„Die eigene Vergangenheit“
Endlich steht er auf eigenen Füßen. Adonis Creed schüttelt mit CREED III sämtliche Altlasten und Einflüsse von Mentorentrainer Rocky Balboa ab. Nach zwei Filmen, in denen Michael B. Jordan das Rampenlicht auch immer mit Sylvester Stallone teilen musste, ist CREED III eine reine Boxergeschichte über den Sohn des fiktiven Champions Apollo Creed. Lediglich der deutsche Filmverleih hat davon noch nichts mitbekommen und fügt dem Titel noch die Zeilen „Rocky’s Legacy“ an. Sylvester Stallone ist jetzt nur noch als Name bei den Produzenten zu lesen, und das lässt den Boxerfilm nicht nur seinen eigenen Stil und persönliche Aussage finden, sondern rückt Talente in den Vordergrund, die vorher nicht zu sehen waren, vor allem das Regietalent von Michael B. Jordan.
Handlung
Adonis Creed (Michael B. Jordan) ist an der Spitze im Schwergewicht-Profiboxen angekommen. Drei Titel hält er, nachdem er Ricky Conlan (Tony Belley) endgültig auf die Bretter geschickt hat. Das eigene Boxstudio floriert, auch dank seiner Neuentdeckung (Teófimo López) und Trainer Duke (Wood Harris). Ehefrau Bianca (Tessa Thompson) lebt ihre Musikkarriere im heimischen Tonstudio aus und die Tochter lässt sich von gemeinen Mitschülerinnen nicht unterkriegen. Doch Donnies Vergangenheit holt ihn ein. Bereits nachdem ihn Stiefmutter Mary Ann Creed (Phylicia Rashad) in jungen Jahren aus den Fängen der Jugendvollzugsanstalt geholt hat, zog es ihn mit seinem Kumpel Damian in die dunklen Ecken des Jugendboxsport von Los Angeles. Viele Jahre später steht Damian Anderson (Jonathan Majors) wieder vor Adonis und fordert die Karriere ein, die ihm vor seiner Gefängnisstrafe quasi vor den Füßen lag. Jetzt heißt es für Creed: Titel oder Freundschaft? Aber vielleicht gibt es noch ganz andere offene Konflikte zu klären?
Own Legacy
Nachdem sich Adonis in CREED (2015) und CREED II (2018) nicht nur mit dem Erbe seines Vaters auseinandersetzen musste, sondern auch dem von Rocky Balboa, ist es jetzt an der Zeit seine eigenen Dämonen zu bekämpfen. Einer davon erscheint mit einem freundlichen Grinsen und treuen Augen in Form von Damian „Dame“ Anderson. Trotz des Altersunterschieds sind beide in Freundschaft aufgewachsen, der eine wurde aus dem Jugendgefängnis befreit und ist auf ein weiches Millionärskissen gefallen, der andere wurde hinter Gittern vergessen und die Schlüssel wurden weggeworfen. Trainiert haben sie beide und jeder hat seinen individuellen Stil. Dass nun gerade Damian beim Boxen das Regelwerk brutaler interpretiert, ist nicht gerade vorurteilsfrei, aber ein „böser“ Gegner muss eben Schlechtes tun. Das ist zum Glück im finalen Kampf vergessen.
Wo sich sonstige Boxerfilme eher mit dem Verhältnis von Trainer und Schüler (MILLION DOLLAR BABY) hervorheben oder der Sportler sich selbst hinterfragt (SOUTHPAW), geht CREED III einen anderen Weg. Es ist der Kampf von Donnie gegen sein dunkles Ich und die Last, als Kind etwas getan zu haben, was er sich selbst nicht vergeben kann. Die Freundschaft zwischen beiden ist allerdings nicht frei von Misstrauen, bevor sie endgültig zu Gegnern werden. Creed ist nicht mehr der Underdog. Jetzt ist er Titelverteidiger und Millionär, lebt im Luxus, hat beste Trainingsbedingungen und trägt den „Monkey Suit“ eines Businessmans, wobei die Statussymbole auch Kritiker wecken. Damian hingegen hat nicht einmal ansatzweise seine Traumata verarbeitet, trainiert am Strand, lebt in einem heruntergekommenen Zimmer und nimmt nicht einmal Almosen an. Wenn man es herunterbricht, ist es eine Geschichte über eine Männerfreundschaft, die zerbricht und mit einer Schlägerei ihr martialisches Ende findet. Aber es gelingt Regisseur Jordan und den Drehbuchautoren (Keenan Coogler, Zach Baylin und Ryan Coogler) dies geschickt zu verstecken und zwar hinter jeder Menge Emotionen und guter Dialoge.
Emotionen vs. Boxen
Beim Kontaktsport geht es um etwas. Für die meisten ist es unverständlich, sich über 12 Runden mit jemanden zu schlagen – was besonders ein Kampf in der Mitte des Films blutig deutlich betont. Es wirkt schon scheinheilig, wenn die Zuschauer auf einmal pikiert wegsehen, wenn die Härte zunimmt und die ersten Wunden in den Gesichtern bersten. Neben dem offensichtlichen Profiboxer-Einkommen muss man es wollen, das Training, die Schmerzen, die Niederlagen. Emotionen sind im Boxsport nicht wegzudenken, der eine kämpft mit Wut aggressiv gegen seinen Gegner und ein anderer kämpft gegen sich selbst. Beide Aspekte verbindet CREED III geschickt in beiden Athleten.
Sicher mag mancher bei den ruhigen Familiengesprächen die Augen verdrehen und über den sparsamen Einsatz der Kämpfe müde gähnen. Aber dafür haben es die inszenierten Fights in sich. Vergessen sind die Boxrunden von ROCKY aus den 70ern, in denen man deutlich die Maskerade erkennt. Jetzt ist man in Zeitlupe dabei, wie ein Faustschlag im Gesicht detoniert, die Anatomie verändert und der Schweiß abperlt. Aber auch boxtechnisch gibt es was zu sehen. Strategien werden verdeutlicht, Techniken thematisiert und individuelle Stile geprägt. Damians horizontaler Block ist unüblich und Creeds Kombinationen prasseln wie ein Trommelwirbel. Es mag vielleicht nicht ganz an die erste Runde im Finale von CREED (2015) heranreichen, die ohne sichtbaren Schnitt auskommt. Aber die Optik in CREED III ist wesentlich cineastischer und kehrt sich ab von der Sportübertragungsästhetik der Vorgängerfilme. Im Finale geht Regisseur Jordan sogar noch einen mutigen, kreativen Schritt weiter und bringt die Schlägerei auf eine symbolische Ebene. Das sollte man nicht verpassen.
Der Neue in der Stadt
Man kommt nicht daran vorbei, ein paar Zeilen über Jonathan Majors als Damian zu verlieren. Die gute schauspielerische Basisarbeit Majors (z. Bsp. HOSTILES, THE LAST BLACK MAN IN SAN FRNACISCO) hat Früchte getragen und ihm die Türen für die großen Produktionen geöffnet. Er wirkt wie ein frischer Sonderling im höheren Alter. Offensichtlich mit Freude am Spiel und an verschiedenen Rollen, bekommt er vor allem die Charaktere, die selten gänzlich ihre Absichten zeigen. Auf den ersten Blick freundlich und herzlich, kann er schnell umschlagen und zu einem diabolischen Gegner werden. Hinzukommt, dass er besonders die eigene Physis – da schenken sich Jordan und Majors in CREED III nichts – ins Spiel bringt. Aktuell wird Jonathan Majors in der Multiverse Saga im MCU als Oberschurke Kang etabliert (erste Auftritt in ANT-MAN 3) und ebenfalls 2023 erscheint er im Bodybuilder-Drama MAGAZIN DREAMS. Während sich zum Beispiel Christian Bale in seiner Karriere immer wieder hoch und runter trainierte, scheint Majors alles in Bestform mit einmal machen zu wollen. Mit etwas Glück bei zukünftigen Drehbüchern wird ihm eine starke Filmografie bevorstehen.
Fazit
Mit CREED III hat sich Hauptdarsteller Michael B. Jordan, auch dank seines Regiepostens, eine Unabhängigkeit erarbeitet, die man in jeder Einstellung auch inhaltlich erkennt. Endlich bekommt er seine eigene „Legacy“, von der zuvor immer nur geredet wird. Stallone macht den Ring frei und es ist eine wahre Freude, zu sehen, was nun im Rampenlicht auf der Leinwand erstrahlt.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter