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Der Brutalist (2024) – Filmkritik

„Zementierte Geschichte“

DER BRUTALIST ist eine Entdeckung. Nach einer langen, ermüdenden Reise durch eine karge Filmlandschaft erhebt sich dieses Monument am Horizont der Lichtspielhäuser. Analog gedreht und an einigen Orten auch analog auf 70 mm vorgeführt, ist DER BRUTALIST mit knapp vier Stunden Laufzeit, ein richtiges Schwergewicht im Kinoprogramm. Die analoge Wiedergabe ist nur ein Aspekt dieses vielschichtigen Geniestreichs von Regisseur Brady Corbet, seinem Filmteam und Ensemble. Die fiktive Handlung versteht es, die Geschichte der Jahrzehnte 1940 bis 1980 als Fundament zu nutzen, um darauf ein ganz eigenwilliges facettenreiches Biopic aus narrativem Zement zu errichten. Wie auch beim gleichnamigen Baustil der Moderne ist der Brutalismus in diesem Film etwas, was die Architektur extrem weit von ihren natürlichen Ressourcen fortgeführt hat. Stahlbeton war billig und ermöglichte enorme, teilweise unnütze Bauten. Licht und Schatten wurden aber durch solche Gebäude auf völlig neue Arten gebrochen und abgebildet. In der Maschinerie des rasant wachsenden US-Kapitalismus jener Zeit wird das Menschliche zermalmt, insbesondere durch jene, die unermesslichen Reichtum anhäufen. Sie nutzen die Ärmsten, die nur mit wenig Besitz in das „Land der Träume“ kommen. Man merkt sofort: DER BRUTALIST ist trotz seiner geschichtlichen Verortung einer der zeitgenössischsten Filmbeiträge der letzten Jahre.

© Universal Pictures

Handlung

Dem ungarischen Architekten László Tóth (Adrien Brody) gelingt die Flucht aus dem Europa der 1940er Jahre. Er ist einer von vielen jüdischen Einwanderern, die New York mit dem Schiff erreichen. Seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) musste er zurücklassen, da sie sich um Zsófia (Raffey Cassidy) kümmert. Da Zsófia nicht ihre leibliche Tochter ist, fällt es Erzsébet schwer, trotz der Bedrohung Europa zu verlassen. László findet bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) in Philadelphia Unterschlupf. Dieser betreibt ein Möbelgeschäft nach amerikanischem Vorbild. Nach einiger Zeit erhalten sie von Harry Lee Van Buren (Joe Alwyn) den Auftrag, für dessen Vater einen neuen Leseraum einzurichten. László lebt den Bauhaus-Stil seiner Ausbildung und seine künstlerischen Visionen in der herrschaftlichen Villa aus. Als Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) unerwartet früh in seine Geburtstagsüberraschung platzt, ist er geschockt, was einfach aus seinem Besitz gemacht wurde.

© Universal Pictures

László wird von seinem Cousin gefeuert und muss sich als Hafenarbeiter mit seinem Freund Gordon (Isaac de Bankolé) durchschlagen. Jahre später taucht der vermögende Van Buren wieder auf. Ihm wird bewusst – oder vielmehr gesagt –, welch moderner, kunstvoller Raum in seiner Villa entstanden ist. Er hat einen Großauftrag für László, in dem er seine Kreativität ausleben soll. Seine Frau und Zsófia werden eingebürgert und enorme Geldsummen bereitgestellt. Stück für Stück wird jedoch klar, dass Harrison Lee kein einfacher Auftraggeber ist.

© Universal Pictures

Fiktion

Es ist beeindruckend, wie authentisch DER BRUTALIST seine fiktive Geschichte erzählt. Adrien Brody verkörpert mühelos den traumatisierten Künstler, der voller Schuldgefühle ums Überleben kämpft und sein Lebenswerk vollenden will. Die Erfahrungen aus den Konzentrationslagern nutzt er als Inspiration für seine Vision eines ‚Gemeinschaftszentrums‘ für Van Buren. Der Ort der Zusammenkunft, des Teilens von Wissen, wird jedoch immer mehr zu einem christlichen Denkmal für den wohlhabenden Selfmade-Millionär. Regisseur Corbet, der zusammen mit seiner Frau Mona Fastvold das Drehbuch geschrieben hat, taucht völlig in den Architekturstil der Moderne ein. Mit viel Liebe zum Handwerk, dem Lichteinfall auf Gebäuden, Fotografien und Prozessaufnahmen wirkt das Unterfangen lebensecht. Man verspürt förmlich den Drang, in den Flieger nach Philadelphia zu steigen, um das Bauwerk selbst zu sehen. Das gibt es aber nur hier in der Fiktion des Films, und genau dort ist es der Quell für einen umfangreichen Themenkomplex.

© Universal Pictures

Thematiken

Neben dem leidvollen Leben eines Künstlers und der Kunstform des Brutalismus verhandelt DER BRUTALIST viele weitere Themen: das Ausnutzen von Geflüchteten, die sexuelle Freiheit, die Macht reicher Eliten, die Unerfüllbarkeit des amerikanischen Traums und die jüdische Geschichte. Dank der Filmlänge und der ruhigen Erzählweise bleibt genügend Raum für diese Themen, ohne dass der Film jemals langatmig wirkt. Am Beispiel der Migration zeigt die Thematik ihre Komplexität. Ein Beispiel: In der ersten Szene schält sich die Hauptfigur aus dem Bug eines überfüllten Schiffs, um die Freiheitsstatue zu sehen. Durch die Kameraperspektive steht sie zunächst auf dem Kopf – eine bewusste Verbindung zur letzten Einstellung, in der auch das Kreuz auf dem Gebäude auf dem Kopf steht. Nach der Ankunft am Hafen bekommen die Einwanderer Nummern zugeteilt, was an die tätowierte Nummerierung in den Konzentrationslagern erinnert. Danach geht es lange mit dem Bus zum Cousin, der seine kulturellen jüdischen Wurzeln bereits gegen das amerikanische Ideal der kommenden 1950er Jahre eingetauscht hat – inklusive christlicher Ehefrau.

© Universal Pictures

László kann aber dort nur ein kurzes erstes Zuhause finden. Danach geht es schnell über Suppenküchen, die nicht alle versorgen können, zu Bettenlagern für Wohnungslose. Selbst Kohle am Hafen zu schaufeln, gewährt nicht die Möglichkeit sich eine eigene Wohnung leisten zu können. Die Armut und Ungerechtigkeit stecken intensiv und vielschichtig in jeder dieser ersten Kapitel. Schnell wird deutlich, wie die USA Geflüchtete willkommen heißt, sie aber ebenso schnell für schlecht bezahlte, schwere Arbeiten ausnutzt. Und gerade, weil DER BRUTALIST sich so viel Zeit nimmt, seine Geschichte zu erzählen, beginnt das Publikum, diese Verbindungen innerhalb der Thematiken zu begreifen.

© Universal Pictures

Das wahre Grauen

DER BRUTALIST als geschichtsträchtige Analyse lebt von seinen lebendigen Figuren mit facettenreichen Charakteren. Der optimistische Architekt will sein Trauma in seiner Kunst verarbeiten. Die liebende Ehefrau will das Beste für ihre Tochter, möchte jedoch Arbeit finden, die ihren Fähigkeiten entspricht. Zudem lässt sie sich von ihrer körperlichen Einschränkung nicht einsperren. „Als Erzsébet erst in der zweiten Filmhälfte auftaucht, nimmt das Geschehen eine völlig neue Wendung. Die vorherigen, leicht homosexuellen Andeutungen werden durch sie unterstrichen, und außerdem begreift man schnell, welch emanzipierte Frau hier auftritt. Dann ist da noch der Milliardär, der mit einer äußerst ungewöhnlichen Familiengeschichte sein Verständnis von Liebe und Geld auf den Punkt bringt. Mit gewollt erlesenen Worten schmückt er seine Geschichte über das Verhältnis zu den Großeltern und der Mutter aus, gibt sich intellektuell. Doch dann stellt László mit wenigen Sätzen und gebrochenem Englisch unter Beweis, was ein Leben als Künstler bedeutet. Harrison Lee Van Buren mag zwar Selfmade-Reichtum erlangt haben, hat sich jedoch längst aus dem eigentlichen wirtschaftlichen Prozess zurückgezogen und wirkt dadurch zunehmend gelangweilt. Es ist für ihn an der Zeit, seiner Dynastie ein Denkmal zu setzen – und dafür benötigt er einen authentischen Künstler.

© Universal Pictures

Die Abhängigkeiten sind schnell gesetzt. László lebt auf dem Anwesen – er hat keine eigene Wohnung –, seine Familie wird eingebürgert, eine weitere untilgbare Schuld, und der Umfang der Arbeit wird ein ganzes Leben verschlingen. So schwer diese Nachkriegszeit für viele Menschen auch war, umso düsterer wird die Herrschaft der Superreichen-Familie Van Buren dargestellt, die alle außerhalb ihrer Familie wie Leibeigene behandelt – selbst für sexuelle Dienste. DER BRUTALIST erinnert hier ganz stark an FOXCATCHER (2014) und THERE WILL BE BLOOD (2007). Reichtum um jeden Preis und danach muss alles getan werden, um es zu erhalten und zu mehren.

© Universal Pictures

Fazit

Auf allen Ebenen ist DER BRUTALIST eine Filmoffenbarung. Am besten zu genießen durch eine 70-mm-Filmprojektion. „Geschichte wiederholt sich nicht – sie reimt sich. Aus dem Projekt einer gesellschaftlichen Begegnungsstätte wird eine Kirche, die am Ende zu einem Mahnmal bzw. Grabmal wird. Dieser Prozess ist heute wieder deutlich zu erkennen, aus Zusammenhalt werden Ideale aus Stein. Mit dieser Interpretation der Vergangenheit für die Gegenwart und kraftvollen Szenen – wie dem Bahnunglück oder der Magie eines Marmorsteinbruchs – sind diese vier Stunden Lebenszeit ein cineastisches Geschenk.

© Christoph Müller

// Gesehen zur 70-mm-Pressevorstellung am 08.01.2025 im schönen Delphi Filmpalast in Berlin.

 

Titel, Cast und CrewDer Brutalist (2024)
OT: The Brutalist
Poster
ReleaseKinostart: 30.01.2025
RegieBrady Corbet
Trailer
BesetzungAdrien Brody (László Tóth)
Felicity Jones (Erzsébet Tóth)
Guy Pearce (Harrison Lee Van Buren)
Joe Alwyn (Harry Lee)
Raffey Cassidy (Zsófia)
Stacy Martin (Maggie Van Buren)
Emma Laird (Audrey)
Isaac de Bankolé (Gordon)
Alessandro Nivola (Attila)
Michael Epp (Jim Simpson)
Jonathan Hyde (Leslie Woodrow)
Peter Polycarpou (Michael Hoffman)
DrehbuchBrady Corbet
Mona Fastvold
KameraLol Crawley
MusikDaniel Blumberg
SchnittDávid Jancsó
Filmlänge215 Minuten
FSKab 16 Jahren

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