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Crazies – 3x Romero & Review des Mediabooks

Die Filme von George A. Romero graben tief im sozialen Morast der (westlichen) Gesellschaft. Sie legen den Nerv frei für das blanke Grauen – für das die Menschen selbst verantwortlich sind. Im Interview mit Guillermo del Toro kurz vor seinem Tod (2017) wird Romero vom Mexikaner treffend als Linker bezeichnet, dessen Filme wie ein politischer Spiegel funktionierten (und dies noch heute tun). Romeros Kino ist, wie Marcus Stiglegger im Booklet ganz richtig formuliert, „politische Agitation im Gewand des Genrefilms“, gegen konservative Regimes, gegen eine totalitäre Politik, die „keine Missstände gebrauchen“ kann.

© Capelight Pictures

2017 erschien via Arrow Video in England ein eindrucksvolles 3-Film-Boxset, das international eine im Heimkino oft übersehene Lücke von Romeros Schaffen schloss. Durch Romeros Tod geriet sie unfreiwillig und kurzfristig zur Post-Mortem-Veröffentlichung; die Filme waren/sind entsprechend Bekanntheitsgrad und Veröffentlichungsjahr absteigend: THE CRAZIES (1973), SEASON OF THE WITCH (1972) und THERE’S ALWAYS VANILLA (1971). Nun hat sich capelight pictures hierzulande dieses Contents angenommen, ihn für den heimischen Mediabook-Markt relativ günstig (ca. 30 Euro) und kompakt veröffentlicht. Während sich die englische Original-Variante stärker auf Romeros Persönlichkeit (ikonische Grafik auf dem Cover der Box) sowie die bestimmte Phase dieser drei Filme fokussierte, die bezeichnenderweise „Between Night and Dawn“ (so der Box-Titel), also zwischen Romeros beiden berühmtesten Zombie-Filmen entstanden, wird die Kollektion hierzulande primär als „CRAZIES-Mediabook“ mit üppig Bonus vermarktet.

© Capelight Pictures

THE CRAZIES

Wie? Keine Zeilen zum Hauptfilm? Checkt mal hier nach Eurer spannenden Flux-Lektüre den ersten Teil des Apokalypse-Podcasts, den ich zusammen mit Sebastian Seidler und Marcus Stiglegger (auch Booklet-Autor dieser Edition) bei Projektionen – Kinogespräche eingesprochen habe und wo wir uns ausgiebig auch mit CRAZIES beschäftigen; eine vorherige, am besten komplett unvoreingenommene, Sichtung des Films sei dringend empfohlen.

 

 

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SEASON OF THE WITCH (1972)

Im englischen Audiokommentar von Travis Crawford wird SEASON OF THE WITCH als Romeros „am meisten unterschätzter Film“ bezeichnet. Der Film handelt von der Ehefrau Joan Mitchell (Jan White), die ein relativ verlorenes Dasein führt, also trotz der materiellen Absicherung und scheinbar soliden Ehe mit ihrem Mann Jack (Bill Thunhurst) keine Erfüllung findet. Dies äußert sich verstärkt in abschweifenden Gedanken, Selbstzweifeln und auch heftigen Alpträumen in der Nacht.

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Eine virtuose Nightmare-Sequenz beginnt als Home Invasion-Szenario mit starken stilistischen Anleihen an den Giallo; wenn dann der potenzielle Killer noch eine Hexen-Maske aus Gummi trägt, verwundert die Verwechslungsgefahr zum zehn Jahre später veröffentlichten HALLOWEEN III – SEASON OF THE WITCH (1982) gar nicht mehr so sehr. Doch Romeros Film ist kein Horror-Schocker, als vielmehr düsteres Drama, gespickt mit okkulten Elementen. Joan Mitchell wird uns über den Film hinweg als Vertreterin der weißen Mittelschicht präsentiert, die ihre Erfüllung nur in der eigenen, bitteren Einkehr finden kann. Gemeinsam mit anderen Frauen gibt sie sich einem modernen Hexenkult hin, präpariert und exerziert Rituale und „verhext“ sogar den Lehrer/Liebhaber ihrer Tochter (die seltsamerweise an irgendeinem Punkt gänzlich aus dem Film verschwindet). Der Schluss ist übrigens nochmal ein Knaller, düster, auch schockierend. Insgesamt wirkt der Film – jedenfalls in der Kinofassung, die ich bewusst für die Rezension geschaut habe – etwas inkohärent und verkappt. Vier starke Sequenzen (Beginn, zweimal Mitte, Schluss) halten den Film wie vier solide Eckpfeiler zusammen. Daher: durchaus sehenswert.

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Der Film liegt in zwei Schnittfassungen vor, dem Extended Cut mit 104 Minuten, der wohl Romeros Vision am ehesten entspricht sowie der Kinofassung (90 Minuten), die im englischsprachigen Raum als „HUNGRY WIVES version“ gehandelt wird. HUNGRY WIVES ist tatsächlich ein irreführender und unpassender Titel, leider wurde der Film damals in seiner gekürzten Form auch als Sexploitation vermarktet (siehe Originalplakat), ein alternativer Titel korrigierte diesen Missstand wenig später zumindest etwas in Richtung der relevanten Handlung: JACK’S WIFE.

THERE’S ALWAYS VANILLA (1971)

Der abseitigste und wohl am schwersten zugängliche Film der Kollektion ist Romeros Versuch, nach NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) eine überzeugende filmische Variation der im Herzen erschütterten US-Gesellschaft zu schaffen, die vielleicht sogar am direktesten mit dem alltäglichen Leben gemein hat, als in all seinen anderen Filmen. Eine romantische Komödie mit bitterem Kern: gleichsam leichtfüßig und mitreißend sollte THERE’S ALWAYS VANILLA wohl rüberkommen, letzteres trifft aber leider nicht mehr zu, da sich die Form entlang des Narrativs verliert (nach Aussagen von Beteiligten im halbstündigen Making-of v. a. durch die problematische Produktion). Dabei ist viel Potenzial zu erkennen: ein Kriegsheimkehrer auf Selbstfindungstrip (Ray Laine aus SEASON OF THE WITCH) als fester Bestandteil von Romeros filmischer Vietnam-Aufarbeitung, eine problematische Liebe voller Emotionen und Komplikationen (einschließlich Abtreibungs-Thema), allgemein die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, wobei immer spürbar ist, dass diese im Inneren kaputt ist. Der Titel THERE’S ALWAYS VANILLA referiert auf das Süße im Leben: dass trotz widriger Umstände die Liebe, das (neue) Glück einen Weg findet.

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Romero selbst bezeichnete den Film als seinen schwächsten, da misslungen und distanzierte sich von der veröffentlichten Version. Doch man sollte als Zuschauer, so meine Empfehlung, sich hier ganz bestimmt sein eigenes Bild machen, den Film möglichst unbeeinflusst auf sich wirken lassen. Wie schon geschrieben: Potenzial ist genug vorhanden, interessante Bezüge auf Romeros Gesamtwerk gegeben. Zumindest in der deutschen Veröffentlichung droht THERE’S ALWAYS VANILLA am stärksten mit unterzugehen – obwohl der Film wie die anderen beiden auch auf toll restaurierter Double-Layer Blu-ray-Disc (BD50) vorliegt.

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Das Mediabook von capelight pictures

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. . .übernimmt sämtliche Inhalte der „Between Night and Dawn“-Box von Arrow Video, wobei man das Fehlen der 3 inhaltsgleichen DVDs der englischen Version (Dual Format-Edition) wohl mittlerweile vernachlässigen kann. Blu-ray ist schon lange das Standard-Format für den Heimkinomarkt (oder sollte es zumindest sein), und DVD-Dubletten erscheinen unnötig, sofern sie keine Extra-Inhalte bieten. Ich schreibe dies übrigens bewusst, auch wenn die DVD nach wie vor das am meisten gekaufte Heimmedium für Film ist, was aber eher über das Konsumenten-Bewusstsein von Qualitätsstandards nachdenken lässt als Marktkonformität zu hinterfragen (capelight ist nun schon länger unter den Top-Sellern für Film im deutschsprachigen Markt). Die Filme kommen wie erwähnt toll restauriert via Arrow nach Deutschland, deutschen Ton gibt es lediglich für den „Hauptfilm“, CRAZIES. SEASON OF THE WITCH und THERE’S ALWAYS VANILLA kommen im englischen Original mit Untertitel (Untertitel für alle 3 Filme: deutsch, englisch).

Deutsch untertitelt wurden auch folgende Featurettes:

  • „Romero was here“ (Disc 1: CRAZIES) – 12-minütige Location-Featurette über den Drehort Evans City (nähe Pittsburgh, Pennsylvania); kurz, kompakt und sehenswert mit interessanten bis heroischen Statements („Romero begründete die US-Independentfilm-Industrie 1968 fast im Alleingang“) sowie schönen Bildvergleichen der Drehorte heute und damals im Film (Filme: NIGHT OF THE LIVING DEAD, CRAZIES); auch ein verkappter Werbefilm für das Living Dead Museum & Gift Shop dort vor Ort, wobei zumindest auch ein, zwei relativierende Statements eingeschoben werden, etwa: „Die Einheimischen halten nicht viel von dem Film [NIGHT OF THE LIVING DEAD], weil er ja auch auf dem Friedhof spielt, wo ihre Familien begraben sind. Sie wollen natürlich nicht, dass er in irgendeiner Weise entehrt wird.“
  • „Crazy for Lynn Lowry“ (2017) + „Lynn Lowry – The Mute Hippie Girl on Acid with Rabies“ (2008) – 16- bzw. 46-minütiges Interview mit Lynn Lowry, produziert von Arrow Video bzw. Anolis Films mit zum Teil sehr ähnlichen Statements; ob hier insgesamt eine ganze Stunde Interview-Material aus zwei Quellen aber mit nur einer (Neben-)Darstellerin zielführend ist, muss jeder für sich selbst entscheiden
  • 8-mm-Behind-the-Scenes-Aufnahmen zu CRAZIES (ca. 6 Minuten) mit untertiteltem Voice-Over von Romero-Filmhistoriker Lawrence Devicentz, der auch in der zuvor genannten Location-Featurette „Romero was here“ zu hören und sehen war; nettes Zusatzmaterial für Archiv-Liebhaber und Komplettisten
  • „When Romero met del Toro“ (Disc 2: SEASON OF THE WITCH) – ein ausführliches, knapp einstündiges Gespräch zwischen Guillermo del Toro und Romero, wo del Toro sehr freundschaftlich und persönlich gemeinsam mit dem alten (und kranken) Romero dessen Karriere Revue passieren lässt; Fokus liegt jedoch eher auf dessen berühmten Zombie-Filmen und deren soziopolitische Inhalte/Statements; das Gespräch ist nur bedingt ergiebig, wenngleich sich del Toro einmal mehr als wahrer (Film-)Freund und super-sympathischer Gentleman erweist
  • „Affair of the Heart“ (Disc 3: THERE’S ALWAYS VANILLA) – gut 30-minütige Dokumentation über die problematischen Produktionsbedingungen dieses fast vergessenen Films; filmhistorisch sehr relevant, mit interessanten Einblicken und Perspektiven; wertvolles Feature mit mehreren Beteiligten, das trotz seiner späten Position in dieser Auflistung nicht verpasst werden sollte

NICHT untertitelt wurden die englischen Audiokommentare von Travis Crawford zu allen drei Filmen (ersterer, zu CRAZIES, zusammen mit Podcaster Bill Ackermann) sowie der zusätzliche, ebenfalls englische Audiokommentar mit Lynn Lowry und Thomas Kerpen (Anolis). Unabhängig davon, dass ich selbst im Englischen ein sehr erprobter Zuhörer, Leser und Sprecher bin, wirken Crawfords Audiokommentare zu dicht gepackt, schnell gesprochen und thematisch arg oszillierend (wenig Szenenanalyse, viel Hintergrund/Entstehungsgeschichte/Biografien). Es ist mir schleierhaft, warum all diese englischen AKs zwar lizensiert, aber eben nicht untertitelt wurden. Scheinbar packt man diese als Lizenzpaket mit drauf, geht wohl aber gar nicht davon aus, dass sie für hiesige Kundschaft potenziell interessant sein könnten. Schade.

© Capelight Pictures

Ebenso rätselhaft, um nicht zu sagen „crazy“, erscheint die völlige Abwesenheit (auf der Außenhaut des Produkts) eines populären Namens der deutschsprachigen Filmwissenschaft, der schon zahlreiche wichtige – auch hier – Heimkinoveröffentlichungen mit seiner Expertise betreut hat. Das Booklet des Mediabooks stammt von Prof. Dr. Marcus Stiglegger, der Romeros Seuchenfilm explizit und auf den Punkt bespricht und für die deutschsprachige (lesende) Kundschaft aufbereitet. Seine geschriebenen Worte sind wie immer klar und verständlich, der Inhalt tiefgründig und inspirierend. So ordnet er CRAZIES als lange vernachlässigtes Verbindungsstück zwischen Romeros populäreren Seuchenfilmen, den Zombiefilmen ein. Er thematisiert dabei den Voodoo-Kult, der für das Verständnis von Zombie-Filmen unumgänglich ist, reflektiert Romeros filmische (Post-)Apokalypsen als Spiegel einer maroden US-Gesellschaft (damals wie auch später/heute) und wählt gezielt Schlüsselsequenzen aus CRAZIES, um seine Thesen wunderbar zu veranschaulichen.

Da diese Kollektion ja augenscheinlich als CRAZIES-Mediabook (mit „Bonusfilmen“) vermarktet wird, erscheint es auch nur konsequent, dass sich das Booklet inhaltlich auf CRAZIES konzentriert. Ein solches Booklet bietet für einige Käufer einen absoluten Mehrwert – gerade zur englischen Version. Ein solches, auch inhaltlich wichtiges Charakteristikum namenlos und lediglich mit „Booklet“ oder „24-seitiges Booklet“ [mit Bildern] zu „bewerben“, fällt eigentlich unter Selbstzensur. Daher hier die ausdrückliche Intervention: gerade auch wegen dem hochqualitativen Booklet eine klare Empfehlung! Der konsequente nächste Schritt – neben der fälligen Untertitelung der bisherigen Audiokommentare – wäre dann hier noch ein deutscher Audiokommentar durch den Autor gewesen, so wie es Stiglegger ja regelmäßig macht (zuletzt eindrucksvoll für Gaspar Noés IRREVERSIBEL auf der Doppel-Blu-ray).

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Fazit

Wenn man weiß, was einem hier alles im Detail geboten wird – wir hofften, wir konnten unseren Beitrag dazu leisten – dann ist diese 3-Film-Edition von zum Teil weniger bekannten Filmen von „Zombie-Meister“ George A. Romero als absoluter Pflichtkauf zu sehen. Eine breite Lücke wird in Gewand eines schmalen G1-Mediabooks geschlossen. Nach der längst vergriffenen englischen Box von Arrow bietet sich hier für relativ günstiges Geld eine willkommene Anschaffung für deutschsprachige Sammler. Beeindruckende Bild- und Tonqualität, viel Bonus, gute, aber nicht vollständige deutsche Untertitelung sowie ein hervorragendes Booklet lassen uns hierfür 4,5 von 5 möglichen Flux-Punkten geben. Einen passenderen Film als CRAZIES findet man während der Pandemie sowieso nicht.

© Stefan Jung

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