„Das Erbe von Dennis Hopper“
Wenn ein Film den Kampf von Polizisten gegen Straßengangs und deren Verflechtungen darstellt, ist es für mich immer schwierig, nicht die Meisterwerk-Serie THE WIRE heranzuziehen. Die in Baltimore angesiedelte HBO-Serie zeigt in fünf Staffeln mit jeweils einem Themenkomplex, wie sich Kriminalität durch die Gesellschaft und deren Klassen vernetzt. Aber es ist an der Zeit, Filme kennenzulernen, die den Grundstein – thematisch und auch künstlerisch – für THE WIRE gelegt haben. Capelight Pictures hat Dennis Hoppers COLORS – FARBEN DER GEWALT (1988) restauriert und im Mediabook auf Blu-Ray in die Läden gebracht – ein vertrauensvoller Grund, diese mögliche Filmlücke zu schließen!
Inhalt
Der energiegeladene Jungspund Danny McGavin wird von dem milchgesichtigen Sean Penn gespielt. Er wird Partner von dem kurz vor der Pensionierung stehenden Bob Hodges, verkörpert vom schon immer alt aussehenden Robert Duvall. Sie fahren Streife für das LAPD, genauer gesagt werden sie in die Spezialeinheit „CRASH“ versetzt, die der immer größer werdenden Bandenkriminalität in Los Angeles Einhalt gebieten soll. Der erfahrenere Polizist Hodges weiß behutsam mit den Kriminellen umzugehen, denn bei einer falschen Handlung können die Cops schnell einer Horde von Bandenmitgliedern gegenüberstehen, die auch nicht davor zurückschrecken einen Polizisten zu töten. McGavin ist da von einem anderem Kaliber und prügelt auch mal unbedacht auf einen gefesselten Verdächtigen ein. Ganz nach dem Motto: Erst schießen, dann Fragen stellen. Beide Partner müssen sich jedoch zusammenraufen, beruflich als auch privat, um auf diesem Kriegsgebiet zu überleben.
Vom Hippie zum Polizist
Dennis Hopper (EASY RIDER) hatte ich in meinen ersten Filmerfahrungen eigentlich nur als Bösewicht oder Nebenfigur wahrgenommen, bis sich unser Interesse für die Fotografie gekreuzt hat. Eine Retrospektive über seine langjährige Leidenschaft als Fotograf mit Straßenfotografien in schwarz-weiß und Einblicken in die Welt der von Drogen belasteten Hollywood-Szene, haben mich schwer beeindruckt. Kurz nachdem ich mir seinen Fotoband gekauft hatte, musste ich leider in den Nachrichten erfahren, dass er gestorben war. 74 ist kein schlechtes Alter für jemanden, der viel erlebt und seine Gesundheit hintenangestellt hat. Hopper soll zum Beispiel beim Dreh von APOCALYPSE NOW (1979) für ausreichend Drogen am Set gesorgt haben. Sieben Jahre nach seinem Abschied von der weltlichen Leinwand kreuzen sich unsere Wege wieder, dieses Mal mit Sirenen, Waffen, Rap und Helikopter-Unterstützung.
Police-Procedural-Film in dokumentarisch
Das Subgenre des Films ist als Polizei-Drama (in filmtheoretisch „Police-Procedural“) angesiedelt, geht jedoch neben der üblichen Rahmenhandlung: „Junger und alter Cop finden über Umwege zusammen und kämpfen zusammen gegen das Verbrechen“ weit hinaus. Durch die echten Drehorte in den Armenvierteln von Los Angeles der 80er Jahre, in einer Zeit, in der man nicht die falsche Farbe am falschen Ort tragen sollte, bekommt der Film ein spannungsgeladenes Grundrauschen. Das liegt auch an den echten Bandenmitgliedern, die Hopper und der Produzent Robert H. Solo für den Dreh gewinnen konnten (zwei Statisten wurden während der Drehzeit erschossen). Sean Penn wurde sogar wegen Körperverletzung (zu starkes „Method-Acting“) 33 Tage lang eingebuchtet. Den größten Verdienst hat jedoch Kameramann Haskell Wexler, der nicht nur für ein kontrastreiches Bild sorgte, sondern die Kamera in Guerillakämpfer-Art förmlich durch die Szenen warf. Das bringt nicht nur eine dokumentarische Optik auf die agierenden Hauptfiguren, sondern auch jede Menge Authentizität für die Handlung. Die Schauspieler verkörpern ihre Rollen problemlos, auch die Nebendarsteller wie zum Beispiel Don Cheadle als Rocket. Einzig der ab und zu etwas holprige Schnitt sorgt in unseren, vom 21. Jahrhundert geprägten, Filmerfahrungen für kleine Sprünge.
Das Mediabook von Capelight
Das 3-Disc-Mediabook bietet den Film auf Blu-ray und DVD in einer acht Minuten längeren Version gegenüber dem Kinoschnitt an. Auf der dritten Disc (Blu-ray) befindet sich das Bonusmaterial wie zum Beispiel ein Interview mit Drehbuchautor Michael Schiffer und dem damaligen LAPD-Berater vom Filmset. Die Kinofassung ist ebenfalls enthalten. Das Bild sieht ausgesprochen gut aus, ist nicht zu glattgebügelt und behält die körnige Optik des haptischen Films. Der Ton ist klar, jedoch springt bei der deutschen Synchronisation zwischen Musik- und Dialogszenen der Lautstärkepegel etwas. Ich habe den Film in Originalsprache gesehen, nicht etwa um meine 80er-Jahre-Gang-Vokabeln aufzufrischen – „Homes“ – sondern weil der Ton die Szenen viel besser mit Nebengeräuschen ausfüllt. Im Mediabook befindet sich ein 24-seitiges Booklet mit Texten zu den Dreharbeiten und einer filmgeschichtlichen Einordnung im Genre. Die Texte sind auf das Wesentliche beschränkt und kommen ohne großes Geschwafel aus. Mit dem Verkaufspreis, der von Capelight für dieses Paket Filmgeschichte ausgegeben wurde, ist COLORS zu einem Mediabook-Schnäppchen geworden.
Fazit
Der 30 Jahre währende Zeitsprung gelingt durch COLORS perfekt. Das liegt nicht nur an dem Straßenfotografie-Verständnis von Dennis Hopper, sondern auch an den ausgezeichneten Darstellern. Der Film hätte mich vor 20 Jahren kalt erwischt. Heute schaue ich nicht nur mit Nostalgiegefühlen auf solche Filme, sondern weil ich bei aktuellen Produktionen keinen Mut mehr sehe, Zeitgeschehen so abzubilden wie es COLORS getan hat.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter