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Das verlorene Wochenende (1945) – Filmkritik

„Der Kreis des Teufels“

Wenn man kreativ tätig ist, gibt es nichts Schlimmeres als wenn einem die Einfälle ausgehen. Oder aber der eigene Anspruch hat bereits ein so hohes Level erreicht, dass man es gar nicht erst probieren möchte. Auch der Autor dieser Zeilen muss zugeben, bei einem schwierigen Filmtext mal zu einer Flasche Bier gegriffen zu haben, um einfach seine Gedanken etwas zu lockern. Aber bei einigen bleibt es nicht nur dabei, sondern sie müssen einen Rausch erleben. Vielleicht will man das Gefühl wiederhaben, als man zum ersten Mal etwas richtig Gutes erschaffen hat und sich die Nackenhaare vor schierer Begeisterung über das Entstandene aufgestellt haben. Manche greifen hier zum künstlichen Rauschverstärker, um „produktiv“ zu sein, was sich im nüchternen Licht des Tages zumeist als kontraproduktiv herausstellt. Die Sucht nach starken Substanzen hat aber oft einen psychologischen Ursprung und nicht den einer Schaffenskrise. Billy Wilder stellt 1945 als erster Regisseur mit DAS VERLORENE WOCHENENDE (THE LOST WEEKEND) die Alkoholsucht in den Mittelpunkt eines Films. Schluss mit den lustigen Trunkenbolden, die für ein paar Lacher am Rande sorgen. Man muss tief fallen, um die eigene Abhängigkeit zu erkennen. Protagonist Don Birnam wird fast ganz unten ankommen und nimmt uns Zuschauer mit in seinen teuflischen Kreislauf, aus dem kein Entkommen möglich scheint.

Das verlorene Wochenende (1945)
Don Birnam (Ray Milland) // © VOCOMO Movies

Handlung

Der 34-jährige Schriftsteller Don Birnam (Ray Milland) kommt nicht von der Flasche weg. Überall versteckt er Alkohol, um an trockenen Zeiten etwas für den Notfall da zu haben. Sein bestes Versteck ist eine Flasche Whiskey, die an einer Schnur aus dem Fenster hängt. Für alle anderen in New York gut sichtbar, aber nicht für die Menschen, die ihn lieben. Sein Bruder Wick (Phillip Terry) hält den arbeitslosen Schreiberling Don in seiner Wohnung aus. Dons stets optimistische Freundin Helen St. James (Jane Wyman) will ihm helfen vom Alkohol loszukommen. Aber es sind die 1940er Jahre, wo es Pfandhäuser an jeder Ecke gibt und genug Whiskey für ein paar Dollar. Die Zeit der Prohibition ist gerade vorbei und jeder scheint die Gefahr, die mit Alkoholsucht einhergeht, mit einem Kopfschütteln abzutun.

Das verlorene Wochenende (1945)
Wick Birnam (Phillip Terry), Helen St. James (Jane Wyman) und Don (Ray Milland) // © VOCOMO Movies

Ach das wird schon

Wenn man einen über 70 Jahre alten Schwarzweiß-Film ansieht, hat man auch schon dieses Kopfschütteln im Register. DAS VERLORENE WOCHENENDE wird schon nicht so dramatisch sein. Gleich die ersten paar Szenen lassen einen in dieser Hinsicht noch in Gewissheit schwelgen. Don lässt den Schnaps aus dem Fenster baumeln und der Bruder will mit ihm zu den Eltern aufs Land fahren. Nur ein paar Tage, damit Don auf andere Gedanken kommt. Er soll doch noch die Schreibmaschine einpacken, vielleicht schreibt er ja wieder. Alle Beteiligten denken: Nach diesem Wochenende ist er weg vom Suff und alles wird gut. Wie naiv. Bruder Wick schnippt noch lässig die brennende Kippe aus dem Fenster, wird schon keinen auf dem Bürgersteig treffen.

Das verlorene Wochenende (1945)
Don Birnam (Ray Milland) und Nat (Howard Da Silva) // © VOCOMO Movies

Don gelingt es, sich aus diesem Trip herauszuwinden, indem er der Haushälterin etwas Geld klaut und bei seiner Lieblingsbar einkehrt: Nats Bar. Nat (Howard Da Silva) ist der perfekte Bartender. Hier erkennt man sofort die Vorlage des ewig bereiten Barkeepers, wie die Geisterversion in SHINING oder die Androiden-Version in PASSENGERS. Dieser 24-Stunden-Service findet sogar eine etwas schwarzhumorige Übertreibung als Nat in einer Szene am Tresen auch noch frühstückt. Da stehen noch nicht einmal die Stühle unten. Nats Bar, es wurde an der realen New Yorker Bar P. J. Clarke’s gedreht, ist eine schöne Möglichkeit zum Einkehren. Von der Qualität des Besitzers mal abgesehen, ist die hübsche Gloria (Doris Dowling) immer wieder dort anzutreffen. Sie geht einer Art „Escort-Service“ nach und scheint auch noch so manches Geheimnis zu haben. Ganz offensichtlich ist jedoch, dass sie in Don verknallt ist. Aber sobald Don das erste Feuerwasser getrunken hat, fliegt ihm die Prosa über die Lippen bis die Flasche leer ist, die Bar voller Leute ist und die Gedanken sinnentleert. Die reizende Gloria ist schon längst vergessen.

Das verlorene Wochenende (1945)
Don (Ray Milland) und Helen St. James (Jane Wyman) // © VOCOMO Movies

Zeitsprung

Hier wurde auch einer der ältesten Zeitsprünge im Drehbuch gewagt: Don erzählt Nat am Tag darauf – er hat bereits alle aus seinem Umfeld weggestoßen oder versetzt – zu welchem Zeitpunkt ihm seine Alkoholsucht bewusst wurde. Dies war auch der Tag, an dem er seine große Liebe Helen kennenlernte. Spätestens jetzt vergisst man als Zuschauer sein Umfeld und das Alter von DAS VERLORENE WOCHENENDE. Die Szenerien werden in der eigenen Fantasie bunt, das Bild großformatig und eine Reise von einer Flasche zur nächsten beginnt. Man denkt an den 50 Jahre jüngeren LEAVING LAS VEGAS (1995), der viel mehr Drama und Rausch inszeniert – Nicolas Cage erhielt den Oscar für die beste Hauptrolle, wie auch Ray Milland in diesem Film – aber die Dialoge und der Übergang von einer Szene zu nächsten gelingen so stimmig, dass man Wilders noch jungem Talent bereits tief in die Augen schauen kann. Ironischerweise bekam Wilder von seinem Erfolg wenig mit, da er seinen Wehrdienst in Deutschland ausübte und Dokumentarfilme schnitt. Erst als ihn Fanbriefe erreichten und vier Oscar-Nominierungen eintrafen, konnte auch er sich darüber freuen. Billy Wilder gewann jedoch mit DAS VERLORENE WOCHENENDE viel mehr als Trophäen und Ansehen, sondern lernte bei den Dreharbeiten seine zukünftige Ehefrau Audrey kennen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Blu-ray

Das verlorene Wochenende (1945)
Die Blu-ray von DAS VERLORENE WOCHENENDE

Bereits nach KÜSS MICH, DUMMKOPF (KISS ME, STUPID) bringt nun VOCOMO Movies DAS VERLORENE WOCHENENDE zum ersten Mal auf Blu-ray heraus. Die deutsche Synchronisation klingt fantastisch und klar verständlich. Der Film ist aus dem Jahr 1945 mit niedrigem Budget auf 35-mm-Schwarzweiß-Film (4:3) gedreht worden. Man soll also nicht zu viel erwarten. Aber vor allem die Innenaufnahmen bestechen durch gute Konturen und manch Schatten, der seinen Protagonisten bedeutungsschwer vorauseilt, lässt Film-Noir-Ästhetik aufkommen. Extras beschränken sich leider auf den Trailer und eine Bildergalerie mit Werbematerial. Die Blu-ray kommt im Papp-Schuber daher und die Amaray darin verfügt über ein Wendecover mit dem alten Kinoplakat. Eine tolle Aufmachung für einen fairen Preis.

Fazit

Man hätte es nicht gedacht, aber Billy Wilders DAS VERLORENE WOCHENDE ist dramatisch, packend und clever inszeniert. Alle Schauspieler wissen in ihrer Rolle zu überzeugen. Selbst die Spirituosen-Lobby bot dem Studio damals fünf Millionen Dollar, den Film nicht zu veröffentlichen. Wilder sagte in einem Interview, er hätte die Kohle genommen. Gut das er damals noch nichts zu sagen hatte und es noch Filmstudio-Bosse gab, die einen guten Film nicht in Dollar-Scheinen aufgewogen haben.

Titel, Cast und CrewDas verlorene Wochenende (1945)
OT: The Lost Weekend
Poster
Releaseab dem 14.06.2019 auf Blu-ray (Billy Wilder Edition)
Bei Amazon bestellen:

oder direkt bei VOCOMO Movies bestellen
RegisseurBilly Wilder
Trailer
BesetzungRay Milland (Don Birnam)
Jane Wyman (Helen St. James)
Phillip Terry (Wick Birnam)
Howard Da Silva (Nat)
Doris Dowling (Gloria)
Frank Faylen ('Bim' Nolan)
Mary Young (Mrs. Deveridge)
VorlageDie Handlung basiert auf dem Roman THE LOST WEEKEND (dt. Titel FÜNF TAGE) von Charles R. Jackson
DrehbuchCharles Brackett
Billy Wilder
KameraJohn F. Seitz
MusikMiklós Rózsa
SchnittDoane Harrison
Filmlänge96 Minuten
FSKab 12 Jahren

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