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Der Fall 9/11 (2020) – Filmkritik

„Was ist ein Leben wert?“

Eine Frage auf die es keine konkrete Antwort gibt. Im Film DER FALL 9/11, mit dem Originaltitel WORTH, versteht sich der Begriff „wert“ im finanziellen Bereich. Anders gesagt, wie viel Geld ist ein Leben wert? Diese juristische/ökologische Frage wird im Zuge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in Washington und New York gestellt. Die Antwort ist ein Kompromiss von zwei Parteien, die sich einigen. Hinter dem Verlust eines Menschenlebens wird ein Wert ausgehandelt, der wird an die Hinterblieben ausgezahlt und das Leben geht weiter. Eine Aufgabe, die übernommen werden muss, aber auch fordert, sich emotional von den Schicksalen zu distanzieren. Das ist nicht leicht, selbst wenn man kein besonders emphatischer Charakter ist. Dieses überzeugende Politdrama beweist, dass so etwas unmenschlich ist und selbst ein Kompromiss bei der Art und Weise, wie solche Fälle gelöst werden, nötig ist.

© Capelight Pictures

Handlung

2.996 Menschen sterben bei den Terroranschlägen am 11.09.2001 in Washington und New York. Der Schreck sitzt tief, in einer Nation, die sich international sicher fühlte. Während die Aufräumarbeiten beginnen und die amerikanische Regierung bereits außenpolitisch zum Gegenangriff ausholt, muss eine juristische Frage beantwortet werden: Was ist das Leben der Opfer wert? Damit die Hinterbliebenen nicht die Fluggesellschaften American Airlines und United Airlines verklagen und mit jahrzehntelangen Prozessen das Rechtwesen wie auch die Bonität wichtiger Logistikunternehmen lahmlegen, beschließt die Regierung unter Leitung von Kenneth Feinberg (Michael Keaton) den „September 11th Victim Compensation Fund“. Mit diesem sollen die nahestehenden Opfer von der Regierung entschädigt werden und auf eine Zivilklage gegen die Fluggesellschaften verzichten. Doch das soll innerhalb von zwei Jahren geschehen und die noch frische Trauer lässt sich kaum mit Geld besänftigen.

© Capelight Pictures

Hauptrolle

DER FALL 9/11 hängt sein ganzes Vertrauen an seinen Hauptdarsteller und das ist gut so. Michel Keaton findet, trotz seiner typischen Mimik und Gestik, etwas Unerwartetes in Feinberg. Der Anwalt ist introvertiert, liebt Opern und Ordnung. Es ist klar, dass er die anstehende technische Revolution nicht mitmachen wird und sich gedanklich bereits auf seine Pension an der Küste vorbereitet. Erstaunlich, dass er dennoch diese unliebsame Rolle einnimmt, eine Formel zu erstellen, um Menschenleben finanziell zu bewerten, zudem pro bono – also ohne Bezahlung. Von seinem Standpunkt möchte er seinem Land in dieser schwierigen Situation helfen und den Hinterbliebenen schnelle finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Seine Kanzlei-Partnerin Camille Biros (Amy Ryan) ist die erste, die sich von dem unmenschlich-bürokratischem Verfahren distanziert. Als sich der Erfolg nicht einstellt, es müssen mindestens 80 % das Geld annehmen und die Verzichtserklärung unterzeichnen, bricht bei ihr durch die Einzelschicksale das Eis und die Erkenntnis auf eine Lösung beginnt. Die Menschen wollen nicht mit Nummern abgespeist werden, sondern angehört werden. Denn jedes Leben lässt sich nicht gleich durchkalkulieren.

© Capelight Pictures

In guten Geschichten ist es wichtig, dass sich die Hauptfiguren entwickeln. Kenneth Feinberg soll sich emotional entwickeln, auf Menschen eingehen, aus dem Schutz seines Büros hervortreten und nicht nur die Paragraphen und Zahlen sehen. Das gelingt in DER FALL 9/11 im wohldosierten Maße ohne die Entwicklung in den Mittelpunkt zu stellen und mit einem angenehmen Gegenspieler namens Charles Wolf (Stanley Tucci).

© Capelight Pictures

Auf Augenhöhe

Amerikanische Filme mit gesellschaftlichen Tragödien neigen meist zur Exzentrik. Die einen kippen ins Patriotische, die anderen in selbstverliebte Opferrollen. Die Regie von Sara Colangelo findet einen Zugang auch für Nicht-Amerikaner. Das liegt vor allem an der zurückhaltenden Art der Figuren, aber auch in der Kritik am politischen System. Die Kraft der Fluggesellschaft-Lobbisten kommt zum Vorschein, aber auch die großen Klassenunterschiede, die selbst in unserer Gesellschaft wie auch den World Trade Center gelebt werden bzw. wurden. Der Tellerwäsche in der Kantine hat ein wesentlich niedrigeres Einkommen als der Aktienhändler im 60. Stockwerk, deswegen werden hier enorm differenzierte Beiträge aus diesem Fond ausgezahlt.

© Capelight Pictures

Vielleicht kann man so etwas noch als nachvollziehbar betrachten, aber DER FALL 9/11 treibt das, was auch die schlimmste Eigenschaft der Menschheit ist, in einer Szene gekonnt auf die Spitze: Gier. In einer Parallelmontage erläutert Camille den hinterbliebenen Einwandererfamilien, dass es eine automatische Untergrenze bei Niedriglöhnen gibt und eine Staatangehörigkeit irrelevant ist. Konkret bedeutet das: 200.000 Dollar pro Opfer, steuerfrei. Im selben Moment verhandelt Feinberg mit Investorenfirmen, die Manager- und CEO-Verluste verzeichnen. Denen ist es nicht genug, am Jahresgehalt gemessen zu werden. Es gab ja schließlich noch jährliche Bonuszahlungen, die sollen in der Formel berücksichtigt werden. Die einen sind erstaunt über so viel Geld, den anderen ist es zu wenig und die wissen sich auch noch mit den teuersten Anwälten zu wehren.

Fazit

Einer der besten gesellschaftspolitischen Filme zu den Terroranschlägen des 11. September. Mit der richtigen Zurückhaltung lässt DER FALL 9/11 die Einzelschicksale sprechen, findet gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, die heute noch bestehen und verliert nie seinen spannenden wie auch informativen Charakter. Die fantastische Besetzung und präzise Inszenierung machen Lust auf mehr solcher cleveren und wichtigen Filme.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewDer Fall 9/11 (2020)
OT: Worth
Poster
Releaseseit dem 06.05.2022 auf Blu-ray & DVD erhältlich.

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RegisseurSara Colangelo
Trailer
BesetzungMichael Keaton (Kenneth Feinberg)
Amy Ryan (Camille Biros)
Stanley Tucci (Charles Wolf)
Tate Donovan (Lee Quinn)
Shunori Ramanathan (Priya Khundi)
Talia Balsam (Dede Feinberg)
Laura Benanti (Karen Donato)
Chris Tardio (Frank Donato)
Ato Blankson-Wood (Darryl Barnes)
Carolyn Mignini (Gloria Toms)
DrehbuchMax Borenstein
KameraPepe Avila del Pino
MusikNico Muhly
SchnittJulia Bloch
Filmlänge118 Minuten
FSKab 6 Jahren

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