacher in solchen geschichtlichen Neurosen auf. Auch im Bereich der unabhängigen Filmproduktionen mit kleinen Budgets gibt es Regisseure, die stundenlang durch Museen streifen können und sich Geschichten aus längst vergangenen Tagen erdenken können.

DER LEUCHTTURM ist ohne Umschweife ein Meisterwerk auf Produktionsebene. Mit beängstigender Perfektion gelingt es Robert Eggers und seinem Team eine cineastische Reise zum Anfang des 19. Jahrhunderts zu unternehmen. So dass man durch fehlende Authentizität im Kinosaal schon wegen der digitalen Projektion, dem bequemen Kinosessel und dem importierten heißen Kaffee, ein schlechtes Gewissen bekommt. Dieser Film gehört nicht nur im Bereich Szenenbild zur Oberliga, sondern auch bei der Schauspielbesetzung. Aber erst einmal zur Geschichte, die gewiss aus einer schmierigen, dunklen Hafenkneipe entstiegen ist.

Willem Dafoe and Robert Pattinson in THE LIGHTHOUSE // Credit : A24 Pictures

Handlung

Das 19. Jahrhundert ist noch jung, jedoch ist Zeit an diesem Ort unbedeutend: Eine karge, baumlose Insel vor der Küste Neuenglands. Auf ihr dient ein Leuchtturm als Navigationspunkt und warnt Seefahrer vor Gefahren. Das Bedrohliche befindet sich jedoch nicht im Meer, sondern in der Psyche der beiden Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe) und Efraim Winslow (Robert Pattinson). Beide kennen sich nicht und müssen die nächsten Wochen sicherstellen, dass der Leuchtturm gewissenhaft arbeitet. Der erfahrene Thomas ist der Vorgesetzte und Efraim sein Untergebener, was sich im Zusammenspiel mit der Enge des Raums, psychologischen Problemen und Seemannsmärchen zu einer wahren Tour de Force entwickelt.

DER LEUCHTTURM (2019) Film
Willem Dafoe und Robert Pattinson // Credit : A24 Pictures

„The duty is yours, the light is mine“

Bevor man die akribische Requisite und Kamera lobt, muss man als allererstes die beiden Hauptdarsteller hervorheben. Robert Pattinson hat sich zum Beispiel mit schauspielerischen Extremrollen in GOOD TIME oder HIGH LIFE erfolgreich aus seinem Teenager-Blockbusterdebüt herausgearbeitet. Jeder Regisseur, der Film als Kunstform sieht, steht auf seiner Arbeitgeber-Wunschliste. Kaum einer hätte gedacht, dass aus dem bleichen, lethargischen TWILIGHT-Edward ein vielschichtiger Charakterdarsteller werden würde. Hier spielt er den jungen Stiefelknecht Efraim Winslow, der ein dunkles Geheimnis verbirgt und sich animalisch gegen die Anweisungen des Vorgesetzten wehrt. Er lauert wie ein Tiger hinter den Gitterstäben, um sich bei der kleinsten Unachtsamkeit ein großes Stück Fleisch aus seinem Peiniger herauszureißen.

Robert Pattinson und Regisseur Robert Eggers am Set von DER LEUCHTTURM // Credit : Chris Reardon / A24 Pictures

Pattinson hat dennoch seinen Meister gefunden: Willem Dafoe. Seine Gesichtszüge treffen minutiös den Rollencharakter und das Timing des Dialogs. Er ist durch und durch ein Profi und schafft es sogar einem Superheldenfilm den Anstrich von großer Bühnenperformance zu verleihen (SPIDER-MAN, 2002). Seine Figur Thomas Wake zeigt nicht nur einen schrulligen Leuchtturmwärter, der lieber auf einem Schiff unterwegs wäre, sondern auch einen intelligenten Menschenkenner mit Seemannspoesie auf den Lippen und permanenter Promille in den Blutbahnen.

Beide Schauspieler spornen sich in DER LEUCHTTURM zu Höchstleistungen an. Auch wenn das Drehbuch ein paar ordentliche Flauten in der Dramaturgie zu verzeichnen hat, ist es Dafoe und Pattinson zu verdanken, dass man an der Geschichte weiter Interesse zeigt, denn ihnen gelingt es immer wieder eine neue Seite ihrer Rolle hervorzuheben.

Willem Dafoe // Credit : A24 Pictures

Hier sei der Hinweis gegeben, THE LIGHTHOUSE unbedingt im Originalton zu sehen, denn der Dialekt ist phänomenal. Viele Vokabeln werden kaum bekannt sein, deswegen sollte man auf die Untertitel nicht verzichten.

Die Zeitreise

Bei den mythischen Elementen in diesem Fantasy-Drama-Horrorfilm kommt ganz klar zum Vorschein, dass sich beim brüderlichen Drehbuchautorenteam Max und Robert Eggers die Werke von H.P. Lovcraft und Algernon Blackwood zerlesen im Regal befinden. Die Anspielungen sind aber immer sehr kurz, fast schon unbefriedigend selten, weil man auf die Meerjungfrauen und Tentakelmonster neugierig ist und gern mehr sehen möchte. Es geht aber um den Kampf des Anführers, denn nur dieser hat die Macht über das göttliche Licht der Warte. 1822 erdachte der Physiker Augustin Jean Fresnel, die sogenannte Fresnel-Linse für Leuchttürme, die es ermöglicht extrem viel Licht weit auszustrahlen, ohne besonders dicke Linsen zu benötigen. Die Lampen wurden, wie auch in dieser Geschichte, mit Öl betrieben. Die beiden Leuchtturmwärter sind magisch von diesem Licht angezogen und trinken sogar, in Ermangelung von Alkohol, dessen Elixier: Petroleum, aber mit Honig.

DER LEUCHTTURM (2019) Film
Credit : A24 Films

Die Bilder des Kameramanns Jarin Blaschke sind wie aus einer perfekt konservierten Zeitkapsel entnommen. Das Bildformat ist im strengen 1:1,19-Format und fast quadratisch. Das verstärkt nicht nur das Gefühl der Klaustrophobie in der Warte, sondern bringt künstlerische Kompositionen im schwarzweißen Mittelformat auf die Leinwand. Recht schnell vergisst man als Zuschauer, dass man seiner peripheren Wahrnehmung beraubt wurde und kann nicht aufhören hinzuschauen. Wie durch ein geheimnisvolles Schlüsselloch will man hinter die verschlossene Tür blicken. Auch bei den Aufnahmen hat sich das Filmteam antiquarisch bedient und auf einer Panavision Millennium XL2 Camera mit 35 mm Film gedreht. So kommt auch die gewollte Optik der Gemälde von Andrew Wyeth stark zum Vorschein.

Unerwähnt soll nicht bleiben, dass bei der ganzen akkuraten Produktion ein selbstgebauter Leuchtturm auf einer kanadischen Insel nicht fehlen darf. Dort wurde der Großteil der Szene in den kargen Wochen zwischen Winter und Frühjahr gedreht.

Die atonale Filmmusik von Mark Korven erstickt noch das letzte bisschen Wohlgefühl beim Zuschauer und der Wahnsinn dieser beiden Männer dringt stetig in die Hirnwindungen seiner Betrachter und Zuhörer. Das Seemannslied zum Abspann hat man dringend nötig, um behutsam wieder an die Realität angepasst zu werden.

DER LEUCHTTURM (2019) Film
Willem Dafoe und Robert Pattinson // Credit : A24 Pictures

Fazit

Zu wenig steckt in dieser Geschichte, um sich für das eigene Leben etwas mitzunehmen. Auch so manches Spannungsloch lässt DER LEUCHTTURM zu keinem Meisterwerk werden. Satte 109 Minuten mit nur einem Handlungsort und einem 200 Jahre alten Gewand sowie eine Geschichte, die auf einen Bierdeckel passt und von gerade einmal zwei Darstellern belebt wird zu einem solch beeindruckenden Kinoerlebnis werden zu lassen, ist dennoch wahrhaft meisterlich.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewDer Leuchtturm (2019)
OT: The Lighthouse
Poster
ReleaseKinostart: 28.11.2019
ab dem 30.06.2020 auf Blu-ray und DVD

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RegisseurRobert Eggers
Trailer
BesetzungWillem Dafoe (Thomas Wake)
Robert Pattinson (Ephraim Winslow)
Valeriia Karaman (Meerjungfrau)
DrehbuchMax Eggers
Robert Eggers
KameraJarin Blaschke
MusikMark Korven
SchnittLouise Ford
Filmlänge109 Minuten
FSKab 16 Jahren

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