Vorhang auf für die ehrlich-romantischste Komödie des Jahres!
In den 90ern kam man auf den Trichter, wie man das lesefaule Teenpublikum doch wieder zum Rezipieren großer Weltliteratur bringen konnte: Man verlegte die Handlung von Kanonhütern à la GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN, DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG, EMMA oder EIN SOMMERNACHTSTRAUM geschwind an amerikanische Highschools, garnierte das Ganze mit angesagten Jungsstars wie Heath Ledger, Paul Rudd, Sarah Michelle Gellar, Kirsten Dunst oder Leonardo DiCaprio und fertig waren die Kassenschlager EISKALTE ENGEL, 10 DINGE DIE ICH AN DIR HASSE, CLUELESS – WAS SONST und GET OVER IT. 2018 wiederholt Aron Lehman ( KOLHAAS ODER DIE VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL) diese Formel und präsentiert mit DAS SCHÖNSTE MÄDCHEN DER WELT eine moderne Adaption von ‚Cyron de Bergac’; einen so umwerfend liebenswürdigen Film, dass man glatt wieder an so etwas wie wahre Liebe glauben mag.
Cyril (Aron Hilmer) hat eine zu große Nase und ist damit das prädestinierte Mobbingopfer seiner Bonzenklasse. Doch des nächtens schwingt er sich mit einer goldenen Tarnmaske zum talentiertesten Battlerapper (Kampfname: Goldgesicht) des Landkreises auf. Als dann, pünktlich zur Berlinklassenfahrt, die coole Roxy (Luna Wedler) den Bus betritt, ist es um den sensiblen Wortakrobaten geschehen. Doof nur, wenn einem sämtliches Selbstvertrauen abgeht und das Objekt der Begierde durch einen dummen Zufall meint, hinter dem schlagfertigen ‚Goldgesicht‘ den etwas einfältigen Rick (Damian Hardung) erkannt zu haben. Was tun? Cyril macht Rick spontan zu seinem ‚Avatar‘ und lässt ihn so die Beziehung zu Roxy knüpfen, die ihm selbst verwehrt zu bleiben scheint. Und dann ist da ja auch noch Klassenking Benno (Jonas Ems), der mit seinen Kumpels eine Wette zwecks der schnellstmöglichen Begattung Roxys abgeschlossen hat, bei dem ‚Roofies‘ und eine Videokamera zu den wichtigsten Utensilien zählen.
DAS SCHÖNSTE MÄDCHEN DER WELT startet schwach. Die unausgegorene Mischung aus 8 MILE und FACK JU GÖTHE produziert in den ersten 10 Minuten eher Stöhner denn Lacher. Zwar freut man sich darüber, die unfassbar talentierten Hilmer (EINSAMKEIT UND SEX UND MITLEID) und Wedler (BLUE MY MIND) in einer großen Kinoproduktion zu sehen, doch die Witze tief unter dem Niveau-Äquator lassen glauben: Das werden schmerzhafte 100 Minuten. Wenn der Plot dann jedoch wirklich losgeht und Cyril zuckersüße Popsongs für seine Angebetete schreibt, kann man gar nicht anders, als diesen Film tief ins Herz zu schließen. Die Gags werden urplötzlich unfassbar pointiert (als heimlicher Star des Filmes darf Heike Makatsch als dauerrauchende Klassenlehrerin gewertet werden, Zitat: „Cyril, Sie glauben wirklich, ihre Klassenkameraden gehen mit Ihnen ins Theater, wenn Sie Ihnen Schillers ‚Kabale und Liebe‘ als Sexorgie verkaufen? Ja gut, da haben Sie Recht“, kommt im Film wohl besser rüber als hier), da sei zum Beispiel die Konversation zwischen Rick (der wahrlich nicht mit Intelligenz gesegnet ist) und Roxy über ‚Homo Faber‘ („Ich fands ’n bisschen gay“, sagt Rick.) genannt, eine himmlische Museumstanzsequenz und der ungelenkste Nasenkuss der Filmgeschichte angeführt.
Klar ist man diesen Schul-Dramen irgendwie entwachsen, aber das Gefühl des Verliebtseins ohne Aussicht sollte universell sein. Wenn Cyril Roxy seine tieftraurigen Blicke zuwirft, möchte man ihn einfach nur in den Arm nehmen. Roxy verkommt dabei nie zum ‚Manic Pixie Dream Girl‘ oder bloßem Loveinterest, ferner muss sie auch zu keinem Zeitpunkt gerettet werden und große Schmachtsequenzen, wie der hängende Ryan Gosling in WIE EIN EINZIGER TAG, bleiben aus. Stattdessen werden einem die wohl schönsten letzten 5 Minuten des Kinojahres 2018 präsentiert und wenn es dann heißt: „Wenn Du Dich selbst schon nicht liebst, ich tu es“ darf man auch mal die Faust im BREAKFAST-CLUB-Style gen Himmel recken.
Die im Film von Cyril und Rick intonierten Songs sind sicherlich Geschmackssache, es sind aber tatsächlich die realistischen Produkte 17-jähriger Geister. Ob es eine Singleauskoppung des zentralen „Immer wenn wir uns sehen“ Titels von Popsängerin LENA gebraucht hätte, sei dahingestellt. Das Herzstück des Filmes sind sowieso seine erstaunlich gelungenen Battlerap-Parts („Ich trag die Maske nur, um nicht mit Dir gesehen zu werden“), die hier und da Erinnerungen an FÜNF STERNE DELUXE oder DIE FANTASTISCHEN VIER zu ihren besten Zeiten hochkommen lassen. Es muss jedoch auch gemeckert werden. Der Trend, YouTube-Stars zwanghaft in ‚jungen‘-Produktionen zu besetzen (Antagonist Jonas Ems sowie Julia Beautx als Klassenblondchen) sollte schleunigst stoppen, funktioniert hat das bisher nur mit Phil Laude in BIBI UND TINA: MÄDCHEN GEGEN JUNGS. Man merkt ihnen die Unerfahrenheit vor der Kamera und das mangelnde schauspierlerische Talent einfach an, was dem prinzipiell sehr charmanten Film einiges an Qualität abzieht. Aber gut, wenn es die Zielgruppe in die Kinos treibt, dann bitte.
Trotz allem: Zögert nicht lange, ihr Menschen und schenkt eure Zeit dieser zutiefst zuckersüßen RomCom, voller ehrlich himmelhochjauchzendem Kitsch, frei von jeglichem Zynismus, dafür mit Gute-Laune-Garantieticket.