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Coma (2019) – Filmkritik

In den letzten Jahren ist eine neue Dynamik in die russische Filmbranche gekommen. Gerade die Science-Fiction hat in diesem Land – damals noch Sowjetunion – eine lange Tradition und hat so manchen Klassiker hervorgebracht, egal ob nun als Roman oder Film. Autoren wie das Brüderpaar Arkadi und Boris Strugazki, Stanislaw Lem, Alexej Tolstoi oder Filme wie DIE KOSMISCHE REISE (KOSMICESKIJ REIS, 1936), BEGEGNUNG IM ALL (MECHTE NAVSTRECHU, 1963), SOLARIS (SOLYARIS, 1972), STALKER (1979) und BRIEFE EINES TOTEN MANNES (PISMA MYORTVOGO CHELOVEKA, 1986) um nur ein paar zu nennen, setzten weltweit Maßstäbe. Seit einigen Jahren schon drängen vermehrt russische Produktionen auf den Filmmarkt. Schön zu sehen, dass es abseits der allmächtigen Hollywoodstudios auch noch Leben gibt und jenseits von STAR WARS & Co. das Genre mit frischem kreativem Blut versorgt wird. Nach den eher mäßigen SURVIVAL GAME (2016), GUARDIANS OF THE NIGHT – THE VAMPIRE WAR (NOCHNYE STRAZHI, 2016), GUARDIANS (ZASHCHITNIKI, 2017), sowie dem durchschnittlichen ATTRACTION (PRITYAZHENIE, 2017) und seiner schwachen Fortsetzung ATTRACTION 2 – INVASION (VTORZHENIE, 2020) folgt nun COMA. Diverse Trailer der letzten Monate machten uns mit spektakulären Bildern immer wieder neugierig. Bilder, die den geneigten Zuschauer sofort an Christopher Nolans umwerfenden INCEPTION (2010) denken lassen.

© Capelight Pictures

Eine Info vorweg, um alle Verwirrungen zu beseitigen: Ja, es gibt eine US-Produktion mit dem gleichen Titel aus dem Jahre 1978. Dabei handelt es sich um Michael Crichtons COMA, der jedoch rein gar nichts mit dieser russischen Produktion zu tun. Bei Crichtons Medizin-Thriller drehte sich alles um den illegalen Organhandel.

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Handlung

Nach einem schweren Autounfall wacht der junge Architekt Viktor (Rinal Mukhametov) in seinem Apartment auf. Doch schon nach wenigen Minuten wird klar, dass es nur eine Kopie dessen ist. Viktor befindet sich in einer unbekannten Dimension aus Erinnerungen und Träumen, die sich ständig verändert und neu formt, einer Welt geschaffen von Komapatienten. Physikalische Gesetze gelten hier nicht, diese Welt hat ihre eigenen Regeln. Auf seiner Suche nach einem Ausgang trifft er auf eine Gruppe Partisanen, angeführt von dem aggressiven Phantom (Anton Pampushnyy), die ihn gleich darüber aufklären, dass es auch hier Gefahren für Leib und Leben gibt. Mächtige Schattenwesen, sogenannte Reaper, machen gnadenlose Jagd auf alles Menschliche.

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Die russische MATRIX

Die ersten Minuten in dieser verrückten Dimension, in der sich Fantasie, Erinnerungen und Träume vermischen, ist wirklich spektakulär, ebenso das Erscheinen eines Reapers. Allerdings wird auch sofort deutlich, dass es sich nur um durchschnittlich gut gerenderte Computerbilder handelt. Im Gegensatz zum erwähnten Hochglanz-Spektakel INCEPTION, das großen Wert auf real wirkende CGI-Bilder legte, fällt hier die russische Produktion etwas ab. Wenn dann die erste Überraschung und Begeisterung abebbt, tritt auch sehr schnell Ernüchterung ein. Denn wie schon bei vorherigen russischen Produktionen der letzten Jahre, wird sehr schnell deutlich, dass wir es mit einem wilden Durcheinander an bekannten Mustern, Storys und Charakteren bekannter Hollywood-Produktionen zu tun haben. Bestes Beispiel: Wenn der Neuankömmling Viktor das Lager des Widerstandes erreicht und gleich als Auserwählter bezeichnet wird, kommen starke Reminiszenzen beim Betrachter auf. Vergleichbar mit Neos ersten Schritten in der MATRIX läuft auch hier die Initiation des Neulings ab. Dazu gibt es auch den passenden Spruch: „Mal sehen, was du so drauf hast…“. Viktor muss jetzt nicht von einem Hochhaus zum nächsten springen. Nein, er bekommt eine andere Aufgabe, um sich zu beweisen und sein Talent freizulegen. Selbstverständlich versagt er beim ersten Versuch wie auch sein Vorgänger aus der MATRIX.

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Im weiteren Verlauf des Films denkt der Betrachter wehmütig an all die großen Originale zurück, die Nikita Argunovs Inszenierung nicht müde wird zu kopieren: INCEPTION (2010), MATRIX (1999), AFTER (2012) und auch der sowjetischen Klassiker STALKER (1979) wird mehrfach zitiert. Das Tempo der Inszenierung ist jedoch ausgewogen, ruhige Momente werden von gelungenen Actioneinlagen abgelöst, besonders die Reaper beeindrucken trotz Animation dabei immer wieder. Wie bei solchen Storys üblich, gibt es eine kleine Liebesgeschichte und ein großes Geheimnis, das es zu entdecken gilt. Alle wichtigen Topoi sind mit von der Partie: Verrat, Größenwahn, Machthunger, Vertrauen, Egoismus wie auch die allgegenwärtigen Helden haben in COMA ihren Platz gefunden. Am Ende hat auch in dieser Welt ein ähnliches Fingerschnippen wie von Thanos und seiner grenzenlosen Macht der Infinity-Steine gefährliche Konsequenzen.

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Das Personal

Für Regisseur Nikita Argunov, geboren 1978 in Magadan zu Zeiten der Sowjetunion, stellt COMA seine erste Arbeit in dieser Funktion dar. Davor war er als Produzent, Drehbuchautor und Spezial-Effekts-Künstler aktiv. Hauptdarsteller Rinal Mukhametov kennen wir schon aus den Science-Fiction-Streifen ATTRACTION (PRITYAZHENIE, 2017) und ATTRACTION 2 – INVASION (VTORZHENIE, 2020) in denen er den außerirdischen Hakon mimte. In COMA macht er den Eindruck, als wäre er den größten Teil des Films gar nicht anwesend. Geistesabwesend und gar nicht so richtig bei der Sache steht er vor der Kamera, die hier leider auch eher unterdurchschnittliche Arbeit leistet.

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Seine Partnerin im Film ist die junge Schauspielerin Lyubov Aksyonova. Einige werden sie sicher aus dem Genre-Mix GUARDIANS OF THE NIGHT – THE VAMPIRE WAR (NOCHNYE STRAZHI) kennen. Ansonsten hatte sie bisher nur kleinere Auftritte in TV-Serien. Der dritte im Bunde ist Anton Pampushnyy, bekannt aus GUARDIANS (ZASHCHITNIKI) in dem er groß aufspielen durfte. Dieses Mal hat er mit der Rolle des Phantom einen mehr als unsympathischen Charakter darzustellen, was ihm aber durchaus glaubwürdig gelingt. Dann wäre da noch der charismatische Konstantin Lavronenko. Seine Filmografie ist recht umfangreich, arbeitet er doch schon seit vielen Jahren für das russische Kino wie auch für das Fernsehen. In COMA spielt er die Rolle des Yan, der Anführer der Partisanen und Viktors Mentor, der mehr oder weniger eine zwielichtige Morpheus-Kopie darstellt.

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Ein kurzer Rück- und Ausblick

Der neue russische Genre-Film befindet sich seit einigen Jahren auf der Suche nach sich selbst. Vergessen sind all die Klassiker aus der Zeit der Sowjetunion, stattdessen ist man fieberhaft bemüht, den Anschluss an die großen Blockbuster Hollywoods zu vollziehen. Mit allen Mitteln wie es scheint. Großflächig wird kopiert und genreübergreifend ausgeliehen, egal, ob es nun Sinn macht oder nicht. Interessante Ideen werden auf Kosten von CGI-Orgien verheizt, wie eben auch bei COMA. Stattdessen wird leichte Kost serviert. Das gute Ideen vorhanden sind, zeigte schon die filmische Umsetzung von Sergei Lukjanenko‘s „Wächter-Romanen“: WÄCHTER DER NACHT (NOCHNOI DOZOR, 2004) und WÄCHTER DES TAGES (DEVNOY DOZOR, 2006). Bleibt nur noch zu hoffen, dass sich die russischen Filmemacher wieder vermehrt auf ihre eigentlichen Stärken besinnen, denn ein zweites Hollywood braucht wirklich niemand. Ironischerweise haben gerade zwei Amerikaner im Jahr 2018 die klassische, sowjetische Science-Fiction beeindruckend weiterentwickelt, mit PROSPECT (2018).

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Fazit

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Surreale Bilder von unterschiedlichen Architekturstilen, Kulturen und Landschaften, Träume von Orten und Personen, vermischt mit wilden Fantasien, alles wird vereint zu einer einzigen fantastischen Dimension, in der nichts unmöglich scheint. Ein großer Mischmasch aus mehreren Filmen stößt beim Betrachter schon nach kurzer Zeit auf Missmut, wie auch das sehr dünne Ende. Dieses ganze Durcheinander von bekannten Story-Elementen hinterlässt einen sehr zwiespältigen Eindruck, sowie die Gewissheit, dass bei dieser wirklich interessanten Idee ganz sicher mehr möglich gewesen wäre. Kann man jedoch über die erwähnten Schwächen hinwegsehen, bietet COMA typische Popcorn-Unterhaltung.

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewComa (2019)
OT: Koma
Poster
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RegisseurNikita Argunov
Trailer
BesetzungRinal Mukhametov (Viktor / Der Architekt)
Lyubov Aksyonova (Fly)
Anton Pampushnyy (Phantom)
Konstantin Lavronenko (Yan)
Mulios Bikovic (Astronom)
Polina Kuzminskaya (Spirit)
DrehbuchNikita Argunov
Timofei Dekin
Aleksey Gravitsky
KameraSergey Dyshuk
FilmmusikIlya Andrus
SchnittAlexander Andrjuschtschenko
Alexander Pusrjow
Jegor Tarassenko
Filmlänge111 Minuten
FSKab 12 Jahren

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