Frisch von capelight eingetroffen ist das Mediabook zu CHATOS LAND (CHATO’S LAND, 1972). Ab in den Player damit. Extras gibt es keine außer dem stets gelungenen Booklet, dieses Mal von dpa- und ZDF-Redakteur Daniel Wagner. Doch ich freue mich vor allem auf den Film selbst: Michael Winners erste (und bei weitem nicht letzte) Zusammenarbeit mit Leinwandlegende Charles Dennis Buchinsky, den meisten von uns als Charles Bronson bekannt. Schon die ersten Bilder, die ersten Minuten, sind bedeutungsvoll aufgeladen, ikonisch und voller Reiz. Der Film unterhält sehr gut und das bis zum tollen Schluss.
Heimatlicher Krieg
Der finstere Innenbereich eines Saloons wird mit einem Mal von stechendem Sonnenlicht zwischen sich öffnenden Pendelscharnier-Türen durchbrochen. Ein Rassist betritt den Laden, der Sheriff, natürlich der behütende Ober-Rassist dieses weiß besiedelten Westerndörfchens. Er grient noch hämisch in die Kamera – tatsächlich dieser direkte Blick, der für einen Moment die vierte Wand zum Zuschauer durchbricht – und zückt seinen Colt. Doch er hat Pech. Denn der „rothäutige Nigger“ an der Bar ist das Apachen-Halbblut Chato (Charles Bronson), und der bringt den maßlosen, alkoholsüchtigen Sadisten mit dem Sheriffstern schneller in die ewigen Jagdgründe als andersherum.
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© capelight pictures
Bereits hier ist Bronsons Spiel, der mit Michael Winner fortan mehrere einschlägige Filme drehen sollte (EIN MANN SIEHT ROT / DEATH WISH, 1974 sowie zwei Fortsetzungen) auf den Punkt. Minimalistisch, mit stoischem, geradezu bohrendem Blick und unaufgeregten Gesten. Bronson als Chato ruht bereits völlig in sich selbst. Er verkörpert dieses felsenfeste Monument von einem Mann, dessen Haptik der Schauspieler einmal hübsch selbstironisch auf sein eigenes Antlitz bezog:
„Ich sehe aus wie ein Steinbruch, in dem eine Ladung Dynamit explodiert ist.“
Man muss sich das stets wieder in Erinnerung rufen, denn man hat die vielen Darsteller-Biografien ja nicht immer im Kopf. Bronson wurde kurz nach den Dreharbeiten zu CHATOS LAND bereits 50 (!) Jahre alt. Seine Spätphase, die ihm nicht nur weiteren Ruhm sondern auch sehr viel Geld einbrachte, hatte begonnen. Leone und Sturges waren bereits passé. Nun wurden die Filme ausschließlich um seine Person herum gestaltet, nicht er musste sich als einer von vielen noch irgendwo einfügen.
Weiter geht’s. Jack Palance betritt als zweitwichtigste Figur das Bild und den Film, erinnert sich unter den bedächtigen Klängen eines Jerry Fielding (STRAW DOGS, 1971) seiner Vergangenheit und packt seinen drahtigen Körper in die alte Offiziers-Uniform des Südens. Bereits hier macht der Film klar: es handelt sich um einen zutiefst heimatlichen Krieg, einen inneramerikanischen. Die Vereinigten Staaten gerieten schließlich zum größten Melting Pot der Erde, auch in dem scheinbar weißen Dörfchen tummeln sich hinter der Namenseinblendung des Kameramanns (bezeichnend „Paynter“) Personen aller Arten und Farben – asiatische Immigranten, ein mexikanischer Junge in einen kleinen handgefertigten Poncho gewickelt. An diesem Punkt stört mich bereits etwas die nicht besonders tolle Restauration des Bildmaterials auf der Blu-ray (sie wird später für einen längeren Zeitraum deutlich besser).
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© capelight pictures
Captain Quincey Whitmore, wie Palances Figur heißt, sammelt eine Gruppe Freiwillige um sich (auch einen zunächst scheinbar liebenswerten älteren Farmer), um Chato bis aufs Blut zu jagen. Immerhin hat Chato getötet, wir Zuschauer wissen in Notwehr, doch herrscht im Wilden Westen klar das Gesetz des Stärkeren, des survival of the fittest. Es ist bezeichnend, mit welcher Selbstverständlichkeit Winner jenen den Figuren inhärenten Rassismus einfängt – wenn beispielsweise der erwähnte ältere Farmer voller Pflichtgefühl grummelt, natürlich würde er mitkommen und auch sein angeschlagenes Gut zumindest kurz dem Schicksal überlassen; lange könne er zwar nicht weg, aber um einen toten Indianer zu sehen, reite er meilenweit mit. „Es könnte ein gutes Land sein, es dürfte nur keine Indianer hier geben“, stellt er abschließend fest… zufrieden blicken ihn die Kameraden von ihren Pferden herab an. Verlässlichkeit, egal in welcher Ausprägung, ist ein entscheidendes Element im Westernfilm.
„Eher fangen wir den Wind“
CHATOS LAND wurde in und um Almería, Spanien, gedreht. Der Brite Winner kam von der Insel in die Staaten, hatte aber noch nicht das nötige Kleingeld geschweige denn die Reputation, große Studioproduktionen zu realisieren. Er selbst gilt mit seinen späteren Actionfilmen als durchaus umstritten, doch zeigt gerade die zweite Hälfte von CHATOS LAND, welch ein bildgewaltiger Erzähler Winner sein konnte. Bronson bleibt in den ersten zwei Dritteln nur etwa fünf Minuten im Film zu sehen, doch zuletzt verschmilzt sein beachtlich athletischer Körper mit dem des natürlichen Umfelds, jenem Terrain, das dem revisionistischen Western seinen Namen verleiht. Chato scheint nicht aufspürbar, wie auch Quincey einlenkend feststellt.
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© capelight pictures
Doch ist es tatsächlich weniger Chato und sein Land, das den Männern zu schaffen macht, sondern deren fortwährend zunehmende (innere) Spaltung. Spätestens nach der höchst ernüchternden Vergewaltigung von Chatos Frau, einer Squaw, kippt die Stimmung und Richtung des gesamten Verfolger-Lagers. Die Männer trennen sich schließlich auch physisch, durch Hinfortreiten oder gegenseitige Gewalt. „Gott möge Dir vergeben, ich kann es nicht“, spricht Quincey zu einem der Quertreiber. Das Vertrauen verkocht in der Hitze der Steppe, die nicht nur äußere Anspannung durch das unwirtliche, geisterhafte Land bleibt mit Nachdruck zu spüren. Ab da wird sehr häufig die Bibel zitiert, der Allmächtige angesprochen, gebetet und bestattet. In meiner Besprechung des Buches GNADE SPRICHT GOTT – AMEN MEIN COLT von Pfarrer Michael Striss gebe ich einen Überblick über Konzeption und Bedeutung dieses erstaunlich detailreichen Werks, das sich fast ausschließlich mit Italo- und Eurowestern beschäftigt. CHATOS LAND kommt demzufolge nicht darin vor, würde sich aber nahtlos in des Autors Beobachtungen über Motive, Symbolik und religiöse Bezüge im Italowestern / Western einfügen.
Mit seinem Erscheinen Anfang der 1970er-Jahre passt CHATOS LAND nicht nur hervorragend in meine vorrangig auf dieses Jahrzehnt spezialisierte Filmsammlung. Er ist darüber hinaus natürlich ein gelungener und wichtiger Vertreter dieser Phase des revisionistischen Spätwestern sowie eine Allegorie auf die derzeitige politisch-militärische Situation der USA.
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen