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Das Lehrerzimmer (2023) – Kurzkritik

„Brüllt mal alle so laut ihr könnt“, fordert die Lehrerin ihre Klasse auf, und die Schüler sind mit Freude dabei. Vor allem aber kann sie dadurch selbst ihren akuten Frust hinausschreien.

Es ist ja nicht so, dass Carla Nowak, idealistisch, jung und neu an der Schule, hilf- und ahnungslos von der Realität überfordert wäre. Sie kennt ihre Kniffe im Umgang mit den Kindern und hat die Klasse gut im Griff. Leonie Benesch (BABYLON BERLIN, DER SCHWARM) stellt sie bei aller liberalen Offenheit als ernsten, fast strengen Menschen dar.

©Judith Kaufmann Alamode Film

Und eigentlich scheint an der Schule alles Ordnung zu sein: Das Gebäude ist freundlich und hell, die Atmosphäre angenehm, kein „sozialer Brennpunkt“ weit und breit. Nur wird gestohlen, und zwar schon seit einiger Zeit. Carla ist mit den Untersuchungsmethoden des Vertrauenslehrers Thomas Liebenwerda (Michael Klammer, der Günther Kaufmann aus ENFANT TERRIBLE) gar nicht einverstanden, obwohl diese auch nicht herzlos und brutal sind, sondern einer anderen Denkweise entspringen. Zu irgendeinem Erfolg führen sie freilich nicht.

Um dem wohl völlig zu Unrecht unter Verdacht geratenen Schüler Ali zu helfen, denkt sich Carla schließlich einen Trick aus, um den Täter zu überführen, und ausgerechnet diese so achtsame und politisch korrekte Person wird dabei übergriffig. Ihre Anklage löst eine Eskalation aus, die niemand mehr stoppen kann. Gerade die Vorgabe „wir erzählen den Schülern keine Vermutungen“ lässt die Gerüchte ins Kraut schießen. Carla wird von allen Seiten mit meist unfairen Attacken unter Druck gesetzt und versucht dabei noch, den schlauen Oskar zu schützen, der immer mehr ihr großer Widersacher wird.

©Judith Kaufmann Alamode Film

DAS LEHRERZIMMER ist ein klassischer Autorenfilm. Regisseur Ilker Çatak schrieb das Drehbuch, wobei einzelne Szenen autobiographisch inspiriert sind, was nicht immer ganz zur Geschichte passt. Als einmal die Geldbeutel kontrolliert werden, müssen alle Mädchen das Klassenzimmer verlassen, dafür ist hier kein Grund ersichtlich. Eva Löbau spielt die Sekretärin Friederike Kuhn, deren Fröhlichkeit nach der Beschuldigung rasch in Verbitterung umschlägt. Das Casting leitete noch die vor Kurzem verstorbene Simone Bär, deren Ruhm bis nach Hollywood reichte. Die Kamera führte Judith Kaufmann (CORSAGE), die Musik stammt von Marvin Miller. Sie bleibt zurückhaltend, macht sich nur hin und wieder bemerkbar, wenn der Stress überhandnimmt, wie eine nie endende Ouvertüre.

Die Kinder und angehenden Jugendlichen spielen ihre Rollen sehr überzeugend und ganz natürlich. Die Zeiten, in denen Kinder selbst in den großartigsten Filmen hölzern ihre Zeilen aufsagten und ansonsten in der Gegend herumstanden, sind lange vorbei. Offensichtlich nahmen die damaligen Regisseure Kinder nicht ernst und verzichteten bei ihnen auf jede Schauspielführung. Çatak hat die dafür nötige Arbeit und Zeit investiert, und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen.

Einige Schwächen gibt es. Recht konstruiert wirkt, dass Oskar, der Sohn der Schulsekretärin, Schüler in Carlas Klasse ist. Auch ist der Verdacht gegen Frau Kuhn eindeutiger, als für die Handlung gut ist, und die Aktionen der Schüler sind manchmal etwas zu professionell.

©Judith Kaufmann Alamode Film

Davon abgesehen überzeugt DAS LEHRERZIMMER: Wir verlassen zu keinem Zeitpunkt die Schule, wir erfahren nichts über Carlas Privatleben. Angenehmerweise wird damit auf die üblichen Beziehungskisten verzichtet, die normalerweise auf die Protagonisten draufgestapelt werden. Die Dialoge sind präzise geschrieben. Die zur Zeit hysterisch diskutierten PC-Begriffe wie „Schüler:innen“ werden nur hin und wieder eingestreut, denn darum geht es hier nicht, sie dienen bloß der Charakterisierung.

Natürlich stellt sich die Frage: Warum noch ein Schulfilm? Der Verleih mag antworten: Das läuft immer. Die Sorge, die üblichen Schablonen und Stammtisch-Parolen (von welcher Seite auch immer) vorgesetzt zu bekommen, verfliegt jedoch schnell. Am Ende werden zum Glück keine Gewissheiten geliefert. Das LEHRERZIMMER gehört zu den Filmen, über die man nach dem Sehen nachdenkt.

© Franz Indra

Titel, Cast und CrewDas Lehrerzimmer (2023)
Poster
ReleaseKinostart: 04.05.2023
Regisseurİlker Çatak
Trailer
BesetzungLeonie Benesch (Carla Nowak)
Michael Klammer (Thomas Liebenwerda)
Rafael Stachowiak (Milosz Dudek)
Anne-Kathrin Gummich (Dr. Bettina Böhm)
Eva Löbau (Friederike Kuhn)
Kathrin Wehlisch (Lore Semnik)
Sarah Bauerett (Vanessa König)
Drehbuchİlker Çatak
KameraJudith Kaufmann
MusikMarvin Miller
SchnittGesa Jäger
Filmlänge98 Minuten
FSKab 12 Jahren

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