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Candyman (1992) – Filmkritik & Review zum Mediabook

„Urban legend“

In den 1990er-Jahren war die große Zeit der ikonenhaften Serienkiller im Kino eigentlich schon wieder vorbei: Michael Myers, Jason Voorhees, Freddy Krueger – sie alle waren zwar noch in Sequels bis Mitte der 1990er zu sehen, aber die einschlägige Phase, die mit den markantesten Vertretern, lässt sich recht genau auf die zehn Jahre zwischen 1978 und 1988 festmachen. Verbunden damit, dass diese späteren Teile jener Horror-Reihen eher auf Video ihr Publikum fanden, war es um eine „neue“ Geschichte als eigenständige Kinoproduktion eher unsicher bestimmt.

CANDYMAN (1992)
© Turbine Medien

Die Schöpfer von CANDYMAN

CANDYMANS FLUCH – im Original einfach CANDYMAN – erschien nun 1992 nach einigen Anlaufschwierigkeiten doch als mittelgroß angelegte Kinoproduktion mit einem Budget von gut 8 Mio. US-Dollar. Die Zuversicht des Studios hierfür musste aber erst verdient werden (siehe meine einführenden Zeilen). So war es nicht nur an Ideengeber Clive Barker, seine Kurzgeschichte „The Forbidden“ vertrauensvoll zur weiteren Drehbuchadaption weiterzugeben, sondern es brauchte einen handwerklich sicheren Regisseur, um die Geschichte mit der nötigen Ausdruckskraft, aber auch effektiv im Rahmen der Produktionsbedingungen für die große Leinwand umzusetzen. Hierfür fand sich Bernard Rose, der zuvor mit PAPERHOUSE (1988) sein Können für das Genre verdeutlichte und mit dem Neo-Noir CHICAGO JOE AND THE SHOWGIRL (1987) Gespür für atmosphärische Bilder bewies. Kein großer Regisseur, brachte Rose den nötigen Eifer und vor allem eine Leidenschaft mit, die für das Projekt CANDYMAN als Kinoadaption zielführend war.

© Turbine Medien

In Barkers Kurzgeschichte „The Forbidden“ (1984), soviel sei noch verraten, orientiert sich der Schöpfer von HELLRAISER, NIGHTBREED u.v.a. am Schauermärchen der Bloody Mary, wonach „eine entstellte, junge Frau im 17. Jahrhundert der Hexerei beschuldigt und zum Tod durch Erhängen (manche Quellen geben auch Verbrennung an) verurteilt worden sei. Doch sie würde wieder erscheinen, wenn man sich mit einer brennenden Kerze vor einen Spiegel stellte und dreimal ,Bloody Maryʻ ruft.“[i]

© Turbine Medien

Großstadtlegenden

Zu einem eindringlichen Score von Philip Glass offenbart sich uns Zuschauern ein kühles, schematisches Bild des urbanen Lebensraums aus Vogelperspektive. CANDYMAN beginnt in seinen ersten Bildern ähnlich gut wie WOLFEN (1981), auch wenn er dessen durchgehend subversive Qualität vor allem in der zweiten Hälfte nicht mehr halten kann und stattdessen andere Wege geht. Doch von Beginn an wird klar: die Mythen um frühzeitliche Geister und Dämonen sind entsprechend des erzählten Kosmos’ in die Gegenwart verlagert worden. Diese neuzeitliche Legendenbildung, im Englischen als „Urban legends“ ein eigener Wissenschaftsbegriff, beschäftigt sich mit modernen Mythen, die im Hier und Jetzt entwickelt und verbreitet werden: der Boogeyman aus der Nachbarschaft, jener natürlich bereits in HALLOWEEN publikumswirksam dämonisierte Psycho-Killer oder Geschichten um schicksalhafte Unfälle, wie sie etwa in der späteren FINAL DESTINATION-Reihe (2000-2011) durchdekliniert werden.

© Turbine Medien

Entscheidend sind dabei zwei Dinge: zum einen der ganz aktuelle Bezug der Nachrichtenverbreitung bzw. Geschichtserzählung, wonach in der Schule, im sozialen Netzwerk und über Handynachrichten vermittelt wird, und zum zweiten die eigene Unsicherheit bezüglich der Herkunftsgeschichte der Nemesis, wonach Origin-Storys – auch innerhalb einer Erzählung – bewusst leicht variiert vermittelt werden, ein Jeder seinen Teil der Geschichte sprichwörtlich dazudichtet. Ein prägnantes Beispiel außerhalb des reinen Horrorkinos wäre hierbei etwa die Geschichte des Jokers in Christopher Nolans THE DARK KNIGHT (2008), wonach der Antagonist selbst im Laufe der Handlung verschiedenen Ursprungsversionen für sein monströses Ich anbietet.

CANDYMAN (1992)
© Turbine Medien

In CANDYMANS FLUCH wird der Bezug zu Modernen Sagen bzw. Großstadtlegenden[ii] in Minute 18 der Laufzeit höchst selbstreflexiv wiedergegeben, in dem die Protagonistin Helen, gespielt von Virginia Madsen, ihrer Kollegin erklärt:

„Die Bevölkerung schreibt den alltäglichen Horror ihres Lebens einer mythischen Figur zu.“

Helen und Anne-Marie (Vanessa Williams) begeben sich ins berüchtigte Ghetto von Cabrini Green, um dem Candyman auf die Spur zu kommen. Cabrini Green ist innerhalb der Handlung der perfekte Ort für solch eine neuzeitliche Legendenbildung, werden hier doch nachhaltig sozialpolitische Missstände des Großstadtkosmos sichtbar. Cabrini Green (viel mehr hierzu im Booklet des Mediabooks) galt bereits im 19. Jahrhundert als Chicagos erster Slum und wird in der erzählten Gegenwart von CANDYMAN als von der Stadtverwaltung aufgegebenes Viertel beschrieben, in dem die Bewohner sich selbst überlassen in verkommenen Bauten dahinvegetieren, während ringsum Immobilien für die wohlhabenden Schichten bewirtschaftet werden. Unter dieser armen Bevölkerungsschicht, im Film fast ausschließlich durch afroamerikanische Darsteller verkörpert, geht die Schauermär des Candyman um. Seine Herkunft wird mehrfach angesprochen, doch zuletzt greift der Umstand, dass es sich hierbei um den gebildeten Sohn eines afroamerikanischen Industriellen handelt, der im Jahr 1890 zum Tode verurteilt wurde, weil er es wagte, eine weiße Frau zu lieben.

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Der Mann mit Hakenhand

Der weiße Lynchmob trennte dem jungen Afroamerikaner die rechte Hand ab – natürlich mit einer möglichst „rostigen Säge“, damit die Fleischfetzen eindrucksvoll sichtbar bleiben – und verbrannten ihn bei lebendigem Leib. Als Racheengel geistert der Candyman, begleitet von Schwärmen von Honigbienen und mit Süßigkeitenresten an den Todesplätzen, fortan in den Alpträumen derer umher, die von seiner Geschichte in den Bann gezogen werden und schließlich den Glauben an ihn verdrängen wollen. Die Geschichte um den Candyman manifestiert sich mit Darsteller Tony Todd daher auch erst ab Minute 45, weil er zuvor bewusst als Sagengestalt innerhalb der Handlung diskutiert wird.

CANDYMAN (1992)
© Turbine Medien

Ab der zweiten Hälfte von CANDYMAN treten apokalyptisches Setdesign und garstige Effekte in den Vordergrund, die die Handschrift Clive Barkers bzw. die Inspiration durch ihn an Bernard Rose unverkennbar erscheinen lassen. Portale zu Höllenwelten werden geöffnet; die alptraumhaften Geisterwelten, die in den Köpfen der Figuren aufkeimen, werden mit viel Aufwand manifestiert und – innerhalb der fiktiven Handlung – zu auffallend realen Welten gestaltet. In der nun erhältlichen Unrated-Fassung, die erstmals hierzulande restauriert vorliegt, wird das blutrünstige Ausmaß des Schlitzers voll erlebbar. Schmatzende Toneffekte verstärken die aggressiven körperlichen Bluteffekte auch auf akustischer Ebene und lassen selbst den geübten Zuschauer immer wieder zusammenzucken. Das wohl Entscheidende bezüglich der Feindfigur Candyman bleibt aber, dass dieser, gerade auch durch das eindringliche Spiel Tony Todds, eben nicht wie ein seelenloser Mörder à la Michael Myers und Jason Voorhees umhergeistert, sondern durchaus emotionale Tiefe besitzt.

CANDYMAN (1992)
© Turbine Medien

Nicht zuletzt kann man Virginia Madsen in ihrer Rolle gar nicht genug loben. Als Hauptdarstellerin trägt sie den gesamten Film und ihre tiefenpsychologische Auseinandersetzung mit dem Monströsen erinnert eher an den meisterlichen DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER als an die Anfangs genannten Vertreter des Slasherfilms. Das macht die Erfahrung mit dieser düsteren Großstadtlegende zuletzt umso eindringlicher.

Das Mediabook von Turbine

Nachdem bereits eine ab 18 Jahren freigegebene Mediabook-/Blu-ray-Version von CANDYMAN erhältlich ist, steht uns nun die vollständig unzensierte Version (Unrated-Fassung) des Films ins Haus. Hierzu muss man sagen, dass der Laufzeitunterschied zwischen beiden Fassungen zunächst kaum auszumachen ist, entsteht die härtere Version doch fast ausschließlich durch alternative Einstellungen, in denen die Gewalt sehr spürbar wird.[iii]

Candyman Mediabook CoverA

Das Label Turbine konnte hierfür das Bildmaster von Arrow Video lizensieren, wo der Film erst im letzten Jahr erschien. Während die vorherige HD-Veröffentlichung ein eher farbmattes und an den Rändern leicht beschnittenes Bild aufwies, wurde hier vom Originalnegativ grundlegend restauriert. Das Bild leugnet dabei seine Herkunft anno 1992 nicht, wirkt kontrastreich und körnig entsprechend dem filmischen Material.

Mediabook cover B

Auch die Einstellungen aus der wiederhergestellten Szene für den Unrated-Cut, der für die Kinoauswertung verändert wurde, wirken logischerweise dezent blasser, da das Quellmaterial andere Umstände erlebte (vergleichbar mit den unzensierten Szenen in Paul Verhoevens ROBOCOP, 1987). Doch wirken Bild und Ton insgesamt höchst eindrucksvoll, bilden eine vortreffliche Heimkinovariante der hier getätigten Restauration ab.

Mediabook Cover C

An Extras wurde wahrlich nicht gespart, hier eine kompakte Auflistung:

  • 9 Interview-Featurettes, u.a. mit Schöpfer Clive Barker, Regisseur und Autor Bernard Rose, Darstellern Virginia Madsen, Tony Todd, Kasi Lemmons, Ted Raimi und den Special-Make-up-Effects-Künstlern
  • 3 Audiokommentare von Cast & Crew (Clive Barker, Produzent Alan Poul, Bernard Rose, Virginia Madsen, Tony Todd, Kasi Lemmons und Filmkritikern
  • Tonspur mit den Soundeffekten und der Filmmusik von Philip Glass
  • Storyboards von Bernard Rose
  • Trailer zu CANDYMAN, CANDYMAN 3 und HELLRAISER 1-3
  • Retro-DVD mit 4:3-Vollbild-Version der R-Rated-Fassung (Open Matte, NTSC)
  • Buchteil von Tobias Hohmann zur Entstehungsgeschichte

Das Mediabook kommt – das betone ich sonst nicht so sehr – in drei wirklich schönen Coverartworks auf den Markt, wobei Cover C exklusiv beim Turbine Shop erhältlich ist.

© Turbine Medien

Fazit

Mit dieser gelungenen Auswertung des ikonischen Horrorfilms in seiner intendierten Fassung samt vorbildlicher Restauration und einer Zusammenstellung interessanter Extras ist Turbine der nächste Coup in Sachen Heimkino-Schmuckstück gelungen. Jeder Fan, aber auch jeder halbwegs interessierte Zuschauer sollte hier zugreifen und eine mögliche Lücke in der Sammlung schließen.

© Stefan Jung

Quellen

  • [i]    Tobias Hohmann: Candyman – Geburt einer neuen Ikone; aus dem Booklet zur hier besprochenen Mediabook-Veröffentlichung, S. 3.
  • [ii]   Vgl. Rolf Wilhelm Brednich (1990 ff.) und Jan Harold Brunvand (1981 ff.).
  • [iii]  Vgl. Schnittberichte (Link)
Titel, Cast und CrewCandymanns Fluch (1992)
OT: Candyman
Poster
Releaseab dem 14.02.2020 im Mediabook (Blu-ray+DVD) 3 Cover
Limitierung: Cover A 1.500 Stück | Cover B 1.000 Stück | Cover C 500 Stück
Direkt von Turbine kaufen
RegisseurBernard Rose
Trailer
BesetzungVirginia Madsen (Helen Lyle)
Tony Todd (The Candyman / Daniel Robitaille)
Xander Berkeley (Trevor Lyle)
Kasi Lemmons (Bernadette 'Bernie' Walsh)
Vanessa Williams (Anne-Marie McCoy)
DeJuan Guy (Jake)
Marianna Elliott (Clara)
Ted Raimi (Billy)
Ria Pavia (Monica)
DrehbuchBernard Rose
Buchvolagebasiert auf der Kurzgeschichte THE FORBIDDEN von Clive Barker
MusikPhilip Glass
KameraAnthony B. Richmond
SchnittDan Rae
Filmlänge99 Minuten
FSKab 18 Jahren

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