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Days of Being Wild (1990) – Filmkritik

„Einsame Stadt“

Auch wenn es in der Regiekarriere von Wong Kar-wai der zweite Film ist, stellt DAYS OF BEING WILD ein bedeutender Beginn dar: Die Zusammenarbeit mit Kameramann Christopher Doyle. Beide werden bis zu Kar-wai´s achtem Film (2046) zusammenarbeiten und eine der künstlerisch reichhaltigsten Kooperationen der Filmgeschichte hervorbringen. Wenn man vom Hong-Kong-Kino des Wong Kar-wai spricht, kommt man nicht daran vorbei auch vom visuellen Poeten Christopher Doyle zu sprechen. So ist DAYS OF BEING WILD erzählerischer und darstellerischer Genuss, aber auch ein optisches 3-Gänge-Gourmet-Menü. Das alles, ist mit dem typischen Anstrich der Nostalgie versehen. Wie sollte es auch anders sein, denn der Film ist eine Erinnerung an die Kindheit des Regisseurs.

© Koch Films

Handlung

Die Zeit vergeht langsam in der Sommerhitze. Die Imbissverkäuferin Su Li-zhen (Maggie Cheung) wartet mehr als das sie arbeitet. Immer zur selben Zeit taucht Yuddy (Leslie Cheung) auf, der um seine Wirkung bei Frauen genau Bescheid weiß. Su verliebt sich in Yuddy, beide treffen sich täglich. Als sie mit Fragen zu einer festen Beziehung und dem Thema Hochzeit kommt, ist Yuddy schon wieder weg. Dieses Mal in den Armen der Tänzerin Leung Fung-ying (Carina Lau), die leidenschaftlich streitet und liebt. Aber irgendwann geht auch diese Beziehung zu Ende, denn Yuddy sucht seine leibliche Mutter auf den Philippinen. Die Hass-Liebe zu seiner Pflegemutter Rebecca (Rebecca Pan) hat er satt, wie auch ihre leichten Beziehungen zu jungen Männern. Währenddessen trifft der Polizist Tide (Andy Lau) auf die unter Liebeskummer leidende Su Li-zhen. Im strömenden Regen erzählen beide sich ihre Geschichte.

© Koch Films

Liebe, die verletzt

Die Erinnerungen an die Kindheit des Regisseurs in den 1960er-Jahren von Hong Kong ist die Bühne für die Geschichte zu diesen vier Hauptfiguren. Yuddy ist der Mittelpunkt der personellen Konstellation und durch seine Suche nach Liebe beeinflusst er die anderen drei, die einsam durch die nächtlichen Straßen streifen. Yuddy ist durch den Verrat seiner leiblichen Mutter, sie hat ihn einfach herzlos weggegeben, und der Theatralik seiner Pflegemutter ein Mensch, der nicht lieben kann. Deswegen treibt es ihn unweigerlich in die Philippinen, um seine Mutter zu finden und das, was ihn an emotionaler Nähe fehlt, zu erlernen. Für eine konventionelle Liebesgeschichte ist DAYS OF BEING WILD nicht zu haben. Das zeigt sich vor allem durch die aufkommende Beziehung des Polizisten Tide und Su Li-zhen. Sie lernen sich erst gegenseitig kennen, vertrauen einander und kurz bevor man möchte, dass nur noch ihre Liebesgeschichte erzählt wird, verlässt Tide die Stadt, um zur See zu fahren. Nicht nur die Figuren sabotieren sich gegenseitig, sondern auch der Film selbst lässt kein Happy End zu. 1990 war diese Art der melancholischen Erzählung keine Neuerfindung, aber in ihrer Aneinanderreihung von Figuren im Nebel dieser stimmungsvollen Bilder, etwas völlig Neues. Das Hong Kong der 1960er-Jahre wird durch die dichte Nostalgie Wong Kar-Wais zu einem fernöstlichen Paris der Melancholie.

© Koch Films

Grün, die Farbe der Hoffnung

Der künstlerische Wille von Kameramann Christopher Doyle DAYS OF BEING WILD einen bestimmten Look zu verpassen, ist geradezu spürbar. Grün bestimmt die Farbpalette, zur Not wird sogar noch mit Farbfiltern nachgeholfen, wie in den philippinischen Szenen. Die Konturen sind äußerst weich, geringe Tiefenschärfe und ein permanenter Tabakrauch, der durch die Szenerien wabert, schmeckt man fast auf der Zunge. Ausstattung und Kostüme sind von William Chang, der auch ein langjähriger Weggefährte, von Wong Kar-Wai und Christopher Doyle ist. Auf beeindruckende Art gelingt es, möglichst authentisch eine längst vergangene Zeit wiederzubeleben und dennoch einen eigenständigen Look zu erzeugen. Totalen und Halbtotalen überwiegen die Einstellung. Wir sind immer dicht an den Figuren und dürfen dennoch so schöne Kamerafahrten, wie Christopher Doyles erste Steadycam-Nutzung, beim Betreten des alten Bahnhofs in Manila sehen. Spiegelbilder im Szenenbild hinterfragen die Persönlichkeiten und immer wieder sprechen die Figuren bei Dialogen direkt mit uns durch die Kameralinse. Vor allem die letzte Szene bleibt im Gedächtnis: Tony Leung bereitet sich in einer niedrigen, kleinen Wohnung auf den Abend vor. In einer einzigen Einstellung steckt er Dinge wie Zigaretten, Karten und ein Einstecktuch in sein Sakko und kämmt sich die Haare, alles ganz cool mit einer Kippe im Mundwinkel. Inhaltlich hat die Szene nichts mit dem Film zu tun, sondern sollte eigentlich ein Übergang zu einer Fortsetzung sein, die aber aus Geldnot des Produzenten nie gedreht wurde. Die Träume der Figuren werden in diesem Film nicht erfüllt und uns bleibt wohl einer der interessantesten Weitererzählungen der asiatischen Filmgeschichte verborgen. Welch eine Schande.

© Koch Films

Das Heimkino des Wong Kar-wai Teil 2

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Keine Schande ist die erste Blu-ray- und UHD-Veröffentlichung von DAYS OF BEING WILD. Koch Films konnte die restaurierte Version aus dem Jahre 2021 vom Filmarchiv Cineteca di Bologna in Zusammenarbeit mit dem Restaurations-Filmlabor L’Immagine Ritrovata von dem amerikanischen Edel-Filmlabel Criterion Collection lizensieren. Trotz der starken Farbfilter, die damals verwendet wurden, ist der Restaurationsprozess, den Wong Kar-wai selbst beeinflusst und abgenommen hat, perfekt gelungen. Filmkorn, Schärfe, Unschärfe, alles ist authentisch aufgearbeitet worden. Die Special-Edition bietet den Film auf DVD, Blu-ray und UHD-Blu-ray. Hinzu kommt eine alternative Fassung, die nicht restauriert wurde – hier kann man beindruckt sehen, was für eine Arbeit die italienischen Filmlabore leisteten. Die Fassung ist aber nur für ihre Anfangssequenz interessant, da sie einen Übergang zum nie erschienen Sequel darstellt, der Rest ist nahezu deckungsgleich.

Dann gibt es ein Audio-Interview (4 Min.) mit Darstellerin Maggie Cheung, was mit Filmszenen, Postern und Fotografien bebildert ist. Highlight ist das Interview mit Christopher Doyle (11 Min.), wahrscheinlich aus dem Jahre 2004, während einer Kinovorstellung. Ein bisschen Masterclass-Feeling kommt auf, dank seiner ehrlichen Worte zur Produktion. Alle Extras sind in Deutsch untertitelt. Eine würdige Veröffentlichung und dank Koch Films wird diese Edition nicht allein im Regal stehen, denn weitere Filme aus besagtem Criterion-Collection-Release werden im Laufe des Jahres 2022 noch erscheinen oder sind es bereits (IN THE MOOD FOR LOVE, HAPPY TOGETHER). Ein kleines Heftchen mit Fotos und einem noch kleineren Text von Andreas Ungerböck, Co-Herausgeber des besten deutschsprachigen Filmmagazins ray, ist ebenfalls enthalten.

Fazit

Der perfekte Film für einsame Nächte im Hochsommer. Stellt die Klimaanlage aus und taucht in die feuchte Atmosphäre dieser Celluloid-Gemälde ein. Eine kalte Cola wird bei der Welle aus Melancholie einsamer Großstadtmenschen helfen und besonders süß schmecken.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewDays of Being Wild (1990)
OT: Ah Fei jing juen
Poster
Releaseseit dem 14.04.2022 in einer Special-Edition (UHD+BD+DVD)

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RegisseurWong Kar-Wai
Trailer
BesetzungLeslie Cheung (Yuddy)
Maggie Cheung (Su Li-zhen)
Andy Lau (Tide)
Carina Lau (Leung Fung-ying)
Rebecca Pan (Rebecca)
Jacky Cheung (Zeb)
Tony Chiu-Wai Leung (Chow Mo-wan)
DrehbuchJeffrey Lau
Wong Kar-Wai
FilmmusikTerry Chan
KameraChristopher Doyle
SchnittKit-Wai Kai
Patrick Tam
Filmlänge95 Minuten
FSKab 12 Jahren

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