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Brimstone Filmkritik Dakota Fanning Fluxkompensator

Brimstone (2016) – Filmkritik

„Qualen vor und auf der Leinwand“

Filmkritiken zu schreiben ist kein unangenehmer Job. Vor allem die 2 Stunden im Kinosaal können nicht wirklich als Arbeit bezeichnet werden. Jedoch waren dieses Mal 149 Minuten von BRIMSTONE im Kinosaal harte Plackerei, jede einzelne davon. Das lag nicht daran, dass der Film schlecht ist, sondern am quälenden Inhalt.

Brimstone Emilia Jones
© Koch Media

BRIMSTONE spielt im wilden Westen, von rauchenden Colts und Cowboys gibt es jedoch wenig zu sehen. Die junge Liz, gespielt von Dakota Fanning, ist in ihrer Kirchengemeinde eine stumme Hebamme, lebt zusammen mit ihrer leiblichen Tochter und ihrem Mann Eli mit dessen Sohn auf einer Schafsfarm. Als ein neuer Prediger (Guy Pearce) in der Gemeinde erscheint, erstarrt Liz bereits nur beim Brodeln seiner Stimme. Was sie verbindet, wird nicht verraten. Liz muss sich daraufhin bei einer komplizierten Geburt entweder für das Leben des Kindes oder das der Mutter entscheiden. Als sie die Mutter rettet und den noch nicht geborenen Sohn tötet, ist im Verhalten der anderen zu erkennen, welchen Stellenwert Frauen in der Gesellschaft zu dieser Zeit haben. Die Geschichte, die den Reverend und Liz verbindet, wird zeitlich non-linear in vier Akten, die biblische Epochennamen tragen, erzählt.

Brimestone Dakota Fanning Ivy George
© Koch Media

Dies ist jedoch nur der Anfang dieses Schwergewichts von Film. Den Inhalt hätte sich so manches Studio sicherlich gern als Serie vergüten lassen. Aber man merkt, dass Martin Koolhoven bei der Regie und dem Drehbuch volle künstlerische Freiheit bekommen hat, die weit über die alltäglichen Grenzen der Filmindustrie hinaus geht. Die Kapitel dieses Leidens-Epos sind sehr gut geschrieben und gehen spannend mit der stückchenweisen Fütterung von Informationen an den Zuschauer um. Eigene Vermutungen zu den Figuren und deren Zusammenhänge führen zu gekonnten Wendungen in der Handlung. Dies muss man Koolhoven lassen, BRIMSTONE erzählt die Geschichte spannend und beschränkt sich auf das Wesentliche: das Erzählen durch Bilder und Ereignisse, ohne die einfache Hilfe von Dialogen.

Brimstone Paul Anderson
© Koch Media

Handwerklich und technisch ist der Film definitiv überzeugend. Die Schauspieler zeigen eine bemerkenswerte Darstellung, selbst „GAME OF THRONES Star Kit Harrington ist in einer Nebenrolle gut besetzt. Die Präsentation der schlimmen Dinge, die Liz und anderen widerfahren, sind jedoch so quälend realitätsnah, dass man sich selbst vor Unbehagen wieder in den Kinosessel zurückflüchtet. Die dunkle Vergangenheit, die den Prediger als Reinkarnation des Bösen und Liz als schwache Frau ohne jegliche Rechte verbindet, lässt sich nur erahnen. Als jedoch die Kamera den Blick freigibt, ist man als Zuschauer nicht darauf vorbereitet: Kinder sterben und werden geschlagen, Frauen werden wie Dreck behandelt, sind nicht mehr als Mittel zum Zweck und der Missbrauch beider steht in einem andauernden Schlagabtausch auf der Szenenliste. Die Hoffnung ist ein schlechter Wegbegleiter für diejenigen, die sich diesen Gift und Galle spuckenden Film ansehen möchten. Vor allem, wenn BRIMSTONE als Spiegelbild der Frauenrolle in der Gesellschaft verstanden werden will. Das weibliche Geschlecht kann das maskuline Böse kaum besiegen, es ist übermächtig, vor allem wenn es noch von einem irren Glauben begleitet wird, der jede Gräueltat nur nach Auslegung rechtfertigt.

Brimstone Kit Harington
© Koch Media

Es sollte die Frage gestellt werden, warum Koolhoven so einen Film machen musste! Sein Name wird mit viel Selbstbewusstsein über dem Titel genannt, was auf eine Verbundenheit zum Inhalt hindeutet. Filme sollen sicherlich nicht immer unterhalten, sie sind auch Kunstwerke und die wollen und sollen positive gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen oder soziale Missstände aufdecken. BRIMSTONE ist jedoch weit davon entfernt. Es ist eine Qual für jeden, der Unrecht schwer ertragen kann und an Gerechtigkeit glaubt. Dadurch hat er sich in meinen Augen durch sein Maß an Perversion und Leid den Anspruch auf Kunst verwehrt. Nicht etwa durch die verherrlichende Darstellung von Gewalt gegenüber Schwachen, sondern in der Passivität des Filmemachers eine Lösung anzubieten. Entweder er verarbeitet gnadenlos eigenes widerfahrenes Leid oder er fleht um Aufmerksamkeit. In beiden Fällen fällt es mir schwer, einen Zugang zu finden.

Brimstone Guy Pearce
© Koch Media

Wer den Essay „Das Leiden anderer betrachten“ von Susan Sontag gelesen hat, versteht vielleicht meine Einstellung dem Film gegenüber. Es ist nicht die Menge oder „Qualität“ von grausamen Bildern, die die Menschen gegenüber Gewalt abstumpfen lässt, sondern die eigene Passivität, gegen dieses Leiden etwas zu unternehmen. Und Kino ist eben sehr passiv, außer man verlässt den Saal. BRIMSTONE verändert jeden Zuschauer, ob zum Positiven oder Negativen vermag ich nicht zu sagen.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewBrimstone (2016)
PosterBrimstone Poster Filmkritik
Releaseab 30.11.2017 im Kino
seit dem 07.06.2018 auf Blu-ray und DVD
Bei Amazon bestellen:

RegisseurMartin Koolhoven
SchauspielerDakota Fanning (Liz)
Guy Pearce (Der Prediger)
Paul Anderson (Frank)
Emilia Jones (Joanna)
William Houston (Eli)
Kit Harrington (Samuel)
Carice van Houten (Anna)
Trailer
DrehbuchMartin Koolhoven
KameraRogier Stoffers
MusikTom Holkenborg (Junkie XL)
SchnittJob ter Burg

Der Film kann aber auch überzeugen. Hier ist eine andere Meinung vom Kollege Volker Schönenberger auf „Die Nacht der lebenden Texte“.