„Vertrauen in die nächste Generation“
Man ist es leid, dass es derzeit fast nur noch Reboots, Fortsetzungen und Spin-Offs von erfolgreichen Filmen und Geschichten gibt. Als Sylvester Stallone für 2006 ankündigte, die Rocky-Filmreihe nach 16 Jahren mit einem weiteren Film zu bereichern, war diese wirtschaftsorientierte Neuauflagen-Epidemie noch im Anfangsstadium. Stallone übernahm nicht nur die Hauptrolle und die Regie, sondern schrieb ein cleveres und anspruchsvolles Drehbuch, welches nicht das Boxen in den Vordergrund stellte. ROCKY BALBOA (2006) hatte vielmehr den Umgang mit dem Altwerden zum Thema und kritisierte nebenbei, welches Showbusiness aus dem Boxsport geworden war. Der Film war für mich ein perfekt gelungener 6. Teil der Rocky-Reihe und ein zufriedenstellendes Schlusskapitel. Als CREED für 2015 angekündigt wurde, war ich trotz Stallones schauspielerischer Anwesenheit bereits etwas skeptisch. Es wirkt wie ein krampfhafter Neustart der Boxfilm-Reihe mit dem Sohn von Apollo Creed, gespielt von Michael B. Jordan und dem „Italian Stallion“ in der Trainerecke. Ich hätte nicht einmal ansatzweise damit gerechnet, dass ohne Sylvester Stallone im kreativen Filmprozess ein so großartiger Film dabei herauskommt. CREED schafft es, bei dem filmgeschichtlichen Schwergewicht-Meister solide mitzuhalten.
Handlung
Na gut, die Geschichte ist im groben Umfang doch etwas vorausschaubar, aber das hat ja auch einen guten Grund: Sie funktioniert beim Zuschauer. Jeder sucht nach einer Herausforderung: sportliche, kreative oder finanzielle. Adonis, genannt Donnie, prügelt sich durch seine einsame Kindheit bis die Frau seines leiblichen Vaters, der Boxlegende Apollo Creed, ihm die Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung gibt, die er dringend braucht. Für Donnie eröffnen sich Möglichkeiten, die er als Waisenkind nicht erhalten hätte. Mit Mitte 20 steht ihm eine glänzende Karriere im Management-Bereich bevor, jedoch sind die Gene des Vaters zu stark und den Trieb zu Boxen kann er nicht unterdrücken. Nach ein paar unglamourösen Siegen auf mexikanischen Boden, beschließt Donnie voll und ganz mit dem Profiboxen zu beginnen. Er zieht nach Philadelphia, um für seinen Trainerposten den stärksten Gegner seines Vaters zum Verbündeten zu machen. Rocky ist unverhofft wieder im Boxgeschäft.
Viel mehr als ein Boxfilm
CREED zeigt vor allem die menschliche Suche nach einer Herausforderung. Ein Bedürfnis sein Talent und seinen eisernen Willen auf die Waage zu legen, um zu sehen, was man dafür bekommt. Ruhm und Geld sind Donnie nicht wichtig, zugegeben viel Geld hat er bereits, aber er ist eine bescheidene Person, ruhig, clever und weiß welche Gefahren der Sport mit sich bringt. Das sind auch die Fähigkeiten, die Balboa beeindrucken und der deswegen den Trainerposten übernimmt. Michael B. Jordan (FANTASTIC FOUR) gelingt schauspielerisch perfekt der Spagat zwischen dem ruhigen und analytischen Akademiker und dem willensstarken und impulsiven Sportler. Sylvester Stallone ist auf der Leinwand ein einfacher und liebenswerter Mann und im hohen Alter auf der Leinwand immer menschlicher geworden.
Mit viel Gefühl zum Leben
Neben den vielen wundervoll, von Regisseur Ryan Coogler erdachten, Szenen ist mir vor allem die im Kopf geblieben, als Rocky an einem trüben Herbsttag einen Friedhofsbesuch macht. Er greift routiniert in einen alten Baum und holt einen Klappstuhl hervor, geht zum Grabstein seines alten Freundes Paulie und legt eine Rose auf den Grabstein seiner Frau Adrian. Er redet gleich drauflos, was ihm passiert ist, welche Gedanken durch seinen Kopf gehen, setzt sich auf den Stuhl und holt die Zeitung raus als ob er mit seinen beiden Lebensbegleitern am Frühstückstisch sitzt. Es gibt viele solch stimmungsvoll inszenierte Momente, die uns die Hauptfiguren menschlich und emotional näherbringen. Die Spannung in den Boxkämpfen ist auf heutige Sehgewohnheiten realitätsnah angepasst und es gibt keine gestellten Schlagabtausche wie bei den alten Rocky-Teilen, hier ist Boxwissen am Werk. Gekrönt wird das von einer bewegungsreichen Kamera, die nie den Überblick verliert. Es gibt sogar eine Boxrunde, die ohne Filmschnitt stattfindet, so dass wir den beiden Athleten direkt in über die Schulter schauen.
Fazit
Zum Ende des Films und dem finalen Boxkampf fühlt man CREED dann doch die 2,5 Stunden Länge an. Das liegt aber vor allem daran, dass die Protagonisten bereits ihre Kämpfe geschlagen haben und ein eventueller Weltmeistertitel nur ein Bonus wäre. Die Gemeinschaft um Donnie ist an ihren Problemen und Hindernissen gewachsen. Man könnte sagen: Der Weg ist das Ziel, aber bei CREED sind es die Menschen, die zusammen einen leichteren Weg haben als allein.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter