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Broker (2022) – Filmkritik

Hirokazu Kore-eda ist die Ausnahme unter den Filmemachern in Südkorea, er ist nämlich Japaner. Das ist mindestens so bemerkenswert wie die Tatsache, dass der Österreicher Michael Haneke meist in Frankreich dreht. Ähnlich wie dieser hat sich Kore-eda zumindest bei BROKER für ein Land entschieden, dessen Arbeitsbedingungen er für besser hält. Sein neuester Film MONSTER läuft gerade in Deutschland unter dem Titel DIE UNSCHULD in den Kinos. International bekannt wurde er mit Werken wie AFTER LIFE (1998), NOBODY KNOWS (2004), LIKE FATHER, LIKE SON (2013) und vor allem SHOPLIFTERS (2018), der für den Auslands-Oscar nominiert war und in Cannes die Goldene Palme gewann.

Zwei Männer entführen hin und wieder ausgesetzte Babys aus einer Babyklappe, um sie dann heimlich an Paare zu verkaufen, denen der offizielle Adoptionsweg verwehrt ist. Eine junge Mutter, die ihre Entscheidung am nächsten Tag (vielleicht) bereut, weihen sie kurzerhand ein. Sie schließt sich ihnen an, einen Käufer für ihr Kind zu finden. Da die Stimmung nicht einen Problemfilm, sondern eine Feel-Good-Komödie vermuten lässt, ahnt man kommende Entwicklungen, die der Film aber konsequent sabotiert.

© Plaion Pictures

Sang-hyun, der ältere der beiden Männer, betreibt eigentlich eine Reinigung, der er den Namen „Okay“ gegeben hat, als wäre er selbst nicht so recht von ihrer Qualität überzeugt. Er hat Geldprobleme. Mafiosi treiben Schutzgeld oder Spielschulden bei ihm ein und geben nebenbei ein Hemd voller Blut ab. Einen der Gangster kennt er aus der Nachbarschaft, seit dieser ein Kind war. Dong-soo, der jüngere, wurde selbst als Baby abgegeben und ist in einem Kinderheim aufgewachsen. Mit der Vermittlung anderer Kinder an liebende neue Eltern will er auch sein eigenes Trauma verarbeiten, dass seine Mutter ihn nicht behalten wollte. Diese beiden Menschen, die scheinbar nichts miteinander verbindet, bilden den Kern der Ersatzfamilie, die hier entsteht. Der alte ist offen und auf Harmonie bedacht, der junge ist verschlossen, aber eigentlich ein Romantiker. Sie sind naive Amateure, Easy Rider.

So-young, die Mutter, gibt sich unbeteiligt und ist darauf bedacht, keine zu große emotionale Nähe zu ihrem Kind entstehen zu lassen. Als das als Käufer avisierte Ehepaar aber um den Preis feilschen will und über das Baby meint: „Kann es sein, dass Sie Photoshop benutzt haben? Auf dem Bild war er viel niedlicher“, geht sie zornig dazwischen: „Solchen Arschlöchern gebe ich mein Kind nicht!“ Die Suche nach einem besser geeigneten Ehepaar, das den moralischen Ansprüchen der drei genügt, entwickelt sich zu einem Roadmovie in Sang-hyuns klapprigem Lieferwagen. Sie haben mehrere Verfolger im Schlepptau, unter anderem zwei Polizistinnen, die die beiden Männer schon seit einiger Zeit beschatten. Besonders diese beiden sorgen immer wieder für etwas comic relief. Die meiste Zeit sitzen sie in ihrem Auto und geben sich einer in Südkorea hochgeschätzten Tätigkeit hin, nämlich dem Essen.[1] (In der Originalfassung bemühen sie sich, das Wort „Schu-wei-ne-ha-xen“ richtig auszusprechen.) Wie der Chor einer antiken griechischen Tragödie kommentieren sie das Geschehen und beklagen, dass sie diese unsexy Aufgabe bekommen haben, während ihre männlichen Kollegen einen Mordfall bearbeiten dürfen.

© Plaion Pictures

Als wären sie auf einer Urlaubsreise machen die drei „Broker“ einen Abstecher zu Dong-soos altem Kinderheim. Er wird freundlich, sogar freudig empfangen, die Begegnung mit der Vergangenheit wirkt harmonisch. Als sich bei der Weiterfahrt auch noch eines der Heimkinder, ein Ausreißer, im Van versteckt, ist die Ersatzfamilie komplett. Obwohl die Erwachsenen den kleinen Hae-Jin für nicht besonders helle halten, trifft er oft ins Schwarze: „Ihr seid doch gar keine Familie!“ Ganz beiläufig kommt es ständig zu moralischen Diskussionen über das „Wegwerfen“ des Babys, und man fragt sich auch selbst, was besser wäre: Wenn die Mutter ihr Kind behalten oder wenn sie es weggeben würde. Und was ist eigentlich mit dem Vater des Kindes? Im Verlauf des Films drängt sich ein übler Verdacht auf.

Kore-eda Hirokazu erzählt ruhig und orientiert sich dabei mehr an internationalen Arthouse-Standards als z.B. Park Chan-Wook (OLDBOY, DIE FRAU IM NEBEL) oder der viel zu früh verstorbene Kim Ki-Duk (SEOM – DIE INSEL, FRÜHLING, SOMMER, HERBST, WINTER… UND FRÜHLING). Die Handlung ist nicht besonders kompliziert, erscheint jedoch nicht jederzeit glaubhaft oder nachvollziehbar. Manches ist auch elliptisch erzählt, und es gibt eine etwas verwirrende Vielzahl an Nebenfiguren. In einer Szene taucht eine Frau auf, die viele Kinder bei sich aufnimmt, die niemanden haben will, obwohl sie selbst arm ist: eine weitere Form von Familie.

© Plaion Pictures

Die Figurenzeichnung und die Dialoge sind aber sehr sensibel. Kore-eda arbeitet viel mit Improvisation, was sich in den Charakteren und sogar der Handlung widerspiegelt, wenn die immer wieder aufgehende Heckklappe während der Fahrt mit einer Schnur geschlossen wird. Sang-hyun wird von Song Kang-ho gespielt, dessen Gesicht inzwischen auch einem internationalen Publikum bekannt sein dürfte. Er erhielt für seine Darstellung in Cannes den Darstellerpreis. Auch das Kind, das Hae-Jin spielt, agiert ganz natürlich.

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Die beiden Männer und die Frau sind alle drei zu kurz gekommen, zumindest fühlen sie sich so. Erst nach einiger Zeit verraten sie einander ihre richtigen Namen. Sang-hyun erzählt, das sei sein Spitzname bei der Armee gewesen, und Dong-soo erwidert, du warst nie in der Armee, sondern im Gefängnis. Nur als ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle auf das Thema Reinigung zu sprechen kommt, wird Sang-hyun plötzlich zum Profi. Auch die beiden Polizistinnen wirken nicht besonders professionell, ebenso die angeheuerten Lockvögel als angebliches an einer Adoption interessiertes Paar. Das Übungsgespräch erinnert vage an Loriots Rentner Erwin Lindemann, der eine Boutique in Wuppertal eröffnen möchte.

Nach einer Weile zieht der Film dann an und wird ein richtiges Drama. Die Geschichte, die voller Leichtigkeit und Humor begann, ist irgendwann gar nicht mehr nett. Die Bilder sind dunkel, oft trostlos. Das Baby schreit. Als die drei einander dafür danken, dass sie geboren worden sind, machen sie dafür das Licht aus. Was man alles nicht sieht: einen Kampf mit einem der Gangster; wie eine fremde Frau das Baby stillt; die Morde.

© Plaion Pictures

BROKER zeigt eine ähnliche Gesellschaft wie Südkoreas Oscar-Gewinner von 2020, PARASITE (übrigens auch mit Song Kang-ho in der Hauptrolle): Wir erleben Menschen in prekären Verhältnissen, die ihre Ausgeschlossenheit vom sozialen Aufstieg als naturgegeben hinnehmen und gar nicht mehr auf die Idee kommen zu rebellieren oder überhaupt nur ihre Rechte einzufordern. Stattdessen spielen sie Teilhabe an der Gesellschaft, indem sie mit kriminellen Aktionen Arbeit in für sie unerreichbaren Berufen imitieren. Dabei sind ihnen wiederum Recht und Moral völlig egal.

Inmitten dieser nüchternen und drastischen Analyse geht es Kore-eda Hirokazu aber um nichts weniger als den Wert eines Lebens.

© Franz Indra

[1] Im Interview mit dem Regisseur in den Extras auf der DVD geht es nur anfangs um den Film, danach um Essen.

 

Titel, Cast und CrewBroker (2022)
OT: Beurokeo
Poster
ReleaseKinostart: 16.03.2023
seit dem 27.07.2023 auf UHD/Blu-ray im Mediabook, Einzel-Blu-ray und DVD erhältlich.

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RegieHirokazu Kore-eda
Trailer
BesetzungSong Kang-ho (Sang-hyun)
Bae Doona (Su-jin)
Gang Dong-won (Dong-soo)
Lee Ji-eun (So-young)
Lee Joo-young (Lee)
DrehbuchHirokazu Kore-eda
KameraHong Kyung-pyo
MusikJung Jae-il
SchnittHirokazu Koreeda
Filmlänge129 Minuten
FSKab 12 Jahren

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