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Brawl in Cell Block 99 Filmkritik

Brawl in Cell Block 99 (2017) – Filmkritik

„Ein Film über das Töten“

Kaum ein Film hat mich derart körperlich adressiert, war so knüppelhart wie der nun besprochene BRAWL IN CELL BLOCK 99 (2017) von Autor-Regisseur S. Craig Zahler. Der Film erschien hierzulande bereits im letzten Jahr durch Universum Film auf Blu-ray und DVD, jedoch mussten für die FSK 18-Freigabe 80 Sekunden Gewaltspitzen und eine Dialogzeile weichen. Somit darf das jetzt erhältliche Mediabook von capelight mit der unzensierten Fassung des Films als eigentliche Erstveröffentlichung gelten. 133 heftige Minuten dauert BRAWL IN CELL BLOCK 99. Es ist die bisher beste Performance von Darsteller Vince Vaughn (der auch in Zahlers aktuellem Film DRAGGED ACROSS CONCRETE an der Seite von Mel Gibson zu sehen ist).

Brawl in Cell Block 99 Filmkritik
Vince Vaughn  als Bradley Thomas // © Capelight Pictures

Worum geht es in aller Kürze und ohne zu viel vorwegzunehmen? Das Leben von Bradley Thomas (Vaughn) steht schon lange unter einem dunklen Stern. Ein Scheißleben führt er, gelinde gesagt. Nun ist auch noch der Job weg, die Ehe kurz vor dem Aus. Eine letzte Option bringt schließlich – zweifelhaften – Ruhm und üppig Geld. 18 Monate später, so die Zwischentitel, wohnen Bradley und Lauren (Jennifer Carpenter) in einem ansehnlichen Haus, sie erwarten Nachwuchs, ihre kleine „Koala“. Doch wenn nach der anfänglich durchexerzierten Misere das Leben der werdenden Familie nun in geordneten Bahnen zu verlaufen scheint, sprechen die Bilder noch innerhalb des trauten Heims für das exakte Gegenteil. Hier wird erst gar keine Idylle entworfen.

Nach einem Anruf seines Chefs, schaltet der eben noch eindrücklich zärtliche Bradley auf Arbeitsmodus, ist mit einem Mal sonderbar reserviert. Wenn die schwangere Lauren nun allein im geräumigen Schlafzimmer sitzt, wirkt dieser Raum bereits wie ihr eigenes Verlies – kühl und isoliert, von der Umwelt abgeschottet. Wenige Momente zuvor untersagte ihr Bradley noch den Umgang mit jeglichem Küchenwerkzeug, unter großer Angst, eine Verletzung könnte sie plötzlich ohnmächtig werden lassen. Entgegen möglicher Übertreibung oder ironischer Brechung einer gefühlsmäßig bedingten Übervorsicht sind seine Worte jedoch absolut ernst gemeint. Er „verbannt“ seine Frau ins Schlafzimmer, schränkt ihre Freiheit ein. Dies bleibt gerade in dieser Szene nachhaltig räumlich spürbar.

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Jennifer Carpenter als Lauren Thomas // © Capelight Pictures

Ein Auftrag geht verheerend schief und Bradley landet in der Folge im Knast. Statt der erhofften vier Jahre soll er sieben büßen. (Diese symbolische Zahl passt auch besser zu den übrigen vielen Codes und Verweisen innerhalb des Films.) Und dann, wo andere Gefängnisfilme den Überlebenswillen ihrer Figuren in Richtung Ausbruch und Freiheit stilisieren, kommt das besondere Gespür von S. Craig Zahler ans Licht, der das Drehbuch zu diesem Film – wie auch zu 20 möglichen weiteren – bereits seit Jahren fertiggestellt hatte.

Um diejenigen zu schützen, die er liebt, muss Bradley noch tiefer in den Morast der Gefängniswelt einbrechen und die Körperteile vieler Wärter und Insassen zerbrechen, um das Schlimmste, das sich außerhalb seiner physischen Reichweite in der „freien“ Welt abspielt, zu verhindern. Ein perverser Auftrag, zu krankhaften Konditionen. Der Mann, der Bradley diese Bedingungen überbringt, wird gespielt von Udo Kier. Sein Kurzauftritt vermag, das ganze Dilemma über das Töten in diesem Film zu bündeln und für die folgende brutale Tour de force zu vermitteln.

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Udo Kier als Placid Man // © Capelight Pictures

Topografie der Gewalt

Regisseur S. Craig Zahler (BONE TOMAHAWK, 2015) wird kontrovers diskutiert. Manche schreiben ihm gar eine intendierte white supremacy innerhalb seiner Texte zu. Doch wie auch Prof. Dr. Marcus Stiglegger im beiliegenden Booklet vortrefflich beschreibt, ist diese Sichtweise ebenso reaktionär und kurzsichtig, wie die Sache, die damit eigentlich kritisiert werden soll. Vielmehr „ist Zahlers Ansatz viel zu pessimistisch bezüglich einer solchen ideologischen Affirmation“, bei ihm geht es letztlich um eine Topografie höchst schmerzlicher Gewalt, ein Abgesang auf die Verrohung der Menschheit selbst.

Ironischerweise spürt man gerade bei diesem Film die ganze Zeit, wie er wohl ausgehen wird, aber der perfekt choreografierten Höllenfahrt in den inneren Kern des Schmerzes kann man sich schon bald nicht mehr entziehen. Dafür sind die Bilder zu intensiv, und ich meine nur in zweiter Instanz die ausufernde Brutalität von BRAWL IN CELL BLOCK 99.

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Don Johnson als Warden Tuggs // © Capelight Pictures

Ich bin aktuell noch sehr gespannt auf Zahlers aktuellen Film, DRAGGED ACROSS CONCRETE (2018), der knapp drei Stunden dauert. Doch bereits nach seinen ersten beiden Filmen kann ich feststellen, dass Zahler gerade auch visuell ein großartiger Erzähler ist. Wie er mit seinem Kameramann Benji Bakshi filmische Räume entstehen lässt und in und mit ihnen erzählt, ist hohe ästhetische Kunst. Es dauert eine ganze Stunde, bis wir an der Seit von Bradley ein Gefängnis von Innen sehen. Bereits zuvor wird der erzählerische Raum sorgfältig abgesteckt, werden Grenzen gezogen – emotional wie topografisch – entlang derer sich dieser zuletzt grenzüberschreitende Film bewegt.

In kühles, monochromes Licht werden Asphaltböden und Steinwände getaucht, ständig kann man das Unangenehme fühlen, riechen, schmecken. Nicht nur Gefängniszellen in allen Abstufungen der Grausamkeit werden aus signifikanten Perspektiven fotografiert, vielmehr scheint sich vor Bradleys Odyssee ein endlos langer Zellenflur zu erstrecken. Das beginnt schon mit dem finsteren, fast nachtschwarzen Inneren eines Wohnblocks, den die Hauptfigur in den ersten Filmminuten durchschreitet, um Ware abzuliefern. Den besagten Zellenblock 99 erblicken wir übrigens erst in den letzten 20 Minuten. Der gesamte Film ist ein Labyrinth des Schmerzes, in dessen Innerem der Endgegner und die finale Resolution wartet.

Brawl in Cell Block 99 Filmkritik
© Capelight Pictures

Nicht zuletzt Vince Vaughns Physis, über die im Rahmen seiner Rolle auch im Film selbst gesprochen wird, trägt erheblich zum wuchtigen Feel des Films bei, wobei Gewalt in Reinform bis zum Zerbersten abgebildet wird. Wie hier mit bloßen Händen und Füßen menschliche Schädel zertrümmert und zerquetscht werden, das sucht seinesgleichen und dürfte es dem Film auch weiterhin nicht ganz einfach hierzulande machen. Die FSK hat der Originalfassung wie gesagt die Freigabe verweigert.

Zwei Dinge sprechen hierfür: die Gewalt mündet nie im comic relief, sondern bleibt realitätsbezogen und wird ausschließlich unter Menschen ausgetragen. Dennoch ist sie derart exploitativ, dass manche Make-up-Künstler von Zombiefilmen neidisch werden könnten. BRAWL IN CELL BLOCK 99 ist wirklich eine schwer verdauliche Kombination. Zuletzt wird Gewalt auch innerhalb der Handlung als letzter möglicher Ausweg charakterisiert. Dass der Film – gerade deshalb – sehr komplex ist, macht eine reflektierte Auseinandersetzung mit ihm umso wichtiger.

Brawl in Cell Block 99 Filmkritik
© Capelight Pictures

Das Mediabook von capelight pictures

Zunächst ist es schon einmal bemerkenswert, dass sich das Label nach bereits erfolgter Heimkinoauswertung noch Monate später um den Vertrieb einer lediglich SPIO-geprüften Fassung bemüht, um uns Zuschauern das integrale Filmerlebnis zu präsentieren. Hinzu kommen ausgewählte, vorbildliche Extras, wie ein halbstündiges Q&A mit Cast und Crew, das tatsächlich in die Tiefe zu gehen vermag, eine 15-minütige Behind-the-scenes-Featurette sowie der zuvor angesprochene Booklet-Text von Marcus Stiglegger.

Brawl in Cell Block 99 Filmkritik
Mediabook in UHD/BD- oder BD/DVD-Kombi © Capelight Pictures

Letzterer schafft es, mit höchst fundierter und dabei klar verständlicher Sprache den Film zu beschreiben und einzuordnen, ohne ihm ein explizites Bewertungssiegel aufzuerlegen. Dabei wird die Arbeit von Regisseur Zahler, gerade auch dessen Autorentätigkeit, näher beleuchtet. Der Hauptfilm wird darüber hinaus im Genrekontext des Gefängnisfilms sowie als Exploitationfilm analysiert. Es ist ein wichtiger und bereichernder Text zu einem ebensolchen Werk. BRAWL IN CELL BLOCK 99 erscheint via capelight in zwei verschiedenen Mediabook-Editionen, allerdings nicht mit diversen Covern, sondern einmal im Blu-ray/DVD- bzw. im UHD/Blu-ray-Combo. Wir möchten ihn ausnahmslos empfehlen!

© Stefan Jung

Titel, Cast und CrewBrawl in Cell Block 99 (2017)
Poster

Release
ab dem 26.04.2019 im Mediabook 4K-UHD & Blu-ray oder Blu-ray & DVD erhältlich (uncut) sowie auf Blu-ray und 4K-UHD

Bei Amazon kaufen
RegisseurS. Craig Zahler
Trailer
DarstellerVince Vaughn (Bradley Thomas)
Jennifer Carpenter (Lauren Thomas)
Don Johnson (Warden Tuggs)
Udo Kier (Placid Man)
Marc Blucas (Gil)
Dion Mucciacito (Eleazar)
DrehbuchS. Craig Zahler
MusikJeff Herriott
S. Craig Zahler
KameraBenji Bakshi
SchnittGreg D'Auria
Filmlänge132 Minuten (uncut)
FSKFSK-ungeprüft und somit ab 18 Jahren

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