„Von Fiktion zur Realität“
Erschreckend, wenn eine düstere Filmvision die Menschheit einholt. Keiner hätte im Jahr 2011 ahnen können, wie nah Steven Soderbergh mit seinem düsteren Virenkrimi an die Realität von 2020 heranreichte. Eigentlich freue ich mich immer einen Film zum ersten Mal im Kino zu sehen, aber bei CONTAGION war ich froh in meinem abgeschotteten Zuhause zu sein. Wenn spätestens zum Abspann nur einer im Kinosaal gehustet hätte, wäre ich sicherlich kreischend aus dem Saal gerannt. Ich schätze die Filme von Sonderberg sehr: Eine Handvoll Top-Schauspieler zeigen, in einem fokussierten Drehbuch mit einem moralischen Wink auf unserer Gesellschaft, was sie können.
Soderbergh ist meist sein eigener Kamera- und Schnittmeister, deswegen habe ich immer das Gefühl eine möglichst reine Version des belesenen und minimalistischen Regisseurs zu sehen. Aber mit CONTAGION hatte mich Soderbergh vor ein paar Jahren kalt erwischt, so eine Art des cineastischen Weltuntergangs hatte ich noch nie gesehen. Als 2020 die Nachrichten über den Covid-19-Virus immer einprägsamer wurden, Ausgangssperren verhängt wurden und der Virus begann auf dem Rücken der Globalisierung durch die Welt zu reisen, fiel mir sofort CONTAGION wieder ein. Und nun sitzen wir hier, fragen uns, wie nah wir an dieser Version dran waren oder ob sie uns vielleicht noch bevorsteht. Es wird Zeit, sich noch einmal mit dem HN-1-Virus von 2011 zu befassen. Wir reisen nach China, wo auch unser realer Virus seinen Ursprung fand.
Handlung
Wir treffen auf die Geschäftsreisende Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow), die aus China nach Minnesota zurückkehrt. Sie fühlt sich nicht gut, denkt unter einem Jetlag zu leiden und bleibt mit Husten und Fieber zu Hause bei Ehemann Mitch (Matt Damon) und Sohn. Währenddessen lernen wir international weitere Einzelpersonen kennen, die ebenfalls unter einer schweren Grippe leiden. Die WHO (World Health Organization) wird auf das Auftreten sogenannter Cluster aufmerksam. Das Department of Homeland Security mit Dr. Ellis Cheever (Laurence Fishburne) schickt Dr. Leonora Orantes (Marion Cotillard) nach China, um den Ursprung der Krankheit zurückzuverfolgen. Währenddessen versuchen Virologen weltweit die Art des Virus zu bestimmen. Die Keimzellen haben sich aber bereits großflächig in und um Minnesota, China, Tokyo und London ausgebreitet. In kürzester Zeit sterben die Erkrankten an Enzephalitis, einer Entzündung des Gehirns. Dr. Erin Mears (Kate Winslet) wird nach Minneapolis entsendet, um die Stadt auf die kommende Infektionswelle vorzubereiten. Parallel zur Nachrichtenberichterstattung, macht der für seine Verschwörungstheorien bekannte Blogger, Alan Krumwieder (Jude Law), für ein homöopathisches Mittel namens Forsythia Werbung. Die Pandemie wird alle Vorbereitungen noch zu Nichte machen und das Leben jeder Person vehement einschränken.
Die Inszenierung
Es ist noch nicht einmal das erste Bild zu erkennen und wir hören schon das erste Husten. Der Flugplatz als Umschlagplatz von international Reisenden, Patientin Zero mittendrin und sie knabbert aus der Erdnussschale an der Bar. Aber das wissen wir alles noch nicht, zuerst lauschen wir der Affäre am Telefon. Beziehungsdramen sind realer als ein Killervirus, noch. In schnellen Schnitten ist die Kamera bei Menschen in engen urbanen Räumen, im Hintergrund treibt der elektronische Beat mit Klavier als melodische Grundfrequenz von Filmkomponist Cliff Martinez. Diesen ersten humanen Inkubatoren geht es offensichtlich nicht gut, sie leiden unter Husten und strahlen eine fiebrige Hitze aus. Die Aufmerksamkeit fällt auf die vielen Menschen im Umfeld und was die Überträger mit ihren Händen alles anfassen. Die Angst vor Ansteckung ist gesät. Es wird uns aber kaum Zeit gelassen, das kulturelle Leben anderer zu betrachten oder noch schnell die Fernbedienung zu desinfizieren, die Ereignisse überschlagen sich.
Was die Inszenierung von Steven Soderbergh so nahbar macht, sind die Menschen, die mit hochkarätigen Schauspielern besetzt sind. Bereits innerhalb der ersten 15 Minuten stirbt schon ein vertrautes, prominentes Gesicht und der Virus macht auch vor Kindern nicht halt. Kinder und Frauen zuerst. So eine Katastrophe trifft zuerst die Menschen und nicht die übermächtigen Entscheidungsträger in irgendwelchen Bunkern, wie es so oft in Katastrophenfilmen gezeigt wird. Auch Nachrichtenzusammenschnitte werden nur punktuell gezeigt. Es gibt keine Wissenschaftler, die schon vor Jahren gewusst haben, was passieren wird und in irgendeinem kleinen Büro ihren Verschwörungstheorien nachgehen. In CONTAGION sind es Experten auf ihrem Gebiet, die routiniert in den Anfangsstadien arbeiten. „Wie war dein Thanksgiving-Wochenende?“ und ab in den Sicherheitsanzug. Dass auch sie nur Menschen sind, zeigt sich in ihrer Angst um ihre Liebsten, da werden auch Staatsgeheimnisse ausgeplaudert und selbst Virologen können sich anstecken.
Damit wir als Zuschauer einen sicheren Ausgangspunkt haben, ist Mitch (Matt Damon) immun gegen den Erreger. Er ist unser Safe Haven, kann die Außenwelt ungeschützt besuchen und sich in Supermärkten um das letzte bisschen Essen streiten. Aber seine Figur ist nicht der Outlaw, der bereits aufgegeben hat und durch die chaotischen Straßen streift. Er hat eine Tochter zu beschützen. Trotz der Möglichkeit, dass sie vielleicht immun ist, geht er kein Risiko ein und stellt sie unter Hausquarantäne. Die Tochter steckt auch noch mitten in der ersten großen Liebe und dreht selbst in einem geräumigen Haus schnell durch. Hier denkt man an die jungen Menschen während der Corona-Pandemie, die dachten, dass sie der Virus nicht umbringen kann. Man kann es ihnen nicht verübeln, denn in der Jugend ist man unsterblich, der Tod ist noch Jahrzehnte entfernt.
Zu einem Krimi entwickelt sich CONTAGION mit der Suche nach Patient 0, der- oder diejenige, die als erstes den Kombinations-Grippevirus aus Fledermaus und Hausschwein aufgenommen und verbreitet hat. Die Suche von Dr. Leonora Orantes (Marion Cotillard) endet abrupt, als sie von chinesischen Dorfbewohnern entführt wird. Falls ein Impfstoff entwickelt wird, bringt ihr Lösegeld die Ärmsten der Welt „ein paar Plätze in der Warteschlange weiter nach vorn“. So wird innerhalb weniger Einstellungen aus einem Krimi ein gesellschaftspolitisches Statement. Steven Soderbergh hat ein Händchen für diese fließenden Übergänge, eben noch Fiktion und schon ein Kommentar zur aktuellen Lage.
Vor allem die Kritik am Gesundheitssystem ist einer seiner leidenschaftlichsten Proteste, wie in SIDE EFFECTS, UNSANE oder der Serie THE KNICK zu sehen ist. Aber alles ohne hysterischen Fingerzeig, stets mit Fakten für ein parasitäres System im Hintergrund. Wer ein hohes Wissen an bekannten Katastrophenfilmen mitbringt, für den ist CONTAGION allein deswegen spannend, weil er sich sämtlichen Genreregeln und Klischees eben nicht unterwirft. Der Film geht beängstigend analytisch durch die Krise. Man merkt, dass Drehbuchautor Scott Z. Burns (THE REPORT, VOR UNS DAS MEER) sich für die Recherche Spezialisten vom Fach hinzugezogen hat. Wie auf Schienen rast diese Zukunftsvision auf ihr Ende zu und wir im Heute werden Zeuge davon, wie schnell Film zur Realität werden kann, wenn er auf gut recherchierten Fakten beruht.
Fazit
Selbst wenn man den aktuellen Covid-19-Virus unberücksichtigt lassen würde, ist CONTAGION immer noch einer der spannendsten und eindringlichsten Katastrophenfilme der letzten Jahre. Wie eine gut recherchierte Reportage wird uns die Nebenwirkung der Globalisierung vor Augen geführt. Die letzte Szene im Film und Erklärung, wie der Virus in den menschlichen Organismus gekommen ist, spricht Bände. Zu Zeiten der Kolonialisierung wurden noch Ratten beschuldigt, Krankheiten in fremde Ökosysteme einzuschleusen, aber im 21. Jahrhundert sind es längst wir Menschen geworden, die der Natur weiter ihren Lebensraum stehlen und die Konsequenzen verbreiten.
Titel, Cast und Crew | Contagion (2011) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 20.10.2011 seit dem 24.02.2012 auf Blu-ray und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Steven Soderbergh |
Trailer | |
Besetzung | Gwyneth Paltrow (Beth Emhoff) Tien You Chui (Li Fai) Josie Ho (Li Fai's Schwester) Daria Strokous (Irina) Matt Damon (Mitch Emhoff) Griffin Kane (Clark Morrow) Laurence Fishburne (Dr. Ellis Cheever) John Hawkes (Roger) Jude Law (Alan Krumwiede) Monique Gabriela Curnen (Lorraine Vasquez) Marion Cotillard (Dr. Leonora Orantes) Armin Rohde (Damian Leopold) Kate Winslet (Dr. Erin Mears) Larry Clarke (Dave) Anna Jacoby-Heron (Jory Emhoff) Jennifer Ehle (Dr. Ally Hextall) Demetri Martin (Dr. David Eisenberg) Elliott Gould (Dr. Ian Sussman) Enrico Colantoni (Dennis French) Bryan Cranston (RADM Lyle Haggerty) |
Drehbuch | Scott Z. Burns |
Kamera | Steven Soderbergh als Peter Andrews |
Filmmusik | Cliff Martinez |
Schnitt | Stephen Mirrione |
Filmlänge | 106 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter